🕯🕯🕯🕯 Spanien - Luna
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Luna
(aus Journey of a messed up Boy)
von noensparty
💫Firlefanz💫
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Skeptisch beäuge ich das Gebäck in seiner zarten Hand, die bereits so über und über mit Puderzucker bestäubt ist, dass es aussieht als trage er ein Häufchen Schnee darin. Sicher viel zu süß und klebrig.
„Jetzt mach schon, sie schmecken köstlich!" Die Zuckerbombe schwebt vor meiner Nase und ich beginne zu kichern.
Hal sieht mich herausfordern an, sein Mund ist ebenfalls puderzuckerweiß und ich kann nicht anders, als meine Finger nach vorne zu strecken und um seine volle Lippen kreisen zu lassen. Mein Mund folgt und ich nasche lieber direkt von ihm, als von den klebrig wirkenden Polverones in seiner Hand.
Der Effekt ist meiner Meinung nach der selbe, deutlich kalorienarmer und zumindest eine Nuance davon schmecke ich jetzt deutlich auf meinen Lippen. Mit meiner Zungenspitze tippe ich gegen diese zuckersüße Röte und nasche auch davon.
Er hat recht, es ist einfach köstlich. Hal lacht, zieht mich an sich heran, als ich mich gerade von ihm lösen will und intensiviert den Kuss. Trotz der Kälte um uns herum wird mir sofort warm, sehr warm.
Ein heißes Prickeln geht von meinem Mund, über meine Brust, hinab zu meinem Bauch und dann in deutlich tiefere Regionen. Ich kann einfach nicht anders und lasse spielerisch mein Becken gegen seines gleiten, was ein bejahendes Keuchen von meinem Geliebten zur Folge hat.
Nicht nur süß und köstlich, dieser Junge, sondern die pure Verlockung für mich! Doch zu meinem Bedauern schiebt er mich etwas von sich, bevor mein Verstand vollends vor Süße und Endorphinen abschalten kann. Mit großen Augen sieht er zu mir auf und grinst.
"Bei den Gedanken in deinem Kopf hätten wir auch direkt in London in unserem Bett bleiben können", tadelt er mich spielerisch und ich zucke mit den Schultern.
Mein brünetter Lockenkopf zieht wieder die Tüte mit den Keksen hervor und hält mir einen davon auffordernd vor den Mund.
"Du wirst sie lieben!", behauptet er kühn, ich verdrehe nur die Augen. Was ich liebe, steht schließlich genau vor mir, da brauche ich kein süßes Gebäck mehr. Trotzdem tue ich ihm den Gefallen.
Artig öffne ich meinen Mund, ein kleiner Happs - mehr nicht, etwas klebrig, ziemlich saftig tatsächlich, landet zwischen meinen Lippen. So weich mit genau der richtigen Süße und wirklich verdammt lecker, dabei lange nicht so klebrig wie die Turrones, die ich am ersten Stand kosten musste.
Ich muss kurz die Augen schließen und schieb' den letzten Bissen hinterher - wirklich köstlich.
„Sag ich doch!", schnurrt mir mein Boy ans Ohr und zieht mich direkt weiter, während ein greller Schrei seine Lippen verlässt. Erschrocken zucke ich zusammen.
"Ich glaub' es nicht!", jubelt er.
„Da hinten ist ein Stand mit Mantecantos!", lachend dreht er sich zu mir um, seine Augen funkeln mit den Sternen am Himmel um die Wette und seine kindliche Freude dabei, über so etwas Banales, macht mich selbst einfach nur glücklich. Es ist die Art der Ablenkung, die ich so dringend gesucht habe in den letzten Stunden vor dem anstehenden Treffen.
Und mein Freund scheint noch lange nicht satt zu sein. Ich bewundere ihn ehrlich dafür, wie er sich so in diesen kleinen Markt hier stürzen kann - mit Haut und Bauch, wie man sagen könnte, denn das ist sicher schon die fünfte Köstlichkeit, die er in sich hinein schlang.
Soviel Süßes, schon der Gedanke an diese ganzen Zuckerbomben verursacht bei mir Zahnweh.
„Wir haben doch schon genug!", lache ich. Seine Tasche ist bereits gut gefüllt mit vielen der kleinen Köstlichkeiten, die wahrscheinlich keiner von uns je alle aufessen kann, ohne Magenschmerzen zu bekommen.
„Nee, komm nur noch der kleine Stand dort!" Er zieht mich mit diesem bezaubernden Lächeln auf den Lippen weiter und wir laufen zu einem wirklich winzigen Stand, der mir ohne seinen geübten Blick gar nicht aufgefallen wäre.
Eine alte, ziemlich grimmig drein blickende Frau sitzt im Schein von Kerzenlicht dahinter und scheint so gar nicht begeistert über Kundschaft.
„Mantecatos eine Tüte zehn Euro", schleudert sie uns entgegen und leicht entsetzt, sehe ich sie an. In den winzigen Tütchen, die vor ihr auf dem Holztisch aufdrappiert sind, erkenne ich gerade mal vier von den Keksen.
„Lass uns weitergehen." Ich ziehe an der Jacke von Hal, doch der schüttelt den Kopf und beugt sich neugierig vor, um sich eine Tüte zu nehmen. Der Beutel ist aus Stoff mit kunstvollen Stickereien daran. Eigenartig. Kleine Sterne und ein Mond zieren ihn und oben wird das Säckchen mit einem goldenen Band zusammengehalten.
„Bringen Glück", murmelt die Alte immer noch ziemlich griesgrämig.
Mein Süßer grinst.
„Genau das, was wir brauchen, Nic", wieder dreht er sich zu mir um und strahlt mir wie die Sonne entgegen. Wie kann er nur so entspannt sein?
Ich verdrehe die Augen. Glück hatte uns ganz sicher nicht hierher geführt, eher ein monatelanger Kampf und ich konnte es kaum erwarten, dass er heute, endlich und hoffentlich endgültig sein Ende fand.
„Und es passt perfekt für sie!" Triumphierend hält er mir den Beutel unter die Nase. Natürlich habe ich den Zusammenhang längst verstanden. Trotzdem scheint es mir absolut unverhältnismäßig so viel Geld für vier Kekse auszugeben.
"Das duftet einfach köstlich!" Hal wedelt weiter mit dem Beutel vor meiner Nase und ich seufze geschlagen. Ich brauche keine weitere Überzeugungsarbeit von dem brünetten Lockenkopf. Er hätte mir auch vorschlagen können einen riesigen rosa Plüsch Elefanten zu kaufen und ich wäre dabei gewesen. Endorphin benebelte Verliebtheitsphase - immer noch und ohne Aussicht auf Besserung.
Ich kann ihm einfach keine Bitte abschlagen. Er weiß das mittlerweile nur zu gut und zu meinem Glück nutzt er es nicht aus. Zumindest nicht oft, wenn man mal von heute Morgen absieht...
Seufzend ziehe ich mein Portmonee aus der Tasche und will der alten Dame die zehn Euro überreichen, doch plötzlich greift sie, statt nach dem Schein, nach meiner Hand, hält sie fest und starrt wie gebannt darauf.
„Was?", kommt es erschrocken von mir.
„Stärke! Und eine geteilte Lebenslinien, zwei Leben schlagen in deiner Brust", murmelt sie kratzig vor sich hin.
„Interessant, interessant", flüstert sie weiter und streicht darüber. Das Prickeln, das mich dabei erfasst, hat nichts mit Zuneigung zu tun, eher mit blankem Entsetzen. Was ist das für eine verrückte Alte?
„Eigentlich will ich nur bezahlen", stammele ich nervös und versuche meine Hand aus der ihren zu ziehen, doch sie ist stärker, viel stärker als gedacht.
"Eine lange Reise liegt hinter dir", flüstert sie, bedeutungsschwerer. Ich verdrehe die Augen, doch sie reagiert nicht darauf, starrt weiter wie gebannt auf die Vertiefungen auf meiner Haut, "und eine Suche..."
„Jepp", genervt schüttele ich den Kopf und halte den Beutel hoch, "nach diesen sauteuren Keksen."
„Nein!", entsetzt sieht sie mich an. "Du hast es gefunden!" Ihr Blick wird ernst.
„Ihn!" Damit zeigt sie auf meinen Partner und plötzlich schwindet der grimmige Blick und verändert sich zu einem breiten Lächeln, sie beginnt zu nicken.
*
Hal lacht noch immer, hält sich kichernd den Bauch, als der Stand schon in weiter Ferne liegt. Er japst, keucht und verfällt in einen erneuten Lachanfall.
„Ach komm, sie war echt süß, etwas zum Fürchten, aber süß und dein Gesicht!" Er wirbelt herum und scheint kaum noch Luft zu bekommen vor Lachen.
„Wie kannst du so jemanden süß finden? Sie hat mich fast zu Tode erschreckt!", gebe ich entsetzt von mir, merke aber, wie meine Mundwinkel deutlich nach oben zucken.
„Na immerhin, sie hat doch recht." Zu den Worten kommt er wieder auf mich zu, seufzt wohlig auf und kuschelt sich eng an meine Taille. Instinktiv schlinge ich den Arm um seine Schulter, presse meinen Kopf gegen sein dichtes Haar und atme ihn tief ein.
Ich lächele besänftigt.
„Sie hat sowas von recht", nuschle ich gegen seine Locken und presse einen Kuss auf seine Stirn, dann bleibe ich stehen und ein Seufzen verlässt meine Lippen. Ich suche seine Lippen, lege meine Finger unter sein Kinn und hebe es an, will ihn einfach nur spüren, so wie heute Morgen.
"Wir könnten auch einfach zurück zum Hotel...", murmele ich in den Kuss.
Entsetzt sieht mein Freund mich an.
"So gern ich das auch täte, aber das soll wohl ein Witz sein, oder?"
"... Oder einfach etwas Ablenkung... uns wird niemand vermissen...", sage ich leise. Zu deutlich sehe ich nochmal die letzten 24 Stunden seit unserer Ankunft in Barcelona vor mir.
Hal und ich hatten nicht viel geschlafen, es lag an meiner andauernden Panik und Nervosität, aber es war nicht nur das.
Lange hatten wir nicht mehr so viel direkte Zeit miteinander gehabt, ohne nervige Anrufe und Termindruck dazwischen - einfach nur wir, zusammen in diesem riesigen Bett, inklusive Frühstück darin, mit einem ganz besonderen Nachtisch dazu, der mir erneut vor Augen geführt hatte, warum ich einfach nicht Nein zu dem unglaublichen Jungen sagen konnte.
Zu deutlich sehe ich noch immer den nackten, schlanken Körper meines Freundes vor mir, so losgelöst und glücklich.
Ich seufze erneut auf.
Einfach zurück zum Hotel zu gehen - der Gedanke ist so verlockend. Und das Wissen darüber, was vor uns liegt, lässt meine Brust schmerzhaft zusammenziehen. Meine Füße wollen sich keinen Schritt mehr weiter bewegen.
Die Panik in mir ist zurück, wie damals auch. Jeder Schritt in die Richtung macht es schlimmer. Hal spürt es und greift wieder nach meiner Hand, sieht mir tief in die Augen.
"Die Ablenkung hast du gar nicht mehr nötig, nicht nach dem, was wir zusammen durchgemacht haben...", flüstert mein Boy mir ins Ohr und drückt mir dann einen sanften Kuss auf die Lippen.
Er zieht mich erneut an sich und wir versinken in eine lange, stille Umarmung. Ich bin so froh, dass er heute an meiner Seite ist. Der Weg, der uns jetzt und heute noch bevorstand, würde steinig und voller Hindernisse sein.
*
Wir nehmen ein Taxi und fahren an den Stadtrand von Barcelona. Der Wagen hält vor einem großen, gusseisernen Tor. Dahinter liegt die Einfahrt, die zu dem Haus führt, was mir vor fast zwei Jahren schon ordentlich das Fürchten gelehrt hatte.
Das Elternhaus von Maria. Das Haus, in dem sie jetzt zusammen mit meiner Tochter lebt.
Zögerlich steige ich aus und dann öffnet sich schon das Tor. Es scheint so, als würden wir bereits erwartet.
An der Tür hängen bunte Luftballons, von innen höre ich leise Musik.
Es ist der 20. Dezember, das Datum ist wie in meinen Kopf eingebrannt. Der erste Geburtstag von Luna, an dem auch ich teilnehmen darf.
Mühsam setze ich einen Schritt vor den anderen, schwanke als könnte ich nicht mehr richtig laufen.
Der Schmerz sie nicht sehen zu können, dieser Verlust, er wirkt seit unserer letzten Trennung wie ein stumpfes Messer in meiner Brust. Es ist ein Gefühl, das niemals vollkommen verklingen wird und jetzt wieder hier zu sein, lässt das Messer in meinem Herzen sich drehen und wieder tiefer eindringen. Ein leises Keuchen entweicht mir.
So schwer hatte sich noch kein Gang für mich angefühlt.
Das erste Mal war ich hier vor knapp zwei Jahren mit Schimpf und Schande rausgejagt worden, das zweite Mal vor einem halben Jahr, mit Adleraugen beäugt und auch heute würde mich niemand freudig begrüßen, erst recht nicht mit Hal an meiner Seite.
Die Tür wird geöffnet und ich halte gespannt die Luft an. Die Enttäuschung, als sie aufgeht, ist mir ins Gesicht geschrieben - es ist die Hausdame der Familie. Eine Mittvierzigerin mit Dutt und strengem Blick.
"Dominic Coltrane", leicht irritiert, sieht sie zu meinem Freund, hält in der Bewegung inne und scheint nach Worten zu ringen. Die antrainierte Höflichkeit lässt sie schließlich schweigen.
"Nun, kommen Sie", zögerlich geben wir ihr unsere Jacken und folgen stumm.
Wie soll man sich auf etwas vorbereiten, auf das man sprichwörtlich die letzten Monate hingearbeitet hat? Gerade bin ich pures Adrenalin, alles bebt und zittert in mir wie ein Schwall aus Stromschlägen. Mein Herz pumpt bis zum Hals und mein Magen fühlt sich an wie ein einziger großer schwerer Brocken voller Angst.
*
Bei meinem letzten Treffen war es hier weder bunt verziert, noch mit Luftballons geschmückt. Alles wirkte kalt und wenig einladend. Selbst im Sommer hatte sich eine Gänsehaut auf meine Haut gelegt, als ich das Haus betreten hatte.
Nervös war ich wie heute der Hausdame gefolgt, wusste wirklich nicht, was mich gleich erwarten würde, ob sie mich überhaupt zu meinem Kind lassen würden. Zu oft hatte ich den Moment in den letzten Monaten vor meinem inneren Augen versucht zu fassen und zu sehen, doch jetzt hier wirkte alles wieder ganz anders als in meinem Kopf. Kein Lächeln, kein nettes Wort, nur der Anstand und der Brief meines Anwalts waren damals die Gründe, das sie mich überhaupt bei Luna duldeten.
Bis zu diesem ersten Treffen war ich so oft an den Punkt gekommen, an dem ich einfach alles hinwerfen wollte, aufgeben. Ich hatte nur dieses eine Foto und das Video und sonst nichts. Für was kämpfen, was in meinem Kopf kaum existieren konnte? Was einfach nicht weiter wuchs als bis zu dem damals eingefangenen Augenblick auf dem Bild? Sie wollten mich nicht bei ihr haben. Und sie taten alles um meine Existenz zu leugnen, sahen nur meine alten Verfehlungen.
Es gab keine Entschuldigung für das, was passiert war, was ich Marie zugemutet hatte, aber eine verdammte Chance, ein Wiedersehen, hatte ich nicht wenigstens das verdient?
Damals durfte mich nicht mal mein Geliebter begleiten. An dem Tag war ich komplett auf mich allein gestellt. Marias Bedingung und die ihres Anwalts.
Dabei war mein Boy die Person gewesen, die mich überhaupt zum Weitermachen angetrieben hatte. Ohne ihn hätte ich längst aufgegeben.
Der Gang durch die mit Fichtenholz und Schnitzereien an den Wänden verzierten dunklen Räume, das flackernde Licht - nichts deutete darauf hin, dass hier ein Kind lebte, kein Spielzeug, das im Weg lag, nichts.
Die Hausdame hatte mich auf die Terrasse geführt, streng neben mir gestanden und mich kritisch beäugt. Ich brauchte ihre Gedanken nicht zu lesen, sah sie so direkt in ihr Gesicht geschrieben - Abscheu. Nicht das erste Mal, dass man mich hier so ansah und immerhin, es bereitete mich auf das vor, was mich in den nächsten Stunden hier erwarten würde.
Ich sah zu dem parkähnlich angelegten Garten und erkannte sofort den blonden Schopf, hörte sein lautes Lachen - Percy. Wie aus einer längst vergangen Zeit drang es zu mir hinauf und ließ einen Stich durch meine Brust gehen. Was hatte ich den Mistkerl vermisst.
Mein bester Freund bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Frau, die ich vor langer Zeit selbst geliebt hatte, uns auseinander gerissen hatte. Es gab damals nur zwei Wege für ihn, sie oder ich - und so wütend es mich auch gemacht hatte, ich konnte seine Entscheidung zumindest grob nachvollziehen. Ich hätte mich auch immer für Hal entschieden.
Als hätte er meinen Blick gespürt, sah er auf, erblickte mich und erstarrte. Er sah zu Maria neben sich, sie trug ein grünes Baumwolltuch vor sich und ich vermutete stark, dass unsere Tochter darin lag.
Beide kamen auf mich zu. Maria langsamer, in kurzen Schritten, deutlich hinter Percy.
Immerhin Percy setzte ein Lächeln auf und ohne etwas zu sagen, umarmte er mich kurz und fest.
"Gott, Nic", brummte er in mein Ohr. "Gut, dass du da bist!" Seine raue Stimme drang in mich, rief alte versteckte Erinnerungen hervor.
Schöne, verrückte Momente blitzten in mir auch und auch diese tiefe Schwärze, die uns an manchen Tagen umgeben hatte. Doch wir hatten uns gestützt, gegenseitig aus diesen Tiefs hervorgezerrt und ich war Percy noch immer mehr als Dankbar für seine Hilfe damals.
War noch irgendetwas von unserer Freundschaft zu retten? Zugern würde ich daran glauben.
"Bin echt froh, dich zu sehen, siehst gut aus", dabei strich er mir kurz eine schwarze Strähne aus der Stirn.
"Perc", murmelte ich betreten. Sehr viel mehr war mir damals einfach nicht möglich gewesen.
"Maria." Ich sah stattdessen zu ihr und mein Herz setzte einen Moment aus.
"Nic", sie presste die Lippen zusammen und drehte sich etwas zur Seite, endlich war der Blick auf meine Tochter freigegeben.
Zumindest zum Teil, denn der Stoff des Tragetuches bedeckte fast ihren kompletten kleinen Körper. Darin lag sie eingemummelt, die kleinen Fäustchen vor das Kinn gestreckt, die Bäckchen aufgeplustert und sah so friedlich aus.
Sofort wurde der Kummer und Schmerz der letzten Monate davongefegt und machte Platz für ein unglaubliches neues Gefühl - Stolz.
Der Moment, unser erster Moment hatte mich sprichwörtlich von den Beinen gefegt und mich ehrwürdig innehalten lassen.
"Wow", entwich es mir. Sie war wunderschön und sofort spürte ich es - uns verband etwas, es war nicht zu leugnen, dass ich ihr Vater war.
Ihre Haare waren so dunkel wie meine und als sie sich etwas rührte und die Lider müde aufschlug, erkannte ich das tief-blau meiner Augen darin. Kein Zweifel, nicht ein Hauch davon - mein Fleisch und Blut. Und ihr Blick auf mich - für einen Bruchteil einer Sekunde fragend und dann schien es sie wie eine tiefe Erkenntnis zu erreichen, sie lächelte und musterte mich neugierig.
"Kann... kann ich sie halten?", stammelte ich, kaum in der Lage die Freudentränen zurück zu halten.
Maria seufzte, drehte sich von mir weg.
"Ich lege sie im Wohnzimmer auf eine Decke."
So viel zu ihrer Kompromissbereitschaft...
Doch kaum wurde sie von ihrer Mutter getrennt und spürte nicht mehr die Wärme ihres Körpers begann sie zu weinen, bitterlich und laut.
Entsetzt sah ich auf sie hinab, leicht überfordert kniete ich mich neben sie.
Maria war ebenfalls aufgesprungen, doch aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, wie Percy sie zurückhielt.
"Hey Luna, alles gut!", sagte ich sanft, "Ist dir kalt?" Zögerlich berührte ich ihre kleinen Finger, die zu Fäusten geballt waren, während sie tief und aus vollen Lungen schrie.
"Ich nehm' sie wieder." Es klang etwas abgehetzt von meiner Ex, die sich neben mich hockte.
"Maria", die sanfte Stimme von Percy und sofort wurde sie etwas ruhiger.
Ich sah den Blick meiner Ex nicht, den sie ihrem Freund zurück warf, doch ich konnte ihn mir nur zu gut vorstellen. Sie vertraute mir nicht. Dabei würde ich niemals zulassen, dass Luna etwas zustieß.
Ich schluckte, spürte die Anspannung von Maria neben mir und schob meine Hand vorsichtig unter Lunas weichen Körper, der von einem dünnen Jäckchen und einer weiten türkisen Hose mit großem Bund mit gelben Blumen bedeckt war. Erschrocken blickte Luna mich an und verstummte dann sofort. So vorsichtig wie ich konnte, die zweite Hand unter ihrem Köpfchen, hob ich sie an, alles unter ihrem leicht skeptischen Blick.
"Alles gut, Luna", flüsterte ich.
Ich drückte sie an meine Brust, stand auf und wie automatisch wippte ich auf und ab dabei. Kein Mucks war mehr von ihr zu hören.
Fragend blickte ich zu ihr hinab und grinste,wie sie sich da an meine Brust klammerte. Dabei grinste ich wie ein Honigkuchenpferd. Regelrecht gebannt starrte sie mich aus ihren blauen Augen an.
War es der Schock oder spürte sie, dass von mir keine Gefahr ausging? Dass ich nur das Beste für sie wollte?
Ich blickte zu ihrem süßen Köpfchen hinab, sah ihren neugierigen Blick auf mich, wie sie ihre Fingerchen ausstreckte und mein Kinn berührte.
'Gott, sie ist so unglaublich perfekt!', dachte ich. Mein Herz flatterte auf und alles zog sich in mir zusammen, die Freudentränen begannen in Strömen aus meinen Augen zu laufen.
Es war unsere erste Begegnung gewesen. Ich war voller Hoffnung abgereist nur um drei Tage später einen Brief von ihrem Anwalt im Briefkasten zu haben, der mir erneut den Umgang mit meiner Tochter untersagte.
Wieder waren es fadenscheinige Begründungen - kein geregeltes Einkommen, meine Vergangenheit, der Verdacht auf Drogenmissbrauch - all der Mist. Ich war kurz davor gewesen, auszurasten, alles hinzuschmeißen.
Wie konnte Maria so herzlos sein? Erst ließ sie mich zu Luna und dann riss sie mir meine Tochter direkt wieder aus dem Leben. Es war einfach nicht fair und mir war klar, dass Maria und ich nie wieder ein gutes Verhältnis zueinander haben würden.
Für Luna tat es mir am meisten leid. Unsere Zukunft, unser Wiedersehen würde ein zäher und kräftezehrender Kampf bleiben.
Immerhin, mein ehemals bester Freund, Percy und ich redeten wieder, endlich, über die Musik, meine Kunst, London und natürlich auch Hal und Luna.
Und jetzt bin ich nach einem halben Jahr das erste Mal mit meinem Geliebten hier.
Sicher, er kannte Luna von Fotos und meinen Erzählungen - dem wenigen, was ich davon hatte. Doch jetzt zerrt und ziept es an jedem Nerv in meinem Körper. Ich war hypernervös. Wie würde es heute werden? Würde ich danach endlich regelmäßig kommen dürfen?
Und das Wissen meiner großen Liebe endlich mein Kind zeigen zu können, scheint wie das Puzzleteil, das noch in meinem Leben fehlt - Das verdeutlichen würde, wie sehr ich ihm vertraue, wie sehr wir zwei zusammen gehören und auch meine Tochter zukünftig ein wichtiger Teil von unserem Leben sein würde.
"Bereit?", hauche ich ihm entgegen, er nickt, wirkt ähnlich nervös wie ich und wir folgen der Musik.
Heute ist das Haus endlich voll von Kindern und nervösen Eltern, Sahnetorte, Spielsachen und Luftballons, wohin man auch sieht.
Ich grinse breit, trete in das große Wohnzimmer. Meine Prinzessin sitzt in der Mitte auf einem Teppich und macht sich über die vielen Geschenke her. Nicht dass sie sich sonderlich für den Inhalt interessierte, aber das Aufreißen des Geschenkpapiers erzeugt immer wieder ein vergnügtes Quietschen, das ihr aus der Kehle dringt. Dieses Kribbeln im Bauch, dieses Gefühl, diese Verbundenheit, die ich sofort spüre, als ich sie erblicke. Luna ist deutlich gewachsen, ihr Körper nicht mehr so süß speckig, wie bei meinem ersten Besuch und ihr Blick ist direkter, wacher. Sie schaut zu mir auf, kaum dass ich durch die Tür bin und ihre und meine Augen scheinen um die Wette zu funkeln.
Ich schlängle mich durch die Geburtstagsgesellschaft, die in Teilen an Stehtischen und der ausladenden Couch Platz finden. Ihre Blicke sind unsicher. Musternd, skeptisch voller Fragen. Es ist das letzte Hindernis, das mich von meiner Tochter fernhält. Ich ertrage es, für sie, ich würde alles für sie ertragen.
Rasch ziehe ich Hal hinter mir her, halte seine Hand fest in meiner.
Es ist mir egal, was die Menschen um uns herum denken mochten. Der Blick meiner Ex bohrt sich regelrecht in mich, genau wie der ihrer Erzeuger.
Mir ist auch jetzt nur zu bewusst, was Maria und ihre Eltern alles versucht hatten, um mich und meinen Freund von hier fernzuhalten. Doch ich hatte ein Recht darauf Luna zu sehen und was ich sonst in meinem Leben tat und wen ich liebte, ging sie einen Dreck an. Das hatte, zu meiner großen Erleichterung, auch der Richter so gesehen. Und dieses Mal konnte sein Urteil nicht weiter angefochten werden.
"Luna, Prinzessin!", rufe ich ihr entgegen und sofort ist mir ihre alleinige Aufmerksamkeit sicher. Sie lässt das halb geöffnete Päckchen aus ihren kleinen Händen fallen, steht schwankend auf und tapst mutig auf mich zu.
Ich grinse, breit und stolz - sie kann laufen!
Ihre Finger strecken sich in meine Richtung, ich hocke mich auf den Boden und kaum hat sie mich erreicht, hebe ich sie hoch, betrachte sie glücklich und wir grinsen gemeinsam um die Wette. Luna streckt ihre Finger aus, greift gegen meine Nase und dem Ring daran. Ich muss leise kichern.
"Hal?", wende ich mich jetzt an meinen Freund.
"Luna", sage ich voller Stolz in der Brust, "die einzige Frau in meinem Leben, die dir den Rang ablaufen wird", grinse ich und Hal betrachtet sie regelrecht fasziniert.
"Wow", entweicht es ihm.
"Ihr zwei seht euch so ähnlich!", erwidert er und reicht meiner Prinzessin die Hand, die sie etwas skeptisch betrachtet.
"Das übt ihr zwei aber noch!", lache ich und Luna greift statt nach seiner Hand, zielgerichtet nach der kleinen Tüte vom Markt, die Hal in seiner Rechten hält.
Lächelnd überlässt er ihr den Beutel. "Sie hat einen besseren Geschmack als du", kichert er. Lunas Finger streichen über die feinen Stickereien. Interessiert lugt sie in den Beutel, sieht den Inhalt, der immer noch einen köstlichen Duft verströmt.
"Ich glaube, deine Mama wird nicht erlauben, dass du schon was davon naschst", gebe ich von mir. Luna zieht zu meinen Worten eine bedauernde süße Schnute.
Hal nimmt die Kekse heraus und legt sie zur Seite.
Wie bei den Geschenken auch begeistert sich Luna für den Beutel mehr als für den Inhalt und betrachtet ihn weiter eingehend. Ich spüre die kleine verpackte Stoffpuppe in meiner Jacke, doch dort würde ich auch sie erst mal lassen.
Meine Tochter scheint den ganzen Firlefanz, den ihre Mutter, Großeltern und Freunde der Familie besorgt hatten gar nicht zu brauchen. Ihre Augen liegen einzig nur noch auf uns und dem kleinen Beutel in ihren Händen.
*
"Du hast nicht übertrieben, sie ist bezaubernd und dir wie aus dem Gesicht geschnitten", verschmitzt lächelt mein Boy mir entgegen. Luna ist in meinem Arm eingeschlafen, der ganze Geburtstagstrubel, die vielen Geschenke, die Menschen drumherum, waren ihr schnell zu viel geworden. Sie hatte zu quengeln begonnen und schließlich hatte ich sie hoch in ihr Zimmer bringen dürfen - ohne Maria. Eine echte Premiere.
"Ist sie", gebe ich leise zurück. Verzückt betrachte ich sie wieder, kann einfach nicht genug von ihrem Anblick bekommen. Ich streiche über die kleinen Pausbäckchen und seufze leise. Sie wird so schnell groß, jeder Tag, den ich davon verpasse und nicht da bin, schmerzt.
Doch gerade ist es nicht zu ändern und auch nicht auf absehbare Zeit. Nicht nur wegen Marias Einwänden. Unsere Heimat ist in London, ihre in Barcelona.
Und mir blieb nichts anderes übrig als mich mit dem abzufinden, was ich jetzt mit ihr hatte.
Jedes Treffen, jeder Tag mit ihr ist kostbar, wird sich tief in mein Gedächtnis einprägen. Und das, was ich jetzt immerhin hatte, ist tausendmal besser als sie überhaupt nicht sehen zu dürfen.
Trotz der wenigen Zeit, die wir haben, kann ich nur alles in meiner Macht stehende tun, um ihr ein guter Vater zu sein und an ihrer Seite zu sein, wenn sie mich brauchte.
Ich sehe zu Hal auf, der entspannt gegen den Fenstersims gelehnt ist und mich aufmerksam beobachtet.
Wir kennen uns jetzt beinah anderhalb Jahre.
Viel Zeit, wie man meinen könnte, um sich aneinander zu gewöhnen und sich so langsam satt zu haben. Es verwundert mich selbst, dass es nie soweit gekommen ist. Selbst jetzt spüre ich diese Wärme in meinem Bauch, wenn er mich so ansieht.
Noch immer kann ich nicht genug von ihm bekommen, jedes Lächeln, jedes sanfte Wort in meine Richtung löst dieses unglaubliche tiefe Gefühl in mir aus und jeder Tag ohne ihn fühlt sich schwer und leer an.
Früher bin ich gerne allein gewesen, ein Einzelgänger, der dachte, keine andere Menschenseele in seinem Leben zu brauchen, der Menschen in seiner Nähe nur wie nervige Anhängsel betrachtete, die mich an sich binden wollten und mich in meinem Freiheitsdrang einschränken würden.
Ich dachte wirklich, ich wäre in der Welt zu Hause, würde keinen speziellen Ort dafür brauchen. Doch dann war erst Marias Schwangerschaft passiert und dann Hal an meiner Seite aufgetaucht.
Es hatte mir etwas deutlich gemacht, dass sich das Leben jede Sekunde und mit einem Wimpernschlag verändern konnte.
Ein Abend im Frühling vor zwei Jahren, mit Maria auf der Dachterrasse unserer alten Wohnung hatte mir dieses unglaubliche Wesen in meinen Händen gebracht. Ehrlich, wer hätte jemals gedacht, dass ich mal ein Kind haben würde? Dass ich ein liebender Vater und Partner sein konnte? Verantwortung übernehmen konnte?
Es war ein schmerzhafter Prozess gewesen, der mich fast das Leben gekostet und Hal tief verletzt hatte.
Doch so wie er mich jetzt ansieht, sein Blick, so vertraut und beruhigt auf mich gerichtet, weiß ich einfach, dass die Worte dieser verrückten alten Verkäuferin auf dem Markt wahr sind.
Ich hatte in Hal mein Gegenstück, meinen Seelenverwandten gefunden und genau wie mit Luna, würde ich alles dafür tun, dass er an meiner Seite blieb.
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