[2] Kaptitel O5

Laut eines der Handys war bereits eine Stunde vergangen, in der wir im Fahrstuhl feststeckten. Mit jeder Minute die verstrich, merkte ich wie uns die Luft langsam ausging.

Normalerweise hatten die Aufzüge eine Lüftung jedoch teilte uns ein Feuerwehrmann am Telefon mit, dass die Lüftungsklappen der Fahrstühle bei der Produktion vergessen wurden. Erst in den nächsten Monaten sollten sie nachträglich eingebaut werden, was uns jetzt aber auch nicht weiterhalf.

Über Shawn's Handy hatten wir die Polizei verständigt und Kontakt zum Rettungsdienst. Vor etwa einer Stunde hatten sie angefangen irgendwas im Fahrstuhlschacht zu sägen, jedoch blieb dies ohne Erfolg, wie uns einer der Rettungskräfte mitteilte. Die einzige gute Nachricht war, dass der Fahrstuhl mittlerweile so gesichert war, dass er nicht mehr weiter abstürzen konnte. Die Anzeige über den Türen zeigte das 26. Stockwerk an, also mussten wir in der Nähe der Etage sein. Vielleicht war das der Grund, warum die Feuerwehr und sonstige Rettungsdienste im Fahrstuhlschacht so laute Geräusche machten.

Das uns langsam die Luft ausging bemerkten wir leider alle. Wir saßen und lagen auf dem Boden und warteten totenstill darauf, dass wir endlich rausgelassen wurden. Ich lag auf dem Boden und hatte meinen Kopf weit entfernt von Shawn abgelegt. Dass wir zusammen in dieser Situation steckten, war mehr als nur unangenehm. Wieso liegen wir uns in den letzten Tagen ständig über den Weg?

Zu behaupten das ich ihn hasste war etwas zu übertrieben. Er hatte mir zwar damals das Herz gebrochen und mich durch sein nicht vorhandenes Vertrauen zu tiefst verletzt, aber wirklich hassen tat ich ihn nicht.

Ich hatte mir tagelang die Frage gestellt was ich falsch gemacht hatte. Warum hatte er einem so unglaubwürdigen Beweis wie das Handy mehr Vertrauen geschenkt als mir? Er hatte mich damals ja nicht mal ausreden lassen, sondern mich sofort rausgeschmissen. Das mich das fertig gemacht hatte, konnte wohl jeder nachvollziehen. Jetzt wo ich über die Sache endlich hinweg und endlich glücklich in einer neuen Beziehung war, war es für mich der Horror, ihn ständig zu sehen.

Jedes Mal wenn ich an ihn dachte, ihn irgendwo sah oder seine Lieder hörte, riss es alte Narben auf. Narben auf meinem Herzen, die nur mit sehr viel Kraft und liebe meiner Familie verheilt waren.

Ich hatte mir damals geschworen nie wieder etwas mit ihm zu tun zu haben. Es war besser für mich. Ob es besser für ihn war, wusste ich nicht. Da ich aber mittlerweile gelernt hatte meine Bedürfnisse auch mal über die eines anderen zu stellen, hörte ich auf meine.

„Geht es allen gut?" fragte der Mann mit dem Kugelschreiber hörbar ausgelaugt und schaute jeden einzelnen an. Die ältere Dame lehnte ihren Kopf an Shawn's Schulter und hielt ihre Augen geschlossen, öffnete sie jedoch, als der Mann auch sie ansprach. Zum Glück hatte sich keiner beim Absturz ernsthaft verletzt. Nur die Frau hatte eine Wunde an der Stirn, die aber schon getrocknet war und soweit ich es mitbekommen hatte, hatte sich der Mann im blauen Anzug den Finger verknackst, als er wieder aufgekommen war. Im Großen und ganzen hatten wir also alle ziemliches Glück gehabt. Dieses „Glück" würde uns aber nicht viel bringen, wenn wir in wenigen Stunden hier drin ersticken würden.

Als ich einen plötzlichen Hustenanfall bekam, schaute mich Shawn mit müdem Blick an. Ich schaute sofort weg und lehnte meinen Kopf wieder gegen die Wand. Er sollte bloß nicht denken, dass alles normal zwischen uns war und wir uns so verhielten, als wäre nie etwas passiert. Nein, es war eine ganze Menge mit uns damals passiert. Eine Menge schöne Erinnerungen wurden mit einem Mal zerstört.

Als Shawn's Handy klingelte schauten alle zu ihm und er schaltete den Lautsprecher ein.

„Uns geht bald die Luft aus! Wann können wir endlich hier raus?" rief einer der Männer und fuhr durch seine Haare.

„So wie es aussieht haben wir sie bald befreit. Der Fahrstuhl steckt zwischen dem 26. und 27. Stock fest, was heißt, dass wir sie vorsichtig zum 26. Stock bringen müssen. Sie haben es wahrscheinlich bemerkt wie der Fahrstuhl sich bewegt hat. Sie befinden sich bereits fast an gewünschter Stelle. Bald kommen wir an die Türen dran um sie aufzustemmen. Dann können wir sie raus holen. Solange wir noch nicht an den Fahrstuhl dran kommen, können wir aber nichts weiter tun, außer sie langsam in unsere Richtung zu ziehen." Seufzend nickten alle.

„Alles klar. Bitte beeilen Sie sich." Sagte Shawn und legte wieder auf.

„Da wir zum Glück in absehbarer Zeit hier rausgeholt werden, muss ich endlich die Frage stellen, die mir schon die ganze Zeit auf der Seele brennt." Die alte Frau schaute zwischen mir und Shawn hin und her. Ich ahnte schon, dass die Frage etwas mit uns beiden zu tun hatte und schloss seufzend die Augen. Schlimmer konnte es echt nicht mehr werden.

„Ich spüre eine Menge negative Energie zwischen Ihnen. Also wenn ich fragen darf: was ist zwischen Ihnen vorgefallen, dass Sie sich so hassen?" Als sie die Frage ausgesprochen hatte, öffnete ich wieder meine Augen und schaute zu Shawn, der mich beobachtet hatte. Als ich nicht antwortete, ergriff er das Wort. Auch die zwei Männer schauten zu uns. Super.

„Wir kennen uns von früher. Wir waren mal zusammen, aber das ist schon lange her." Erklärte Shawn knapp und ließ seinen Blick weiter auf mir ruhen.

Die Frau nickte und es herrschte wieder Stille. Als ich bemerkte, wie mich alle wartend anschauten, seufzte ich genervt. Mir war jedes andere Thema viel lieber, nur nicht Shawn und ich.

„Wir hassen uns nicht. Zu mindest hasse ich ihn nicht. Wir haben eine Vergangenheit, mehr verbindet uns nicht mehr. Wir sind erwachsen geworden, haben uns weiterentwickelt und haben beide andere Beziehungen. Mehr ist da nicht und ich spüre nichts von einer negativen Energie. Alles ist super." Selbst ich bemerkte, dass sich meine letzten Worte ziemlich gelogen anhörten. Aber alle schienen mit der Antwort zu Frieden zu sein, nur Shawn räusperte sich.

„Ich habe keine Beziehung." Überrascht schaute ich wieder zu ihm, sowie die anderen auch.

Was waren wir? Ihre eigene kleine Seifenoper zur Ablenkung? So fühlte es sich gerade zu mindest an.

„Und was ist mit Lauren? Ihr habt euch doch getroffen." Shawn nickte. „Ja, aber nur weil sie zufällig hier in New York etwas zu tun hatte." Insgeheim kaufte ich seine unglaubwürdige Ausrede nicht ab.

Was sollte das bitte für ein Zufall sein, dass sich beide zum gleichen Zeitpunkt in New York aufhielten? Im nächsten Moment fiel mir jedoch auf, dass es bei uns beiden ja auch so war. Zufälle passierten, also hatte er vielleicht doch die Wahrheit gesagt.

„Und Sie?" fragte plötzlich der Mann mit dem Kugelschreiber. Ja, unser Privatleben war eindeutig ihre Ablenkung.

„Ich bin seit zwei Jahren glücklich mit meinem Freund zusammen." Ein enttäuschtes Raunen entkam dem Mund der alten Frau. Mit gerunzelter Stirn schaute ich zu ihr, jedoch schaute sie sofort weg.

Stöhnend lehnte ich meinen Kopf in den Nacken, an die kalte Fahrstuhlwand. Hoffentlich kamen wir hier bald raus, bevor die Leute mein ganzes Privatleben kannten.

Es war eine weitere halbe Stunde vergangen bis plötzlich ein lautes Geräusch an den Fahrstuhltüren zu hören war. Bewegen fiel mir schwer und insgesamt war ich viel zu müde und erschöpft durch den Sauerstoffmangel. Es war wirklich höchste Zeit, dass wir hier raus kamen.

Als die Türen etwa 20 Zentimeter weit aufgingen und ein Lichtstrahl ins Innere leuchtete, atmeten wir erleichtert aus.

„Sind alle okay da drin?" ein Feuerwehrmann steckte seinen Kopf durch den schmalen Schlitz und schaute ins Innere, wo immer noch alle auf dem Boden saßen.

„Wenn wir hier noch weitere Stunden drin gewesen wären, dann wären wir vermutlich alle erstickt. Ich hoffe das reicht als Antwort." Hechelte der Mann im blauen Anzug und hob schwach seinen Kopf. Wir alle hatten keine Kraft mehr und brauchten dringend Sauerstoff.

„In wenigen Minuten holen wir sie raus. Ein kleines bisschen Geduld noch."

Es dauerte tatsächlich nur noch 10 Minuten, bis die Feuerwehr den Schlitz der Fahrstuhltüren so weit aufgestemmt hatte, bis einer der Rettungskräfte in den Fahrstuhl reinkletterte und uns rausholte. Shawn und die Männer konnten mit Hilfe laufen, nur ich und die Frau wurden rausgetragen und das letzte kleine Stückchen abgeseilt.

Ich wurde nach unten zum Eingang des Hochhauses getragen wo mehrere Krankenwagen bereit standen. Der nette Feuerwehrmann setzte mich in einem Krankenwagen auf einer Liege ab, wo ich zugedeckt wurde und eine Sauerstoffmaske bekam, die ich auf meinen Mund pressen sollte. Mit der Zeit ging es mir deutlich besser und wie ich von einem Sanitäter erfuhr den anderen auch.

„Babe, was ist passiert?!" Als Noel vorm Krankenwagen auftauchte, fing ich erleichtert an zu lächeln. „Sie können hier nicht einfach hin." sagte ein Sanitäter und drückte ihn zurück, jedoch wehrte sich Noel. „Ich bin ihr Freund! Babe, sag ihm dass ich dein Freund bin." Der Sanitäter nickte einverstanden als ich Noel zustimmte.

Ich nahm die Sauerstoffmaske ab damit er mich küssen konnte und atmete erleichtert aus als er mich in seinem Arm nahm. „Als ich erfahren habe, dass du im Fahrstuhl eingesperrt bist, bin ich sofort hergekommen. Warum bist du nicht an dein Handy gegangen? Ich habe mir Sorgen um dich gemacht."

„Ich habe mein Handy ausgemacht, damit es beim Job nicht klingelt. Sorry." Er nahm meine Hand und strich eine Haarsträhne aus meinem Gesicht. „Ich habe gehört, dass dein Ex auch im Fahrstuhl war. Es war sofort überall im Internet zu sehen." Ich stöhnte genervt und rollte mit den Augen. Hoffentlich löste das keine Welle von Fragen aus, die ich in nächster Zeit haufenweise in Interviews beantworten sollte.

„Ja, er war mit mir da drin. Glaub mir, ich hätt's mir auch anders gewünscht." Noel lachte zustimmend und schaute aus dem kleinen Fenster des Krankenwagens. „Draußen ist ganz schön was los. Sobald die Nachricht draußen war, dass du und Shawn zusammen hier im Fahrstuhl steckt, ist eine Horde an Fotografen aufgetaucht."

„Woher wussten die das denn alle?" Noel zuckte mit den Schultern. „Dein Ex wurde zu einem Interview von irgendeinem Radiosender erwartet und als er nicht auftauchte, hatten die wohl im Internet veröffentlicht dass sie Ihn nicht live übertragen könnten, da er im Fahrstuhl steckte." Ich schüttelte verächtlich mit dem Kopf und schloss erschöpft die Augen.

„Wann können wir nach Hause?" Fragte Noel eine Sanitäterin, die nach einer halben Stunde zu uns in den Krankenwagen kam. „Sie können gleich gehen. Ich messe noch einmal ihren Blutdruck." Nachdem sie meinen Blutdruck gemessen hatte, nahm sie mir die Sauerstoffmaske ab und half mir beim aufstehen. Mir ging es wirklich deutlich besser, was auch gut war, da ich ja morgen schon zurück nach Toronto flog.

Noel legte seinen Arm um meine Schulter und half mir beim Laufen, als wir die Stufen des Krankenwagens runter liefen und auf dem Asphalt standen. Im nächsten Moment ging das Gebrüll auch schon los. Die Fotografen die immer noch wie Geier darauf warteten ihre Fotos zu bekommen, riefen Noels und meinen Namen und schossen massenweise Fotos von uns.

Als ich über den Platz schaute, entdeckte ich einen der Geschäftsmänner, der auch aus einem Krankenwagen kam. Er wank mir zum Abschied zu und ich zurück. Die Türen des Krankenwagens neben ihm öffneten sich und Andrew gefolgt von Shawn sprangen die Treppen runter und das Blitzlichtgewitter fing erneut an.

Für die Presse war es natürlich gefundenes Fressen Shawn, Noel und mich am selben Platz zu sehen, nachdem uns so etwas passiert war. Sobald mich Shawn auch entdeckte schaute ich sofort weg. Mein Herz fing an schneller zu schlagen, als er auf uns zulief. Es würde kein gutes Ende nehmen, wenn Noel und Shawn aufeinander trafen, da war ich mir sicher. Noel wusste alles über Shawn und meine Trennung. Er war für mich da, als es mir eine Zeit lang ziemlich schlecht ging.

„Shawn kommt." Flüsterte ich ihm ins Ohr in dem Moment in dem Shawn bei uns ankam. Ich war ziemlich gespannt, was er jetzt zu sagen hatte.

„Emilia, gehts dir besser?" Fragte er und Andrew lächelte mich schwach an und schaute wieder auf den Boden.

„Ja, ihr gehts besser." Noel wollte wieder mit mir im Arm loszulaufen, jedoch wurden wir von einem dicklichen Mann aufgehalten, der aus dem Gebäude vor uns eilte. „Misses Valente und Mister Mendes! Einen Moment bitte." Überrascht blieb ich stehen und drehte mich um. Der Mann wank uns zu sich weswegen wir zu ihm liefen.

„Mein Name ist Perry Anderson, der Besitzer des Gebäudes. Es ist mir schrecklich peinlich und unangenehm, dass Ihnen das heute bei uns im Haus passiert ist! Die Fahrstühle sind seit heute morgen in Betrieb und eigentlich hatten sie alle Testläufe bestanden. Sie werden natürlich ausreichend von uns entschädigt. Ich bitte nochmal um Verzeihung." Er reichte erst mir die Hand und dann Shawn. Da wir alle im Kreis standen, schaute ich zu Shawn, der auch mich anschaute. Er lächelte leicht, kaum merkbar, und senkte dann den Blick, als Noel mich auf die Wange küsste.

„Komm Schatz, wir gehen nach Hause." Ich nickte und verabschiedete mich von dem Mann im Anzug. Ich spürte wie Shawn's Blick immer noch auf mir lag, als wir uns umdrehten und den Platz verließen.

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