4. Kapitel

Tia hätte nicht gedacht, dass sie schon an ihrem ersten richtigen Schultag auffallen würde, aber das war wohl eher naives Wunschdenken, denn innerlich hatte sie ganz genau gewusst, dass sie ganz bestimmt kein Mauerblümchen bleiben würde, auch, wenn sie sich das erhofft hatte.

Sie stand in aller herrgottsfrühe auf, während die anderen noch schliefen und die Sonne ging noch nicht einmal richtig auf, aber Tia kannte sich und ihre Schlafangewohnheiten und wusste ganz genau, dass, sobald sie einmal wach war, niemals wieder einschlafen konnte. Ihren Körper interessierte es dabei nicht, ob es erst vier in der Früh war oder sowieso schon Mittag. Sie war eine wirklich extreme Frühaufsteherin, ging aber gleichzeitig eher spät ins Bett, was ihre Großmutter regelmäßig in den Wahnsinn getrieben hatte.

Nachdem sie sowieso nichts Besseres zu tun hatte, zog sie sich an und schnappte sich ihre Tasche zusammen mit einem Zeichenblock und ihren Stiften. In der Zaubererwelt wurde mit Feder und Tinte geschrieben, was nicht bedeutete, dass sich diese Utensilien fürs Zeichnen eigneten. Sie liebte es zwar, mit der Feder auf dem Pergament zu schreiben, was sie schon zu Hause probiert hatte, aber darauf zeichnen und malen – da bevorzugte sie dann doch ihre Kohlestifte und ihre Farben.

Sie ging in die beinahe leere Große Halle und setzte sich an den Gryffindortisch. Das Frühstück stand schon bereit, also konnte sich, während sie zeichnete noch Schokoladenkuchen vom Vortag genießen, der wohl übriggeblieben war.

Sie zeichnete die Große Halle mit allen ihren Details, während sie aß und langsam füllte sich die Große Halle.

„Tia!", Katie war die erste, die aufwachte und in die Große Halle kam und sich sofort zu ihr setzte, „Da bist du ja! Ich habe gar nicht gehört, wie du aufgestanden bist!"

„Ich bin schon ein wenig länger wach", gestand Tia, „Und ich bin ganz leise gegangen – ich wollte euch nicht wecken."

„Du hättest dir keine Mühe zu machen brauchen", winkte Katie lachend ab, „Leanne schnarcht so laut – wenn du mit Steinschuhen durch die Gegend gestampft wärst du dazu noch mit Gläser um dich geworfen hättest, wärst du trotzdem noch leiser gewesen."

Tia kicherte leise und führte ihre Zeichnung fort. Katie sah ihr dabei zu, bis sie nicht mehr leise sein konnte und schwärmte: „Du kannst wirklich toll zeichnen."

„Danke", Tia wurde wieder einmal rot und räusperte sich.

Wieder wurde es leise zwischen den beiden, bis Leanne in die Große Halle kamen. Leanne war zwar ordentlich angezogen und ihre dunkelblonden Haare waren wieder in einer aufwändigen Frisur gesteckt, aber sie wirkte nicht so enthusiastisch, wie Katie und Tia, außerdem war sie eindeutig noch müde und ihre Augen fielen ihr beinahe zu.

„Es ist viel zu früh zum Aufstehen", jammerte Leanne, „Ich brauche meinen halben Tag Schlaf!"

„Dann wirst du eben den Unterricht verpassen – und dann verpasst du auch den neuesten Klatsch und Tratsch und dann wirst du irgendwann die unbekannteste Person in ganz Hogwarts sein. Und das alles nur, weil du einen halben Tag verschläfst", bemerkte Tia trocken, aber dennoch unschuldig, „Setzt euch – McGonagall ist schon mit den Stundenplänen unterwegs."

Leanne schaute sie einen Moment ungläubig an, bevor sie sich neben Katie setzte.

„Katie, deine Krawatte ist vollkommen schief", bemerkte Tia plötzlich und knotete ihrer Freundin schnell die Krawatte und glättete auch ihr Hemd, „So, besser. Jetzt siehst du nicht mehr ganz so unordentlich aus."

„Ich nehme das als ein Kompliment", schnaubte Katie, „Soweit ich weiß, ist unordentlich mein Zweiter Vorname."

„Wenigstens ist er nicht Isabel", bemerkte Tia unzufrieden.

„Ihre Stundenpläne", McGonagall ging an ihnen vorbei und teilte ihnen ihre Stundenpläne aus, die natürlich alle gleich waren.

„Wir fangen gleich mit Verwandlung an und dann Kräuterkunde!", las Katie, „Das klingt nach einem aufregenden Tag!"

„Wie kannst du so fröhlich sein? Es ist so früh!", jammerte Leanne und ließ ihren Kopf auf den Tisch sinken.

„Wir sollten uns beeilen, damit wir gute Plätze haben", schlug Katie vor, die Leanne einfach ignorierte und alle standen auf.

„Ich hab noch nicht gefrühstückt!", beschwerte Leanne sich.

„Nimm dir etwas mit", schlug Katie vor, „Du kannst später noch essen!"

„Nicht einmal gemütlich essen darf man jetzt", grummelte Leanne, aber sie tat, wie geheißen und schnappte sich einige Schieben Toast, bevor sie hinter Tia und Katie.

Tia hatte ein wenig auf sie gewartet, also war sie die erste, die das kleinere Mädchen einholte und schon nach dieser kurzen Strecke war sie ein wenig außer Atem.

„Warum habt ihr es so eilig? Warum rennt ihr so schnell?", keuchte Leanne.

„Wir rennen nicht", gestand Tia, „Wir gehen ganz normal. Du bist nur so klein, dass du rennen musst."

„Und ich finde das überhaupt nicht witzig", gestand Leanne, „Ein wenig langsamer!"

Tia schüttelte den Kopf und ging langsamer neben ihrer Freundin her, die noch immer schnell gehen musste, aber wenigstens nicht mehr rennen.

„Das wird ein anstrengender erster Schultag", seufzte Leanne, „Ich bin jetzt schon wieder müde..."

„Du wirst es schon überleben – ich glaube an dich", wollte Tia sie aufmuntern.

„Warum schaffst du es immer, mich gleichzeitig zu beleidigen und trotzdem so freundlich zu sein?", fragte sich Leanne, „Entscheide dich – Mädchen! Nett oder unfreundlich!"


„Verwandlungen gehören zu den schwierigsten und gefährlichsten Zaubereien, die ihr in Hogwarts lernen werdet. Jeder, der in meinem Unterricht denkt, nicht die Regeln befolgen zu müssen oder aus der Reihe tanzt, hat zu gehen und wird mehr zurückkommen. Ihr seid gewarnt."

Es waren ermutigende Worte von Professor McGonagall in der ersten Stunde, die Tia in Hogwarts hatte, aber gleich darauf zückte die Professorin ihren Zauberstab und verwandelte ihren Schreibtisch in ein Schwein und wieder zurück, als wäre es einer ihrer einfachsten Übungen.

„Wow", wisperte Katie, die neben Tia saß, während Leanne neben einem Ravenclaw-Mädchen Platz gefunden hatte. Vicky, die irgendwie ihre Mitbewohnerinnen für lächerlich und kindisch zu halten schien, saß allein in der ersten Reihe und lauschte McGonagall, wie ein begeisterter, aufmerksamer Hundewelpe seinem Frauchen. Sie war die einzige, in Tias Schlafsaal, mit der sie sich noch nicht angefreundet hatte.

Natürlich gab es auch Jungen in Tias Jahrgang in Gryffindor, aber das, was sie bis jetzt von ihnen bemerkt hatte, war, dass sie sich dauerhaft zu übertrumpfen versuchten. Sie schienen nicht nur einen Angeber in der Klasse zu haben, sondern gleich drei davon.

Nach ihrem Vortrag und der kleinen Vorführung, wies McGonagall sie alle noch dazu auf, es selbst zu versuchen und Tia war ein wenig überfordert mit der Situation. Noch nie hatte sie gezaubert und auf einmal sollte sie eine ganze Verwandlung schaffen? Natürlich musste sie nur ein Streichholz in eine Nadel verwandeln, aber für Tia war allein die Vorstellung schon so unfassbar.

Neben ihr versuchte Katie es immer wieder, während Tia eher schüchterner hin und wieder einen Versuch startete.

Sie fühlte sich hibbelig und wollte am liebsten eine Runde rennen, aber das konnte sie nicht jetzt mitten im Unterricht machen. Zu Hause, als ihre abuelita sie unterrichtet hatte, hatte sie ihr häufige Pausen gegönnt, in denen sie einige Runden im Garten rennen konnte, bevor sie sich wieder hinsetzte und weiterlernte.

„Miss Fuego, versuchen Sie es einmal", bat McGonagall sie plötzlich bei einer ihrer Runden durch die Klasse und Tia merkte, wie sie knallrot wurde.

Vicky sah zu ihr zurück, warf ihr ein selbstgefälliges Grinsen zu und beobachtete sie ganz genau dabei, wie Tia versagen würde.

Tia räusperte sich und zückte ihren Zauberstab – 10½ Zoll lang, Buchenholz und Phönixfeder als Kern. Als Tia ihn zusammen mit McGonagall und ihrer Großmutter bei Ollivander's gekauft hatte, war sie erst einmal überwältigt gewesen, dass ein so schöner Zauberstab sich jemanden wie sie ausgesucht hatte und damals hatte sie auch das erste Mal gewusst, dass sie wohl wirklich eine Hexe sein musste, wenn ein Zauberstab sie wählte.

Unsicher versuchte sie, dieses Streichholz in eine einfache Nadel zu verwandeln, aber so, wie sie Male davor gelang es ihr nicht.

Vicky kicherte leise, aber Tia hörte es so laut, als hätte ihre Mitbewohnerin es ihr ins Ohr geschrien.

„Üben Sie weiter, Miss Fuego – ich bin mir sicher, Sie können das besser, als Sie denken", ermutigte McGonagall sie mit strengem Blick und ging weiter.

„Vicky ist wirklich gemein", wisperte Katie und legte Tia eine Hand auf die Schulter, „Ich verstehe nicht, warum sie gelacht hat – sie kann es auch noch nicht."

„Wahrscheinlich denkt sie, ich wäre nicht so gut, wie sie", seufzte Tia unglücklich und schaute auf ihren Zauberstab, aber plötzlich packte sie ihr Ehrgeiz. Sie konnte doch nicht einfach aufgeben, nur weil sie etwas nicht sofort konnte. Sie war eine Fuego! Sie konnte alles, wenn sie es nur lange genug versuchte. Sie konnte zeichnen, wenn sie das wollte, sie konnte malen, wenn sie das wollte, ihre Großmutter konnte sie aufziehen, wenn sie das wollte, also würde Tia auch dieses Streichholz verwandeln können.

Mit neuem Mut versuchte Tia es wieder und wieder, aber es passierte nichts, aber im Gegensatz zu den anderen, die am Ende der Stunde eher unzufrieden und mit hängenden Köpfen die Klasse verließen, war Tia selbstbewusst, dass sie es irgendwann schaffen würde – nur, damit sie Vicky zeigen konnte, dass sie etwas besser konnte.

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