16. Kapitel
Das letzte Quidditch-Spiel stand vor der Tür und jeder im Schloss sprach davon – Gryffindor gegen Slytherin, das Spiel, auf das jedes Jahr alle warteten.
Nachdem Slytherin und Gryffindor die ärgsten Feinde waren, war es nur logisch, dass dieses Spiel über mehr entschied, als nur einen Sieg und auch für Gryffindor stand viel auf dem Spiel.
Nachdem sie das Spiel gegen Ravenclaw verloren hatten, dafür aber Hufflepuff im nächsten besiegt hatten, fehlte ihnen noch ein haushoher Sieg, um Slytherin zu überholen und den Pokal zu holen.
Dazu war es das letzte Spiel von Charlie Weasley, der im nächsten Jahr, wie schon die ganze Schule wusste, nach Rumänien ziehen würde, um dort echte Drachen zu erforschen.
Katie und Leanne waren schon vorgegangen, während Tia noch kurz ihren Zeichenblock aus dem Schlafsaal holen wollte.
Als sie durch das Portal kroch, sah sie, dass der Gemeinschaftsraum nicht wie erwartet ausgestorben war, sondern jemand am Kamin im Sessel saß und nachdenklich ins Feuer starrte, obwohl es draußen warm war.
Als Tia eintrat, sah die Person auf und nach kurzem Zögern stand sie auf.
„Hey", begrüßte Vicky sie unsicher und starrte auf ihre Füße.
Tia wusste nicht genau, was Vicky von ihr wollte, aber sie beschloss, dass es bestimmt keine schlechte Idee war, ihr zu antworten: „Hey?"
Einen Moment herrschte eine unangenehme Stille zwischen ihnen, bis Tia bemerkte, dass das Spiel bestimmt schon angefangen hatte und sie es doch noch sehen wollte, also machte sie Anstalten, die Treppen hoch zu gehen, aber Vicky hielt sie wieder zurück: „Warte! Tia... ich..."
Vicky stammelte und wurde knallrot, brachte aber keinen vollständigen Satz heraus.
„Ja?", fragte Tia, „Normalerweise habe ich nichts dagegen, wenn Leute es nicht sofort schaffen, mit mir zu sprechen – ich weiß, wie das ist, wenn man schüchtern ist, aber ich würde wirklich gerne noch das Spiel sehen und –"
„Ja! Natürlich!", unterbrach Vicky sie, „Ich... ich wollte mich nur bedanken, glaube ich."
„Wofür?", Tia runzelte verwirrt die Stirn.
„Für...", Vicky wurde so rot, dass Tia an Georges Haare denken musste, „Für deine Hilfe in Zaubertränke. Ohne dich wäre ich bestimmt durchgefallen."
„Ach so", verstand Tia endlich, „Das ist doch kein Problem gewesen – ich hätte jedem geholfen."
„Ich bin aber immer so gemein zu dir gewesen", widersprach Vicky ihr, „Und... das tut mir leid. Verstehst du, ich kann dich nicht wirklich leiden, aber... aber das ist kein Grund, dich immer zu ärgern. Du hast mir nie etwas getan."
Tia musterte Vicky. „Warum kannst du mich nicht leiden?", fragte Tia sie, „Ich meine... letztendlich ist es deine Entscheidung, aber vielleicht gibt es einen Grund, den ich ändern könnte, damit wir uns vielleicht in Zukunft besser verstehen?"
„Es ist nur...", wieder schien Vicky keinen vollständigen Satz herauszubringen, bis sie tief Luft holte, und noch einmal begann, „Es ist nur, dass ich mein Leben lang schon perfekt sein musste. Meine Eltern sind Reinblüter – also, richtige Reinblüter. Sie hassen Muggel und Muggelgeborene und sie haben mich auch so erzogen. Ich bin ihr einziges Kind, also haben sie schon immer mehr von mir erwartet – ich musste immer die Klügste, die Beste, die Begabteste, die Schönste sein... und dann kommst du – ein Schla- ich meine Muggelgeborene, die sofort Freundinnen findet, immer Spaß zu haben scheint, am ersten Tag schon eine Legende in Hogwarts ist und dabei auch noch Talent und Schönheit besitzt. Du bist schon immer das gewesen, was ich immer sein musste, aber nie gewesen bin und nie sein werde."
„Deine Eltern klingen nicht sonderlich nett", gab Tia leise zu, „Vielleicht solltest du aber die sein, die du bist. Du bist wirklich klug – im Unterricht bist du immer die Beste. Wenn du irgendwie Probleme mit deinen Eltern hast, dann sag es mir. Zusammen finden wir bestimmt eine Lösung."
„Das ist nett, aber nein", lehnte Vicky ab, „Und wahrscheinlich werden wir nie Freundinnen werden, aber ich werde dich nicht mehr ärgern – das verspreche ich."
„Das ist nett von dir", Tia lächelte breit, „Und wenn du doch irgendwann jemanden zum Reden brauchst – ich stehe immer bereit."
„Danke", Vicky nickte, „Und jetzt solltest du wohl zum Spiel, oder? Sonst verpasst du noch alles."
„Oh, du hast Recht!", erinnerte sich Tia wieder, „War schön, mit dir zu reden, aber jetzt muss ich weg! Bis später beim Essen!"
Mit diesen Worten rannte sie die Treppen hinauf, um ihren Block zu holen und ließ Vicky alleinstehen.
Gryffindor gewann, aber die Punktezahl reichte nicht aus, um den Pokal zu holen, also gingen zum Schluss doch die Slytherins mit dem Pokal vom Platz.
Am Ende vom Jahr versammelten sich noch einmal alle Schüler und Lehrer in der Großen Halle, um zusammen ein letztes Festmahl einzunehmen.
Tia, Katie und Leanne aßen unter den grün-silbernen Bannern von Slytherin, die auch noch den Hauspokal gewonnen hatten.
„Ich hasse das", grummelte Leanne, „Und sie sind auch so schlechte Gewinner – sie reiben es einem wirklich unter die Nase."
„Lass sie doch", winkte Tia ab, „Immerhin haben sie es sich verdient, oder nicht?"
„Tia, normalerweise habe ich nichts gegen deinen Gerechtigkeitssinn, aber im Moment brauche ich niemanden, der Slytherins gut redet", informierte Katie sie schlechtgelaunt und stumm, aber in sich hineingrinsend aß Tia weiter.
Als der Hogwartsexpress im Bahnhof Kings Cross einfuhr, schleppte Tia ihren Koffer aus dem Zug, als zwei Paar Hände ihn ihr aus der Hand nahmen und ihn aus dem Zug trugen.
„Ihr wisst, ich hätte das auch allein gekonnt", bemerkte Tia und stemmte die Hände in die Hüfte, als sie Fred und George erblickte, die ihr mit dem Koffer geholfen hatten, „Immerhin habe ich euch auch im Armdrücken besiegt."
„Wir reden nicht mehr von diesem Vorfall, Tia!", unterbrach George sie, „Außerdem wollten wir uns noch verabschieden."
„Das ist nett von euch", lächelte Tia, „Wahrscheinlich werde ich euch in den Ferien auch vermissen."
„Wahrscheinlich?", wiederholte Fred mit hochgezogener Augenbraue.
„Ich bin mir noch nicht sicher – ein wenig Ruhe werde ich schon genießen", klärte Tia ihn auf und die Zwillinge verdrehten die Augen.
Plötzlich sah Tia in der Menge ihre Großmutter, die sie ebenfalls erblickte und ihr winkte.
„Wenn ihr mich entschuldigt – ich muss zu meiner Großmutter", sagte sie, „Ich wünsche euch noch schöne Ferien – wir sehen uns dann im neuen Schuljahr wieder, oder?"
Mit diesen Worten ging sie mit ihrem Koffer zu ihrer Großmutter, während Fred und George ihr hinterherblickten.
„Das ist ihre Großmutter?", fragte Fred leise und starrte auf Carla Fuego.
„Ich sehe die Veela-Gene", stimmte George ihm zu, „Und sie sieht so einschüchternd aus..."
„So wie Tia", zeigte Fred auf.
„Genauso wie Tia", nickte George, „Wahrscheinlich sollten wir Abstand vor ihr halten, bevor uns auch noch eine alte Frau im Armdrücken besiegt."
Tia ging schnurstracks zu Carla, die sie schon mit offenen Armen erwartete.
„Querida! Endlich sehe ich dich wieder! Die Briefe sind einfach zu wenig!", freute sie sich und riss Tia in eine Umarmung.
„Ich freue mich auch, dich zu sehen, abuelita", gab Tia zu, bevor sie sich aus ihrer Umarmung befreite.
„Tia!", Katie und Leanne rannten zu ihr und kamen bei ihr keuchend zu Stehen, „Du wolltest doch nicht gehen, ohne dich zu verabschieden, oder?"
„Ihr müsst Katie und Leanne sein", vermutete Carla, „Tias Zeichnungen sind wirklich sehr gut gelungen. Ihr seid genau so hübsch, wie auf Papier."
„Oh, danke", Leanne wurde knallrot, während Katie breit lächelte.
„Abuelita, das sind Katie und Leanne – meine Freundinnen", stellte Tia die beiden vor.
„Nennt mich ruhig Carla – Tia hat so viel von euch erzählt, es kommt mir vor, als würde ich euch schon ewig kennen. Es freut mich aber, euch endlich wirklich kennen zu lernen."
Tia wurde rot und räusperte sich.
„Tia hat auch viel von Ihnen erzählt, Mrs Fuego", meinte Katie.
„Nenn mich Carla – Tias Freunde sind immer bei uns willkommen", lud sie die beiden ein, „aber erst nach unserem Urlaub."
„Urlaub?", wiederholte Tia. Sie glaubte, sich verhört zu haben. Noch nie hatte sie Urlaub gemacht – auch nicht mit ihrer abuelita, die das Geld und die Zeit dafür hatte.
„Ja, Urlaub", bestätigte Carla, „Ich habe mir gedacht, nachdem wir beide nicht jünger werden, solltest du doch mindestens einmal Spanien mit deiner abuelita gesehen haben, oder?"
„Spanien?", wiederholte Tia ungläubig, „Wir reisen nach Spanien?"
„Nach Barcelona, wo deine Mutter und ich aufgewachsen sind", nickte Carla.
„Klingt so, als hättest du einen aufregenden Sommer vor dir", vermutete Katie lächelnd, „Aber schreib uns, wenn du wieder zurückkommst."
„Natürlich, versprochen", Tia nickte eilig, bevor sie ihre beiden Freundinnen noch einmal umarmte, „Ich werde euch auch vermissen."
„Aber nicht zu sehr – genieße Spanien", befahl Leanne, „Ich bin fast schon neidisch."
Tia winkte noch ein letztes Mal ihren Freundinnen, bevor sie den Bahnsteig mit ihrer Großmutter verließ, bereit, im nächsten Jahr ihr zweites Jahr in Hogwarts zu beginnen.
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