15-so close, and yet so far

Dieser Post ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Nicht nur die kurze Konversation, mit der ich mich abgefunden hatte. Ich machte mir richtige Sorgen, ob derjenige Izaya vielleicht gefährlich werden konnte.
Als ich länger darüber nachdachte, kam mir die Stalkerin in den Sinn, die Izaya in der Mittelschule hatte. Sie wäre vielleicht eine Möglichkeit gewesen, wenn sie zu der Zeit noch auf der Schule gewesen
wäre. Also hatte ich den Gedanken verworfen.
Izaya war kaum Zuhause oder ständig an seinem Computer. Er wirkte so sehr in seine Arbeit und seinen Hobby vertieft, dass ich mich nicht traute, ihn darüber auszufragen. Sein Verhalten mir gegenüber hatte sich nicht geändert.
Seufzend setzte ich mich wieder an seinen leerstehenden Computer und ging wieder auf die Webseite. Die Neugierde und Angst darüber, ob er noch mehr darüber posten würde, brachte mich schließlich dazu. Doch als ich seinen Account abrief, war der Post weg.

Es gab neue Posts über Gerüchte, aber ansonsten keine Spur von der Sache mit Nakura. Aufgeregt scrollte ich die Seite immer und immer wieder durch, doch der Post war wirklich weg. Gelöscht, als wäre er nie da gewesen.
Warum hat 'Tsukku' sich dafür entschieden, ihn zu löschen? Hat Izaya etwas damit zu tun? Hat er sich in sein Account gehackt oder ihn dazu gebracht? Wieso sollte er sowas tun?
Ich dachte einfach zu viel nach. Aber ich konnte nicht anders. Meine Welt war nur komplett, wenn Izaya dort war. Auch, wenn ich ihn nicht zu Gesicht bekommen würde oder er mich ignoriert, mich nicht braucht. Solange es ihm gut ging und er irgendwie 'da' wäre...
Aber Informationen waren viel Wert. Für einen Informanten sowieso. Die Tatsache, dass er seinen echten Namen benutzt und dazu mit der Yakuza zu tun hat, machte die ganze Sache nur gefährlicher. Aber es gab auch normale Leute, die vor nichts zurückschrecken.

Meine Gedanken gingen ungewollt zu den Gesichtern einiger Menschen, die Izaya im Laufe der Zeit beobachtet hatte. Menschen waren zu Dingen fähig. Egal, wie unscheinbar manche wirken mögen...
Ein klingeln riss mich aus meinen Gedanken. Zuerst war ich verwirrt, doch bemerkte, dass es der Klingelton meines Telefons war. Da nur vier Leute meine Nummer hatten, dachte ich mir nichts dabei und schaute direkt nach. Doch überrascht stellte
ich fest, dass ich eine E-Mail hatte. Skeptisch betrachtete ich das Nachrichtensymbol. Diese E-Mail-Adresse hatte ich bisher nur für Twittia verwendet. Senden Webseiten Nachrichten? Ich öffnete die Mail und starrte erschrocken auf die Adresse, die sie mir geschickt hatte. Der Betreff war leer. Es fing direkt an.

[Hallo Yusu-san! Oder sollte ich dich lieber Yusunari-san nennen? Du hast auf meinen Post kommentiert. Ich bin mir sicher du weißt, wer ich bin. Du hast dich sicher gefragt, warum der Post weg ist. Die Antwort ist: Die Person, die diesen Post sehen sollte, hat sie gesehen. Keine Sorge, ich meine nicht dich, Yusunari-san! Aber du kennst ihn, sogar sehr gut, nicht wahr? Aber ich bin mir fast sicher, nicht gut genug. -Tsukku]

Ich umklammerte das Telefon fest und las mir die Nachricht mehrmals durch. Nein, das kann nicht sein... Woher...? Woher kennt er meinen richtigen Namen? Hat er nur geraten? Nein, er weiß auch von dem Nakura-Vorfall. Er kennt Izaya. Er meint sicher Izaya, oder? Unbemerkt holte ich schwer nach Luft und ließ das Telefon auf den Schreibtisch fallen.
Was soll ich machen? Was will Tsukku von mir? Warum schreibt er mir überhaupt? Und-... Was soll das heißen? Ich kenne ihn nicht gut genug... Auf was will Tsukku da hinaus? Izaya hat etwas angestellt. Oder es hat etwas mit seinem Job zutun... Seine Eltern? Familie? Izaya... Izaya! Ich muss ihn anrufen!
Zitternd schnappte ich mir wieder das Gerät und suchte nach seiner Nummer. In der Hektik musste ich länger suchen, als nötig. Er hatte einfach zu viele Nummern! Schnell legte ich das piepende Ding ans Ohr. Einmal, zweimal... dreimal. Er nahm nicht ab. Fluchend wählte ich eine andere von seinen Nummern. Ich probierte jede einzelne aus, doch er ging einfach nicht ran!
Ist ihm etwas passiert? Geht es ihm gut? Wo wollte er hin... Irgendwo wollte er hin... Shinra? Nein, er war nicht verletzt und hat keinen anderen Grund. Einen Job? Das musste es sein. Aber hat er erwähnt, wo? Wer? Ach verdammt!
Das Klingeln riss mich erneut aus meinen Gedanken. Eine neue E-Mail. Mir brach der Schweiß aus. Was will der von mir? Woher hat er meine E-Mail? Ist sie auf dem Account zu sehen?
Nein, wenn er meine Identität kennt, dann war das sicher nicht schwer.

[Ich möchte nichts Böses. Keine Sorge, ich will euch beiden nicht schaden. Zumindest im Moment nicht. Eine Frage. Versuchst du gerade, ihn zu erreichen? Du bist so auf ihn fixiert, denkst du noch frei? Ich hoffe doch. Nicht so, wie die anderen Mädchen. -Tsukku]

Anderen Mädchen? Eine weitere Mail.

[Lass mich dir zumindest eins verraten, weil ich so gut bin. Du triffst dich doch mit Heiwajima Shizuo? Er weiß es. -Tsukku]

Er weiß es. Er weiß es. Izaya weiß es. Dass ich mich mit Shizuo treffe, er weiß davon. Ich- Sein Erzfeind. Das Monster. Shizuo... Izaya...

[Ich bin in guter Laune. Willst du wissen, wo er gerade ist? -Tsukku]

Ich schüttelte automatisch mit dem Kopf, doch starrte weiter auf den Bildschirm. Ich klickte sofort auf die Mail, als sie angezeigt wurde.

[Frag Heiwajima. -Tsukku]

Nein. Sofort stand ich auf und zog mich um, verließ blitzschnell die Wohnung. Mit dem Telefon in der Hand eilte ich los. Tippte eine Antwort auf die vielen Mails, die er mir geschickt hatte.

[Wer bist du? Deinen richtigen Namen! Woher weißt du das alles? Willst du uns wirklich nicht schaden? Aber warum schreibst du dann so etwas?! - Yusu]

Ich kam dem Block, in dem der blondhaarige wohnte, immer näher. Natürlich hätte ich ihn auch anrufen können, doch meine Beine trugen mich von allein. Ich musste es aus seinem Mund hören und ihn ansehen. Ich musste die Gewissheit mit meinen eigenen Augen vor mir haben.

[Da ich denke, dass du es ohnehin erfahren würdest: Ich heiße Tsukumoya Shinichi. Ich habe schon lange Kontakt zu deinem Mitbewohner. Warum ich das tue? Nur um ihn zu ärgern. Es macht Spaß, ihn zu ärgern. -Tsukku]

Seufzend legte ich das Telefon weg. Ich musste mich beruhigen. Runterkommen, um nicht allzu panisch dort aufzutauchen. Aus heiterem Himmel.
Es war komplett idiotisch loszurennen. Seine Familie kannte mich nicht und eigentlich dürfte ich mein jetziges Ich - seine Adresse gar nicht kennen. Ich schüttelte den Kopf und legte mir eine Story zurecht. Auch, wenn ich damit den Kontakt zu Shizuo verliere..
Sein Haus war noch, wie immer. Der einzige Unterschied war eine Delle in der Betonwand. Man konnte sich schon denken, woher sie stammte. Ich atmete noch einmal tief durch und klingelte an die Tür. Ich hörte schnelle Schritte und zu meinem Glück machte Shizuo die Tür auf.
Perplex starrte er mich an. In seinem Gesicht klebten Pflaster und seine Hand zierte ein Verband. Neu. Das war Neu. Zu Neu. Er bemerkte meinen Blick und fing sich wieder.

»Hey. Ähm... Was machst du hier?« Er hob skeptisch eine Braue. »Woher weißt du, wo ich wohne?«
Ich schluckte den Kloß herunter. »War das Izaya?« Sein Gesicht verdunkelte sich. Ob wegen des Namens selbst oder weil ich ihn beim Vornamen und ohne jegliche Anhängsel aussprach, wusste ich nicht.
»Ja.«
Er presste es regelrecht aus sich heraus.
»Aber... woher weißt du, wo ich wohne?« Oh. Sehr wütend. Sehr scharfsinnig. Nicht gut. Ich wand den Blick ab, was ihn aber nur noch mehr reizte.

»I-ich...«Ich kniff mir in den Arm und zwang mich, ihn anzusehen. »Warum hat er dich angegriffen?«

»Warum beantwortest du nicht erst meine Frage?!«!Ich zuckte zusammen und ging einen Schritt zurück. Verdammt, was hat Izaya getan? Warum ist er so sauer? Im Hintergrund hörte ich eine Frauenstimme, die seiner Mutter.
Nach kurzer Zeit stand sie auch schon dort und schaute mich skeptisch an und danach fragend zu zu ihrem Sohn. »Wer ist das, Shizuo?« Gute Frage. Berechtigt, wenn mitten in der Nacht eine in schwarz gekleidete Frau vor der Tür steht.
»Woher weißt du, wo ich wohne?«
»W-weil Izaya es mir gesagt hat!« Ich konnte regelrecht spüren, wie die Luft schwerer wurde. »Er hat mich bestochen, mit dir auszugehen!«
Er wollte irgendwas brüllen, doch sein Bruder hielt ihn auf. Gleich darauf stand auch der Vater dort und fragte mich, wer ich sei. Doch ich rannte einfach davon. Das was ich wissen wollte, war bestätigt. Izaya hatte Shizuo angegriffen. Er hatte irgendetwas getan.

Irgendwann blieb ich stehen. Mein Herz klopfte. Meine Ohren rauschten. Ich hatte Angst. Angst vor Shizuo. Angst vor den Blicken seiner Familie. Verdammt. Ich hätte einfach anrufen sollen!
Erst verspätet bemerkte ich, dass mein Telefon klingelte. Als ich drauf sah, erkannte ich mehrere verpasste Anrufe. Allesamt von Izaya. Ich war nur einige Minuten zuvor so oft in Panik geraten, dass ich das nicht realisiert hatte.

Ich rief ihn zurück, doch er nahm nicht ab. Ich bemerkte, dass ich fast Zuhause war, also beeilte ich mich und rannte direkt zum Fahrstuhl und fuhr nach oben. Schon als ich die Wohnung betrat wusste ich, dass er dort war. Seine Schuhe waren am Eingang und ich hörte das Tippen der Tastatur.
Als die Tür hinter mir ins Schloss fiel, stoppten die Geräusche jedoch abrupt. Angespannt ging ich weiter und sah ihn. Auf seinem Drehstuhl zu mir gedreht. Eine ausdruckslose Miene. Verband um seinen Hand und Kopf. Aufgeplatzte Lippe und verbundene Hände.
Es muss die Hölle los gewesen sein.
»Wo warst du?« Seine Stimme schnitt sich durch den Raum, wie ein Schwert. Kalt, fordernd. »Wieso hast du mich so oft angerufen, wenn es dir doch gut geht, wie es scheint?«

Gut geht. Mir soll es gut gehen? War er nicht derjenige, der Menschen so leicht durchschaut?

»Du sagst nichts?« Er lachte, doch es klang unglaublich falsch und fast schon drohend. Er schaute auf eines seiner Telefone. »Hier sind es drei Anrufe.«!Seine rostroten Augen sahen in meine. »Insgesamt waren es aber fast dreißig.« Dreißig? Er hob eine Braue, als hätte er es mir aus dem Gesicht gelesen. Dann fiel sein Blick auf mein eigenes Telefon, welches ich noch in der Hand hielt.
»Wo warst du eigentlich?«, wechselte Izaya das Thema. Er stand auf und kam mir näher, blieb nur wenige Zentimeter vor mir stehen und beobachtete mich ganz genau. »Und dieses Mal lügst du mich nicht an, Misaki.«

Tsukku sagte die Wahrheit. Er wusste davon, das war mir nun klar. Dazu hatte er sich mit Shizuo angelegt, obwohl er sich so lange zurückgehalten hatte und dann auch noch so extrem.
»Ich glaube, du weißt wo, Izaya.«Ich verschränkte meine Arme. »Wenn du es weißt, brauchst du mich nicht fragen, oder?« Seine Augen verengten sich zu schlitzen. Er schien meine Antwort nicht erwartet zu haben. Aber er wirkte nicht so begeistert, wie ich dachte, würde er sein. Es war ungewohnt. Erinnerte mich an den einen Tag, wo er sich ebenfalls mit Shizuo angelegt hatte.
In dem Moment realisierte ich es.
Das erste Mal, wo sich Izaya so benommen hatte war, als er von Shizuos Gefühlen für mich erfahren hatte. Das zweite Mal, als ich heimlichen Kontakt zu ihm hatte.
Shizuo und... Ich. Izaya und Shizuo. Izaya und Ich.
Izaya hasst Shizuo. Weil er angeblich kein Mensch war? Nein, das war nicht der einzige Grund. »Bin ich vielleicht einfach neidisch? Ich meine, er ist ein Monster und trotzdem scheinen ihn so viele Menschen zu lieben.« Das hatte er laut gedacht, als wir uns vor Shizuo und den Männern versteckt hatten.
Die eine Nacht, bevor ich meinen Entschluss zu Leben gefasst hatte. Izayas Worte waren »Ich habe dich zu nah an mir heran gelassen« und »Deine Entscheidung passt mir ganz gut in den Kram. So kann ich dich und das Gefühl loswerden«.
Kann es sein? Nein, oder? Izaya war distanziert, seit ich ihn kannte. Zu nah ihn heran gelassen? Aber das waren seine Worte.

Izaya war wirklich neidisch auf Shizuo. Denn statt ihn zu 'lieben', der sich für seine eigene Liebe zu den Menschen aufopferte, 'liebten' sie stattdessen Shizuo, das Monster.
Und ich? Hatte ich es doch in sein innerstes geschafft? War das Angst, an dem Abend? Hat er deshalb Abstand genommen?

Shinra hatte Recht. Izaya war tatsächlich schwächer, als andere. Ich verstand ihn nun. Doch das war nicht richtig. Wie Izaya lebt, wie er denkt... das alles ist nicht richtig.

Er ist selbstzerstörerisch. Und er merkt es nicht einmal. Weil er sich distanziert hat. Nicht nur von den anderen, sondern auch von sich selbst. Er fürchtet sich vor seinen Gefühlen und was passieren würde, wenn andere in seinen Leben treten. Aber genauso fürchtet er es auch, allein zu sein.
Verdammt. Was soll ich nur tun?

Es war vielleicht nur eine Minute vergangen, die er mich mit seinem kalten Blick musterte. Ich hatte das Gefühl, dass mir etwas bevorstehen würde. Eine Vorahnung.
In dieser Situation gelandet zu sein, war für mich das schlimmste, was hätte passieren können. Ich fragte mich, warum ich gehandelt habe, wie ich gehandelt habe. Ob es nun kein Zurück mehr gab und was ich nun als nächstes tun sollte.
Aber lange konnte ich mich nicht in meinen Gedanken verstecken. Izaya stand nämlich noch immer da. Es war unklar, ob er meine Gedankengänge erahnen konnte, oder nicht. Sein Gesichtsausdruck zeigte nichts als Ausdruckslosigkeit und Kälte. Als würde er mich nicht als jemand ansehen, den er auch nur ein bisschen Zuneigung entgegen gebracht hatte. Und damit war keine freundschaftliche oder romantische Zuneigung gemeint, sondern die, die er seinen Menschen entgegenbrachte, die er doch so vergötterte.

»Gut, dann kann ich direkt fragen. Warum triffst du dich mit Shizu-chan?« Es regte sich nichts, er er zeigte keine Blöße.
Ich hielt seinem Blick stand und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. »Weil ich mich dafür entschieden habe. Ich wollte ihm helfen.« Ich versuchte selbstbewusst aufzutreten.
Er schnaubte und verzog angewidert sein Gesicht. »Warum willst du dem Biest bitte helfen? Er hat das nicht verdient. Helfen... Ha. Helfen? Wie sollte man auch. So etwas wie er... Ein Monster, kein Mensch. Er verdient keinen menschlichen Umgang. Er-«

Ein klatschen hallte im Raum. Wir beide geschockt. Sprachlos von meiner Aktion. Meine Hand war noch erhoben und ich ließ sie langsam sinken. Beschämt wand ich meinen Blick etwas ab. Ich traf nur noch schlechte Entscheidungen. Das dachte ich und war fest davon überzeugt. Mit großen Augen sah er mich an. »Wieso?« Auf einmal hörte er sich so kleinlaut an.
»Aus welchem Grund gehst du zu ihm? Magst du ihn etwa?«
Seine Stimme versagte und er wand den Blick ab. Was war das? Als ich nichts sagte, ließ er einen ungläubigen Seufzer aus.

Doch dann entschied ich mich, zu antworten. »Ja, ich mag Shizuo.« Izaya ballte seine Hand zur Faust, doch ich ignorierte das. »Das und nichts weiter.«
Er sagte nichts. Sah mich auch nicht an. Es nervte. Störte. Wenn es um etwas ging, was er nicht von sich fernhalten konnte, nahm er selbst Abstand. Er konnte nicht ansehen, sich nicht meinen Worten stellen.
»Izaya.« Stille. »Shizuo ist ein Mensch, Izaya. Du liebst die Menschen, aber nicht ihn? Weil er ein Monster ist? Wenn du dich schon dafür entscheidest, dann darfst du solche Ausnahmen nicht machen, oder?«
»Ausnahmen?« Er hatte seine Stimme wiedergefunden, doch sah mich noch immer nicht an. »Er soll eine Ausnahme sein?«
»Ja. Denn er ist ein Mensch, wie alle anderen. Er hat auch Gefühle. Er hat genug menschliche Seiten, die beweisen, dass er ein Mensch ist. Seine Stärke und Unvorhersehbarkeit sind bloß Ausreden! Was ist mit Shishizaki? Ist er für dich genauso ein Monster?«

»Sei still!« Ich zuckte zusammen. Seine rostroten Augen brodelten vor Wut. Zu spät realisierte ich, dass sie auf mich gerichtet war.
»Shizu-chan ein Mensch? Eine Ausnahme? Ich solle ihn genauso lieben, wie alle anderen?« Sein Körper zitterte vor unterdrückter Wut. » Egal, wie viele menschliche Seiten er hat, das macht ihn zu keinem!«
»Doch! Denn das ist er! Du bist nur neidisch, weil er trotzdem Freunde hat, trotzdem gemocht wird, aber dich kein Mensch ausstehen kann!«

Mir blieb die Luft weg. Ein harter Ruck. Polster im Rücken. Etwas auf mir. Kaltes Metall an meiner Kehle. Rostrote Augen, weit aufgerissen, starrten auf mich hinunter. Emotionslos von außen, doch ich spürte seine Hand, die das Messer hielt, zittern.
Und dann änderte sich das schlagartig.
Sein Gesicht verzog sich angewidert, wütend. Vielleicht gar Rasend. Ich spürte, wie das Metall der Klinge gegen meine Kehle drückte. Mein Herz blieb fast stehen. Izaya war außer Kontrolle.

»Ich wusste es! Es war ein Fehler!« Seine Stimme war laut, triefte vor Abneigung und Reue. »Ich hätte mich von dir fernhalten sollen! Fernhalten... Verdammt!«
Hat er das die ganze Zeit gedacht?

»Warum sagst du immer solche Sachen zu mir? Immer wieder... Als würdest du wissen, was in mir vorgeht!« Seine andere Hand drückte mich an meiner Schulter weiter runter. Er biss die Zähne zusammen.
»Ich soll einsam sein? Haha... Das ist reiner Schwachsinn Misaki! Ich solle Shizuo lieben, wie alle anderen? Das ist absurd! Vollkommen unmöglich! Ich liebe, liebe, liebe die Menschen! Keinen einzelnen, keine Monster! Nicht dich! Ich liebe die Menschen im Allgemeinen!«
Seine Augen glänzten. Aber nicht wegen Begeisterung. Es war, als würde er sich selbst von seinen Worten überzeugen wollen.

»An diesem Tag hätte ich dich nicht ansprechen sollen. Einfach nicht ansprechen sollen! Ich hätte alles allein machen und dich links liegen lassen sollen! Verdammt... Verdammt!« Sein Körper zitterte leicht. »Deine Probleme interessieren mich gar nicht! Mir ging es nur um deine Reaktion, aber du-! Warum bleibst du bei mir?!«
Ich spürte, dass die Klinge die Haut überwunden haben musste. Denn ich spürte das Blut, welches aus der Wunde drang. In meinem Kopf jedoch hallte seine Frage wider?

Warum blieb ich bei ihm? Wenn es einfache Verliebtheit gewesen wäre, hätte ich aufgehört ihn zu lieben, sobald ich sein Charakter kennen gelernt hatte. Doch vielmehr fühlte ich mich zu ihm hingezogen.
Egal, was er tat, ich liebte ihn trotzdem. Ich konnte unterscheiden, was gut und schlecht war. Genau das konnte ich bei ihm auch kritisieren. Ich war nicht blind, keineswegs. Doch ich konnte nichts sagen, selbst wenn ich wollte.

Ich blieb nur mit einem überraschten Gesichtsausdruck dort liegen und wartete.

»Ich brauche dich nicht! Ich brauche niemanden! Dich ganz bestimmt nicht! Wie hast du es nur geschafft, mir so nahe zu kommen? Wie konnte ich überhaupt zulassen, dass du mir so nahe kommst?! Das hätte nicht passieren dürfen. Unter keinen, keinen Umständen!«
Es war mittlerweile mehr so, als würde er zu sich selbst sprechen und nicht mehr zu mir. Er kämpfte mit sich selbst. Seine Hand hielt noch immer fest das Messer umklammert und drückte es an meiner Kehle, ohne dass er ihr überhaupt Beachtung schenkte.
Immer und immer wieder war es das gleiche mit ihm. Er biss sich fest an einer Sache fest und beachtet den rest nicht. Dass Shizuo sehr wohl ein Mensch war. Dass er selbst sehr wohl ein Mensch war.
Ein Mensch kann nicht allein überleben. Izaya wollte es einfach nicht zugeben. Seine Liebe den Menschen gegenüber löschte nicht die Einsamkeit aus, die er schon sein Leben lang ausgesetzt war. Er war schon immer anders, hatte schon immer andere Prioritäten. Das konnte ich in seinen Augen sehen, in seiner Handlung spüren.
Seine Priorität war, die Menschen zu beobachten, sie zu verstehen. So sehr hatte er sich darauf versteift. So sehr, dass er nur noch andere beachtete und nicht mehr sich selbst.

Ich war die ganze Zeit für ihn da. Er hätte seine Einsamkeit jederzeit entfliehen können. Sich um sich selbst kümmern können, ohne Sorge zusammen zu brechen. Doch weil er sich selbst so wenig Beachtung schenkt, fällt ihm das gar nicht auf.
Während er mir sagt »Ich bin nicht einsam«, schreit seine Seele nach jemand.
»Du bist durchschaubar und zur gleichen Zeit auch nicht! Jedes Mal tust du etwas, was mich aus der Bahn wirft! Ist es auch nur, wie du mich ansiehst! Schau mich nicht so an! Verdammt, schau mich nicht so an, als wüsstest du, was in mir vorgeht!«
Ich weiß genau, was in dir vorgeht.
Mit wenig Druck, drückte ich seinen Oberkörper weg. Doch ich hielt inne. Ich hätte ihn wegschubsen können. Izaya machte keine Anstalten, mich aufzuhalten. Stattdessen schien in seinem Kopf Gedanken zu kreisen. Nur ein Satz kam von seinen Lippen.

»Fass mich nicht an.«
Ich krallte mich in sein Shirt und schaute ihm fest in die Augen. Er sollte sehen, wie ernst es mir war.
»Wenn du dir so sicher bist, Izaya, dann schau nicht mich an.« Sein Gesicht verzog sich.
»Schau nicht mich an. Schau keinen anderen an. Schau dich selbst an. Interpretiere nicht in anderer Menschen Köpfe und Gefühlslagen, sondern deinen eigenen. Analysiere dich selbst und nicht die anderen. Und dann sage mir«, ich zog ihn nur ein Stück herunter, »dann sage mir, dass du nicht einsam bist.«
»Tch.« Grob wurde mein Griff gelöst und eine Hand legte sich auf meinen Mund. »Du bist wirklich ätzend, weißt du das?« Ich wusste, dass er es verstanden hatte. Aber genauso wusste ich, dass er es nicht tun würde. Zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt. Und zugeben erst Recht nicht.
»Du bist so ätzend. Unglaublich. Das ist schon nicht mehr faszinierend, sondern einfach nervig. Du redest nur Schwachsinn. Unsinn. Alles was du sagst... Ich dachte ich würde dich an dem Tag endlich loswerden.«
Er schien all seine Gedanken direkt auszusprechen, ohne es zu merken. »Ich habe dich zu nah an mich drangelassen. So nah, zu nah! Verdammt!« Er drückte seine Hand leicht mehr auf meinen Mund. »Du verwirrst mich!« Er holte tief Luft. Sein Körper ließ lockerer und das
Messer verschwand von meinem Hals. In langsamer Bewegung setzte er sich neben mich, von mir weg gedreht.
Es war still. Seine Worte hingen noch immer im Raum. Die drückende Stimmung war noch nicht verschwunden und wurde durch das Schweigen nur noch dicker.

Ich sah auf seinen Rücken. Leicht gekrümmt. Sein Kopf hing leicht, doch ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Würde ich ihm zu nahe kommen, egal wie sehr ich wollte, würde ich einen Fehler machen.
Izaya war noch immer nicht ganz unter Kontrolle. Doch zumindest konnte er sich genug fangen, um etwas klarer zu denken.

Ich fragte mich, als ich dort lag, wie es weitergehen würde. Diese Situation war keine, die man einfach vergessen konnte. Noch immer hatte ich die Wunde am Hals, die letztlich nicht tief gewesen war. Izaya hatte seine Gedanken laut ausgesprochen. Hatte gezeigt, dass er es bereute.
Mir war klar, dass er spezielle Gefühle für mich hatte. Doch in seinem Zustand konnte er das nicht akzeptieren. Genauso wenig konnte er es auch wirklich zeigen.
Er fühlte sich betrogen, weil ich mich hinter seinem Rücken mit Shizuo getroffen hatte. Und wenn er das fühlte, hatte man einen schweren Weg zurück. Verrat war etwas, was er bei nahestehenden Personen nicht ertragen konnte. Aber wenn ich ihn mit meinen Gefühlen überhäufen würde, würde er es auch nicht aushalten.

Tief in meinem inneren war mir klar, auf was es hinauslaufen würde. Die Vorahnung von vorhin rückte wieder näher. Doch trotzdem war es ein Schock für mich. Schock, die nächsten Worte zu hören.
»Verschwinde.« Ich hatte das Gefühl, etwas Wichtiges verloren zu haben. »Verschwinde und komme nicht wieder.«
Sprachlos starrte ich seinen Rücken an. Ich versuchte etwas zu sagen, aber ich konnte nicht. Meine Augen brannten, weil ich die Tränen grob weggewischt hatte. Aber wohin? Wohin soll ich gehen?' Keine Antwort. 'Ich brauche dich.' Keine Reaktion.
Doch letztendlich setzte ich mich auf. Noch immer sah ich ihn an, aber er bewegte sich nicht von der Stelle. Seine Hände waren geballt. Ich wusste, er würde mich nicht aufhalten. Das würde er nie tun. Das konnte er nicht tun.

»Gut, ich gehe.« Ich stand auf und ging, blieb an der Zimmertür stehen. »Ich gehe. Aber du kannst mich immer finden. Und du kannst immer auf mich zählen. Egal, ob du mir glaubst. Du bist mir wichtig, Izaya. Ich wollte es beinahe nie einsehen, weil ich sowieso mit dem Gedanken nagelte, du würdest mich dann von dir weg drücken, aber ich hatte schon immer Gefühle für dich. Danke für alles.«
Ohne eine Antwort zu kriegen, ging ich zur Tür und zog mich wieder an. An der Wohnungstür hielt ich einen Moment inne. Meine Tränen verschwammen meine Sicht und einzelne tropften auf den Boden herunter.

Es ist vorbei, dachte ich damals. Und ohne noch einmal zurück zu blicken, verließ ich die Wohnung. Ich verließ das Gebäude und verließ Shinjuku.
Ich blickte nicht zurück, denn er war hinter mir. Irgendwo hinter mir. Egal, wie weit weg. Er war dort. Und wenn er mich brauchte, würde er bestimmt kommen.
Ganz sicher.
Doch er kam nicht. Nicht dieses Mal.

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