III.
3. Gerettet
"Scheiße", schimpfte Sarah und sprang auf.
Durch den Nebel ihrer Schmerzen sah Marlene das grinsende Gesicht von Chris. Flimmernde Punkte tanzten vor ihren Augen. Sie schüttelte kurz ihren Kopf und alles wurde ganz klar. Ihre protestietenden Nervenenden sperrten sie nicht ein, sondern entließen sie explosionsartig aus ihrer Passivität.
Sie hatte sich nicht fünf Jahre mit Jiu-jitsu abgemüht, um beim ersten Anwendungsfall aufzugeben!
Mit einem Unterarmschlag beseitigte Sie zunächst seinen Griff an ihrer Kehle.
Sie blendete alles aus. Sowohl Sarah, die eine Flasche nach dem Neuankömmling warf als auch das Lachen dieses Kerls, als dieser dem Geschoss auswich, wurden von einer Art weißen Rauschen überschrieben.
Mit einem Ablenkungsschlag brachte Marlene Chris dazu, sein Gewicht zu verlagern und nach rechts zu schauen.
Sie war nicht umsonst mit drei Brüdern aufgewachsen!
Mit einem spitzen Schrei rammte sie ihr abgewinkeltes Handgelenk in sein Gesicht und traf punktgenau seine Nase.
Sie war kein hilfloses Opfer!
Die Energie in ihrem Körper beförderte sie schneller auf ihre Füße, als sie denken konnte. Chris wollte sich ebenfalls aufrappeln, doch sie trat nach ihm.
Das Blut aus seiner Nase wirkte im Mondlicht wie eine obskure Stammesbemahlung. Die Zeit schien stillzustehen.
Er brummte wie ein verwunderter Bär, kämpfte sich auf die Knie und versuchte, sie anzuspringen.
Marlene trat erneut nach ihm und nahm Abwehrhaltung ein.
Sie würde ihn dazu bringen, diesen Tag zu bereuen.
Plötzlich ging ihre Deckelampe an.
Das Licht strahlte in ihre Augen und machte sie kurz orientierungslos. Sie blinzelte. Einmal, zweimal. Ein vorsichtiger Schritt zurück. Ihre Finger fanden Halt am Esstisch neben ihr.
Mit schmalen Augen erkannte sie mehrere Schemen in ihrem Wohnzimmer. Polizisten, stellte sie erleichtert fest. Jeweils zwei legten Chris und Marvin Handschellen an.
Dann schob sich eine breitschultrige Gestalt in ihr Blickfeld. Groß, schwarzhaarig mit besorgten dunklen Augen. Fabian.
Sarah umarmte erst sie und dann ihren Kollegen stürmisch. Ein Lachen entwich ihrer Freundin. Es hörte sich vollkommen überdreht an.
Fabians Augen strahlten Marlene an. Dieses Mal ohne einen Funken des ansonsten gezeigten Humors. Es wirkte wie ein Leuchtturm, der Stabilität und Sicherheit ausstrahlte.
Sarah hüpfte davon, um das Abführen der beiden Einbrecher zu überwachen. Dabei trällerte sie fröhlich Beschimpfungen.
Marlene fing an zu zittern.
"Hallo, Tweety", murmelte Fabian.
"Nenn mich nicht so", antwortete sie, mehr aus Gewohnheit, denn der Name störte sie weniger, als sie zugeben wollte.
"Ich mag kleine gelbe Vögel." Fabian versuchte offensichtlich, das Gespräch auf die Looney Tunes zu lenken. Was stimmte mit diesem Mann nur nicht? Wer sprach denn in einer solchen Situation über Zeichentrickserien? Sollte er sie nicht irgendwie befragen? Polizei Dinge machen? "Bist du verletzt?", fragte er leise.
Marlene dachte darüber nach. Schmerz fühlte sie nicht mehr, lediglich das Klappern ihrer Zähne brachte sie durcheinander. Um nicht reden zu müssen, schüttlte sie zur Antwort nur ihren Kopf.
Im Hintergrund beschrieb Sarah einer Kollegin gerade mit vielen Gesten das Zusammentreffen. Dazu schienen weitere Beschimpfungen notwendig zu sein, denn Marlene hörte zweimal "Penner" und ein "Sackgesicht".
Fabian trat unmerklich näher und deutete mit einem Nicken in Sarahs Richtung. "Jeder geht mit Adrenalin anders um."
"Ich zittere", stelle Marlene das Offensichtliche fest.
"Ich weiß." In seinen Augen tauchte ein neues Funkeln auf, warm und weich. Es zog sie an, wie eine Motte das Licht. Die Uniform stand ihm gut, das Blau betonte den Olivton seiner Haut und obwohl er sich wahrscheinlich vor seinem Dienst noch rasiert hatte, lag bereits wieder ein dunkler Schatten auf seinen Wangen.
Beruhigend hob er seine Hände. "Es wird bald wieder aufhören, mach dir keine Sorgen." Dann runzelte er die Stirn. "Was ist das an deinem Hals?"
Seine Finger strichen zart über die genannte Stelle. Es fühlte sich gut an. Sie rückte noch ein kleines Stückchen näher an ihn heran. "Da hat er mich gewürgt", erklärte sie. Irgendwie war diese Sache mit der Uniform unfair. Er wirkte so... einnehmend.
Zu spät merkte sie wie er sich versteifte. "Gewürgt?"
"Du machst jetzt keine Szene, oder? Das wird nicht mehr als ein blauer Fleck."
Fabians Augen bekamen einen glasigen Schimmer und sein Blick durchsuchte den Raum und blieb an einer der jungen Kolleginnen haften. "Sind die Sanitäter schon da?"
Marlene musterte die Polizistin. Sie hatte tolle rote Haare und wirkte noch nicht alt genug, um überhaupt Autofahren zu dürfen. Waren das etwa auch noch Sommersprossen?
Der Rotschopf nickte. "Sie kümmern sich unten um die Täter. Der eine hat eine gebrochene Nase, der andere einen ausgerengten Arm."
"Ich will sie hier haben." Fabians Stimme zog sie aus der netten kleinen Lethargie, in der sich ihr Kopf gerade befand.
"Das ist doch albern", protestierte Marlene.
Fabian ignorierte sie und konzentrierte sich alleine auf seine Kollegin. "Sanitäter, Steffi. Jetzt."
"Also hör mal..." begehrte Marlene auf, doch Fabian zog sie bereits in die Küche.
Noch bevor die Rettungskräfte überhaupt die Wohnung betreten konnten, hatte er ihr ein feuchtes Handtuch auf die Haut gedrückt.
Die Kälte des Tuches tat ihr irgendwie gut, auch wenn sie nicht wusste, warum.
"Das hilft gegen eine mögliche Schwellung", brummte er. Las er etwa ihre Gedanken?
Die Kollegin brachte statt der Sanitäter den alamierten Notarzt zu ihr, einen untersetzten Mann, dessen Alter sie aufgrund seines müden Gesichtsausdrucks nicht einschätzen konnte. Die Untersuchung verlief kurz und war ihr ehrlich gesagt etwas peinlich. Sie hatte schon wesentlich schmerzhafter Sportverletzungen davon getragen. Eine Spritze gegen eventuelle Schmerzen verweigerte sie, gerade weil sie den Eindruck hatte, daß selbst der Arzt sie für unnötig hielt. Als Marlene versehentlich noch die Ohrfeigen ansprach, die Chris ihr verpasst hatte, schien es Fabians ganze Selbstbeherrschung zukosten, um nicht hinauslaufen, und den Täter zu verprügeln.
Wahrscheinlich rettete sie nur Sarah, die mit ein paar Informationen im Gepäck wieder zu ihnen stieß.
"Die Idioten haben uns beim feiern gesehen und beobachtet", berichtete sie kurz. "Sie haben ein bißchen herum gefragt und irgendwer, der dich wohl kannte, hat ihnen deine Nummer gegeben. Die haben sich auch was eingeworfen, das muss aber noch abgeklärt werden."
"Ich würde den beiden Pennern so gerne eine reinhauen." Fabian rang sichtlich um Selbstbeherrschung.
Sarah tätschelte trösten seinen Arm, eine freundliche und beruhigende Geste. .
"Wenn du jetzt mit so einer Scheiße anfängst, das ich runter fahren soll..."
"Eigentlich wollte ich nur sagen, dass ich zur Zeugenaussage mit den Kollegen mitfahre." Sie bot ihm ihren Autoschlüssel an. "Wir können tauschen."
"Und Marlene?", fragte Fabian empört. "Wir können sie doch nicht alleine lassen. Die Mistkerle haben bei ihr eingebrochen, sie gewürgt und geschlagen. Sie ist doch vollkommen traumatisiert!"
"Hey. Ich kann euch hören", begehrte Marlene auf.
Beide ignorieren sie. "Ich muss sowieso in zwei Stunden in der Polizeiakademie sein, während du, mein Lieber, seit sechs Minuten Dienstende hast. Schreiben tut es eh Berger, also kannst du gleich hier bleiben." Auffordernd wedelt Sarah mit ihrer Hand.
"Es muss niemand bei mir... Moment, nach dieser Sache gehst du arbeiten?" Marlene war verblüfft. So taff war nicht einmal sie.
"Natürlich. Ich werde diese Geschichte in vier Klassen breittreten und mich als Held feiern lassen. Darauf verzichte ich doch nicht. Wenn ich heut nicht komme, hat das einer der anderen Dozenten ausgeschlachtet."
Seufzend legte Fabian seinen Autoschlüssel in Sarahs Hand und händigte ihr seine Dienstwaffe aus. Ihre Freundin umarmte sie daraufhin beide kurz zum Abschied und verschwand.
Der Arzt, von allen vergessen, beendete seine Untersuchung und klebte ihr ein Pflaster auf den Hals. "Da ist eine kleine Abschüfung." Dann beugte er sich vertraulich zu Fabian. "Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde bei den Beiden eine Blutentnahme durchführen."
Fabian nickte.
"Bei renitenten Personen machen wir das meistens aus der Leiste." Ruhig packte er seine Sachen zusammen und folgte Sarah.
(1250 Wörter)
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