2. Kapitel
Das Gepäck war schon in der knallroten Dampflock verstaut und schon mindestens hundert Mal wurde „Auf Wiedersehen" gesagt, aber bis jetzt hatten Tia und Carla es nicht geschafft, sich zu trennen.
„Und schreib mir, so oft du willst", verlangte Carla, „Immerhin will ich wissen, wie es dir in deiner neuen Schule geht!"
„Ja, abuelita", versprach Tia, „Und du schreibst mir zurück!"
„Wenn ich es schaffe, den Vogel zu zähmen, querida", schnaubte Carla, „Eulen als Postboten! Wer hätte das gedacht?"
Sentimental blickte Carla Tia in die Augen und seufzte dramatisch. Tia blickte beschämt zur Seite, denn sie wusste, was nun kommen würde. Mit einem erstickten Schluchzen fiel Carla ihr um den Hals und riss das kleinere Mädchen beinahe zu Boden, während sie ihr feuchte Küsse auf beide Wangen drückte.
„Ich werde dich vermissen, querida, schreib mir bitte so oft wie möglich", bat Carla ihre Enkelin.
„Natürlich, abuelita", seufzte Tia und hielt ihre eigenen Tränen zurück – sie würde nicht auf dem Bahnhof vor allen anderen Schülern zu weinen beginnen.
„Ich meine es ernst, querida! Du bist schlimmer, als deine Mutter! Besser du stellst keinen Blödsinn an! Vielleicht kenne ich mich nicht so gut mit Magie und Zauberei aus, aber ich bin immer noch deine abuelita und ich erwarte, dass meine Enkelin sich wie eine Dame benimmt!", befahl Carla, meinte es aber nicht so. Es war ihr egal, was aus ihrer Enkelin wurde, Hauptsache aus ihr wurde etwas Besseres, als Eva es war.
„Hast du auch wirklich alles, querida? Deine Uniformen, deine Bücher, deinen Zauberstab?", fragte Carla besorgt und strich Tia gedankenverloren über die Haare.
Tia schlug die helfenden Hände weg und winkte ab: „Sí, sí, abuelita, ich habe alles! Du kannst aufhören, dir Sorgen zu machen, ich fahre doch nicht für immer weg!"
Carla seufzte und sah ihre Enkelin fürsorglich an. „Ich weiß, querida, aber man kann nie wissen, wann ein Abschied für immer ist."
„Dann verabschiede ich mich eben nicht", meinte Tia keck und grinste breit, „sondern sage nur: Bis später!"
Carla lächelte und strich Tia über die Haare, aber dieses Mal schlug sie die Hand nicht weg.
„Weißt du, dass du jeden Tag hübscher wirst, linda. Ich werde dich so vermissen", Carla hielt noch einmal ihre Arme weit auf und Tia umarmte sie fest. Die Umarmung dauerte lange und keiner von beiden wollte die andere loslassen, aber es war Tia, die zuerst ihre Hände vom Rücken ihrer Großmutter löste und sie sanft von sich drückte.
„Ich werde dich auch vermissen, Oma", wisperte Tia, als ein Pfiff ertönte, der die Schüler warnte, dass der Zug bald abfahren würde. Carla begleitete ihre Enkelin noch bis zur Zugtür und half ihr in den Zug.
Als er losfuhr, winkte Tia noch vom Fenster aus zurück, bis der Zug um die Ecke bog und Carla in der Ferne verschwand.
„Fährst du auch das erste Mal nach Hogwarts?"
Tia zuckte von der plötzlich lauten Stimme direkt hinter ihr zusammen und fuhr herum. Vor ihr stand ein Mädchen – sie war ungefähr gleich groß, wie Tia, schien in ihrem Alter zu sein. Ihre Haare waren dunkelbraun und ein wenig unordentlich und sie trug Umhänge, die Tia schon bei anderen Zauberern in der Winkelgasse und am Bahnhof gesehen hatte.
Sie wirkte sehr selbstsicher, wie sie ihren Kopf hoch erhoben trug, aber sie lächelte auch freundlich und sah Tia neugierig an.
„Ich...", stammelte Tia überrascht davon, dass jemand mit ihr sprach, „J-ja?"
„Wirklich?", das Mädchen sah schon beinahe erleichtert aus, „Wie gut! Ich kenne noch niemanden und ich fühle mich so einsam, ohne Gesellschaft im Abteil – du hast nichts dagegen, dich zu mir zu setzen? Mein Name ist übrigens Katie!"
„Äh...", im ersten Moment wusste Tia nicht, was sie sagen sollte, bis ihr einfiel, dass sie sich eventuell ebenfalls vorstellen sollte. Sie schüttelte schüchtern Katies Hand, die einen ziemlich festen Händedruck hatte und brachte irgendwie heraus: „Tia."
„Stehen wir nicht weiter hier im Gang – komm, dieses Abteil! Ich habe es besetzt sobald ich angekommen bin!", Katie zog Tia hinter sich her und sie hatte nicht einmal die Chance, irgendetwas zu sagen, bevor das Mädchen sie schon in das Abteil gezogen hatte.
„Kennst du schon jemanden?", fragte Katie sie, setzte sich auf einen der Stühle, während Tia sich noch einen Moment unsicher im Abteil umsah, bevor sie sich selbst setzte.
„Nein, eigentlich nicht", gab Tia schüchtern zu.
„Jetzt kennst du ja mich – und ich kenne dich!", bemerkte Katie lächelnd, „Ich freue mich schon darauf, was wir lernen werden!"
Tia hatte sich nie vorgestellt, dass Leute kennenlernen so leicht ging. Sie musste zwar zugeben, dass Katie zu zuerst angesprochen hatte und auch bis jetzt am meisten gesprochen hatte, aber trotzdem war es nicht schlecht für den Anfang.
„Ich hoffe, es ist wirklich so toll in Hogwarts, wie meine Eltern erzählt haben. Es würde mich nicht wundern, wenn sie übertrieben haben", gestand Katie, „Und ich hoffe, wir sind zusammen in einem Turm – das wäre doch cool, oder nicht?"
Zuerst wusste Tia nicht, was sie darauf antworten sollte. Katie kannte sie seit wenigen Minuten und schon wollte sie zusammen mit ihr in einem Turm sein?
„Das wäre wirklich cool", brachte Tia irgendwie heraus und lächelte.
„Cool!", grinste Katie und einen Moment lang trafen sich ihre Blicke und Tia bemerkte, dass ihre Augen wirklich dunkel waren, schon beinahe schwarz, als Katie selbst plötzlich einen überraschten Laut von sich gab und noch ein wenig näher an Tia heranrückte, die menschliche Nähe nicht wirklich gewohnt war und instinktiv ein wenig zurückrutschte, aber Katie kam nur noch näher und nahm ihr Gesicht in ihre Hände und drückte ihre Wangen zusammen, während sie genau Tias Augen inspizierte.
„Wow!", staunte sie, „Deine Augen! Die haben verschiedene Farben!"
„Isch weisch, isch seh schie jeden Tag im Schpiegel", brachte Tia mit zusammengepressten Wangen heraus, bevor sie Katies Hände sanft entfernte.
„Ich habe mir früher immer eingebildet, dass eines meiner Augen dunkler ist, als das andere, aber bei dir ist es viel extremer! Das eine ist einfach wirklich Grün und das andere Braun und so dunkel und das andere so hell! Das ist wirklich abgefahren!"
„Danke?"
Plötzlich öffnete jemand die Abteiltür und dort standen zwei rothaarige Jungen, die so vollkommen identisch aussahen. Die beiden schauten Katie und Tia ein wenig irritiert an, bevor der eine bemerkte: „Das ist unser Abteil. Ihr habt die Ehre, zu gehen."
„Wir sind zuerst hier gewesen", Katie runzelte die Stirn.
„Und wir haben letztes Jahr schon beschlossen, dass wir hier sitzen. Ihr könnt also gehen", wies der andere Zwilling sie auf, „Wenn ihr so freundlich wärt."
„Entschuldigung, das haben wir nicht gewusst... ich sehe aber nirgendwo eure Namen stehen", meinte Tia unschuldig und sah sich um, aber sie sah tatsächlich nirgendwo, dass irgendwo stand, dass dieses Abteil besetzt war. Wie sollte sie dann wissen, dass schon jemand dort saß?
„Deiner steht aber auch nirgends", machte der erste Zwilling sie darauf aufmerksam und natürlich hatte er recht – auch Tias Name stand nicht im Abteil.
Kurzerhand zückte sie einen Bleistift, den sie in ihrer Jackentasche eingesteckt gehabt hatte und schrieb mit Großbuchstaben auf ihren Sitz: TIA.
„So, jetzt steht da mein Name, also ist es jetzt mein Abteil, oder", stellte sie klar und einen Moment starrten sie alle verblüfft an. Es hatte wohl niemand damit gerechnet, dass sie wirklich ihren Namen hinschreiben würde.
„Hätte nicht gedacht, dass wir es mit einer Vandalin zu tun haben", bemerkte der zweite Zwilling, „Aber wir sind wohl geschlagen worden. Komm, Fred, wir suchen uns ein anderes Abteil."
„Hätte nicht gedacht, dass sie es durchzieht", stimmte Fred ihm zu, bevor sie beide wieder verschwanden.
„Wow!", staunte Katie, „Du bist so mutig! Ich hätte mich das nie getraut! Wahrscheinlich hätte ich mich mit ihnen angelegt, aber den Zug hätte ich niemals angekritzelt!"
„Mutig?", Tia war noch nie mutig genannt worden. Eigentlich war sie eher schüchtern und ängstlich. „Nein, nicht mutig. Ich wollte nur nicht aufstehen. Die beiden können sich ruhig ein anderes Abteil suchen – ich bleibe hier. Denkst du, es war falsch von mir, diesen Stuhl zu bekritzeln? Meine abuelita hat mir immer verboten, auf Möbel zu zeichnen..." Plötzlich wurde Tia von Unsicherheit übermannt. Sie wollte nicht schon im Zug Blödsinn anstellen und negativ auffallen. Eine neue Schule hieß ein neuer Lebensabschnitt, den Tia lieber ohne Probleme hinter sich bringen wollte.
„Glaubst du, du kommst nach Gryffindor?", fragte Katie plötzlich und Tia war mit der Frage vollkommen überfordert.
„Was?", fragte sie unsicher. Vielleicht hatte sie sich ja verhört.
„Gryffindor – du weißt schon. Das Haus, der Mutigen", wollte Katie ihr auf die Sprünge helfen, aber noch immer konnte Tia mit den Begriffen nichts anfangen.
„Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst", gab sie schüchtern zu und Katie schaute sie einen Moment perplex an, bevor sie wieder näher rückte und leise wisperte: „Sind deine Eltern Muggel?"
Diesen Begriff hatte Tia schon einmal gehört – Muggel. Nicht-magisches Volk, wie Zauberer und Hexen sie nannten.
„Ist das schlimm?", flüsterte Tia zurück, weil Katie zu flüstern begonnen hatte.
„Natürlich nicht! Meine Mom stammt auch entfernt von Muggel ab – ihre Mutter war eine Muggelgeborene. Ich bin wirklich die letzte, die dich deswegen beurteilen würde!", winkte Katie ab.
„Wirklich nicht?", versicherte sich Tia.
„Natürlich nicht!", versicherte Katie ihr, „Du bist jetzt meine Freundin – egal, welcher Blutstatus!"
Tia seufzte erleichtert, glücklich, diese Worte von Katie zu hören – irgendwie konnte sie das Mädchen jetzt schon leiden.
„Aber jetzt muss ich dir erklären, was die vier Häuser in Hogwarts sind – das ist meine Pflicht, als magische Freundin. Sonst bist du später die einzige, die nicht weiß, was abgeht", beschloss Katie.
„Das wäre nett", gab Tia zu, „Das ist alles noch so neu und fremd für mich."
„Dann höre und staune – Katie Bell wird dir jetzt ganz genau erklären, was du über Hogwarts und die Zaubererwelt wissen musst. Gut, dass wir noch ein paar Stunden Zeit haben!"
Es kam Tia viel kürzer vor, als Stunden, als plötzlich Geklapper von draußen hereindrang und eine freundlich aussehende Frau, die einen Wagen voller Leckereien vor sich herschob sah ins Abteil.
„Etwas vom Süßigkeitenwagen, ihr Lieben?", fragte sie breit lächelnd.
„Klar!", sofort sprang Katie auf und zückte einige der Münzen, die Tia auch besaß. Zauberergeld, wie sie von McGonagall gelernt hatte, als die Professorin sie und ihre Großmutter in die Winkelgasse mitgenommen hatte, um Tias Schulsachen zu besorgen und Carla hatte sofort für ihre Enkelin ein bisschen mehr Geld gewechselt, damit sie ja genug auch während der Schulzeit hatte.
Auch Tia stand auf und beobachtete Katie dabei, wie sie dir fremden, seltsamen Süßigkeiten der Zaubererwelt bestellte.
„Willst du auch etwas, Tia?", fragte sie ihre Freundin mit einem schnellen Blick zurück, als sie mit einem Arm voll Süßigkeiten der Süßigkeitenhexe einige Münzen in die Hand drückte.
„Ich... äh", stammelte Tia und sah sich die verschiedenen Süßigkeiten an, „Irgendetwas mit Schokolade?"
„Da hätten wir Schokokugeln, Schokostangen, Schokobonbons und natürlich Schokofrösche", zählte Katie auf, die wohl das Angebot an Süßigkeiten auswendig kannte.
„Ich nehme von allen diesen Sachen etwas", bestimmte Tia, die wirklich Schokoladensüchtig war. Ihre abuelita hatte schon bald bemerkt, dass dieses Kind närrisch für Schokolade war und unmenschliche Mengen davon verdrücken konnte. Nicht nur Schokolade selbst, sondern auch Schokotorte, Schokofondue und vieles andere – Hauptsache mit Schokolade.
Die Süßigkeitenhexe gab ihr ihre Bestellung und nahm die Münzen entgegen, von denen Tia hoffte, es waren die richtigen, bevor sich Katie und Tia mit ihrer Beute auf ihre Sitze zurückfallen ließen und beide ihre gekauften Leckereien auf die leeren Sitze verteilten.
„Willkommen im Himmel", hauchte Katie, „Es gibt in der Muggelwelt keine Süßigkeiten, die so gut sind, wie diese hier! Ich bevorzuge ja eher Lakritzzauberstäbe und natürlich alles mit Lakritze, aber du scheinst auf Schokolade zu stehen.
Tia traute sich, die Packung mit Schokokugeln zu öffnen – die waren ihr irgendwie vertraut und sie kostete eine. In der Schachtel waren sechs riesige Kugeln und als Tia in die erste biss, bemerkte sie sofort, dass sie mit Erdbeermousse und Sahne gefüllt waren. Selten hatte sie etwas so Köstliches gekostet.
„Probier doch einmal einen Schokofrosch!", forderte Katie sie heraus und so, wie sie es mit einem schelmischen Glitzern in den Augen sagte, vermutete Tia sofort, dass Schokofrösche um einiges magischer waren, als sie aussahen. Sie öffnete die kleine Schachtel vorsichtig und plötzlich sprang etwas darauf.
Tia schrie auf, als dieses etwas direkt in ihr Gesicht sprang, aber dann fiel es leblos in ihren Schoß und Tia sah, dass es ein aus Schokolade geformter Frosch war.
Katie weinte schon beinahe vor Lachen und sie hatte eines dieser Lachen, die so ansteckend waren, dass man meistens über das Lachen selbst lachen musste und es dauerte nicht lange, bis Tia ihren Schreck vergessen hatte und selbst lachte.
„Oh, du hättest dein Gesicht sehen sollen!", kicherte Katie, „Unbezahlbar!"
„Ich habe mich auch wirklich erschrocken", gab Tia zu und wurde ein wenig rot, „Ich habe nicht erwartet, dass da wirklich ein Frosch herausspringt.
„Das tolle an Schokofrösche sind ja eigentlich die Sammelkarten", Katie griff in die Packung und holte eine Karte aus der Packung.
„Agrippa", las Katie vor, „Die ist ziemlich selten."
Sie hielt ihr die Karte hin und Tia nahm sie entgegen. Unter dem Namen war das Bild einer Hexe, die ihr freundlich zulächelte und winkte. Ihre silbergrauen Haare waren wild hochgesteckt und sie trug grellviolette Kleider.
„Die bewegt sich", hauchte Tia.
„Natürlich bewegt sie sich! Was sollte sie sonst tun? Als Aktmodell stillstehen?", fragte Katie verwirrt.
Sich bewegende Bilder waren Tia nicht fremd. Sie selbst hatte schon häufig etwas gezeichnet und bemerkt, dass sich ihre Zeichnungen plötzlich bewegten. Meistens war es nicht lange und nicht viel, aber sie bewegten sich eindeutig. Warum sollten sich nicht auch andere Bilder und Gemälde bewegen, aber mehr, als sie es bei Tia taten?
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