129. Kapitel
Tia fand es seltsam, dass sie nicht so viel Zeit ins Lernen für die UTZs einbrachte, wie sie es für die ZAGs getan hatte, aber irgendwie schien keiner wirklich zu wissen, warum sie lernen sollten und sobald die Motivation fehlte, fehlte auch der Wille, wirklich etwas zu erreichen.
Nach der Beerdigung, die Tia und Katie zusammen mit Leanne geplant hatten, war die Stimmung immer etwas gedämpft und nicht einmal das erste Spiel, das Katie wieder spielte, konnte sie noch aufheitern.
Eigentlich hätte alles besser werden sollen, nachdem Katie wieder da war, aber das wurde es nicht. Stattdessen wurden die drei noch am selben Tag daran erinnert, dass Katies Unfall nicht wirklich ein Unfall gewesen war, dass sie eigentlich unter dem Imperius-Fluch gestanden hatte und dass jetzt auch noch Leannes Eltern Opfer dieses Krieges geworden war.
Denn daran dachte Tia, wenn sie an die derzeitige Zeit dachte – an einen Krieg, den sie eigentlich nie haben wollte. Wie war sie einfach so in einen Krieg gestolpert. Sie hatte in ihrer Kindheit von Kriegen gehört. Sie hatte von ihrer Großmutter vom Spanischen Bürgerkrieg gehört; von den Weltkriegen, an denen auch England beteiligt gewesen war und an die Zeiten damals, aber sie hatte sich damals, als unschuldiges, naives Kind niemals gedacht, dass sie einmal mittendrin stecken würde.
Als Carla von Leannes Eltern hörte, kam ein Brief mit beruhigenden Worten zurück. Natürlich würde Leanne immer einen Platz bei den Fuegos finden und Leanne hatte geweint, als sie das gelesen hatte. Mit dabei war ein kleiner Schlüsselanhänger aus Spanien gewesen, den Carla für Leanne mitgeschickt hatte. Es war einer dieser Schlüsselanhänger, die man in Touristenläden erwerben konnte.
Darauf abgebildet war Guernica. Ein Gemälde von Picasso, einem spanischen Künstler; und dieses Bild in seiner Mini-Version zeigte das, was Krieg wirklich war. Zerstörung, Leid und Verderben – keine Sieger oder Gewinner; nur Verlierer.
Leanne hatte den Schlüsselanhänger an einem Lederband um ihren Hals hängen und Tia beobachtete sie häufiger dabei, wie sie danach Griff, als wäre dieser Anhänger ihr Anker gegen den Wahnsinn, der drohte sie zu übermannen.
Tia hätte ihr gerne versprochen, dass nach den UTZs erst einmal eine kleine Auszeit ausständig war. Dass sie selbst nach Spanien reisen könnte, um sich das Gemälde in seiner vollen Pracht anzusehen. Aber Tia versprach nicht gerne etwas, das sie nicht halten konnte. Woher sollte sie wissen, ob es nicht noch schlimmer werden würde. Tia würde England nicht verlassen, auch wenn Carla in Spanien war. Tia konnte Remus und die anderen nicht verlassen. Sie konnte George nicht in einer Zeit des Krieges zurücklassen und selbst in Sicherheit versteckt bleiben, während ihre Freunde starben.
Es war alles erdrückend geworden und Tia fand keinen Ausweg – nicht einmal mehr ihre Freunde konnten sie noch wirklich aufheitern.
Die UTZs rückten immer näher und Tia strich täglich einen weiteren Tag durch und beobachtete auf ihrem Kalender, wie der Mai immer näher rückte und mit ihm auch die letzten Prüfungen.
Tief im Inneren wusste Tia, dass nach Hogwarts nichts mehr so sein würde, wie vorher. Sie würde nicht von der Schule in ein freies Leben wechseln – sie würde von der Sicherheit der Schule in eine Welt geschubst werden, in der sie Freiwild war.
Und so kamen die UTZ, aber es war für Tia so, als wäre es ein weiterer Tag.
Sie lernte nicht viel. Sie lernte eigentlich kaum. Sie lernte Zauberkunst und Verteidigung gegen die dunklen Künste, obwohl sie letzteres nicht einmal abschließen würde, weil sie wusste, dass sie Zauber und Hexereien da draußen dringender benötigen würde, als Fachwissen. Sie lernte Verwandlungen, die sie im Kampf benutzen konnte und in den Nächten lernte sie nicht, sondern brach ins Klassenzimmer für Zaubertränke ein, um Zutaten für mächtige Tränke zu sammeln, die sie gleich verarbeitete.
Sie hatte sich Agnes' Rat zu Herzen genommen und braute Tränke, die sie im Kampf benutzen konnte. In fragilen Glasfläschchen würde sie sie werfen können, also brauchte sie Tränke, die bei Körperkontakt wirkten, aber davon gab es auch genug und Tia kannte sie alle, denn sie speicherte alles ab, das sie brauchen würde, als würde sie sich auf den letzten Tag vorbereiten und tief im Inneren wusste sie, das tat sie auch. Aber wenn sie schon untergehen würde, dann würde sie kämpfend untergehen.
Um sie herum lernten die Schüler für ihre Prüfungen. Die Fünftklässler bereiteten sich für ihre ZAGs vor, während die Siebtklässler schon etwas früher ihre UTZs schreiben würden.
Die Siebtklässler verließen auch traditionsgemäß ein paar Wochen vor den anderen Schülern die Schule in Booten, wie sie auch nach Hogwarts gekommen waren, aber Tia wünschte sich, sie hätte diese Wochen noch in Hogwarts verbringen können, nur um sicherer zu sein.
„Was macht ihr, wenn es noch schlimmer wird?", fragte Leanne. Es war eine Vollmondnacht und die drei saßen zusammen und auch, wenn sie nicht darüber sprachen, so plante jeder von ihnen innerlich schon, was er nach der Schule machen würde. Sie überlegten sich keine Berufsmöglichkeiten oder wo sie wohnen würden. Sie dachten darüber nach, was alles noch passieren musste, damit auch sie Ziele werden würden.
Zu Vollmond war es still im Gemeinschaftsraum. Es war schon so spät, dass sonst niemand mehr wach war, aber nachdem Tia sowieso die ganze Nacht gezwungenermaßen wachgehalten wurde, hatten Katie und Leanne schon lange beschlossen, ihr einfach Gesellschaft zu leisten. Keiner von beiden gab es laut zu, aber jeder von ihnen wusste, dass sie das taten, weil sie dankend einen Grund annahmen, um ausnahmsweise nicht schlafen zu müssen und so den Albträumen zu entgehen.
„Ich werde untertauchen", sagte Tia so sachlich, dass Leanne und Katie für einen kurzen Moment nicht sicher waren, ob sie scherzte oder nicht.
„Wirklich?", fragte Katie leicht überrascht. Tia war doch eher unsicher und untertauchen tat man nicht einfach so.
„Klar, was sollte ich sonst tun?", fragte Tia und hob eine Augenbraue, „Soll ich warten, bis die Todesser kommen, um mich umzubringen?"
„Du denkst, so weit wird es kommen?", fragte Leanne und schaute ihre Freundin besorgt an.
„Ich wäre überrascht, wenn es nie so weit kommen würde", gestand Tia, „Ich meine... schaut mich an... ich bin das schlimmste Schlammblut von allen, oder nicht?"
„Sag dieses Wort nicht!", tadelte Katie sie streng, „Nichts an deinem Blut ist schlammig."
„Erklär das erst einmal Fanatikern", schnaubte Tia unbeeindruckt, „Meine Muggel – zum Teil Veela und der Rest ein Muggel. Mein Vater, ein Werwolf. Ich meine... sogar für Muggel bin ich so etwas wie ein Schlammblut."
„Es gibt für Muggel keine Schlammblüter", erinnerte Leanne sie.
„Das bedeutet nicht, dass sie nicht meine dunklere Haut sehen, meine schwarzen Haare und meine Großmutter und wissen, dass wir nicht wirklich reinblütige Engländer sind", meinte Tia leise, „Ich habe das noch nie jemanden erzählt, aber damals... ich glaube, ich war acht oder neun... damals ist ein Mann – ein Engländer zu meiner Großmutter und mit gekommen und hat vor uns auf den Boden gespuckt und uns befohlen, in unser Land zurück zu kehren. Meine Großmutter hat meine Hand genommen und mich weggezogen – sie hat nichts gesagt, aber ich habe ihr angesehen, dass es ihr weh getan hat. Sie ist ja nicht wirklich gerne in England – sie liebt Spanien. Sie ist in England wegen meiner Mutter geblieben, ansonsten wäre ich in Spanien. Leute schauen immer nur auf unsere Herkunft – alles andere ist ihnen egal. Und sobald ich da draußen bin und Hogwarts verlassen habe, werde ich wieder einmal sehen, wie es ist, nicht reinblütig zu sein – ich bin nämlich in keiner Weise reinblütig."
„Das ist schrecklich", zischte Katie hasserfüllt, „Und ich habe immer gedacht, Muggel wären da anders."
„Sie sind wahrscheinlich noch schlimmer", Tia schüttelte enttäuscht den Kopf, „Bei Zauberern zählt die Familie, aber bei Muggel ist es das Aussehen, das einen ausmacht. Wenn du nicht englisch aussiehst, bist du kein Engländer – einfach, aber doch kompliziert."
„Du tauchst also unter", fasste Leanne zusammen, „Wohin wirst du gehen."
Tia zögerte. „Ich weiß nicht", gestand sie, „Aber selbst, wenn ich einen Plan hätte, würde ich es euch nicht sagen. Informationen sind gefährlich, wenn es erst einmal begonnen hat."
„Was soll beginnen?", fragte Leanne nach.
„Die Jagd", wisperte Tia leise und schaute auf ihre Hände, „die Jagd nach jenen, die kein reines Blut besitzen."
Kurz war es ruhig.
„Ich werde auch untertauchen", erklärte Leanne leise, „Nicht, weil du es tust, Tia... ich habe nur das Gefühl, dass die Todesser mich nicht einfach so davonkommen lassen. Sie haben meine Eltern schon erwischt – ich fehle noch in der Sammlung. Ich glaube nicht, dass sie mich lange leben lassen würden, also verschwinde ich lieber schnell und bin dann in Sicherheit."
„Wir hauen auch ab", meinte Katie, „Ich... ich wollte es euch schon erzählen, aber ich habe gedacht, wir hätten nicht alle dieselben Pläne."
„Alicia und du?", fragte Tia nach und Katie nickte.
„Wir denken nicht, dass wir akzeptiert werden würden", meinte Katie leise, „Wenn meine Eltern uns nicht akzeptiert haben, dann wird es irgendwann bestimmt noch jemanden geben, der auf die Idee kommt, dass wir nicht frei herumlaufen sollten. Und darauf warten wir lieber nicht. Wir sind weg, sobald wie das Gefühl haben, die Sache eskaliert. Wir haben schon einiges vorbereitet – es gibt sogar schon ein Safehouse, in das wir untertauchen können... aber... Tia hat Recht... ich erzähle euch lieber nicht, wo es ist."
„Bleibt ihr in England?", fragte Leanne in die Runde und Katie und Tia nickten. Leanne wirkte verunsichert und das erkannte Tia sofort.
„Du nicht?", fragte Tia ihre Freundin sanft, „Du weißt, dass es keine Verpflichtung ist, mitten im Kriegsgebiet zu bleiben."
„Ich...", Leanne schien keine Worte zu finden, „Ich weiß nur, was mit meinen Eltern passiert ist und... ich will nicht so enden, wie sie. Aber... auf der anderen Seite will ich euch nicht im Stich lassen... ihr seid alles, was mir noch bleibt."
„Wir würden dir auch bleiben, wenn du beschließen würdest, England zu verlassen", versprach Tia, „Du könntest nach Spanien zu meiner Großmutter. Sie würde dir bestimmt mit Spanisch helfen und du wärst in Sicherheit."
„Aber ich hätte auch das Gefühl, dass ihr ohne mich sterben würdet", erklärte Leanne, „Ich... ich weiß noch nicht... ich bin so hin und her gerissen."
„Egal, was aus uns wird", meinte Katie sicher, „Wir halten zusammen... für immer... egal, was passiert."
„Egal, was passiert", wiederholte Tia feierlich und nahm Katies Hand.
Leanne zögerte für einen Moment, bevor Ehrgeiz in ihren Augen blitzte und auch sie die Hände ihrer Freundinnen nahm. „Egal, was passiert."
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