138. Kapitel

Im Moment schlief niemand im Raum, obwohl sie an diesem Tag viel erlebt hatten und jeder wirklich müde war.

Aber Tia konnte einfach nicht schlafen und beobachtete still und unauffällig Fred, der am Fenster stand und schon seit langer Zeit einfach nur hinausstarrte zum Nachthimmel hinauf. Der Mond stand noch nicht voll am Himmel – es war kein Vollmond, aber trotzdem schien Fred nur Augen für ihn zu haben, als wäre er ein Ersatz für Agnes.

George starrte hinauf auf die Zimmerdecke und konnte einfach keine Ruhe finden. Mit der Hoffnung und dem Glauben, dass Tia neben ihm schlief, bewegte er sich kaum und versuchte ruhig zu atmen, damit er sie nicht weckte, ohne zu wissen, dass Tia ebenfalls nicht schlief.

Es war stockfinster und es war absolut still. Obwohl sie zu dritt im Zimmer waren und alle drei wach waren, fühlte sich jeder einzelne von ihnen auf eine seltsame Art einsam.

Fred war erst vor wenigen Stunden beinahe schon leichtsinnig mit seinem Leben umgegangen. Er wusste nicht einmal sicher, ob Agnes lebte oder tot war, aber anscheinend war die Trennung zu ihr schon so schmerzvoll für ihn, dass er einen gefährlichen Lebensstil angenommen hatte. Tia machte sich Sorgen um ihn. Er war der Zwilling ihres Freundes und auch sonst ein guter Freund geworden – natürlich wollte sie, dass es ihm gutging. Aber Fred machte es einem nicht einfach, ihn zu beschützen. George würde eine Menge Arbeit vor sich haben, wenn Tia wegging. Ob er wohl auch so sein würde, wenn sie zu lange getrennt waren? Tia hoffte nicht – sie wollte, dass es George gutging.

Tia glaubte nicht, dass dieses Gefühl der Verzweiflung in Fred nur von der Liebe zu Agnes ausgelöst wurde. Liebe allein machte das nicht mit einem Menschen. Einen Menschen, den man liebt zu verlieren, war bestimmt auch schmerzvoll, aber bei Fred war das anders.

Agnes war mehr gewesen, als nur eine einfache Partnerin – sie war Freds beste Freundin geworden und eine enge Vertraute. Es war schwer zu sagen, ob sie Fred sogar wichtiger geworden war, als George, da die beiden als Zwillinge sich sehr nahestanden, aber Agnes hätte bestimmt Dutzende Leben für Fred geopfert – sogar ihr eigenes.

Agnes war eine Seelenverwandte für Fred geworden – sie hatten sich erst zusammen als ein Ganzes gefühlt und hatten sich mit ihren Eigenarten letztendlich vervollständigt.

Tia vermutete nur, dass Agnes und Fred das füreinander empfunden hatten, weil sie genau dieses Gefühl bei George hatte.

Ein Seelenverwandter, der nicht unbedingt ein Liebhaber werden muss, aber den man gerne in der Nähe hat und den man auch immer bei sich haben will, egal ob als Partner oder als einfacher Freund. Liebe als eine Romanze war dann nicht mehr notwendig, denn schon allein die Anwesenheit des anderen war schon mehr, als genug.

Plötzlich hörte Tia, wie jemand draußen apparierte und sie war die erste, die aus dem Bett sprang.

George schrie erschrocken auf, wirbelte ebenfalls herum, versuchte wohl ebenso schnell aus dem Bett zu rollen, schaffte es aber nicht wirklich, aufzustehen, stolperte nach vorne, riss Tia mit sich und plötzlich lagen sie beide irgendwie auf dem Boden.

Fred sah die beiden verständnislos an und runzelte die Stirn. „Und? Ist es bequem?"

„Überhaupt nicht", murmelte Tia und pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, „Danke der Nachfrage, Fred."

Ohne Probleme hievte sie sich auf ihre Arme und George rollte dabei unsanft von ihr hinunter und auf den Boden. Er gab einen keuchenden Laut von sich, als die Luft aus seinen Lungen gepresst wurde.

„Was ist überhaupt los?", fragte George, als auch er sich aufrappelte, aber Tia war schon zu Fred ans Fenster geeilt und schaute nach unten.

Sie antwortete ihr nicht und auch George schloss sich seinem Zwilling und seiner Freundin an und blickte aus dem Fenster, ohne wirklich zu wissen, wonach sie überhaupt suchten, als Tia einen erfreuten Laut von sich gab und nur Momente später erblickte auch George des Grund: Es waren Liza und Konstantin zusammen mit Fleur, Bill und Kingsley, aber Konstantin sah überhaupt nicht gut aus. Bill und Kingsley stützten ihn zusammen und er schien kaum oder gar nicht bei Bewusstsein zu sein.

Die drei beobachteten sie dabei, wie sie zusammen das Haus betraten und Tia war die erste, die sich von ihrer ersten Starre lösen konnte und das Zimmer verließ, bevor die Zwillinge ihr folgten.

Tia schlich die Treppen noch immer etwas unsicher hinunter und blieb dort stehen, als sie beobachtete, wie Kingsley und Bill Konstantin auf eine der Couches im Wohnzimmer verfrachteten.

Konstantin selbst sah schrecklich aus. Nicht nur war er kaum noch bei Bewusstsein, es war auch ungewöhnlich zu sehen, wie seine Haare nicht wie sonst perfekt saßen, sondern tatsächlich offen und chaotisch. Seine Kleidung war zerrissen und dreckig von Staub und Spinnweben und er war verletzt und blutete an mehreren Stellen.

Charlie Weasley drängte sich an Tia vorbei und rannte die Treppen hoch, verschwand aber schnell in dem Zimmer, das er sich mit Liza inoffiziell teilte.

Auf der Treppe versammelten sich langsam mehr Leute. Auch Fred und George hatten sich ihr angeschlossen, aber auch Remus und Tonks, die beide besorgt um ihren Freund aussahen; Ginny, die einen ängstlichen Blick im Gesicht hatte, den Tia nicht von ihr kannte und auch Mr und Mrs Weasley waren schon wach und im Einsatz, gaben Liza aber etwas Platz, damit sie arbeiten konnte.

Liza verheilte Konstantins Wunden und wusch ihn auch teilweise. Bald sah er viel besser aus, aber er schlief noch und würde das hoffentlich auch noch länger machen.

Aber die Hauptsache war, dass die beiden überlebt hatten. Konstantin war nicht tot und Liza war auch nicht erwischt worden.

Aber es schien knapp gewesen zu sein, so wie Konstantin aussah.

Stumm sahen alle dabei zu, wie sich Liza liebevoll um ihren Bruder kümmerte.

Tia hatte Liza noch nie wirklich als Heilerin erlebt. Hin und wieder war sie als Heilerin eingesprungen, wenn sich Leute vom Orden verletzt hatten, aber das mit Konstantin war etwas anderes.

Sie ging präzise und systematisch vor. Zuerst gab sie Konstantin einen Schlaftrunk, damit er schlief, während sie seine Hände und seinen Arm behandelte.

Langsam verschwanden alle Verletzungen und es blieben nur blasse Male an seinen Händen zurück, die darauf hinwiesen, dass er wirklich verletzt gewesen war. Man konnte sie kaum sehen und bestimmt war das nur Lizas Heilkünsten zu verdanken, aber Tia fielen sie auf. Konstantin hatte immer gepflegte Hände gehabt, wie alles an ihm immer gepflegt und perfekt schien, aber nun hatte er Male, die ihn daran erinnern würden, was passiert war.

Was genau passiert war, wusste niemand so genau, aber Tia vermutete, dass er dabei gewesen war, als Rufus Scrimgeour, der Zaubereiminister gestorben war, bevor Kingsley die Hochzeitsgesellschaft gewarnt hatte.

„Er wird schon wieder", beruhigte Charlie seine Verlobte und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Es hätte auch ein Zeichen der engen Freundschaft sein können, aber Tia sah einfach, dass die beiden dasselbe hatten, wie sie selbst und George oder auch Fred und Agnes. Sie waren Seelenverwandte – ständige Romanze und offensichtliche Liebe war nicht nötig für die beiden, um sich gegenseitig zu zeigen, dass sie sich liebten.

Diese Erkenntnis verwirrte Tia ein bisschen. Es war ein bisschen so, als hätte man ihre Augen geöffnet und auf einmal würde sie neue Farben und Formen in der Welt entdecken, die ihr bisher fremd gewesen waren. Natürlich musste sie diese Erkenntnis haben, wenn sie kurz davor war, ihren eigenen Seelenverwandten zu verlassen. Vielleicht war genau das auch der Grund, warum sie diese Erkenntnis überhaupt hatte.

„Das hoffe ich auch", murmelte Liza und sie klang unsicher. Tia war vorgekommen, dass sie eine ziemlich kompetente Heilerin war, aber wenn es um die ging, die ihr nahestanden, änderte sich das wohl sofort. Noch eine interessante Erkenntnis.

„Aber du hast ihn doch geheilt, oder nicht?", fragte Ginny und klang ängstlich. Konstantin war ein Vorbild für sie gewesen und nun lag er schlafend auf der Couch. Dieser Anblick musste ebenfalls eine neue Erfahrung für Ginny sein.

„Die Verletzung, die man sehen kann, habe ich geheilt", versprach Liza, „Dann hoffen wir einmal, dass er dieses Erlebnis verarbeiten kann."

Tia verstand nicht, welche Verletzungen Konstantin sonst haben konnte. Innere Blutungen waren es bestimmt nicht, denn Liza hatte Zauber verwendet, um das zu überprüfen.

„Was ist passiert?", fragte Mr Weasley, „Was ist mit dem Minister? Ist er wirklich..."

„Er ist tot, ja", bestätigte Kingsley Shacklebolt nickend, „Es... ist weiß auch nicht alles, aber Konstantin weiß mehr."

„Wir sollten auf ihn warten", bestimmte Liza.

Aber warum sollten sie warten? Vielleicht schlief Konstantin noch eine ganze Weile und sie würden zu spät erfahren, was wirklich passiert war. Vielleicht brauchten sie diese Informationen dringend.

Aber Liza schaute sie alle herausfordernd an und Tia wollte nicht diejenige sein, die ihr widersprach, also ließ sie es einfach. Manchmal war es wohl doch klüger, nicht immer seine Gedanken auszusprechen.

„Kingsley, willst du einen Tee?", fragte Mrs Weasley den neu angekommenen Auroren, der ebenfalls müde aussah. Er war bestimmt auch im Ministerium gewesen, als es passiert war, sonst hätte er sie nicht alle warnen können.

„Nein, danke, Molly", lehnte Kingsley höflich ab, „Ich würde lieber schlafen."

„Das sollten wir alle", schlug Tia vor, „Es ist eine lange Nacht gewesen und es werden längere Tage folgen."

„Wenn Konstantin aufwacht, wecke ich euch alle", versprach Liza und Tia hoffte, dass auch sie mit „alle" gemeint war, „Ich bleibe bei ihm."

„Du solltest auch schlafen, Liza", bat Charlie sie, „Du hast auch noch nicht geschlafen."

„Ich bin das gewohnt, Charlie", erinnerte Liza ihn daran, dass sie als Heilerin häufig Nachtdienste erledigte.

Die kleine Gesellschaft, die sich dort auf der Treppe gebildet hatte, löste sich wieder auf. Alle verschwanden wieder in ihren Schlafzimmern, Kingsley bezog das leere Zimmer, das Ron und Harry hinterlassen hatten und Tia ging zusammen mit George und Fred zurück in das Zimmer, aber sie alle drei wussten, dass Schlaf nicht kommen würde.

Also setzten sie sich einfach auf den Boden, weil das Bett auf einmal so hoch oben war und sie sich insgeheim alle miteinander am liebsten unter die Betten versteckt hätten, anstatt jetzt mit den Rücken dagegen gelehnt am Boden zu hocken.

Tia fühlte etwas, aber das Gefühl in ihr war ihr fremd. Es war vielleicht ein bisschen wie Angst, aber es war nicht direkt Angst; vielleicht war es Sorge, aber wenn Tia besorgt war, fühlte sie sich anders, das wusste sie, das hatte sie gelernt. Es war das Gefühl, das sie im Magen hatte, als hätte sie etwas Schlechtes gegessen und ihr Körper wollte es am liebsten irgendwie wieder loswerden, konnte es aber nicht.

Es war kein Herzrasen, das nicht vom Anblick von George kam; kein Herzrasen, das Tia hatte, wenn sie sich doch einmal zu sehr angestrengt hatte – es war eher ein Herzrasen, das sie hatte, wenn in einer Vollmondnacht die Schmerzen kamen; ein Herzrasen, das sie hatte, als Alicia mit ihr Schluss gemacht hatte; ein Herzrasen, das sie gehabt hatte, als sie gedacht hatte, sie müsse sterben.

Es war dieses Zucken in ihren Fingern, als würde sie jederzeit nach ihrem Zauberstab greifen wollen.

Es war diese Unruhe in ihr, das sie davon abhielt, bequem zu sitzen.

Es war dieses Gefühl, das Tia noch nie gehabt hatte und am liebsten wollte, sie dass es sofort aufhörte, aber Gefühle konnte sie nicht kontrollieren. Sie wollte wieder Ruhe spüren und Ruhe finden, aber irgendwie schaffte sie es nicht.

Als hätte George ihre Gedanken gehört, rutschte er näher zu ihr und legte einen Arm um ihre Schulter.

Normalerweise schaffte George es immer, sie zu beruhigen, aber dieses Mal war es nur ein kleiner Trost.

„Was ist los, Tia?", fragte er sie sanft.

„Ich weiß nicht", gestand Tia, „Es verwirrt mich."

„Morgen bist du also weg?", lenkte George das Thema in eine andere Richtung.

„Wenn es eine andere Möglichkeit gäbe, würde ich vermutlich bleiben", überlegte Tia, „Ich mag es nicht, wenn ich nicht bei denen bin, die ich kenne. Woher soll ich wisse, ob es euch gut geht?"

„Wir finden bestimmt einen Weg", beruhigte Fred sie dieses Mal, „Wir werden schon noch einen Weg finden, um euch irgendwie zu kontaktieren."

„Ich habe Angst", gestand Tia, „Ich weiß nicht, warum – eigentlich ist noch gar nichts wirklich passiert..."

„Manchmal hat man einfach nur Angst, weil etwas passieren könnte", erinnerte George sie.

„Ich hoffe, es passiert nichts", hoffte Tia heiter, „Wäre es nicht nett, wenn wir nur ein paar Tage wegbleiben würden und wenn wir zurückkommen, ist wieder alles in Ordnung? Harry hat gewonnen, alles ist wieder in Ordnung, wir wären glücklich... Das wäre nett..."

„Ja", George nickte und zwang sich zu lächeln, „Das wäre tatsächlich nett."

„Aber unrealistisch", winkte Tia ab, „Nein, an so etwas glaube ich lieber nicht, wenn ich dann wieder enttäuscht werde. Das einzige, auf das wir jetzt noch hoffen können, ist, dass wir alle lebend da wieder raus kommen."

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