[2] Kapitel 12

„Bitte hör mir zu und lass mich ausreden. Wenn du etwas zu sagen hast, sag es bitte aber Fall mir nicht ins Wort. Ich verliere sonst meinen Faden." Ich nickte und schaute von meiner Serviette zu ihm auf. Er hatte die kleinen pinken Papierfetzen beobachtet, jedoch lag sein Blick wieder auf mir.

„Um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht wo ich anfangen soll. Seit zwei Stunden spielen meine Gedanken total verrückt. Kian hat mir alles erzählt, was du ihm erzählt hast." Er schluckte.

„Es tut mir einfach unglaublich leid."

Ich konnte mich gerade noch so beherrschen, dass ich nicht nach Luft schnappte. Hatte ich mich verhört?

„Ja, es tut mir leid. Nachdem was ich alles erfahren habe, hast du jedes Recht mich zu hassen. Mich anzuschreien. Sogar mich zu verprügeln wenn du willst. Ich hätte es verdient." Ziemlich überrumpelt runzelte ich meine Stirn.

„Du hättest mir damals alles von Anfang an erzählen sollen. Mich nicht „schützen" damit ich die Tour nicht abbreche. Ja, du hast recht. Ich hätte sofort alle Konzerte abgesagt und wäre bei dir geblieben wenn ich von XXX gewusst hätte. Ich bin davon ausgegangen, dass der ganze Spuk nach der Verhaftung von deinem kranken Ex aufgehört hatte." Er trank einen Schluck aus einer Flasche an dessen Etikett er vor Aufregung herumfummelte.

„Das dieser Psychopath oder die Psychopathin die hinter den Geschehnissen an dem Abend der Party, vor meinem Geburtstag damals steckt, hab ich wirklich keinen Zweifel mehr. Es ist nicht zu entschuldigen was Dir damals dort in dieser Nacht passiert ist. Überhaupt ist nichts zu entschuldigen was Dir XXX und auch ich angetan habe. Wenn ich dir eine Chance gegeben hätte, wäre es niemals so gekommen. Wenn ich dir nicht glauben geschenkt hätte, dann mit Sicherheit der Polizei die ja auch von der ganzen Sache wusste."

Ich nickte und sah Erinnerungen vor meinem inneren Auge an die Polizisten, die jedes Mal zu uns kamen um die Pakete oder Briefe abzuholen um sie auszuwerten oder nach hinweisen zu suchen. Erinnerungen an meine Angst, dass meiner Familie, meinen Freunden, Shawn oder mir etwas zustoßen könnte erfassten mich erneut. Und das Gefühl was ich gespürt hatte, als Shawn mich heraus geschmissen und allein gelassen hatte und als ich vor dem Hotel in Tränen ausgebrochen war.

„Ich war damals so naiv und hatte keine Ahnung wie es dir ging. Ich hätte mich besser um dich kümmern müssen. Öfters nach Toronto kommen müssen, auch wenn es nur ein Tag gewesen wäre. Ich hätte nachfragen sollen. Ich hätte einfach alles anders machen sollen. Vielleicht wäre alles jetzt ganz anders wenn ich dich nicht aus dem Hotelzimmer geworfen hätte. Es gibt so viele möglichen Wege wie alles anders hätte laufen können. Aber was ich damals getan habe, kann ich nicht mehr rückgängig machen. Es tut mir unglaublich leid, wie ich dich behandelt habe. Wie ich dir nicht vertraut habe und vor allem, dass ich das, was wir hatten, weggeworfen habe."

Er schaute von seiner Flasche auf, in mein Gesicht. Schmerz spiegelte sich in seinen Augen wieder.

Schweren Herzens atmete ich aus. Ich war zum ersten Mal seit langer Zeit sprachlos. Seine Worte schwirrten in meinem Kopf herum und mir kam es so vor als wären es kleine Pflaster die sich auf alle Wunden und Narben legten, die damals entstanden waren. Ehrliche, schmerzerfüllte und aufrichtige Worte, die vollkommen ernst gemeint aus seinem Mund kamen.

„Ich will, dass du weißt, dass ich es bereue was ich damals getan habe. Ich möchte, dass du weißt wie leid es mir tut." Als er seine Hand auf meine legte, zog ich sie nicht weg. Normalerweise hätte ich ihm die kalte Schulter gezeigt, aber das war in den vergangen 10 Minuten passiert war, änderte alles. Natürlich konnte ich die Vergangenheit nicht vergessen, aber was ich vergessen konnte, war der Hass. Ich werde wohl nie verstehen warum es so gelaufen war, wie es gelaufen ist, aber eigentlich, wenn man es grob und mit Samthandschuhen betrachtete, war es so wie alles gekommen war, viel besser als die Vergangenheit.

Ich hatte mich um einiges weiter entwickelt, hatte mich verändert, wurde selbstbewusster und hatte zu mir gefunden. Ich wusste nicht wie es bei Shawn aussah, aber das was ich sonst nebenbei in den Sozialen Medien von ihm gehört hatte, war bisher immer positiv gewesen.

Und um ganz ehrlich zu sein, auch zu mir selber, war das alles überhaupt nicht nur seine Schuld. Wenn ich ihm die ganze Wahrheit von Anfang an erzählt hätte, wäre alles ebenfalls ganz anders gekommen. Vielleicht nicht mit so einem gebrochenen Herzen und Situationen die wir beide heute bereuten, aber sicherlich anders.

„Das ist aber alles nicht nur deine Schuld, Shawn." Ich legte meine andere Hand auf seine, die auf meiner lag. Er schaute mich mit geweiteten Augen an.

„Wenn ich dir alles erzählt und nicht so ein riesiges Geheimnis draus gemacht hätte, wäre es nie zu deinem Misstrauen gekommen. Damals hatte ich gedacht, es wäre besser alles zu verheimlichen damit du dir keine Gedanken um mich machen musstest wenn du fast jeden Abend auf einer Bühne in einer anderen Stadt standest. Ich würde sagen, dass wir beide vieles anders hätten machen müssen." Er nickte mit einem schwachen Lächeln.

„Aber die Vergangenheit kann man nun mal nicht ändern." Er seufzte laut und nickte zustimmend.

Als ich ein lautes Kinderlachen von der Theke hörte und sah, dass Charlotte gerade von Kian gekitzelt wurde, fing ich an zu schmunzeln.

„Hey Tante Emmi!" Rief sie mir kichernd zu und wank uns. Shawn schaute mich überrascht an. „Ist das die Tochter von Lorenzo und Ella?" Ich nickte mit einer gewissen Art von stolz.

Mir fiel ein, dass Shawn damals auf der Hochzeit dabei war und mitbekommen hatte, wie beide verkündet hatten, dass sie Eltern werden. Verrückt wie lange das alles schon her war.

„Was ich dich noch fragen wollte..." Ich drehte meinen Kopf wieder zu ihm und sammelte alle Papier Fetzen zu einem kleinen Haufen.

„Als es öffentlich war, dass wir nicht mehr zusammen waren, hat das mit XXX dann aufgehört?" Ich nickte.

„Ja, ich hatte das Handy, was nicht mir gehörte kaputt gemacht, sodass ich keine Nachrichten mehr bekam und die Pakete sowie Briefe hörten auch auf." Er knetete sein Kinn.

„Und die Polizei hat dann einfach aufgehört nach dem oder der Verantwortlichen zu suchen? Ich meine es ging um Erpressung, Stalking, Drogenmissbrauch und vieles mehr."
Seufzend stimmte ich ihm zu.

„Als ich nichts mehr bekam stellte die Polizei nach etwa 3 Monaten die Ermittlungen ein. Wieso willst du das wissen?"

„Sind die Beweismittel noch bei der Polizei?" wieder nickte ich.

„Ja, sie werden dort noch eingelagert. Zu Hause auf dem Dachboden haben wir auch noch eine Kiste. Warum fragst du?"

„Na, weil ich wirklich wissen will, wer Dir damals das Leben zur Hölle gemacht hat. Diese Person verdient seine oder ihre gerechte Strafe." Überrascht zog ich meine Augenbrauen hoch.

„Wie kommst du denn jetzt darauf?"

Er trank den letzten Schluck seines Wassers aus und stellte die leere Flasche neben den Pfeffer- und Salzstreuer.

„Wenn die Polizei nicht heraus finden kann wer XXX ist, dann vielleicht ich. Aber dazu bräuchte ich allerdings deine Hilfe.. ich komme nicht ohne dich an die Sachen im Archiv der Polizei. Das funktioniert natürlich nur wenn du das möchtest und du damit klar kommst, dass wir uns in nächster Zeit öfter sehen würden. Wenn du das nicht willst, kann ich das natürlich verstehen. Aber ich finde schon das wir herausfinden sollten wer Dir, oder uns, das angetan hat." Unsicher was ich von der Sache halten sollte blieb ich stumm.

Mein Kopf sagte ja, mein Herz brüllte laut und deutlich nein.

„Ja."

„Wie Ja? Also wollen wir zusammen heraus finden wer hinter XXX gesteckt hat?"

Zusammen. Mein Herz verkrampfte sich für einen kurzen Moment. Hoffentlich ging das auch alles wirklich gut.

„Aber wie willst du das machen? Du hast doch bestimmt alle Hände voll zu tun mit deinen eigenen Sachen. Touren, Konzerte, Galas, Musikveranstaltungen, Preisverleih-"

„Ich habe bis Neujahr frei. Andrew hat alle Termine und Veranstaltungen für mich abgesagt. Die Modenschau war die letzte öffentliche Veranstaltung für dieses Jahr wo ich auftauchen musste. Ich brauche mal eine Auszeit, hat mir Andrew auch geraten."

Überrascht nickte ich. Drei Monate hatte er frei und anstatt an den Strand in irgendein luxuriöses Hotel mit Spa zu fliegen, wollte er lieber hier im eisigen Toronto bleiben um seine Zeit zu nutzen um XXX zu finden? Eigentlich eine ziemliche Zeitverschwendung wenn man die Möglichkeiten betrachtete, die er sonst hätte.

Dabei fiel mir ein, dass es bei mir genauso war. Ich hatte jetzt auch bis Januar freie Zeit ohne Termine. Lea bekam mit Sicherheit Anfragen die sie mir bei unserem nächsten Treffen übermorgen mitteilte, aber da ich Shawn jetzt schon zugesagt hatte, musste sie die leider ablehnen.

Was hatte ich mir da nur eingebrockt? Ich könnte auch bis kurz vor Weihnachten am Strand der Karibik liegen, mich in der Sonne wälzen und Cocktails schlürfen. Oder meinen Geburtstag auf einer Skipiste feiern, wie zum Beispiel Whistler Blackcomp zusammen mit Ally, Benny, Anthony, Finn.

In Gedanken versunken starrte ich aus dem Finster vor dem mal wieder dicke Flocken vorbeizogen. Ein Ruckeln und ziehen an meinem dicken Winterpullover holte mich aus meinen Gedanken. Als ich neben mich schaute stand Charlotte gefolgt von Kian vor mir.

„Tante Emmi, können wir jetzt gehen? Ich bin müde." Mit mitleidigem Blick streichelte ich über ihre schwarzen weichen Haare und sah zu wie sie mit ihrer Hand über ihre Müden Augen rieb.

„Ja na klar. Deine Mum und dein Dad warten bestimmt schon auf uns. Es ist ja auch schon halb sieben und draußen ist es dunkel geworden." Sie nickte und fasste an meine Hand als ich aufstand.

Auch Shawn erhob sich von der Sitzbank und begleitete uns, genau wie Kian, zur Tür.

„Also dann.. ich rufe dich morgen mal an, damit wir besprechen können wie wir die ganze Sache angehen okay?" Ich nickte wobei mir plötzlich einfiel, dass er meine und ich seine Nummer nicht mehr hatte. Als wäre uns der Gedanke gleichzeitig gekommen holten wir unsere Handys raus und reichten sie uns gegenseitig. Ich verkniff mir ein schmunzeln, jedoch entging mir nicht Kians vielsagender Blick.

Nachdem ich mein Handy von Shawn zurückbekommen hatte und es wieder in der Tasche meines Mantels verschwunden war, umarmte ich Kian und wank Shawn zu. Für eine Umarmung war es eindeutig noch zu früh.

Shawn kniete sich zu Charlotte herunter und reichte ihr seine große Hand, in der ihre kleinen Kinderhände fast verloren gingen.

„Tschüss Charlotte. Es war schön dich kennenzulernen. Ich wusste schon von Dir als du noch ganz klein warst und im Bauch deiner Mutter gewesen bist." Sie schaute verwirrt in sein Gesicht, zuckte dann aber gleichgültig mit den Schultern und nickte. „Okay.... Tschüss Shawn."

Shawn stellte sich wieder hin und lächelte mir kurz und knapp zu. Kian öffnete die Tür für uns und Shawn ließ Charlotte und mir den Vortritt. Draußen kamen uns dicke Schneeflocken entgegen und kalter Wind wehte uns um die Nase.

Zusammen liefen wir zu den einzigen zwei Autos, die auf dem kleinen eingeschneiten Schotterparkplatz standen. Sein Jeep Wrangler und mein Range Rover Velar. Komisch, dass er sich kein neues Auto gekauft hatte. Eins was zu seinem großen Vermögen passte.

Charlotte blieb plötzlich stehen, ließ meine Hand los um die Arme zu verschränken und zog ein trotziges Gesicht. Verwirrt blieben Shawn und ich stehen und schauten zu ihr herunter.

„Wo ist dein Pferd, Shawn?!" trotzig stampfte sie in den Schnee der ein knirschendes Geräusch von sich gab. Ihre kleinen Winterstiefel waren komplett in der Schneeschicht versunken.

„Mein Pferd?" verwundert schaute er erst Charlotte an und dann mich.

„Ja, dein Pferd. Emmi meinte, dass sie keinen Freund hat weil ihr Traumprinz nicht auf einem Pferd kommt, sondern mit einer Schildkröte. Aber du bist jetzt da, eine Stunde später. Also, wo ist dein Pferd? So schnell ist eine Schildkröte doch gar nicht."

Ich knetete beschämt meine Schläfen und nahm wieder ihre Hand. Als ob die Welt auf einmal Kopf stehen würde rührte sie sich keinen Millimeter und blieb stehen.

„Was denn? Shawn ist dein Traumprinz! Du hast es wahrscheinlich nur noch nicht gemerkt." Mit rot angelaufendem Gesicht schüttelte ich mit dem Kopf. Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Vor Shawn? Hilfe, das konnte doch echt nicht wahr sein.

Lautes Lachen aus Richtung Café schallte uns entgegen. Kian stand mit Geschirrtuch auf der Schulter immer noch im Türrahmen gelehnt. Er hatte alles mitbekommen.

„Es ist schon ein bisschen traurig, dass eine vierjährige besser Bescheid weiß als ihr." Ich warf ihm einen bösen Blick zu und vermied es immer noch Shawn anzusehen. Ich wollte gar nicht wissen wie er wohl gerade aussah. Stimmte er Charlotte und Kian zu oder war ihn die Situation genauso unangenehm wie mir?

„Komm süße, Ella und Lorenzo warten bestimmt schon auf uns." Als ich etwas an ihrer Hand zog, lief sie zum Glück weiter.

„Tschüss Kian." Ich wank ihm zu und öffnete die Beifahrertür, wo ich Charlotte in den Kindersitz hin und sie anschnallte. Als ich die Tür zugemacht hatte, stand Shawn immer noch vor seinem Auto.

„Tschüss Emilia. Wir sehen uns morgen." Ich nickte ihm zu und wir stiegen gleichzeitig in unsere Autos, machten den Motor an und Shawn ließ mir den Vortritt den Parkplatz als erstes zu verlassen.

—・—・—・—・—・—・—
ITS MY BIRTHDAY 🥳🥳❤️

Es tut mir so leid, dass so lange kein Kapitel kam, aber im Moment war echt so viel los bei mir! Ich hatte wirklich keine Zeit dieses Kapitel noch einmal zu überarbeiten bevor ich es hochlade, deswegen kommt es erst jetzt.

Hab euch lieb und wünsche euch einen wunderschönen, sonnigen Samstag 🤗

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top