Weggelaufen


Fünfzehn Jahre waren vergangen seid Avis Minas Eltern getötet hatte. Doch jetzt lebte Mina in einem Waisenhaus. Bei den Menschen. Wie Avis es gewollt hatte. Avis hatte Mina oft im Traum einen Besuch abgestattet. Sie hatte dafür gesorgt, dass das erscheinen von Minas Kräften hinausgezögert wurde, bis sie älter war. Doch jetzt konnte Avis es nicht mehr weiter hinauszögern, Mina war älter geworden. Die meisten Feen bekamen ihre Kräfte mit acht oder neun Jahren. Mina war doppelt so alt. Heute war der Tag gekommen. Mina würde eine richtige Fee werden. In die Träume einer Fee konnte Avis nicht abtauchen. Dazu waren die Feen zu mächtig. Doch Avis musste sie, vor ihrer Verwandlung, noch ein letztes Mal sehen.

Mina schlief unruhig in dieser Nacht. Ihr Geist schien zu ahnen, dass etwas großes bevor stand.
Im Traum war sie, wie schon oft, zwischen den Sternen. Sie schwebte, genau wie die, ihr gutbekannte, junge Frau. Wer die Frau war hatte sie nie herrausfinden können. „Hallo", sagte Mina, „Was gibt es heute?" „Wir müssen uns voneinander verabschieden", sagte die Frau, „Auf dich wird eine Menge zukommen. Eine große Verantwortung, schönes, aber auch schreckliches. Wie gerne würde ich dir bei deinen Aufgaben helfen, aber das kann ich nicht." „Worum geht es denn?", fragte Mina verwirrt. Die Frau überging die Frage. „Hör zu. Du darfst keinem trauen! Niemandem!"
Schweißgebaden wachte Mina auf und sah in die Gesichter von Lena, ihrer besten Freundin und Zimmernachbarin, und von Nadia, der Heimleiterin. Beide waren ziemlich erschrocken, jedoch auf unterschiedliche Art und Weise.
,,Mina", sagte Nadia zitternd, „Guck bitte in den Spiegel." Verwundert sah Mina zu Lena hinüber, doch die schien das kein Bisschen komisch zu finden. Also ging Mina zum Spiegel, schaute hinein und schrie auf. Eigentlich sah sie aus wie immer. Rot-orange, verstrubbelte Haare und graue Augen. Jetzt hatte sie aber erstmals schillernd türkise Flügel. Erschrocken starrte Mina ihr Spiegelbild an.
,,Was ist das?", fragte Nadia. ,,Flügel", erklärte Mina ihr das Offensichtliche, ,,Was denn sonst?" Sie drehte sich um und sah Lena an, die wirklich wie immer aussah. Leicht gewellte, braune Haare und blaue Augen. Lena war immer so gewesen. Schön und beliebt, das genaue Gegenteil von Mina. Kein Waisenkind hatte verstanden, was Lena an Mina fand, dass sie ihre Zeit mit ihr verschwendete. Außer Lena, hatte Mina keine Freunde.
Jetzt schaute Lena Mina ratlos an. Es lag auch etwas erschrockenes in ihrem Blick.
,,Was bist du?", unterbrach Nadia Minas Gedanken. ,,Das weiß ich nicht, Nadia" Nadia hob die Augenbrauen. ,,Tatsächlich nicht? Denkst du etwa ich weiß nicht was hier gespielt wird?" ,,Nun, ich weiß es ja selbst nicht, also -" Weiter kam Mina nicht, denn Nadia hatte sich auf sie gestürzt und versuchte, mit ihren Händen, Mina zu erwürgen. Lena rief irgendetwas, was Mina nicht verstehen konnte. Dann schrie Nadia plötzlich auf und ihr Griff um Minas Hals wurde lockerer. An mehr konnte Mina sich nicht mehr erinnern.
Das nächste, an das sie sich erinnern konnte, war Lenas Gesicht, das sie besorgt ansah.

Im Bruchteil einer Sekunde, stürzte Nadia sich auf Lenas beste Freundin, ihre Schwester, Mina, das konnte Lena nicht zulassen. ,,Stopp", schrie sie, „Was soll das? Du bringst sie um!" Nadia verfestigte ihren Griff und öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch da Lena klar war, dass Mina wirklich starb, wenn sie nichts tat, machte sie, bevor Nadia auch nur ein Wort sagen konnte, das Erste was ihr in den Sinn kam. Sie biss Nadia kräftig in den Arm. Diese machte genau das, was Lena sich erhofft hatte. Sie schrie auf und ließ Mina, welche bewusstlos zusammenbrach, los.
Wutentbrannt drehte Nadia sich zu Lena um. „Was machst du denn? Ich hatte sie fast umgebracht." Lena sah sie ungläubig an. Diese Frau war eine Psychopatin. Dachte sie etwa, es hätte Lena gefreut wenn Mina gestorben wäre? Wieder tat sie das erste was ihr einfiel. Sie lief auf Nadia zu, packte ihren Kopf und bevor Nadia etwas dagegen tun konnte, knallte sie ihn gegen den Schrank. Nadia brach, wie Mina, bewusstlos zusammen.
Lena starrte entsetzt auf sie herunter. Was hatte sie getan? Sie hatte ihre Heimleiterin bewusstlos geschlagen. Sie musste hier weg. Sofort! Bevor es jemand bemerkte.
Da klopfte es an der Tür. „Lena?", hörte sie Liv, ein Mädchen aus dem Zimmer neben ihr, fragen, „Ist alles in Ordnung? Ich habe einen Knall und Schreie gehört." Verdammt. Was sollte sie jetzt tun. Ruhig bleiben, vernünftig mit Liv reden. Vielleicht ging sie dann wieder. „Es ist alles in Ordnung Liv." „Wirklich? Was hat denn geknallt? Warum gab es Schreie?" Lena öffnete gerade den Mund um zu antworten, als Liv die Tür aufstieß und fassungslos auf Nadia und Mina starrte und dann fragend zu Lena sah. ,,Warst- Hast du das getan?"
Da passierte es wieder. Lena antwortete nicht, sondern war in sekundenschnelle bei Liv, und knallte deren Kopf an den Türrahmen, woraufhin nun drei Leute bewusstlos im Zimmer lagen. Doch Lena hatte jetzt keine Zeit mehr sich darüber Gedanken zu machen.
Sie zerrte Mina an den Armen zum Fenster.
Als sie dort angekommen war, durchzog sie eine starke Kraft. Woher sie kam, wusste sie nicht, aber jetzt schaffte sie es, mit Mina aus dem Fenster zu klettern.
Neben dem Waisenhaus lag ein Wald. Lena hatte ihn noch nie durchquert, doch das wollte sie jetzt ändern. Der Wald hatte sie schon immer angezogen. Die Dunkelheit in ihm hatte sie schon immer versucht zu verschlucken, aber Lena liebte die Dunkelheit. Die Dunkelheit war nicht unheimlich, sondern mysteriös und geheimnisvoll. Man konnte nicht sehen was in ihr war, sie rief stattdessen dazu auf, sie zu erkunden. Jetzt würde ihnen die Dunkelheit bei der Flucht verhelfen. Sie hatte jetzt so viel Kraft, dass sie mit Mina durch den Wald laufen konnte. Sie rannte los und hörte noch, wie hinter ihr ein Ast hinunter fiel.
Wütend sah Avis auf ihre Welt herunter. Nicht nur, dass Mina fast umgebracht worden wäre, sie hatte dem Menschenmädchen die Kraft gegeben, weil sie keine andere Möglichkeit gesehen hatte um Mina zu schützen. Doch dann hatte sie versucht einen Ast auf das Menschenmädchen fallen zu lassen. Doch sie war zu schnell gerannt und Avis musste sich eingestehen, dass sie den Ast etwas zu früh hatte fallen lassen. Jetzt würde sie fürs erste in Ruhe lassen, doch der Wald boht noch viele Äste.
Lena sank erschöpft auf den feuchten Waldboden zusammen. Die Kraft war so schnell verschwunden, wie sie gekommen war. Jetzt konnte sie einfach nur abwarten, bis Mina wieder aufwachte.
Nach ungefähr einer halben Stunde verlor Lena langsam die Geduld. Sie hatte zugehört wie etliche Vögel, etliche Lieder gesungen hatten und den Blick nie von Mina abgewendet. Jetzt begann sie Mina zu schütteln.
,,Wach auf", schluchzte sie irgendwann, ,,Was hat sie dir getan? Oh warum wachst du nicht auf?"
Irgendwann öffnete Mina die Augen.
Auch Avis seufzte erleichtert auf.

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