43. Kapitel
Tia wanderte allein durchs Schloss und genoss die Ruhe.
Sie genoss nicht die erdrückende Stille, das Fehlen der Gerüchte von Lehrern und Schülern oder die Dunkelheit, die doch irgendwie leicht angsteinflößend war, obwohl Tia sehen konnte, aber sie genoss doch einmal einen Moment, in dem sie allein war.
Es war gerade so früh, dass es Schülern erlaubt war, ihre Betten zu verlassen, aber das tat keiner, der noch ganz richtig im Kopf war – außer Tia natürlich, die sowieso schon die ganze Nacht wach gewesen war und Hausaufgaben erledigt hatte, Zauber für Lupin gelernt hatte und auch ein wenig gezeichnet hatte.
Schließlich nach den Stunden war es ihr doch zu langweilig geworden und sie hatte sich aus Langeweile doch irgendwann aus dem Turm gewagt.
Zu Morgengrauen traf sie die Müdigkeit, wie ein fahrender Zug, aber sie konnte jetzt nicht mehr zurück ins Bett, weil es sowieso schon bald Zeit fürs Frühstück war. Es lohnte sich nicht mehr, noch eine Runde zu schlafen, da blieb Tia lieber wach und schlief dafür am Abend früher ein oder hielt ein Mittagsschläfchen in der Bibliothek.
Plötzlich, kurz nach Sonnenaufgang hörte sie Schritte, gefolgt von einem bekannten Geruch, sowie auch den metallischen Geruch von Blut.
Sie sah Lupin erst, als er um die Ecke ging und er sah schrecklich aus. Er trug alte Kleidung, aber trotzdem sah Tia, wie seine Arme aufgekratzt waren und ein Kratzer war tief genug, dass das Blut seinen Umhang dort rot färbte.
Vor Schreck blieben Lupin und Tia erschrocken stehen und starrten sich an, erwartungsvoll und abwartend, was der Gegenüber machen würde.
„Äh... Tara... guten Morgen", Lupins Stimme war heißer und er sah wirklich müde aus – beinahe so müde, wie Tia.
„Guten Morgen, Professor", meinte Tia fröhlich wie immer und beschloss, Lupins Auftreten zu ignorieren, „Sie scheinen ebenso schlecht geschlafen zu haben. Vollmondnächte sind die schlimmsten, oder?"
Lupin öffnete den Mund, um zu antworten, aber Tia ließ ihm keine Zeit dazu: „Was Sie jetzt brauchen, ist ein Stück Schokolade von meiner abuelita. Zum Glück habe ich eine da!"
Tia holte aus ihrem Umhang eine Tafel Schokolade hervor und reichte sie Lupin, der sie sprachlos entgegennahm.
„Sie können ruhig die ganze Tafel behalten – Sie sehen so aus, als könnten Sie sie brauchen", winkte Tia ab, „Meine Oma hat mir gerade erst wieder einige geschickt. Sie sendet mir immer so viel Schokolade."
„Äh... danke", stammelte Lupin.
„Keine Ursache", winkte Tia ab, „Aber jetzt gehe ich lieber zum Frühstück. Ich brauche eine gute, heiße Schokolade. Vielleicht sollten Sie auch eine trinken – die kann wirklich Wunder bewirken", schlug Tia vor, „Wir sehen uns beim Nachhilfeunterricht?"
„Äh... ja", meinte Lupin perplex und sah dabei zu, wie Tia fröhlich wie immer einfach weiterging, als wäre nichts passiert und Lupin lächelte.
Tia war schon etwas anderes, aber er musste ehrlich sein – er wusste nicht, ob sie einfach nur so unschuldig war, dass sie die ganzen Andeutungen, die von überall von Snape zugeschoben bekam nicht bemerkte, oder ob sie einfach so offen war, dass sie darüber hinwegsah, obwohl sie genau wusste, mit welchen Problemen Professor Lupin zu kämpfen hatte.
Remus war am letzten Tag vor den Ferien im Schloss unterwegs. Seine Gedanken waren bei verschiedenen Leuten, die bei ihm viel zu viele Fragen aufwarfen.
Natürlich war Harry Potter einer von ihnen. Der Junge, der lernen wollte, Dementoren entgegenzutreten. Er ähnelte seinem Vater wohl noch mehr, als er jemals gedacht hatte.
Als Harry ihm erzählt hatte, dass er jedes Mal, wenn er in der Nähe von Dementoren war, seine Mutter schreien hörte, konnte Remus nicht anders, als zuzustimmen, ihm den Zauber beizubringen.
Und dann war da noch seine andere Privatschülerin – Tara Fuego. Ihre Freundinnen nannten sie Tia, aber Remus war sich noch nicht sicher, warum. Tara war an sich schon ein kurzer Name, warum sollte man sich selbst auch noch einen Spitznamen geben, der doch eher wenig mit seinem Namen zu tun hatte? Aber er kannte sie auch noch nicht so lange, also konnte er das nicht wirklich beurteilen.
Vielleicht war er auch ein wenig froh darüber, dass er sie noch nicht allzu lange kannte, denn jedes Mal, wenn er etwas Neues über Tara erfuhr, verwirrte es ihn noch mehr und hunderte Fragen schwirrten ihm durch den Kopf.
Tara besaß das Aussehen einer Frau, die er vor langer Zeit kennengelernt hatte, aber ihre Augenfarbe – oder besser gesagt, die Farbe von einem ihrer Augen erinnerte ihn an etwas anderes, aber bisher konnte er noch nicht genau sagen, an was. Er wusste nur, dass dieses eine Auge ihn jedes Mal, wenn er sie ansah, verwirrte und er meinte wissen zu müssen, zu wem es gehörte.
Dann waren da noch andere Eigenschaften von Tara.
Ein gutes Gehör – aber nicht nur irgendeins, sondern eines, das anscheinend so ausgeprägt war, dass Professor Dumbledore in der Halloween daran gedacht hatte, dass sie vermutlich einen Schweigezauber um sich brauchte, um bei so vielen Leuten einzuschlafen.
Sie schien auch einen guten Geruchssinn zu besitzen, denn als Remus ihr einige Zaubertränke in den Nachhilfestunden beibringen wollte, obwohl er selbst eher wenig mit Zaubertränken zu tun hatte, hatte sie ihm versichert, dass sie überhaupt keine Probleme damit hatte, Tränke einfach so zu brauen. Sie „roch" gewisse Zustände des Trankes, was ihr erleichterte, die Zutaten zum richtigen Zeitpunkt hinzuzufügen. Deswegen hatte Severus sie auch gebeten, ihm beim Wolfsbanntrank zu helfen, obwohl Remus sich sicher war, dass er nur wollte, dass sie herausfand, dass er ein Werwolf war und es der ganzen Schule verriet.
Dann waren da noch die Vollmondnächte. Er hatte von Professor Dumbledore erfahren, dass Tara niemalsin Vollmondnächten schlief. Sie konnte einfach nicht einschlafen, egal, wie anstrengend der Vortag gewesen war und erst zum Morgengrauen überkam sie die Müdigkeit. Aber Dumbledore hatte ihm auch versichert, dass Tara kein Werwolf war, obwohl diese Angewohnheit erschreckend ähnlich der Verwandlung von Mensch zu Wolf war – nur eben ohne die Verwandlung selbst, sondern nur mit der Aktivität in dieser speziellen Nacht.
Ihr Sehverhalten war auch besonders. Lesen konnte sie hauptsächlich nur mit Brille, während sie Bewegungen so schnell wahrnahm, dass selbst Remus immer wieder erstaunt darüber war. In Duellen wäre sie bestimmt unschlagbar, wenn sie nicht so unglaublich schlecht in Zaubersprüchen wäre.
Nach der ersten Nachhilfestunde hatte Remus beschlossen, Aufzeichnungen über sie zu machen, um sich selbst vielleicht einen Reim darauf zu machen, was genau Tia war.
Professor McGonagall hatte ihn auch gebeten, ihr Bericht zu erstatten, da kurz vor Weihnachten für sie eine gute Zeit schien zu erfahren, wie es ihrer Schülerin eigentlich so ging und ob die Stunden ihr halfen.
Darum war Remus auch gerade auf dem Weg in Minervas Büro, aber er überlegte sich schon, was er ihr sagen sollte. Eigentlich ging es Tara gut. Sie lernte langsam, aber sie lernte und das, was sie einmal konnte, verlernte sie eher selten. Seit sie das erste Mal Protego gezaubert hatte, gab es kaum Momente, in denen sie es nicht mehr schaffte und das war ein gutes Zeichen für Remus – immerhin bedeutete das, dass es nicht nur Zufall war, ob sie den Zauber schaffte oder nicht.
Remus klopfte an Minnies Tür und trat gedankenverloren ein. Zu spät bemerkte er, dass Minerva wohl gerade einen Gast hatte, mit dem sie, wie Remus roch, Orangen-Salbei-Ingwer-Tee trank.
Remus Augen fielen auf den Besuch und sofort schrumpfte er zusammen, obwohl er sich nicht erklären konnte, warum.
Carlas sah den Mann einen Moment erstaunt an, bevor sie ihn erkannte und ihr verwirrter Blick wurde kalt.
Er sah älter aus (natürlich tat er das), als auch dem Foto, aber dennoch erkannte Carla ihn sofort – Remus Lupin.
Er hatte auch Ähnlichkeiten mit Tia, wie sie bemerkte und als er sie erblickte, erbleichte er, als würde er instinktiv wissen, dass Carla nicht gut auf ihn zu sprechen war.
Carla stand auf, aber Remus beeilte sich, zu Minerva zu eilen und stellte sich hinter sie, als würde er sich vor Carla verstecken (was er auch tat).
„Remus, was denken Sie, tun Sie da?", fragte Minerva verwirrt.
„Ich bin mir nicht sicher", gestand Remus, „Aber ich habe das Gefühl, als würde sie mich nicht mögen."
Und in diesem Moment sprang Carla auf und begann wütend in Spanisch zu schimpfen und zu fluchen. Remus hatte Spanisch ein wenig gelernt und er verstand nur ein wenig. Er hörte einige Namen heraus, aber diese ließen ihn nicht besserfühlen – Tia, Tochter, Eva...
Eva. Natürlich war Carla Evas Mutter. Eva, die Schönheit, die er kennengelernt hatte, als der Krieg alle in den Wahnsinn trieb und Sirius und er sich gegenseitig beschuldigten, Verräter zu sein. Es war eine Nacht in London gewesen, allein in einer Bar, um seine Sorgen zu vergessen, aber so schnell wurde Remus nicht betrunken, obwohl er selten trank. Es hing bestimmt damit zusammen, dass er ein Werwolf war und wieder einmal verwehrte seine Krankheit ihm etwas, das er sich wünschte. Eva war wunderschön gewesen, Remus hatte Ablenkung gesucht und das eine führte zum anderen.
„Carla, beruhigen Sie sich", bat Minerva sie ein wenig verwirrt und schien Remus auf einmal zu verstehen, warum er sich hinter ihr versteckte und ein wenig unsicher hinter ihr hervorblickte, „Können Sie erklären, was Professor Lupin Ihnen angetan hat?"
„Das mit Eva tut mir leid!", rief Remus versuchshalber, „Sie hat mir die falsche Adresse gegeben, sonst hätte ich mich wieder gemeldet! Wirklich!"
„Wer ist Eva? Was geht hier vor?", fragte McGonagall, die von dem Chaos in ihrem Büro überhaupt nicht begeistert war, „Warum setzen wir uns nicht alle einfach hin und besprechen das in Ruhe – was auch immer „das" ist."
„Natürlich ist er ein Zauberer! Warum denn auch nicht!", rief Carla und warf die Hände in die Luft.
„Ich will jetzt wissen, wovon ihr sprecht!", verlangte McGonagall streng, „Wer ist Eva?"
„Tias Mutter", erklärte Carla, und Remus wimmerte leise, als er das hörte. Eva war also wirklich Taras Mutter? Darum sahen sie sich auch so ähnlich.
„Eva ist Tias Mutter und meine Tochter."
„Und wie genau, Remus, haben Sie sie kennengelernt?", fragte Minerva ruhig und schaute Remus streng an.
Remus vermied Augenkontakt und murmelte etwas Unverständliches.
„Ich verstehe Sie nicht", bemerkte Minerva, „Sie müssen etwas deutlicher sprechen."
„Ich habe sie... etwas genauer kennengelernt", brachte Remus heraus und wurde knallrot, „Aber das ist schon eine Ewigkeit her!"
„Fünfzehn Jahre?", riet Carla und einen Moment wurde es still.
„Wie alt ist Tia gleich noch einmal, Carla?", fragte Minerva plötzlich und Remus wurde kreidebleich.
„Oh du meine Güte", keuchte Remus und sackte zusammen, „Das... das..."
„Remus Lupin!", rief McGonagall laut auf und sah ihren ehemaligen Schüler entsetzt an, „Washat das zu bedeuten?"
„Das wollte ich nicht!", schwor Remus, seine Stimme war ungewöhnlich hoch und wich von Carla zurück und hob abwehrend die Hände, „Also... das klingt falsch. Tara ist ein wundervolles Mädchen, wirklich sehr aufgeweckt und freundlich. Hilfsbereit und...", plötzlich schoss es ihm und er vergrub sein Gesicht in seinen Händen, „Es ist meine Augenfarbe, oder? Dieses eine Auge – das sieht aus, wie meine, oder?"
„Er scheint doch nicht ganz so dumm zu sein, wie gedacht", bemerkte Carla trocken.
„Und sie mag Schokolade! Sie trägt immer welche mit sich herum – wie ich! Und sie kann zu Vollmond nicht schlafen und sie hat dieses unglaubliche Gehör!"
„Sie sieht Ihnen auch ähnlich", zeigte Minerva auf.
„Ich hätte es wissen müssen, oder?", fragte Remus, „Ich hätte wissen müssen, dass –"
„Ich verstehe, dass es sicher nicht so einfach ist, zu verarbeiten", bemerkte Carla, „Ich meine... wenn ich jemanden treffe, ist mein erster Gedanke auch nicht, dass sie meine Tochter sein könnte."
„Meine Tochter", keuchte Remus, „Ich glaube, ich muss ich setzen."
Obwohl McGonagall aufgestanden war und sie ihm ihren Sessel anbot, ließ sich Remus einfach auf dem Boden nieder und vergrub das Gesicht in den Händen.
Es wurde still, als Carla und Minerva sich gegenseitig ratlos ansahen und Remus einen kleinen Nervenzusammenbruch hatte.
„Tia ist also Ihre Tochter", fasste Minerva zusammen und behielt ihren strengen Blick, „Vielleicht sollten Sie sich zusammenreißen und aufhören, im Selbstmitleid zu zerfließen."
„Natürlich Professor", murmelte Remus, „Entschuldigen Sie, dass mir nicht jeden Tag gesagt wird, dass ich eine Tochter habe, die bald fünfzehn wird. Es wäre nett, wenn Sie mir vielleicht einen kurzen Moment schenken, damit ich das überhaupt begreifen kann."
Remus atmete ein paar Mal tief durch, bevor er wieder aufsah.
„Was ist mit Eva? Ich habe Tara noch nie von ihr erzählen gehört und die hat auch keine Zeichnungen von ihr angefertigt", fiel es Remus ein, „Sie ist doch nicht..."
„Eva geht es gut", winkte Carla ab, „Sie ist verheiratet, hat drei Kinder neben Tia..."
Remus schluckte bei dem Gedanken, dass seine erste große Liebe verheiratet war.
„Aber...?", fragte Remus vorsichtig.
„...aber Tia hat nicht in ihr perfektes Bild gepasst", erklärte Carla, „Du musst wissen, dass Tia schon als Kleinkind angefangen hat, magische Fähigkeiten zu entwickeln. Zu dieser Zeit haben wir natürlich noch nicht gewusst, dass sie eine Hexe ist. Zur selben Zeit haben Eva und ich uns zerstritten. Eines Tages stand sie einfach vor meiner Tür und hat Tia bei mir gelassen. Das Kind hat sie nie kennengelernt und ich will auch nicht, dass Tia sie jemals sieht. Eva hat ihre Chance gehabt, eine Mutter zu sein, aber jetzt ist es zu spät."
„Also ist es auch zu spät, ein Vater zu sein?", lächelte Remus traurig und irgendwie zerbrach wirklich etwas in ihm bei dem Gedanken, dass er für Tia niemals ein Vater gewesen war, obwohl das doch seine Aufgabe gewesen wäre.
Carla und McGonagall sahen sich an.
„Remus, ich denke nicht, dass es eine gute Idee wäre, es Tia zu sagen, solange Sie noch hier unterrichten", sagte Minerva vorsichtig, „Es würde sie nur verwirren..."
„Sobald Tia ausgeschult ist, können wir sehen, was wir da machen können", versprach Carla.
„In diesem Fall kündige ich auf der Stelle und –", Remus war aufgesprungen, aber er verstummte wieder. Natürlich würde er sofort kündigen, um seine Tochter besser kennenlernen zu können, aber was würde dann mit seinen anderen Schülern passieren? Er hatte Harry versprochen, dass er ihm beibringen würde, Dementoren zu verjagen, die Schüler hatten angefangen, mit Problemen zu ihm zu kommen und selbst Tia brauchte ihn noch in der Schule, damit er ihr Nachhilfe geben konnte.
„Nein...", Remus sackte wieder zusammen, „Ich kann jetzt nicht gehen... Andere brauchen mich..."
„Sie sind ein guter Professor", McGonagall legte ihm eine Hand auf die Schulter, „Bestimmt haben Sie irgendwann die Chance, ein Vater für Tia zu sein."
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