II.
2. Bekämpft
Marlene brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, dass der mysteriöse Anrufer tatsächlich gerade gegen ihre Wohnungstür hämmerte.
Oh, Scheiße.
Hatten sie beim Heimkommen die Kette vorgelegt? Schnell sprang sie auf und flitzte durch das Wohnzimmer in den Flur. Sicherheitshalber ließ sie das Licht aus und leuchtete nur mit ihrem Handy.
"Lass mich rein, Lena." In der Realität klang die Stimme überhaupt nicht mehr anziehend, sondern in ihrer Beharrlichkeit eher verstörend. Die Kälte kroch über ihre nackten Arme und Marlene schnappte sich eine Strickjacke, die an ihrer Gadrobe hing. Hinter sich hörte sie Sarahs leise Schnarchgeräusche. Wie tief schlief diese Frau?
Chris schnaufte und klang erregt. Bäh. "Ich weiß, daß du da bist. Mach auf. Ich komme so oder so rein." Seine Finger klopfte eindringlich gegen das viel zu dünne Holz der Tür. Mist. Dennoch, die Kette lag pflichtschuldig in ihrer Vorrichtung und sollte ihr Zeit verschaffen.
Als erstes eilte sie zu ihrer schlafenden Freundin. Sarah lag auf dem Rücken, die hellblaue Decke war zwischen ihren nackten Beinen verdreht und sie trug nur Slip und Schlafshirt. Ungünstig, wenn ein Triebträter zu Besuch kommt.
"Sarah, wach auf." Mit ihrer linken Hand schüttelte Marlene die Schulter ihrer Freundin. Im Hintergrund hörte sie, wie sich dieser Chris an ihrem Türschloss zu schaffen machte. "Sarah!"
"Ist schon morgen?", nuschelte die Angesprochene.
"Nein. Hast du eine Waffe?"
"Zu deinem Glück nicht."
Sie hörte Chris fluchen, irgendetwas wenig schmeichelhaft, was durch die Tür kaum zu verstehen war. Offenbar war er ein besserer Stalker als Einbrecher, allerdings machte sich Marlene keine Illusion, das sich der Kerl lange aussperren ließe. Wer baute schon eine Glasscheibe in eine Wohnungstür?
"Komm schon, wach auf, Süße. Wir werden überfallen!"
Sarah, die gerade noch dabei war, sich die Decke über den Kopf zu ziehen, setzte sich bei diesen Worten schlagartig auf. "Was?"
"Da draußen ist ein Kerl, der versucht die Wohnungstür aufzubrechen. Wo ist deine Waffe?"
"Warum soll ich denn eine Waffe hier haben?" Sarah legte den Kopf schief als ob sie versuchte, aus Marlene wirrer Geschichte schlau zu werden.
Oder zu lauschen? "Weil du Polizistin bist!"
Sarah schüttelte den Kopf. "Mann, Lene. Ich bin Dozentin für Strafrecht. Meine Waffe ist natürlich in der Polizeiakademie, wo sie hingehört!"
Sie hörten wie die Tür sich quitschend öffnete und dann an der Kette stoppte. Chris fluchte wieder. "Scheiße. Das ist doch albern, Lena. Du machst es doch nur schlimmer!", beschwerte er sich.
"Wie lange brauchen die Kollegen?" Sarah zog sich ihre Jeans an.
Oh, verdammter Mist.
Ihre Freundin stoppte kurz und starrte sie ausdruckslos an. "Sag mir, dass du die Polizei gerufen hast", hakte Sarah nach. Marlene war dankbar, dass die Dunkelheit den vorwurfsvoll Ausdruck in den babyblauen Augen dämpfte.
"Ich..."
In diesem Moment fing Chris an, gegen die Tür zu treten. Mit einer fließenden Bewegung griff Sarah zu ihrem Telefon. "Fabian hat Dienst. Das geht schneller."
"Gibt es denn niemand anderen?", bettelte Marlene unglücklich. Sarah verzog keine Mine und begann zu wählen. Hinter ihr splitterte die Tür. "Ach, verdammt", murmelte Marlene. Außgerechnet Fabian. Sie griff nach ihrer fünf Kilo Hantel, die unter dem Sofa eine Pause gemacht hatte. Wenn Marlene nun schon ausnahmsweise einmal gerettet werden musste, dann doch bitte von jemandem, der weniger nervtötend war, als dieser Kerl. Sie hörte Sarah in ihr Telefon flüstern, ein eindringlicher Singsang von Informationen füllte den Raum. Mit dem Rücken zu ihrem Geschirrschrank positionierte sich Marlene hinter der Flurtür. Noch ein Splittern, dann gab die Wohnungstür mit einem Rumpeln nach.
"Wo bist du, mein Täubchen?", gurrte Chris. "Papa kommt."
Also wirklich. Etwas dämlicheres fiel ihrem Einbrecher offenbar nicht ein. Was für ein Klischee. Marlene verstärkte ihren Griff um die Hantel und wartete.
Ihre Haut prickelte, als er sich um die Ecke schob, warnte sie vor der drohenden Gefahr. Sie ignorierte die Schweißtropfen, die sich auf ihren Handflächen bildeten und umfasste ihr Trainingsgerät fester. Das Gewicht beruhigte ihre Nerven. Es war kein Geräusch zu hören in der Wohnung zu hören. Chris hielt an, wohl um ihre Position herauszufinden, und sie hörte auf zu atmen.
"Täubchen?", gurrte er und seine Stimme überschlug sich vor Erregung. Ein vorsichtiger Schritt brachte ihn näher zu ihr.
Noch einer, komm schon.
Im einfallenden Mondlicht erkannte sie einen hageren Kerl mit reinen, fast mädchenhaften Gesichtszüge. Eigentlich gar nicht hässlich.
Nichts an ihm kam ihr irgendwie bekannt vor.
Sein Kopf legte sich schief, wie ein Vogel, der nach Futter spähte. Er grinste und machte deutlich, dass ihm der Einbruch Spaß machte.
Die Luft brannte in ihren Lungen, bis er endlich einen weiteren Schritt in das Wohnzimmer machte.
Mit einem Schrei holte sie aus und traf ihn mit der Hantel in den Bauch. Er ging zu Boden wie ein gefällt er Tannenbaum. Grunzend griff er nach ihr doch sie tänzelte zur Seite.
Immer in Bewegung bleiben.
Sie holte erneut aus, doch diesmal war er schneller. Mit einer schmerzverzerrten Grimasse trat er ihr die Füße weg und sie landete mit einem satten Klatschen neben ihm. Zwar hatte sie den Aufprall einigermaßen mit ihren Unterarmen abfedern können, doch konnte sie nicht mit seiner Geschwindigkeit mithalten. Sein irres Grinsen leuchtete im schwachen Mondlicht, als er sich auf sie warf und ihr mit der rechten Hand die Kehle zudrückte. "Hallo Täubchen", gurrte er mit einer unheimlich-sanften Stimme.
Dann erstarrte Chris. Zwar ließ er sie nicht los, lockert aber seine Hand, sodass Marlene wieder atmen konnte.
Hinter den Mann hatte sich Sarah geschoben, die ihm etwas silbernes an seinen Hals hielt. Ein Messer. Von der Länge nach offenbar das Brotmesser, das bis eben noch untätig in der Küche Schublade geschlummert hatte.
"Las sie los, du Penner", fauchte Sarah und selbst Marlene stellten sich bei dem bedrohlichen Tonfall die Armhärchen auf.
Chris schien weniger sensibel zu sein. "Oh, wer kommt den da uneingeladen zur Party? Leg das Ding weg, Schätzchen, bevor du dir noch weh tust."
Sarah lacht böse. So viel Melodramatik hatte Marlene ihr gar nicht zugetraut. "Provozier mich nicht, Arschloch."
Im Treppenhaus erklang das Geräusch ihrer Haustür, dann eilten schwere Schritte nach oben. Rettung nahte offenbar.
Irritiert stellte Marlene fest, dass Chris auf das Geräusch gar nicht reagierte. Sollte er nicht irgendwas machen? Er musste doch wissen, was das bedeutete.
Sarah drehte sich zur Wohnungstür und rief: "Wir sind hier!"
In diesem kurzen Moment der Unaufmerksamkeit riss Chris ihrer Freundin das Messer aus der Hand.
Marlene Furcht würde von glühendem Ärger überlagert. Wie konnte dieser Scheißkerl es wagen, in ihre Wohnung einzubrechen? Und ihre beste Freundin anzugreifen?
Sarah erholte sich von der Überraschung und schlug nach Chris, während Marlene selbst versuchte, sich aus dem Griff frei zu zappeln.
Endlich schob sich eine Gestalt in den Türrahmen. "Komme ich zu spät zur Party?"
Marlene stoppte mit in ihrer Bewegung. Sie kannte die Stimmen nicht.
"Hallo Marvin", sagte Chris und schlug Marlene ins Gesicht. "Ich habe uns schon einmal aufgewärmt."
(1131 Wörter)
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