6. Kapitel
Die dritte Nacht in Hogwarts war eine Vollmondnacht. Es war bekannt, dass viele Leute bei Vollmond schlechter schliefen, als sonst. Entweder das Licht störte sie oder sie machten sich selbst mit dem Aberglauben verrückt, aber Tia schlief bei Vollmond überhaupt nicht.
Schon seit sie ein Baby war, so hatte ihre Großmutter erzählt, schlief sie jede Nacht ruhig und ohne Probleme ein, außer ein Vollmond stand am Himmel. Dann würde sie einfach wach und munter bleiben und keine Anzeichen von Müdigkeit zeigen, bis zum nächsten Morgen.
Als Tia noch zu Hause gewesen war und sie von ihrer Großmutter unterrichtet worden war, hatte diese es verstanden, wenn sie den Morgen danach verschlafen hatte, aber natürlich war das in Hogwarts nicht mehr möglich, was sie nicht daran hinderte, in dieser Nacht kein Auge zu zubekommen.
Sie versuchte es, wirklich, aber es gelang ihr einfach nicht. Sie fühlte sich auch nicht müde – eigentlich fühlte sie sich ziemlich gestärkt.
Es war nach Mitternacht, als sie beschloss, dass es keinen Sinn machte, weiterhin so zu tun, als würde sie schlafen und sie stand auf. Bis jetzt hatte sie es vermieden, in der Nacht den Turm zu verlassen, aber in dieser Nacht packte sie die Neugier und sie wollte einfach ganz spontan das Schloss in der Nacht sehen.
Sie schlich sich aus dem Schlafsaal und achtete darauf, dass sie ihre Schritte immer dann auf den leicht knarzenden Boden setzte, wenn Leanne gerade besonders laut schnarchte und so brauchte sie ziemlich lange, bis sie die Treppen hinunterschleichen konnte.
Der Gemeinschaftsraum war vollkommen still und verlassen, aber das Feuer prasselte noch immer im Kamin.
Tia kletterte durch das Portraitloch und sah noch, wie die Fette Dame ihr vorwurfsvoll hinterherblickte, aber von anderen Schülern hatte sie erfahren, dass sie noch nie einem Lehrer verraten hatte, wenn ein Schüler in der Nacht den Turm verlassen hatte.
Bei Nacht war es im Schloss ganz anders. Keine anderen Schüler gingen zu ihren Stunden, niemand zauberte trotz Verbot auf den Gängen, keine Lehrer waren unterwegs und nicht einmal die Geister von Hogwarts waren zu sehen, aber Tia war sich sicher, dass sie irgendwo herumschweben mussten.
Tia machte nicht viel. Sie spazierte gemütlich, aber immer achtsam durch die Gänge und horchte auf jedes Geräusch. Sie fand es auch nicht wirklich dunkel im Schloss. Ihre Großmutter hatte immer gesagt, sie habe Augen wie ein Adler, weil sie selbst in dunkelster Finsternis noch immer recht viel sehen konnte.
Jetzt, wo Tia zurückdachte, war sie eigentlich ein ziemlich seltsames Kind gewesen, aber durch das, das sie noch nie mit anderen ihres Alters zu tun gehabt hatte, hatte sie sich noch nie mit jemanden vergleichen können.
Plötzlich vernahm sie zwei Paar Füße leise über den Boden schleichen. Es musste gleich um die Ecke sein und schnell versteckte Tia sich hinter einer Rüstung, aber als sie sah, dass kein Lehrer und auch nicht der Hausmeister Filch um die Ecke kamen, sondern nur Fred und George, die Zwillinge, die Tia bis jetzt schon ziemlich oft auf die Nerven gegangen waren, entspannte sie sich wieder ein wenig.
Sie schienen sie nicht bemerkt zu haben, was wohl bedeutete, dass sie keine so praktische Nachtsicht wie Tia besaßen, denn in der Eile hatte Tia sich wirklich schlecht versteckt und die beiden hätten sie schon sehen sollen.
Sie beschloss den beiden einen kleinen Streich zu spielen und begann Geistergeräusche von sich zu geben. „Huh! Huh!", heulte sie laut genug, damit die beiden es hörten, aber damit trotzdem kein Lehrer oder Vertrauensschüler alarmiert wurde.
Sofort stockten die beiden und sahen sich erschrocken um, aber natürlich sahen sie niemanden.
„Da war doch etwas", wisperte George misstrauisch und fragte dann etwas lauter, aber nicht zu laut in die Dunkelheit: „Ist da jemand?"
„Huh! Huh!", wiederholte Tia als Antwort und beiden erbleichten.
„Peeves? Bist du das?", fragte Fred leise, „Zeige dich!"
Zusammen schlichen sich die Zwillinge näher an Tias Versteck heran und gerade, als sie direkt an ihr vorbeigingen, sprang sie hervor. „Buh!"
Die beiden kreischten leise auf, rissen sich aber schnell zusammen und sahen sich um, um zu sehen, ob jemand von ihrem Geschrei alarmiert geworden war, aber niemand kam.
„Bist du wahnsinnig?", wisperte George und hielt sich eine Hand ans Herz, „Uns hätte jemand hören können!"
„Ihr solltet euch wohl ein bisschen mehr Mut zulegen, wenn ihr schon vor mir so große Angst habt", bemerkte Tia.
„Es ist mitten in der Nacht – was machst du hier draußen?", fragte Fred sie und sah sich um, wohl noch immer unsicher, ob noch jemand kommen würde, aber Tia hörte niemanden näherkommen.
„Dasselbe könnte ich euch fragen", Tia verschränkte die Arme vor der Brust, „Ist es nicht Zeit fürs Bettchen?"
„Wir haben noch einen Termin in der Küche gehabt", antwortete George ihr, „Und jetzt du!"
„Ich kann nicht schlafen, also habe ich beschlossen, das Schloss zu erkunden", antwortete Tia ehrlich.
„Du hast wirklich Probleme", bemerkte Fred.
„Allein im Schloss mitten in der Nacht herumzuwandern", fügte George hinzu.
„Ein Lehrer hätte dich erwischen können", führte Fred fort.
„Oder noch schlimmer – Filch. Nachsitzen bei ihm ist alles andere als nett!", beendete George.
„Ich finde das ja süß, dass ihr euch um mich sorgt, aber glaubt mir – ich komme gut zurecht. Ich denke, das habe ich bewiesen, indem ich euch beide erschreckt habe", Tia sah die beiden überheblich an.
„Wir haben uns nicht erschrocken", verteidigte sich Fred sofort.
„Wir waren höchstens ein wenig überrascht", stimmte George seinem Zwilling zu.
„Und deswegen habt ich auch so geschrien, wie ein Haufen verängstigter, kleiner Jungen", Tia nickte, „Alles klar..."
„Hey, wir haben nie behauptet, dass –"
Plötzlich hörte Tia Schritte näherkommen und sofort legte sie ihre Hände über die Münder der Zwillinge, die gar nicht begeistert davon schienen.
„Shh", zischte Tia und horchte, „Ich höre jemanden kommen – aus dieser Richtung."
George entfernte ihre Hand und horchte selbst. „Ich höre nichts", bemerkte er leise, aber Tia wusste, was sie hörte und wartete erst gar nicht auf die beiden, sondern drehte sich auf den Fersen herum und ging leise zurück zum Gryffindorturm, immer achtsam horchend.
Die Zwillinge sahen sich einen Moment ratlos an, bevor sie ihr ebenso leise folgten, obwohl sie nichts gehört hatten.
Tia ging weiter den Gang entlang, bis sie wieder etwas hörte und urplötzlich und ohne Vorwarnung stehenblieb, sodass George einfach in sie rannte.
Tia warf ihm einen bösen Blick zu, bevor sie abbog und in eine andere Richtung weiterging.
„Wir müssen irgendwie wieder zurück in den Turm, ohne die Hauptgänge zu benutzen – Mrs Norris patrouilliert dort gerade und von der anderen Seite von Filch."
„Und das hörst du alles einfach so?", fragte George vielleicht ein wenig beeindruckt.
„Nein", gestand Tia, „Filch riecht man schon von Weitem – riecht ihr ihn etwa nicht? Ich denke mir schon seit Schulbeginn, dass er immer wie Putzmittel und Staub zugleich stinkt, aber ich gehe lieber nicht näher auf die Gerüche von Lehrern und Schüler ein."
„Wonach rieche ich?", fragte George grinsend und Tia warf ihm einen genervten Blick zu, bevor sie ihm tatsächlich antwortete: „Nach Kaminfeuer und Wolle – verbringst du viel Zeit vor dem Kamin im Gemeinschaftsraum?"
„Krass", wisperte George beeindruckt.
„Hast du diese Super-Sinne schon lange?", fragte Fred und versuchte dabei, eher uninteressiert zu klingen.
„Super-Sinne? So habe ich es noch nie gesehen", gestand Tia, als sie die beiden einen anderen Gang entlangführte. Sie horchte an den Wänden, bis sie an einen Vorhang kam, hinter dem ein hohles Geräusch erklang, wie ein Tunnel.
„Hier ist es", jubelte sie leise und zog den Stoff zur Seite, um tatsächlich einen weiteren Gang zum Vorschein zu bringen, „Der hier führt uns schon einmal in den siebten Stock."
„Woher weißt du das?", fragte George leise.
„Ich habe gestern bemerkt, dass hinter einem anderen Vorhang, der dieselbe Farbe hat, wie dieser ein Gang ist, wie dieser hier. Die Logik verlangt, dass die Gänge miteinander verbunden sind – außerdem höre ich durch diesen Gang die Fette Dame ihre Stimmübungen singen."
Fred und George horchten, aber nach wenigen Sekunden zuckte sie beide mit den Schultern.
„Ich höre nichts", gestand Fred, und Tia verdrehte die Augen, bevor sie einfach an ihnen vorbei als erste in den Tunnel ging, der tatsächlich über Steintreppen nach oben zu führen schien.
Fred und George folgten ihr trotzdem und als Tia am anderen Ende tatsächlich einen Vorhang zur Seite schob und jetzt auch Fred und George die Fette Dame hörten, konnten nicht einmal die beiden behaupten, dass Tia nicht besonders gute Sinne besaß.
„Wirklich krass", murmelte Fred, aber Tia achtete nicht weiter auf die beiden, sondern schritt geradewegs auf die Fette Dame zu und sagte zu ihr: „Drachenei."
„Auch endlich müde?", fragte die Fette Dame bissig, schwang aber trotzdem zur Seite und ließ Tia durch. Fred und George folgten ihr, bevor das Gemälde wieder zu schwingen konnte und im Gemeinschaftsraum sahen sich die Zwillinge an, als würden sie eine geheime Unterhaltung führen.
„Wollen wir darüber reden, was das gerade für abgefahrene Fähigkeiten waren?", fragte George, als sich Tia auf einen Sessel nahe dem Kamin niederließ.
Sie überlegte kurz und sagte dann kurz und knapp: „Nö."
„Nö?", wiederholte Fred, „Was für ein Wesen bist du, dass du einfach so außergewöhnlich gut hören kannst und riechen... und vermutlich auch sehen?"
„Ich verrate euch beiden doch nicht mein Geheimnis", schnaubte Tia, „Und wenn es euch nichts ausmacht – ich lege mich wieder schlaflos in mein Bett und meditiere vor mich hin. Gute Nacht."
Mit diesen Worten rannte Tia die Treppen zum Schlafsaal hoch und die Zwillinge konnten ihr nicht mehr folgen.
„Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, Georgie, aber irgendwie hat uns diese Tia jetzt schon drei Mal erwischt – irgendwie fühle ich mich nicht mehr wie der Herr der Lage", bemerkte Fred.
„Ich fühle mich, als hätte ausnahmsweise einmal jemand anderer die Fäden in der Hand", stimmte George ihm zu, „Und dieser jemand, ist sie. Es fühlt sich irgendwie seltsam an."
„Aber irgendwann kriegen wir sie schon noch – irgendwann erwischen wir sie und dann können wir uns wieder sicher sein, dass wir hier die Oberhand haben", beschloss Fred.
„Aber im Moment wäre ich wirklich für eine Runde Schlaf – Snape bringt uns morgen um", schlug George vor und sein Zwilling konnte ihm nicht widersprechen.
Dabei wussten sie gar nicht, was wirklich alles in Tia Fuego steckte.
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