Ein unbekannter Feind

»Und du möchtest wirklich keinen Flammenwerfer?«, fragte Anthony.

»Nein«, meinte Val nur.

Ihm antwortete ein leises Seufzen. Das Blitzen neben ihm stellte sich ein. »Dann kannst du wieder schauen.«

Val wandte sich in Richtung des Mechanikers. Er drehte seine linke Hand und begutachtete das Werk. Ihm glänzte weißer Knochen entgegen. Zeige- und Ringfinger waren durch Messing mit der restlichen Hand verbunden und die Kuppe seines kleinen Fingers, die er sich erst am Morgen abgebrochen hatte, nun ebenso.

»Hält es?« Anthony klappte sein Visier mit den tausenden Lupen hoch und neigte den Kopf, um seine Arbeit zu prüfen.

Val bewegte den kleinen Finger und ließ ihn mit jedem der anderen Kuppen zusammenklicken. Bei dem Geräusch lief ein kalter Schauer über seinen Rücken, aber er hielt das Schütteln, das ihn packen wollte, zurück. »Alles perfekt«, sagte er.

Eine kleine weiße Lichtkugel, die über der knöchernen Hand schwebte, kehrte an Anthonys Seite zurück, sodass die grauen Strähnen in seinem dunklen Haar und dem Schnauzbart nun silbern schimmerten. Er nahm sie und steckte sie in das Visier. Fast augenblicklich erlosch es und ließ nur die warmen Flammen der Kerzen zurück.

»Da du schon mal hier bist«, ergriff Anthony wieder das Wort. »Du hast doch sicherlich Zeit für einen kleinen Auftrag, nicht wahr? Es ist auch wirklich nur etwas ganz Einfaches. Du musst nur ein Paket ausliefern.«

Val hob eine Augenbraue. »Wo ist der Haken?«

»Gibt keinen.«

»Wenn du es so leicht klingen lässt, dann gibt es einen.«

Anthony fuhr sich durch die Haare. »Es ist weniger ein Haken, aber vielleicht eine kleine ... Besonderheit.« Er sprach weiter, bevor Vals Augenbraue noch höher an seiner Stirn hinaufklettern konnte. »Mich hat vor Kurzem ein Neuling angefragt, der erst seit einigen Tagen in der Stadt ist und gern in das Geschäft einsteigen würde. Und er ist wirklich ein Welpe. Es würde mein Gewissen beruhigen, wenn du ihn bei seinem ersten Auftrag begleiten würdest, damit er nicht sofort stirbt.«

Dahin waren Vals Pläne, den restlichen Abend mit einer Tasse Tee auf seiner Couch zu sitzen und ein Buch zu lesen. »Na gut«, sagte er und seufzte leise. »Ich übernehme es.« Dann könnte er in der Nacht wenigstens beruhigt und mit dem Gedanken schlafen, dass er keinen Welpen dem sicheren Tod überlassen hat.

»Danke«, sagte Anthony. »Sein Name ist Kaiton und ...« Er wischte sich die öligen Hände an einem Tuch ab und holte eine Taschenuhr aus seiner Weste. »Er müsste auch gleich hier sein.«

Keinen Moment später dröhnte ein Klopfen durch die Wohnung. »Das wird er sein«, sagte der Mechaniker. »Lass ihn doch schon mal hinein, während ich hier aufräume.«

»Wie du willst«, antwortete Val und erhob sich von dem Hocker – wenn man diesen noch als solchen bezeichnen wollte. Löcher spickten den Stoff und mehrere Abschürfungen und Einkerbungen waren in das Holz geschlagen. Die Federn hatten sich durch die Polsterung gebohrt und damit auch in den Unglücklichen, dem dies als Sitzmöglichkeit angeboten worden war – in diesem Fall Val.

Er verließ die Kammer und betrat den Hauptraum. An der einen Seite lag die Küche im Dunklen, denn die Öllampe auf dem Esstisch spendete nur weniges Licht.

Schatten tanzten an ihm vorbei, als er zu der Tür trat und sie öffnete. »Du bist Kaiton?« Er stockte, als er einen Blick auf den Neuankömmling warf.

Unter einem langen, flickenbesetzten Mantel war seine Gestalt verborgen. Die Krempe seines Hutes warf einen Schatten über sein Gesicht und versteckte einen Teil der Narbe, die sich von seiner Stirn aus bis zum unteren Ende der rechten Wange zog. Eines seiner Augen blickte Val grau an, das andere war in mattes Rot getaucht.

»Der bin ich«, sagte Kaiton und nickte ihm zur Begrüßung zu. »Guten Abend, Anthony erwartet mich.«

Kälte packte Vals Herz und grub ihre Finger in sein warmes, schlagendes Fleisch. Sie schickte leichte Taubheit in seine Fingerspitzen, die daraufhin schmerzten, als würde jemand tausende Nadeln in sie stechen.

Bitterkeit legte sich auf seine Zunge und ehe er ganz wahrnehmen konnte, was geschah, bewegte sich sein Körper. Das nächste, das er bemerkte, war Kaiton, der zurücktaumelte, und seine eigene Hand, die er so fest zur Faust geballt hatte, dass sie zitterte.

»Es tut mir so leid«, sagte Anthony und gab Kaiton einen Stofffetzen, mit dem er sich das Blut von der Lippe wischte. »So kenne ich ihn gar nicht. Eigentlich ist er wirklich zahm.« Er warf Val einen finsteren Blick zu. »Was zur Hölle ist in dich gefahren?«

Val hatte sich ein wenig abseits mit verschränkten Armen gegen die Wand gelehnt und beantwortete die Frage nur mit einem leisen Murren. Hauptsächlich, da er keine Antwort wusste.

Durch die Kälte, die sich weiterhin in sein Herz fraß, bohrte sich ein Gedanke: Eigentlich gab es keinen Grund, weshalb er so gehandelt hatte, weshalb sich jedes Mal, wenn er einen Blick auf ihn warf, Bitterkeit in seinem Mund ausbreitete. Misstrauen war zwar gut, aber dieser Hass ungerechtfertigt.

»Alles gut«, sagte Kaiton. Den Hut hatte er neben sich auf den Tisch gelegt und sein rotes Auge glühte in unregelmäßigen Abständen auf. »Ich habe ihn wohl einfach erschreckt.« Er fuhr sich durch die kurzen Haare. Obwohl er nicht älter als dreißig wirkte, waren sie mit grauen Strähnen gespickt.

Er warf Val einen Blick und ein entschuldigendes Lächeln zu, aber Val stieß nur ein Schnauben aus. Dafür erhielt er ein erneutes finsteres Anfunkeln von Anthony.

Der Mechaniker zog einen Stuhl zurück und setzte sich zu Kaiton an den Tisch. »Ich werde es später klären«, sagte er. »Das ist Val.« Er machte eine Handbewegung zu ihm. »Ich hatte dir schon von ihm erzählt. Mit diesem Sonnenscheinchen darfst du heute zusammenarbeiten, aber da er offenbar allen Sinn für Höflichkeit verloren hat, ist er nicht der angenehme Zeitgenosse, als den ich ihn vorgestellt hatte.«

Val schnaubte nur erneut.

»Aber er kann sehr konstruktive Sachen beitragen, wie du siehst. Und er wird dafür sorgen, dass du sicher bist ... denke ich.«

Val stieß sich von der Wand ab und stemmte beide Hände auf den Tisch. »Du hast mir immer noch keine Details genannt.« Er wollte dieses Treffen so schnell wie möglich auflösen. Gegen Anthonys Anwesenheit hatte er zwar nichts einzuwenden, aber allein die wenigen Schritte, die er Kaiton nahegekommen war, reichten aus, dass seine Fingerspitzen erneut kribbelten und seine Hände sich zu Fäusten ballen wollten.

»Du kannst so unausstehlich sein«, meinte Anthony. »Aber gut, du hast recht. Ihr beiden dürft ein Päckchen zu der Trengrove-Familie bringen.«

»Zu den Trengroves?« Vals Brauen hoben sich.

»Du verstehst jetzt, warum ich möchte, dass du dabei bist? Sie werden euch sicherlich hineinlassen, wenn ihr sagt, dass ihr von mir kommt, aber ich weiß nicht, ob sie euch auch einfach so wieder gehen lassen werden.«

Val richtete sich wieder auf. »In Ordnung. Gib das Paket her, damit wir es hinter uns bringen können.« Er durchsuchte seine Taschen nach einem Haarband und band seine Locken zusammen. Bei diesem Auftrag hieß es, schnell zu sein und keine Fehler zu machen.

»Kaiton bekommt es.«

»Was?« Val hielt inne.

»Ich möchte, dass du die Hände frei hast, sollte es zu ... unvorhersehbaren Komplikationen kommen.«

»Mit der Lieferung oder meiner Hand?«

»Beidem«, sagte Anthony. »Und jetzt schmoll nicht so. Ich würde dir auch die Urne meiner Großmutter nicht geben.«

»Aber einem Fremden?«, fragte Val und ruckte sein Kinn in Kaitons Richtung.

Anthony hob die Schultern. »Er wirkt vertrauenserweckend.«

Kaiton hatte zwischen den beiden hin und her gesehen und nun, da die Blicke der beiden auf ihm lagen, lächelte er unsicher. Doch irgendetwas an diesem Lächeln schien Val falsch. Vielleicht war es auch nur die Art, wie das Licht der Öllampe in sein Gesicht fiel.

»Ich hole kurz das Paket.« Anthony erhob sich. »Und ich vertraue darauf, dass er gleich noch in einem Stück am Tisch sitzt.«

Val antwortete ihm nicht. Er beobachtete den Mechaniker stumm, als dieser den Raum durch eine Tür verließ, hinter die er selbst noch nie getreten war. Er hatte nie versucht, diese ungeschriebene Grenze zu überschreiten, denn letztlich wusste er, dass jeder irgendwo Leichen versteckte. Wegen diesen sollte er kein Drama machen.

»Es tut mir leid, falls ich etwas falsch gemacht und dich erzürnt habe«, durchbrach Kaiton die Stille des Raumes. »Ich hoffe, dass es – was auch immer es war – nicht dem Auftrag im Wege steht und anschließend können wir wieder auseinandergehen, wenn du mir nicht verzeihen kannst.«

Vals Brust hob sich in einem lautlosen Seufzer. Der Neuling klang wirklich nach einem Welpen. Würde sein Bauchgefühl ihm nicht weiterhin sagen, dass Kaiton nichts Gutes zu bedeuten hatte, täte es ihm vielleicht sogar leid, ihn so unvermittelt geschlagen zu haben.

Die Tür öffnete sich und Anthony kehrte zurück. In seinen Armen eine flache Kiste, die nur mit rostigen Nägeln zusammengehalten wurde. Er legte sie auf den Tisch und schob sie Kaiton zu.

»Ich vertraue darauf, dass sie sicher bei den Trengroves ankommt«, sagte der Mechaniker. »Und darauf, dass keiner von euch beiden das Paket öffnet.« Mit mehr Ernst als Val von ihm gewöhnt war, sah er erst ihm selbst, dann Kaiton in die Augen und gab sich erst zufrieden, als er von beiden ein Nicken erhielt.

»Sehr gut«, sagte er. »Und nun los mit euch. Ihr solltet bis Sonnenaufgang dort sein.«

»Bevor wir aufbrechen«, ergriff Kaiton das Wort, »könntest du vielleicht einmal mein Auge prüfen? Seit dem Schlag kann ich kaum mehr etwas erkennen.«

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