[2] Kapitel O9

Montag, 31.07.2019
In drei Minuten geht es los!" Rief eine Frau mit Headset im Ohr und verschwand so schnell wie sie aufgetaucht war. Der Make-up Artist tupfte das letzte mal mit einem kleinen Schwamm über mein Gesicht und sprühte dann Haarspray in meine frisierten Haare. "Fertig" keuchte er und scheuchte mich vom Stuhl.

Eine Frau zog mich am Arm sofort weiter, zu den anderen Mädels die ihre Bademäntel bereits abgelegt hatten und in Unterwäsche in einer Schlange standen. Die Frau zerrte hektisch an meinem Bademantel herum, zog ihn mir aus und drückte mich nach vorne, an die Spitze der Schlange.

„In einer Minute geht es los! Azalea, du eröffnest die Show. Meryl, du gehst auf mein Zeichen hinter her. Denkt daran, dass ihr nicht lange auf dem Laufsteg posen sollt, sondern sofort wieder herkommt da ein paar von euch mehrmals laufen müssen und dementsprechend umgezogen werden müssen." Ich nickte und schüttelte aufgeregt mit meinen Händen sowie meine Schultern.

Es war Montag, kurz vor 20 Uhr. Der Tag der Modenschau war gekommen. Ich spürte die Aufregung in meinem ganzen Körper und obwohl ich schon sehr oft über den Laufsteg gelaufen war, war ich noch aufgeregter als sonst. Es lag nicht an der Unterwäsche die ich trug. Ich fühlte mich wohl in meinem Körper und hatte keine Probleme damit viel Haut zu zeigen.

Das größere Problem war, dass nicht nur Halsey, die Jonas Brothers, Rita Ora, Harry Styles und Troye Sivan da waren, sondern auch Shawn. Lea hatte es mir erst heute morgen erzählt, als ich beim Training war. Ich hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen und doch hatte ich das Gefühl als müsste ich mich vor Aufregung jeden Moment übergeben.

Heute war das erste mal, dass ich Shawn nach dem Noel-Disaster wieder sah. Ich wusste immer noch nicht was am Abend passiert und wie ich von der Kneipe in seinem Hotelzimmer gelandet war. Ich wollte es aber auch lieber nicht wissen. Wer weiß was ich Shawn alles erzählt hatte, in meinem betrunkenen Zustand. Ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass ich die ganze Zeit geschlafen hatte, war jedoch trotzdem noch da.

Für heute Abend hatte ich mir auf jeden Fall vorgenommen Shawn so gut es ging auszublenden. Ich wusste, dass er bei meinem dritten Walk auf der Bühne stand und seine neue Single performen würde. Das die Fotografen und das Publikum wie Geier auf ein Foto von mir und Shawn spekulierten, war mir klar. Genau das war das wovor ich Angst hatte. Wenn ich mich nicht vollkommen konzentrierte, würde ich vermutlich umknicken und vom Laufsteg fallen.

Es war natürlich klar, dass ich ausgerechnet bei seinem Auftritt über den Laufsteg musste. Darauf warteten ja alle. Vor allem nach den Schlagzeilen in der letzten Zeit.

Innerhalb kürzester Zeit war überall im Internet zu lesen, dass Noel und ich uns getrennt hatten. Das kurz darauf Fotos und Videos von Shawn und mir auftauchten, war natürlich gefundenes Fressen für alle neugierigen Reporter und Fans. Egal ob ich auf Twitter oder Instagram war, wurde ich mit meinen eigenen Schlagzeilen konfrontiert. Das mich bei den nächsten Events die Reporter förmlich mit Fragen über Noel und Shawn löcherten, war mir jetzt schon klar.

Aber wie Lea mir in den letzten Tagen so oft gesagt hatte: „Jeder Skandal und jede Schlagzeilen geraten mit der Zeit in Vergessenheit. In einem oder mehreren Monaten ist die Sache wieder vom Tisch." Ich hoffte inständig, dass sie damit recht hatte.

„Los!" Eine Hand, die mich an meiner Schulter schob, holte mich aus den Gedanken. Laute Musik dröhnte mir entgegen und ich stand mit einem Mal an der Seite des Laufstegs, kurz vorm Eingang.

„3...2...1... und geh!" Meine Füße fingen an sich regelmäßig und mit Hüftschwung voreinander zu setzen. Helles Licht strahlte mir entgegen und wenige Meter vor mir stand Harry Styles, der sein Lied sang.

Er reichte mir seine Hand, die ich lächelnd annahm. Die Musik und die weiche Hand von Harry ließen mich meine Aufregung und das Publikum vergessen. Er drehte mich einmal und ließ mich dann wieder los, sodass ich zur Spitze des Laufstegs lief, wo ich eine kurze Pose machte und dann Platz für Meryl, das nächste Model, machte.

Sobald ich wieder hinter den Kulissen war, ging alles sehr schnell. Gefühlte hundert Hände berührten meinen Körper und fuchtelten um mich herum. Ich wurde in eine enge Kabine gesteckt wo ich das nächste Outfit anzog und dann wieder zum Laufsteg eilte. Im vorbeigehen sprühte eine Frau noch Haarspray in meine Haare und drückte an meinem Kopf herum.

Auch der zweite Walk verging wie im Flug und klappte einwandfrei. Die Musik von Rita Ora schwirrte in meinem Kopf herum als ich erneut in eine Umkleide gesteckt wurde und das dritte, somit letzte Outfit, anzog.

Als ich fertig angezogen wieder heraus kam und Anfang des Laufstegs lief, wurde es mir wieder klar. Jetzt war der Zeitpunkt des Abends gekommen, um den meine Gedanken schon die ganze Zeit kreisten. Die Töne von einer E-Gitarre ertönten und eine Hand drückte mich zum Laufsteg.

Ich schloss die Augen und atmete tief ein und aus, bevor ich den weißen Laufsteg betrat. Mein Herz fing noch schneller an zu schlagen als ich nun sichtbar für das Publikum war und die ersten Schritte in Richtung Shawn machte. Er trug einen schwarzen Anzug und seine Haare waren hochgegelt. Leider sah er wirklich gut aus.

Ich versuchte nicht auf ihn zu schauen, sondern auf einen Punkt gerade aus wie ich es sonst auch immer machte, was mir jedoch nicht gelang als ich bei ihm ankam und er seinen Kopf zu mir drehte. Ein leichtes Lächeln zierte sein Gesicht als ich ihn für einen Bruchteil einer Sekunde angeschaut hatte.

Das Lächeln irritierte mich so sehr, dass ich viel zu weit vor der Markierung stehen blieb und mit viel zu großen Schritten wieder zurück lief. Ich hätte mindestens noch 2 Meter weiter laufen müssen, aber ich wollte einfach wieder weg von hier.

Auf dem Rückweg schaute ich absichtlich auf einen Punkt gerade aus, merkte aber trotzdem wie er mich angeschaut hatte.

Ich schüttelte meine zitternden Hände aus als ich wieder im Backstage Bereich war und merkte überhaupt nicht, wie plötzlich eine riesige Kamera vor meinem Gesicht auftauchte. Ich hatte ganz vergessen, dass sie schon den ganzen Abend zusätzlich zur Show auch noch Backstage die Models filmten und interviewten.

Ich lächelte breit in die Kamera und zwängte mich schnell an dem Kameramann vorbei. Ich brauchte wirklich frische Luft oder mehr Platz um einen kurzen Moment durchatmen zu können. Alles kam mir mit einem Mal so eng und stickig vor.

Ich zog einen Bademantel über, der über einer vollgepackten Kleiderstange hing und lief an allen anderen vorbei. Zum Glück schienen alle mit sich selbst beschäftigt zu sein, sodass ich unbemerkt vor den Kameras und Interviews flüchten konnte. Ich war mir sicher, dass sie mich auch sprechen wollten um mich über die Schlagzeilen ausquetschen zu können.

Ich atmete die kalte aber frische Luft ein. Ein Wunder, dass ich überhaupt diesen Hinterausgang gefunden hatte, so versteckt wie er war. Überall in den Fluren standen irgendwelche Kisten oder Kabel herum für die Show.

Seufzend lehnte ich mich gegen die Hauswand und raufte durch meine Haare. Dieses Engegefühl in meiner Brust machte mir schon länger zu schaffen. Ich wusste nicht woher es kam, aber immer wenn ich aufgeregt war bekam ich schlecht Luft, was mir wiederum Panik machte. Keine Luft zu kriegen war eines der schlimmsten Dinge überhaupt. Man fühlt sich so hilflos wenn es passierte.

Als die schwere Eisentür neben mir wieder auf ging, stieß ich mich von der Mauer ab und schaute auf um schnell wieder rein zu gehen.

„Eh... Sorry, ich wollte dich nicht stören." Shawn's braune Augen funkelten mir entgegen, sodass ich einen kurzen Moment brauchte um mich wieder zu fangen. „Ehm.. alles gut. Ich wollte sowieso gerade wieder rein gehen." Er nickte stumm und hielt mir die Tür auf. Ja, dass war der Shawn den ich von früher kannte. Immer zuvorkommend.

Ich murmelte ein leises „Dankeschön" und lief wieder in den warmen stickigen Flur auf dem es dunkel war. Etwas Licht aus der Ferne erhellte den Boden, worauf ich auf einmal etwas entdeckte. Verwirrt bückte ich mich und hob das Portemonnaie auf. Bestimmt hatte es einer der Techniker hier beim abladen der Kisten verloren.

Neugierig klappte ich die Brieftasche auf um zu schauen wessen Name auf dem Personalausweis stand. Shawn's Gesicht schaute mir ernst von seinem Personalausweis entgegen, weswegen ich es schnell wieder zuklappte. War ja klar, dass es Shawn gehörte. Stöhnend drehte ich mich wieder um in Richtung Tür und öffnete sie.

Etwas weiter weg entdeckte ich Shawn, der eine große Rauchwolke auspustete und seine Zigarette weg schnipste. Er schaute mich überrascht an, als er mich sah. Bevor er etwas sagen konnte hob ich seine Brieftasche hoch und lief auf ihn zu um sie ihm zu geben. „Die hab ich im Flur auf dem Boden gefunden. Deine Karten sind noch drin." Erschrocken klopfte er auf die Taschen seines Anzugs und stellte fest, dass sie wirklich fehlte.

„Oh, danke. Ja, eh, ich hab sie wohl verloren." Ich nickte stumm und überreichte sie ihm, wobei ein Schnipsel aus dem alten Leder auf den Boden segelte. Schnell bückte ich mich, sodass der Schnipsel nicht lange auf dem nassen Boden lag. Shawn bückte sich ebenfalls jedoch war ich schneller. Mir blieb die Spucke weg, als ich das kleine, weiße, rechteckige Papier aufhob und darauf ein zerknittertes Bild erkannte. Es war aber nicht irgendein Bild.

Auf dem rechteckigen schwarz weiß Foto waren Shawn und ich zu sehen. Wir hatten es in dem PhotoBooth bei Lorenzos Hochzeit aufgenommen und die Bilder aufgeteilt. Damals wollte er das Bild haben, wo ich komisch lachte und mich nach vorne zur Kamera gebeugt hatte. Die Erinnerung kam mir vor als wäre es erst gestern gewesen.

„Das ist wirklich süß. Kann ich das haben wo du so hübsch lachst?" Überrascht drehte ich mich und schaute zu ihm hoch. „Da sehe ich aus wie ein lachendes Pferd. Wieso willst du ausgerechnet das haben?" Er nahm mir die Fotostrecke aus der Hand und knickte das Foto ab um es dann in seiner Hosentasche verschwinden zu lassen. „Weil ich dein Lachen hübsch finde. Wenn ich dein wunderschönes Lächeln vermisse, dann kann ich es mir immer anschauen!"

„Eh... Danke." Er nahm es mir schnell ab und vermied es mich anzuschauen. Er konnte die Röte in seinem Gesicht jedoch nicht verstecken. „Du hast es ja noch." Flüsterte ich immer noch baff und steckte meine kalten Hände in die Taschen des Bademantels.

„Ich muss es damals wohl vergessen haben..." Ich nickte und schaute zu Boden. Ich wusste auch nicht, warum ich nicht wieder von hier verschwand. Worauf wartete ich?

„Wie gehts dir?" murmelte er schließlich und schaute wieder auf. Ich blickte mich verwirrt um, um zu schauen ob er auch wirklich mich meinte. Als ich keinen außer uns entdeckte nickte ich schüchtern.

„Gut" log ich und musterte eine Bank, neben der Eisentür.

„Und wie gehts dir, wenn du nicht so tust als ob alles in Ordnung wäre damit du keinem sagen musst, wie schlecht es dir wirklich geht?" Ich schmunzelte traurig und setzte mich auf die Bank.

„Okay, mir ging es schon lange nicht mehr so schlecht." Shawn nickte zustimmend, als ob er genau wüsste wovon ich sprach und kaute auf seinem Fingernagel herum. „Warum interessiert es dich?" murmelte ich den Gedanken, den ich eigentlich nicht vor hatte auszusprechen. Shawn zuckte mit den Schultern und schaute durch die Gegend.

„Nachdem du aus meinem Hotelzimmer verschwunden bist, habe ich ja nichts mehr von dir persönlich gehört. Ich vertraue schon lange nicht mehr auf die Sozialen Medien." Als er die Sache mit dem Hotel ansprach merkte ich, wie ich mich wieder anfing unwohl zu fühlen.

„Danke für deine Hilfe, schätze ich mal. Ich habe absolut keine Erinnerung mehr an die Nacht und den Abend bevor ich in deinem Bett aufgewacht bin. Ist das besser so oder schlecht?" Shawn lachte und fuhr durch seine Haare.

„Wenn du wissen willst, ob irgendwas zwischen uns passiert ist oder ob du irgendwas gesagt hast, was du sonst nicht gesagt hättest, kann ich dich beruhigen. Ich habe nur dafür gesorgt, dass du sicher in einem Bett landest um deinen Rausch auszuschlafen." Ich spürte wie mir vor Erleichterung ein Stein vom Herzen fiel. Gott sei dank war nichts passiert.

Als die Eisentür wieder aufging und plötzlich Andrews Kopf erschien, stand Shawn schnell auf.

„Sorry Andrew, musste kurz an die frische Luft." Er nickte nur und schaute mich emotionslos an.

Wow, Andrew hasste mich so wie er mich anschaute. Was hatte ich auch anderes erwartet? Wahrscheinlich hassten mich alle aus Shawn's Freundeskreis. Ich wünschte immer noch, dass ich die Wahrheit irgendwie beweisen könnte um klarzustellen, dass ich Shawn niemals betrogen hatte und das alles ein beschissener Plan einer Phsychopatin oder eines Phsychpates war.

„Eh.. danke nochmal für mein Portemonnaie. Und.. ich hoffe dir geht es bald besser." Er schaute nochmal kurz zu mir und verschwand dann hinter Andrew der mich immer noch böse musterte und dann die Tür zuknallte.

Vollkommen zerstreut und verwirrt bleib ich auf der Bank sitzen. Das ich gerade nach 4 Jahren und ewigen falschen Gerüchten wieder richtig mit ihm gesprochen hatte, hatte mich mehr als verwirrt.

Die ganze vergangene Woche hatte mein ganzes Leben mal wieder komplett auf den Kopf gestellt. Komisch, dass sich, sobald Shawn auftauchte, immer alles um 360° drehte. Schon damals hatte er mein Leben komplett verändert. Er konnte zwar nichts dafür, dass er ausgerechnet in der Zeit da war, in der ich heraus fand das Noel das größte Arschloch der Welt war, aber Shawn war immer da, wenn irgendwas in meinem Leben passierte.

Was war das nur zwischen uns beiden?

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