169. Kapitel

Tia bemerkte, dass ein „zu Hause" nicht immer ein „zu Hause" blieb. Das Haus, in dem sie aufgewachsen war, fühlte sich nicht mehr so vertraut an, obwohl noch immer alles so war, wie sie es zurückgelassen hatte. Ihre gezeichneten Bilder, der Geruch in der Luft und selbst jedes Möbelstück erinnerte sie an Kindheit, aber trotzdem war es nicht dasselbe.

Carla war nie wirklich gut im Haushalt gewesen, aber sie hatte sich bemüht und Tia konnte sich nicht daran erinnern, dass jemals so viel Staub auf den Oberflächen gewesen war.

Außerdem fehlte das eine, das ein Haus immer zu einem zu Hause für Tia gemacht hatte:

Es wartete niemand auf sie.

Ihre abuelita war in Spanien und nicht einmal Remus war da, um sie zu begrüßen.

Stattdessen betraten sie ein leeres Haus und wurden von einer gespenstischen Stille begrüßt, die Tia mittlerweile schon als Vorbote für Tod assoziierte.

„Fühlt euch wie zu Hause", sagte sie trotzdem zu ihren Begleitern und hoffte, sie war ebenso eine gute Gastgeberin, wie es ihre abuelita immer war.

„Ich werde mein Bett vorbereiten", schlug sie vor, „Und vielleicht das Gästezimmer..."

Sie öffnete als erstes die Tür zu ihrem eigenen Zimmer und wurde knallrot, als dieses ebenfalls voller Zeichnungen von ihr war. Es waren Bilder vom Basilisken, die sie überall verteilt hatte, in der Hoffnung, so ihre Angst vor diesen großen, gelben Augen loszuwerden, aber noch heute träumte sie manchmal davon, also hatte das wohl nicht so gut geholfen.

Aber die anderen mussten das ja nicht wissen und Tia riss die Bilder von ihren Kästen und den Wänden, bevor sie jemand sehen konnte und verstaute sie unter dem Bett, bevor sie ihre Decke etwas aufschüttelte und auch ihr Kissen. Auf den Oberflächen auch in ihrem Zimmer war eine Staubschicht, aber nichts, das sich nicht schnell wegwischen gelassen hätte... es war nicht so, wie das Haus am Grimmauldplatz, das bis heute noch nicht wirklich sauber war, obwohl Tia sich fragte, ob es nicht einfach eine Beschäftigungstherapie von Mrs Weasley gewesen war und sie mit Magie um einiges effektiver hätten arbeiten können.

Wie sehr Tia dieses Haus doch gehasst hatte. Es war so düster gewesen, wie das Büro von Filch und der Staub hatte sie ständig zum Niesen gebracht. Tia war niemals zimperlich gewesen, wenn es um Dreck ging, aber nicht einmal sie wollte diesen uralten Staub berühren und die Vorstellung, dass sie ihn regelmäßig eingeatmet hatte, verdrängte sie lieber.

Sie hatte einmal gelesen, dass ein sehr großer Teil des Staubs eigentlich aus menschlichen Zellen bestand, aber auch dieser Gedanke hatte sie verstört und sie hatte lieber nicht daran gedacht, wessen Zellen sie eingeatmet hatte, aber sie war sich sicher, dass selbst Zellen von Voldemort persönlich dabei gewesen sein mussten.

Aber trotz allem vermisste Tia dieses Haus.

Nicht, weil es so wunderschön gewesen wäre, sondern weil sie damals alle zusammen gewesen waren. Die Weasleys, ihr Vater und einmal zu Weihnachten auch ihre abuelita. Sirius und Agnes, die anderen aus dem Orden und damit auch Konstantin und Liza.

Sie waren nicht ein Haufen verstreuter Gruppen im Land gewesen, die nicht miteinander kommunizieren konnten, außer sie wollten sich gegenseitig in Gefahr bringen.

Tia wollte doch nur, dass sie wieder alle zusammensaßen, wie damals im Haus vom Grimmauldplatz.

Lächelnd erinnerte sie sich an die Hochzeit von Bill und Fleur – das schien eine Ewigkeit her zu sein. Da waren sie auch alle zusammengekommen, aber schon damals hatte Agnes gefehlt.

Weihnachten letztes Jahr war auch nett gewesen, aber da waren sie nicht alle zusammen gewesen.

Eigentlich wäre für Tias Vorstellung ein Haus, wie am Grimmauldplatz, nur sauber, genau richtig. Wo sich alle ihre Freunde und ihre ganze Familie versammeln konnte und vielleicht einen Kakao trinken.

„Was ist los?", fragte Liza sie plötzlich und riss Tia aus ihren Gedanken.

„Hm? Oh...", Tia wusste nicht genau, ob sie mit Liza über ihre Gedanken sprechen sollte. Sie war zwiegespalten: auf der einen Seite befürchtete sie, dass es schlecht wäre, wenn sie ihre Gedanken Liza erzählte, das würde sie nur umso realistischer machen und vielleicht stimmte Liza ihr sogar zu; auf der anderen Seite sehnte Tia sich danach, mit jemanden darüber zu sprechen.

„Denkst du, wir werden leben?", fragte Tia also Liza mit einer leisen Stimme und Liza runzelte einen Moment lang verwirrt dir Stirn, bevor sie wohl verstand und das sah man ihr an.

Mit ihrem Mund formte sie ein stummes „O" und Tia beobachtete, wie sie sich ihre nächsten Worte genau überlegte.

„Du fragst mich, ob wir überleben werden?"

Tia nickte und sah Liza erwartungsvoll an. Offenbar schien sie genauso Probleme mit dieser Fragestellung zu haben, wie Tia.

„Tia, ich bin Heilerin", begann Liza ruhig und sah Tia direkt in die Augen, obwohl das selten Leute machten – Tia vermutete, dass sie es verstörend fanden, ihre verschieden farbigen Augen anzusehen, aber das war nicht schlimm, immerhin sah Tia nie jemanden in die Augen, höchstens auf die Stirn oder auf die Nase. „Ich habe in einem Krankenhaus gearbeitet, in dem Leute gestorben sind, also weiß ich ein bisschen etwas übers Sterben... und... ich weiß, dass man keine Angst vorm Sterben haben sollte."

„Warum nicht?", Tias Stimme klang ebenfalls ganz ruhig, als würde sie eine ganz normale Frage stellen und nicht gerade den Geheimnissen des Lebens auf den Grund gehen. „Wenn man stirbt, ist man tot. Es ist so, als würde man einen Test abgeben und im letzten Moment fällt einem noch etwas ein, aber der Lehrer hat ihn schon weggenommen und man verflucht sich selbst dafür, dass man nicht früher daran gedacht hat. Alle Dinge, die man im Leben noch machen wollte – ich fürchte mich davor, dass mir das alles einfallen wird und dann werde ich mein ganzes Leben bereuen."

„Das solltest du genau nicht tun", bestimmte Liza, „Ich habe Leuten beim Sterben zugesehen – manchmal hat es sich über Tage hinweggezogen. Sie haben sich an ihr Leben geklammert, als es keine Hoffnungen mehr gegeben hat und selbst im Koma haben sie noch weitergeatmet. Ihre Familien haben ihnen beim Leiden zugesehen und haben mit ihnen gelitten. Das Schwierigste im Leben ist, es loszulassen."

„Du denkst also nicht, dass wir überleben?", fragte Tia ruhig.

„Ich weiß es nicht, Tia", gestand Liza geduldig, „Alles ist möglich, aber ich will dir nichts versprechen. Wenn ich dir nämlich jetzt versichere, dass alle überleben werden und schon morgen wieder Friede herrscht, dann wirst du dich an diese Vorstellung klammern und sollte sie sich als falsch herausstellen... dann würde dich das in den Wahnsinn treiben."

„Negativ denken?"

„Realistisch blieben", verbesserte Liza sie, „Kämpfe für jedes Leben – kämpfe für dein Leben – kämpfe für Morgen. Aber auf dem Weg zum Sieg oder Niederlage gibt es viele Schlachten und eine davon müssen wir mit uns selbst austragen."

„Das klingt kompliziert", bemerkte Tia.

Liza lächelte. „Das ist es. Tod ist ziemlich kompliziert, aber eines weiß ich: Leben ist wundervoll. Leben ist voller Möglichkeiten und voller Liebe und Freude und Abenteuer. Natürlich auch voller Schmerz, aber genau der erinnert uns daran, dass wir leben. Nutze die Zeit, die du jetzt hier als Lebender hast, denn tot bist du noch länger. Und wenn die Zeit gekommen ist, sei vorbereitet und ohne Reue."

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