[2] Kapitel 30

Es war mucksmäuschenstill. Nur das Ticken einer Uhr war zu hören. Hoffentlich war Emilia wirklich hier und ich begab mich nicht umsonst in Gefahr. Sie musste einfach hier sein. Ein altes verlassenes Waldhaus war doch das perfekte Versteck oder?

Der Lauf meiner Waffe ragte zuerst in den Flur, bevor ich ihn betrat und mich rasch nach links und rechts umsah. Links von mir befand sich eine Treppe die nach oben führte. Daneben befanden sich zwei Türen. Eine die vermutlich in einen Keller führte und eine zweite direkt neben dem Wohnzimmer. Gerade aus war die Eingangstür und rechts daneben die Küche in die ich geschaut hatte. Dort war sie nicht. Oben würde sie bestimmt auch nicht sein. Im Keller?

Ich beschloss dort zu erst nach zu schauen. Vorsichtig trat ich die Treppen in den Keller hinunter. Ohne Licht sah man hier nicht mal die Hand vor den Augen. Durch einen Lichtschalter den ich unten fand, konnte ich ohne Probleme die Räume durchsuchen.

Ohne Emilia gefunden zu haben, schlich ich die Treppen wieder hoch. Mein Herz pochte immer noch wie wild in meiner Brust und meine Hände drückten sich so fest um den Griff der Waffe, dass meine Knöchel schon weiß hervortraten.

Ich musste sie finden. Ohne sie würde ich es nicht mehr aushalten. Keine weiteren zwei Wochen.

Sobald ich wieder im Flur war, sah ich mich nochmal um und lauschte. Keine Motorgeräusche waren zu hören. Die Entführer waren noch nicht wieder zurück.

Ich atmete kurz erleichtert aus, dann lief ich die Treppen zum oberen Geschoss hoch. Oben erwartete mich ein langer Flur an den mehrere Türen angrenzten. Zwei auf der linken Seite und drei auf der rechten. Die auf der linken Seite waren geschlossen. Vorsichtig drückte ich mich an die Wand und schlich zur ersten geöffneten Tür.

Mit schneller Bewegung richtete ich meine Waffe in den Raum und schaute mich um. Ein Schlafzimmer. Jedoch keine Menschenseele. In den nächsten geöffneten Räumen befand sich ebenfalls keiner.

Mein Puls beschleunigte sich erneut als ich bei den zwei nebeneinanderliegenden geschlossenen Türen ankam. Ich betete gedanklich, dass sich Emilia hinter einer dieser Türen befand. Und zwar in einem guten Zustand.

Ich drehte den Schlüssel in der Tür, nahm einen tiefen Atemzug und drückte langsam die Türklinke herunter. Der Lauf meiner Waffe zeigte wie die Male zuvor als erstes in den Raum. Durch den geöffneten Türschlitz konnte ich erkennen, dass es stockdunkel in dem Raum war.

Langsam stieß ich die Tür auf und suchte an der Wand nach einem Lichtschalter. Sobald ich einen gefunden hatte und ihn betätigte, ging alles fürchterlich schnell. Für einen kurzen Moment wurde es hell sodass ich ein benutztes Bett und eine spärliche Einrichtung erkennen konnte, dann spürte ich jedoch einen heftigen Schlag gegen mein Handgelenk sodass ich die Waffe fallen ließ und dann einen heftigen Schlag ins Gesicht abbekam, der mich durch den Überraschungsmoment so aus der Bahn warf, dass ich auf den Boden sank.

Fluchend fasste ich an meine Nase, die schmerzte, jedoch nicht blutete. Als ich das klicken einer Waffe hörte, schaute ich mit weit aufgerissenen Augen nach oben, zu der Person, die mich entwaffnet hatte. Für einen kurzen Moment blieb mir die Spucke weg.

„Oh mein Gott, Shawn!"

Die Person die meine Waffe auf mich gerichtet hielt, war Emilia. Sobald sie mich erkannte, ließ sie die Waffe fallen und stürzte sich auf mich.

„Emilia!" Mit Tränen in den Augen vergrub ich mein Gesicht in ihrer Halsbeuge, sog ihren Geruch ein und drückte sie fest an mich. Sie krallte sich so fest an mich, dass ich die Kugel an ihrem Bauch spürte. Für ein paar Sekunden verharrten wir in einer festen und innigen Umarmung auf dem Boden.

Ängste, Zweifel und schlimmste Gedanken lösten sich und verschwanden von jeder Sekunde mehr in der ich sie in meinen Armen hielt.

Sie löste sich von mir und schaute tief in meine Augen. Ihr Gesicht war vollkommen durchnässt von ihren Tränen. Dunkle Augenringe hingen unter ihren Augen und sie sah ziemlich blass aus. Mit meinen Händen umfasste ich ihr Gesicht und küsste sie. Lang. Und sehnsüchtig. Ich hatte sie unglaublich vermisst.

„Wie ... hast du mich ... gefunden?" Sie schluchzte und wischte sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihre Augen strahlten Müdigkeit und Erschöpfung aus, aber auch endlose Erleichterung.

„Das erzähle ich dir alles, wenn wir hier raus sind. Wir müssen hier weg. Deine Entführer sind vor etwa zwanzig Minuten weggefahren. Sie müssten jeden Moment wieder hier sein." Ich stand schnell vom Boden auf und griff unter ihre Arme. Sie war dünn geworden. Und schwach dazu.

Ich hob meine Waffe vom Boden auf und nahm ihre Hand um sie hinter mir her zu ziehen.

„Woher hast du die Waffe?" Sie klang verängstigt.

„Erkläre ich dir alles später, Kleine." Sie summte kurz und versuchte hinter mir schritt zu halten und auf der Treppe nicht hinzufallen. Wir hatten einfach keine Zeit langsam zu laufen.

„Ich kann nicht so schnell, Shawn." Stammelte sie verzweifelt und krallte sich an meiner Hand fest. „Ich weiß, tut mir leid. Aber wenn wir uns nicht beeilen wird das hier für uns beide nicht gut enden."

Kurz bevor wir an der Wohnzimmertür ankamen, erklang plötzlich lautes poltern und die Haustür direkt gegenüber des Wohnzimmers ging auf. Erschrocken fuhren wir beide herum und schauten in die Gesichter zweier Personen. Ein Mann und eine Frau. Braune Haare, rote Haare.

Mein Herz setzte aus und ich schaute zu Emilia, die mich mit aufgerissenen Augen ebenfalls anschaute.

„Renn!" Rief ich und schob sie in Richtung der Verandatür, die noch immer offen stand. Ich drückte sie ins freie und wollte unmittelbar nach ihr heraus laufen, jedoch wurde ich von hinten gepackt und wieder ins Haus gezogen.

„Shawn!" rief sie und drehte sich um. Sie war bereits auf der Hälfte der zugewachsenen Wiese. Durch die Dunkelheit konnte man sie kaum noch erkennen.

„Lauf, Emilia!"

„Halt die Schnauze!" Ich spürte einen Schlag gegen meinen Kopf, dann wurde alles dunkel und still um mich herum.

***
Emilia's POV

Es waren nun schon mehrere Stunden vergangen, seit ich aufgewacht war. Ich befand mich mal wieder im Keller. Dieses Mal jedoch nicht alleine. Shawn lag bewusstlos und gefesselt neben mir. An seiner Stirn prangte eine große Platzwunde, dessen Blut teilweise schon getrocknet und teilweise noch frisch war.

Nachdem er mich gefunden hatte und wir beide durch die Veranda flüchten wollten, waren Damien und Nicki, also  mein Ex und XXX, wieder gekommen und hatten uns daran gehindert.

Nicki hatte mich wieder ins Haus gezerrt und mich zusammen mit Shawn gefesselt und im Keller eingesperrt. Das ganze war gestern Abend passiert. Seit dem war Shawn nicht aufgewacht. Ich machte mir ernsthafte Sorgen um ihn. Was war, wenn er Hirnblutungen erlitten hatte, nachdem ihn Damien bewusstlos geschlagen hatte?

Erneut versuchte ich näher an ihn ran zu rutschen was durch die schweren Eisenketten an meinen Handgelenken nicht funktionierte. Ich war an der Wand festgekettet, wie ein Wachhund an einem Pfosten. Shawn hingegen saß an einen Balken gelehnt. Seine Hände waren hinter seinem Körper um den Balken gefesselt. Sein Kopf hing bewusstlos herunter und seine Augen hielt er geschlossen.

Verzweifelt zerrte ich an den Ketten. Nichts passierte. Außer das sie laut klimperten, was hier unten lauter erschien als es vermutlich in echt war. Es war einfach nur kalt, nass und dreckig. Ich hasste diesen Ort.

„Emilia?" ein leises Flüstern aus Shawn's Richtung ließ mich sofort erstarren. Die Eisenketten fielen wieder auf den Boden und ich hielt die Luft an.

„Shawn?" hauchte ich hoffnungsvoll und starrte zu ihm.

Sein Kopf bewegte sich langsam und lautes Stöhnen war zu hören.

Gott sei dank.

„Emilia?" Fragte er erneut und hob langsam seinen Kopf hoch. Als er mich durch seine halb geschlossenen Augen sah, verzog er enttäuscht das Gesicht.

„Du hast es nicht geschafft." Stellte er fest und lehnte seinen Kopf gegen den Balken. Seine Augen hielt er erneut geschlossen und an seinem Hals konnte ich sehen wie sich sein Kehlkopf bewegte als er schwer schluckte.

„Nein, ich konnte nicht ohne dich gehen." Gab ich zu und beobachtete ihn weiter. Kurz sagte keiner etwas.

„Ich kann nie wieder ohne dich sein, Shawn" murmelte ich und merkte wie sich Tränen in meinen Augen sammelten.

Die letzten Wochen ohne ihn, waren die Hölle. Er verging keine Sekunde in der ich nicht an ihn gedacht hatte. Und jetzt? Jetzt befanden wir uns beide in dieser beschissenen Situation. Und wie ich wusste, dass sie in keinem Fall gut für ihn enden würde. Damien hatte feste Pläne mit mir. Das hatte ich in den letzten zwei Wochen erfahren.

„Ich kann auch nicht ohne dich." Flüsterte er und richtete seine Augen wieder auf mich. „Ohne dich, gibt es kein mich. Ohne dich, kann ich nicht leben." Tränen liefen über meine Wangen bei seinen Worten.

„Ich liebe dich, Shawn." Er lächelte schwach.

„Ich liebe dich auch, Emilia. Wir schaffen es hier raus zu kommen! Aber erstmal musst du mir erzählen wie es dir und unseren Jungs geht. Und sag mal kann es sein, dass Damien XXX ist?"

„Mir geht es den Umständen entsprechend. Ich hatte schon schlechtere Tage, aber den Zwillingen geht es wohl gut. Ich hab in der letzten Zeit 4 Termine bei Doktor Winter verpasst. Ich hoffe das hat keine schlimmen Auswirkungen auf die Schwangerschaft." Ich seufzte tief und schwer. Die Angst um unsere Babys lag wie Blei auf meinen Schultern.

„Und nein, Damien ist nicht XXX. Er und Nicki haben mich aus dem Krankenhaus entführt und mich hier festgehalten. Sie haben mir zum Glück nichts schlimmes angetan und mir wenigstens einmal am Tag Essen gegeben. Damien ist total psychisch krank. Fast so sehr wie Nicki."

„Nicki?" Shawn zog die Augenbrauen zusammen.

„Nicki Williams. Sie ist XXX. Ich habe ein paar mal Gespräche von den beiden mitbekommen und so erfahren wie die heißt und was beide Vorhaben." Er nickte und lehnte seinen Kopf wieder gegen den Balken.

„Damien will mit mir abhauen und mit mir ein Leben in Amerika führen. Unsere Zwillinge würden nur ihm gehören. Gott, ich kriege eine Gänsehaut wenn ich daran denke." Mich schüttelte es kurz.

„Krank, einfach nur krank. Ich bin so froh, dass du lebst. In den letzten zwei Wochen sind die schlimmsten Gedanken aufgekommen. Wenn ich dich verloren hätte, dann-"

„Ich bin da, Shawn. Ich lebe noch. Wir sind wieder zusammen. Wir müssen es hier nur irgendwie raus schaffen." Ich zog an den Eisenketten, die laut klirrten.

„Wenn ich mich nur etwas mehr bewegen, und zu dir kommen könnte würde es mir deutlich leichter fallen hier unten in der Kälte zu sitzen. Die Wände sind unglaublich kalt." Shawn schaute sich im Kellerraum um.

„Ich sehe nichts womit ich mich befreien und dann dich befreien könnte. Dieser Balken ist verdammt ungemütlich." Er wackelte mit deinen Schulten und versuchte sich loszumachen, scheiterte jedoch.

Für ein paar Minuten überlegten wir beide und suchten den Raum ab. Als ich zum ersten Mal im Keller gefangen war, konnte ich mich durch einen alten Werkzeugkasten befreien und dann die Tür eintreten. Dieses Mal waren wir aber in einem anderen Raum. Hier befand sich überhaupt nichts drin, was uns irgendwie helfen könnte.

„Ich glaube meine Hände sind mit Handschellen gefesselt." Stellte er nach einer Weile fest. Ich schaute ihn neugierig an. Es hörte sich so an als hätte er eine Idee.

„Wenn wir irgendwas finden, was ich verbiegen könnte um das Schloss aufzumachen, kann ich erst mich und dann dich befreien." Mein Herzschlag beschleunigte sich.

„Gute Idee! Aber hier ist es total dunkel drin. Wenn wir keinen Vollmond hätten, würden wir gar nichts sehen. Wie sollen wir hier etwas wie ein Stück Draht finden?"

Er runzelte die Stirn und überlegte. Dann schaute er erst auf meine und dann auf seine Füße. Ich hatte dicke Wollsocken an, die mir Damien gegeben hatte und er trug immer noch seine Stiefel. Auf einmal zog er seine Schuhe aus, aus denen er rausschlüpfte.

„Was machst du denn da, Shawn? Es ist eiskalt hier unten." Er kickte seine Schuhe weg und fuhr mit seinen Socken über den dreckigen Boden.

„Zieh deine dicken Socken aus und such auf dem Boden nach irgendwas womit ich das Schloss aufbrechen kann. Das ist gerade wohl die beste Idee." Nickend streifte ich mithilfe meiner Füße die Socken ab und half ihm den Boden abzusuchen. Wenn wir nichts sahen, mussten wir halt versuchen etwas zu fühlen.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis ich neben mir tatsächlich eine Schraube gefunden hatte und eine weitere bis wir beide kurz vorm aufgeben waren. Dann ertönte jedoch so etwas wie ein Klirren auf dem Boden und Shawn zog seinen rechten Fuß an seinen Körper.

„Ich glaube ich habe gerade ernsthaft etwas ähnliches wie einen Draht gefunden." Aufgeregt setzte ich mich etwas auf.

„Was?? Echt!? Oh mein Gott endlich! Probier's aus!" Er summte zustimmend und schaffte es durch Zirkusreife Verrenkungen das Metallstück nach hinten zu seinen Händen zu schieben.

Es gestaltete sich schwieriger als vorher angenommen, die Handschellen aufzubrechen. Eine ganze Stunde lang versuchte Shawn das Schloss aufzumachen.

„Meinst du nicht, dass wir langsam aufgeben sollten. Du hast bestimmt schon schlimme Druckstellen von deinen Handbewegungen und außerdem-"

Ein leises klicken ertönte und mit einem Ruck konnte Shawn seine Arme nach vorne ziehen.

„Ich ... ich hab's geschafft!" ungläubig starrte er an seine Hände, die er vor seinen Oberkörper hielt.

„Oh mein Gott!! Du hast es geschafft!!" Ich quiekte überrascht.

„Pssst. Nicht dass die oben was hören." Ich schloss sofort meinen Mund.

Shawn sprang schnell auf und kam zu mir herüber um mich in den Arm zu nehmen. Als er mich wieder losließ, schaute er in meine Augen. Durch die Dunkelheit konnte ich nur seine Umrisse erkennen.

„Du musst jetzt ganz still halten, damit ich die Schnallen aufkriege okay?" Ich summte einverstanden und lehnte mich gegen die Wand hinter mir.

Sobald Shawn wieder aufgestanden war und sich an meinen Handgelenken zu schaffen machte, waren plötzlich Schritte vor der Tür zu hören.

„Shit, shit, shit." Shawn sprang sofort wieder zurück zum Balken und sank auf die Beine um seine Arme wieder in die gefesselte Haltung zu bringen. Dieses Mal jedoch ohne Handschellen.

Sobald die Tür aufging wurde es durch das Licht im Kellergang etwas heller und der Lichtpegel schien direkt auf mich. Damien stand im Türrahmen.

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