Blut und Eisen II

Als er wenig später aus dem Bad trat, hatte sich Kaiton bereits umgezogen. Diesmal trug er ein Hemd, das nur aus Flicken bestand, und dieselbe Hose wie am Vortag. Seine Füße steckten wieder in Stiefeln.

Er hatte sein Bett als Sofa zusammengeklappt und sich darauf gesetzt, beide Beine überschlagen mit einer Miene wie eine Maske aus Finsternis.

Der Geruch von frischem Kaffee füllte den Raum an. Die Quelle entpuppte sich als eine Tasse in Kaitons Hand. Er deutete auf den Tisch und eine weitere Tasse. »Für dich«, meinte er knapp.

Val nahm sie. »Hast du einen Plan für heute?«, fragte er und lehnte sich gegen die Wand. Kaiton hatte vermutlich in der Nacht schon zu viel seiner Nähe für einen Tag ertragen müssen.

»Ich habe einige Ideen«, meinte Kaiton. »Ob du es einen Plan nennen willst, bleibt ganz dir überlassen.«

Val hatte schon erwartet, dass es keinen wirklichen Plan gab, doch es machte seine Aussichten, in die Residenz des Kaisers zu spazieren, nicht unbedingt rosiger.

»Gestern war ich erneut bei den Trengroves und fand ...« Kaiton kramte in seiner Hosentasche. »Ich fand dies.« Er hielt einen Ring aus ineinanderverschlungenen Zahnrädern in die Höhe. »Das kann uns Zugang in die Oberstadt beschaffen.«

Val beäugte den Ring nur und nahm einen Schluck aus seiner Tasse.

»Von da an werden wir improvisieren müssen. Aber du meintest, du hättest Erinnerungen aus der Sicht eines Senators?« Das Lächeln auf Kaitons Lippen hätte man fast als freundlich bezeichnen können, läge nicht der Schatten über seinem Blick. Nur das kurze rote Aufglühen löste die Dunkelheit für einen Moment auf.

Doch Val konnte nicht anders, als dieses Lächeln zu erwidern, trotz des Gefühls, das Kaiton ihn für irgendwas benutzen wollte.

»Heißt das, du kennst dich in der Residenz des Kaisers aus?«, fragte Kaiton.

»Es sind immer nur kurze Episoden«, antwortete Val. »Aber einmal war ich bei Aetherion.«

»Hm.« Kaiton strich sich über das Kinn. »Wie heißt der Senator?«

»Matthew Brigham.«

Kaitons Augenbrauen hoben sich leicht. »Brigham ist vor fünfzig Jahren gestorben.«

»Weißt du noch mehr über ihn?« Val selbst hatte nicht über Matthew nachgeforscht. Er hatte eigentlich gehofft, dass die Träume wieder aufhören würden.

»Nicht viel. Es heißt, er war der treuste Vasall des Kaisers, bis er von seinem besten Freund verraten wurde. Die genauen Umstände sind mir aber unbekannt.«

»Verraten?«, fragte Val. »Von seinem besten Freund ...?« Er sah die blauen Augen Wills vor sich, das unergründliche Meer mit den vielen kleinen Eiskristallen. »Wie hieß er?«

Kaiton zuckte mit den Schultern. »Irgendwas mit N, glaube ich.«

Dann war es nicht Will. Val stieß den Atem, den er angehalten hatte, wieder aus.

»Weißt du, woher diese Erinnerungen kommen?«, hakte Kaiton nach und lehnte sich vor.

Val schüttelte den Kopf. »Sie sind vor einigen Tagen einfach aufgetaucht und seitdem nicht mehr ganz verschwunden.«

»Und du hast den Kaiser aber bereits einmal gesehen? Man sagt, er sei ein Engel. Jede Form von Technologie sei ihm entsprungen.« In Kaitons Blick lag Neugierde, doch gleichzeitig auch etwas anderes, etwas Düsteres. Er würde jedes Wort aufsaugen und im Zweifel gegen Val verwenden.

Niedlich.

Der Gedanke war Val gekommen, ehe er ihn zurückschieben konnte. Nun schwebte das Wort vor ihm und er wusste nicht ganz, was er davon halten sollte.

»Ich sah ihn«, sagte er, »aber mit einem Engel hatte er kaum Gemeinsamkeiten.«

Kaiton neigte den Kopf und musterte ihn nur stumm.

»Aetherion ist eine Maschine«, erklärte Val.

»Die Senatoren leiten eine Maschine?«

»Ich weiß nicht, wie es jetzt aussieht, aber zu Matthews Zeiten hat der Kaiser die Senatoren geleitet.«

Kaiton nickte nur langsam. Seine Miene zeigte keine Reaktion auf die Nachricht, die er soeben erhalten hatte. »Wir sollten aufbrechen«, sagte er. »Doch zuvor ... Ich habe mit Sam gesprochen. Und sie hat einem Duell zugestimmt.«

Kaiton hatte sich an diesem Tag keinen Hut aufgesetzt, sodass der leichte Regen sich an seine grauen Haare heftete und eine dünne glänzende Schicht hinterließ. Er stand zwischen Val und Sam, einige Schritte Abstand zu jeder Seite und die Hände in die Manteltaschen gesteckt.

Sie waren in eine ruhige Gasse gegangen, in der sie hoffentlich nicht unterbrochen wurden, nur einige Ecken von der Spelunke entfernt.

»Du hast einen Fehler zu verantworten, Sam«, sagte Kaiton. »Und für diesen Fehler wirst du geradestehen.«

»Du willst mich also wirklich ausliefern?«, fragte Sam.

»Du hast dich selbst ausgeliefert.« Kaitons Ton war zu ruhig, zu nüchtern. »Ihr dürft wählen zwischen einem waffenlosen Kampf oder einem Kampf mit Degen. Ich will keine Schusswaffen und Val, du nutzt deinen Haken nicht.«

»Mit Degen«, sagte Sam schnell.

Val nickte. Ihm wäre zwar ein waffenloser Kampf lieber gewesen, denn er übertrumpfte Sam weit an Körperkraft, aber er würde sich ihr anpassen. Er konnte sich glücklich schätzen, dass ihm dieses Duell überhaupt vergönnt war.

»So sei es«, sagte Kaiton. »Ein Kampf auf Leben und Tod.« Er trat zwischen den beiden hervor. »Denn es heißt, ein Leben kann nur mit einem Leben vergolten werden. Ein Tod nur mit einem Tod. Es steht Euch zu, als Sieger den anderen zu begnadigen, doch nicht, als Unterlegener um Gnade zu flehen. Verstanden?«

Beide nickten.

»Und Val«, ergänzte Kaiton, als er sich einige Meter hinter ihn stellte und sich damit aus der Gefahrenzone begab, »ich brauche dich heute noch, also verausgabe dich nicht zu sehr.«

Sam stieß ein Knurren aus, aber Kaiton beachtete sie nicht.

»Zieht eure Degen«, sagte er.

Val legte eine Hand an den Griff seiner Klinge und zückte sie. Er war zwar kein schlechter Kämpfer, doch meistens nutzte er seine Fäuste. Es ging schneller und war nicht selten ebenso effektiv wie ein Degen. Zumindest gegen diejenigen, die ihm normalerweise gegenüberstanden.

Gegen Sam hatte er schon einmal gekämpft. Sie war schnell, wendig, aber hinter ihren Angriffen steckte kaum Kraft. Das musste er zu nutzen wissen.

»Kämpft«, meinte Kaiton als Startsignal.

Sam ließ keinen Augenblick verstreichen, da hastete sie los. Der Degen blitzte auf, spaltete Regentropfen, doch Val wich zurück und entging der Klinge.

Seine Gegnerin setzte nach. Diesmal hob er die Waffe, um ihren Angriff zu parieren.

Er griff mit der Knochenhand nach der Klinge – immerhin hatte Kaiton nur von dem Haken gesprochen, aber nicht gesagt, dass er die Knochenhand nicht einsetzen dürfte. Sam erkannte sein Vorhaben zu schnell und zog den Degen zurück.

Nun war es Val, der nachsetzte. Fast schienen Funken zu stoben, als Metall auf Metall traf. Das kurze Glühen wurde jedoch sofort von dem Regen gelöscht. Er holte mit der anderen Hand aus und rammte seine Faust in ihre Rippen.

Sie krümmte sich, aber ehe er seinen Degen aus der Parade befreien konnte, war sie schon einige Schritte zurückgewichen.

Düsternis glomm in ihren Augen auf und prophezeite ihre Handlung. Sie ließ den Degen fallen – Val wollte schon auf sie zutreten und das Duell beenden. Doch sie griff hinter sich und hielt ihren Revolver in der Hand.

Val fror in der Bewegung ein.

»Sam«, fuhr Kaitons Stimme durch die Gasse. Er ging einen Schritt auf sie zu, aber sie richtete den Lauf auf ihn, sodass er innehielt.

»Das ist doch Mist«, rief sie. »Mich hier auszuliefern. Es ist offensichtlich, dass du auf seiner Seite bist und dass du möchtest, dass er mich ausschaltet.«

Zuvor war Kaitons Blick schon kühl gewesen, doch nun verdüsterte er sich weiter. »Du hast dem Duell zugestimmt.«

»Weil du, als du mit mir gesprochen hast, zumindest geheuchelt hattest, dass du mich nicht verlieren willst. Aber jetzt ...« Sie schüttelte den Kopf und eine tiefe Furche entstand zwischen ihren Brauen. »Bleib stehen!«

Kaiton hatte sich einen Schritt auf sie zubewegt, kam nun aber der Forderung nach. Er konnte nicht schneller seine Waffe ziehen und abdrücken, ehe sie auf ihn geschossen hatte. Nicht, solange sie auf ihn achtete.

Val ballte seine Knochenhand zur Faust. Er wäre auch zu langsam, denn Sam hatte zu viel Distanz zwischen ihnen aufgebaut. »Was willst du?«, fragte er sie. »Wenn du mich hättest umbringen wollen, dann hättest du schon geschossen.«

Ihre Augen flackerten zu ihm. Diesen Moment nutzte Kaiton. Er zog seinen Revolver und ein Knall hallte durch die Gasse.

»Ein Leben für ein Leben.« Eine Gestalt in schwarzem zerfledderten Mantel war zwischen ihnen und Sam aufgetaucht. Der Hut verbarg sein Gesicht, aber die Krähe auf seiner Schulter verriet, um wen es sich handelte. Eine Hand hatte er erhoben und zur Faust geschlossen. »Und ein Tod für einen Tod.«

Der Krähenmann öffnete seine Faust und eine Kugel klirrte auf den Stein. »Ein Grundsatz, der noch nie Probleme bereitet hat, nicht wahr?« In jedem Wort schwang ein höhnischer Ton mit. »Ein Unrecht ist begangen worden, doch Unrecht wächst, wenn es mit Unrecht vergolten würde.«

Val biss die Zähne zusammen. Was machte der Krähenmann hier? Und wie hatte er einfach so auftauchen, wie die Kugel fangen können?

»Schert Euch fort«, befahl Kaiton. »Dies ist nicht Euer Kampf und Ihr seid mir im Weg.« Er lud den Revolver nach und zielte erneut.

»Der Lordling hat Wichtigeres zu tun, als sich mit dem Plebs zu befassen«, sagte der Krähenmann und der Hut drehte sich in Kaitons Richtung. Schwarze Augen blitzten unter der Krempe hervor. »Darum geht. Und fordert mich nicht heraus.«

Kaiton schnaubte und wandte sich ab. »Wir verschwinden«, sagte er und setzte sich in Bewegung.

Val blieb noch einen Moment. »Warum?«, fragte er an den Krähenmann gerichtet. »Das hier ist nicht Eure Angelegenheit.«

Der Angesprochene neigte den Kopf. »Der Tod wird keinen Tod nichtig machen«, sagte er. »Aus Tod entsteht kein Leben und kein Leben kann durch einen Tod gerächt werden.«

Val verengte die Augen. Sicher, er kannte sein Gegenüber noch nicht lang, doch er war ihm nie wie ein rechtschaffener Mann vorgekommen.

»Geht«, sagte der Krähenmann. »Wenn wir einander wiedersehen, dann werdet Ihr vielleicht verstehen.«

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