I.
Titel: After Party
1. Verwählt
Das Telefon klingelte. Tam-tatam
Marlene verfluchte sich für die Idee, neuerdings Mozart als Klingelton ausgewählt zu haben, als "Die kleine Nachtmusik" ihren Gehörgang stürmte und versuchte, sie aus dem Tiefschlaf direkt in einen mehr oder weniger wachen Zustand zu befördern. Und alles nur, um damit ihre Brüder zu nerven. Wer war nun genervt?
Tatatata-Tam.
Mühsam blinzelte sie zur leuchtenden Digitalanzeige ihres Weckers. 04:39 Uhr.
Dafür würde jemand leiden.
Mit geschlossenen Augen griff sie nach ihrem Handy, das fröhlich klingelnd auf dem Nachttisch wartete. Ohne Zweifel, als erstes war Mozart dran.
Tadi- Marlenes Finger fanden den richtigen Knopf und das Klassikinferno erstarb. Hoffentlich hatte sie Sarah nicht geweckt, die im Wohnzimmer übernachtete.
"Ey du Evolutionsbremse, ich schwör dir, wenn du mich schon wieder vergessen hast..." Der Anrufer gab ihr gar keine Chance, etwas zu sagen, sondern legte gleich los.
Ohne den genervten Unterton hätte er ganz nett klingen können, männlich, tief, mit einer Spur Rauch. Interessant. In Windeseile verglich ihr Gehirn die Stimme mit den Mitgliedern ihrer Familie und den wenigen Kunden, die ihre private Handynummer besaßen.
Keine Übereinstimmung.
Marlene tat an dieser Stelle das einzig richtige - sie stoppte den fremden Redefluss und legte einfach auf.
Das Handy flog in Richtung Nachttisch, drehte sich dabei und stieß klappernd gegen ihr Wasserglas. Dann herrschte Ruhe.
Für etwa zwei Sekunden. Tamtatam-tatamtatamtata.
Ihre wirre blonde Mähne verteilte sich über ihr Kopfkissen, als sie ihr Gesicht hinein drückte. Das konnte doch nicht wahr sein!
Tamtatan - Erneut hob sie ab.
"Was soll denn das, Alter?", beschwerte sich die nette Stimme. "Ich warte hier auf dich und steh mir die Beine in den Bauch, kommst du jetzt noch?"
Die Müdigkeit schlich sich in ihre eigene Stimme, immerhin war es erst zwei Stunden her, das sie ins Bett gefunden hatte. Wohlgemerkt, nachdem sie ihrer Freundin noch die Couch bezogen hatte. Sie verdiente einen Orden. Für Gastfreundschaft. "Nicht auf mich."
Der Anrufer schwieg kurz, dann fragte er wesentlich kleinlauter nach: "Marvin?"
"Nicht Marvin", brummte Marlene.
Der Anrufer stotterte fast, so leid schien ihm die Verwechslung zu tun, und Marlene musste unwillkürlich grinsen. "Oh, sorry! Ich hoffe, ich hab dich nicht geweckt. Ach quatsch, was rede ich, natürlich hab ich dich geweckt."
Sie kuschelte sich wieder unter ihre Decke uns sperrte die kühle Nachtluft aus. "Nicht so schlimm", nuschelte sie. "Ich hoffe, dein Kumpel kommt noch."
"Warte mal", bat der Fremde, bevor sie das Gespräch wieder beenden konnte. "Ich möchte das wiedergutmachen. Bitte." Es war so still, sowohl in ihrem Zimmer, als auch draußen. Keine Verkehr störte ihre Verbindung.
Die Stimme erinnerte sie an Honig und eine Spur Lagerfeuer. So schön. Ob der Mann Geld damit verdiente? "Wie stellst du dir das vor?", lachte sie leise. "Du kannst mir den Schlaf wohl kaum zurück geben."
Im Hintergrund hörte sie den ersten Vogel singen. Ob der den baldigen Morgen begrüßen wollte, oder sich über das eigene Wecken beschwerte, konnte sie allerdings nicht sagen. "Ich könnte dich einladen." Der Fremde bewegte sich vom Vogel weg, ging ein paar Schritte und blieb wieder stehen.
Marlene streckte sich in ihrem warmen Bett. "Einladen?"
"Ja!" Der Fremde erwärmte sich für seine Idee. "Ich könnte dich zum Frühstück einladen. Oder zum Brunch, je nachdem, was dir lieber ist."
"Aber du weißt doch gar nicht, wo ich wohne. Ich könnte am anderen Ende des Landes leben!"
"Du klingst eher Norddeutsch. Natürlich kannst du bei meinem Glück auch ausgewandert sein, aber das wäre wirklich schade."
Marlene setzte sich in ihrem Bett auf und schob sich ihr Kopfkissen in den Rücken. Das Gespräch machte ihr wider Erwarten Spaß. "Wäre es das?"
"Klar. Kein Essen und kein Treffen mit einer schönen Frau. Der Tag wäre ein Desaster."
"Und dann auch noch von Marvin versetzt." Marlene seufzte mitfühlend. "Wobei ich dir natürlich sagen muss, dass ich mir erst noch den Bart zupfen lassen müsste, so würde ich niemals vor die Tür gehen."
Sie hörte sein Kichern. "Passt für mich."
Marlene setzte nach. "Außerdem glaube ich nicht, daß mir nach meiner letzten Gewichtsabnahme noch viel passt. Hast du was gegen Jogginganzüge?"
"Nicht die Spur." Der Fremde machte eine kurze Pause. "Ich heiße übrigens Chris."
"Lena." Ein Name, der nicht wirklich falsch, aber auch nicht ganz richtig war. Perfekt geeignet für nächtliche Telefonate mit einem Unbekannten.
Regentropfen fielen gegen ihre Fensterscheibe, zunächst nur wenige und dann immer mehr. "So ein Mist", murrte er.
Marlene drehte sich zur Seite und blickte aus dem hohen Fenster ihrer Altbauwohnung. Der Himmel war schwarz und sternenlos, von Wolken verhangen. Das beste Wetter, um im Bett zu liegen. "Regnet es bei dir etwa auch gerade?"
"Leider", antwortete Chris. "Echt ungemütlich, hier draußen."
"Das stimmt wohl. Tut mir leid für dich."
"Muss es nicht." Sie hörte seine Schritte über den Asphalt. Irgendwo fuhr ein Auto entlang. Alles wurde untermalt vom Rauschen des Regens. Es machte sie wieder schläfrig. "Ich bin eh fast da", erklärte Chris.
"Sehr gut." Genüsslich streckte sie sich. "Es war nett, mit dir zu plaudern..."
"Danke, mit dir auch. Magst du noch einen Moment dran bleiben? Ich bin gleich drinnen. Muss nur noch aufschließen."
Auf ein paar Minuten kam es nun auch nicht mehr an. "Klar."
Sie hörte, wie er an seinem Schloss hantierte, es dauerte ungewöhnlich lange. "Entschuldige, meine Tür klemmt", erklärte er, ohne das sie Fragen musste.
Dann öffnete sich besagte Tür mit einem tiefen Knarren. "Lustig, deine Tür klingt wie meine", stelle Marlene fest.
"Echt? Ich sage dir, dieses Telefonat war Schicksal."
"Weil unsere Türen zusammen passen?"
Er lachte, während er durch ein Treppenhaus ging. Dann blieb er stehen, hatte wohl sein Ziel erreicht. "Ich mag Blondinen", erklärte er. "Die haben den besten Sinn für Humor."
"Alles Vorurteile." Protestierend drehte sich Marlene wieder auf den Bauch. Offensichtlich wollte Chris sie aus der Reserve locken. "Wir Schwarzhaarigen können auch sehr lustig sein."
Wieder lachte er, doch diesmal eine Spur aufgesetzt. Die Stimmung zwischen ihnen änderte sich. Was eben noch lockeres Geplänkel war, bekam eine ernstere Note. Es wurde offenbar Zeit, die Verbindung zu trennen. Immerhin sollte man auch jede Party dann verlassen, wenn es am lustigsten war. Danach konnte es nur noch bergab gehen und Marlene sah keinen Grund, gerade jetzt von ihrem Wahlspruch abzuweichen. "Ich wünsche dir noch einen schönen Morgen", erklärte sie daher.
"Danke, den werde ich mit Sicherheit haben." Er machte eine Pause, doch sie fühlte, dass er noch etwas sagen wollte. "Hör mal Schätzchen. Was hältst du davon, wenn wir das hier abkürzen und du mich hinein lässt, damit wir ein bisschen Spaß haben können?"
In dem Moment, in dem der Mann ihr Telefonat beendete, klopfte es an ihrer Wohnungstür.
(1096 Wörter)
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