🕯🕯🕯 China - Der Apfel des Anstoßes

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Der Apfel des Anstoßes

von karodel

💫~Papperlapapp~💫

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„Was ist das?"

„Deine Überraschungszutat." Ich sehe zu der Produktionsassistentin und wieder zurück zu dem leuchtend roten Apfel, den sie mir in die Hand gedrückt hat.

„Alles, was dein Kochherz ersehnt hat, gib es zu, Theo!", fährt sie witzelnd und mit einem Augenzwinkern fort als ich nicht sofort antworte, "Für die heutige Live-Sendung tauscht ihr die Rollen. Du, das Süße. Teak, das Herzhafte." Ihre blinkende Weihnachtsmütze setzt dem Ganzen eine zusätzliche Lächerlichkeit auf.

„Wie bitte?"

„Carlson sagt, dass erhöht den Spannungsaufbau", flötet sie. Einer der Autoren mal wieder.

„... und das Katastrophenpotenzial", entgegne ich ernüchtert und wenig überzeugt von der ganzen Idee. Süßspeisen sind keine meiner Stärken und unser Produzent weiß das ganz genau.

„Ach Papperlapapp, das wird großartig!" Ihre Freude in allen Ehren, aber ich spüre wie ein unangenehmes Kribbeln in meinen Zähnen beginnt und sich langsam über meinen Körper ausbreitet. Es sammelt sich in meinem Kopf und verursacht mir prompt Schmerzen. Wieso haben sie uns nicht früher darauf vorbereitet? Die Frage echot unausgesprochen durch meinen Kopf, weil sie schon wieder in der Menge verschwunden ist und nun niemand mehr da ist, den ich dazu befragen kann. Ich sehe zurück zu meinem Arbeitsbereich, auf dem die saftigen süßen Kollegen zu einer kleinen Pyramide aufgestapelt sind. Unschuldig und prachtvoll strahlen sie mir entgegen und mein Magen wird noch etwas flauer. Doch dann ertönt schon die erste Durchsage. Wir sollen unsere Plätze einnehmen. Gleich beginnt die Live-Übertragung. Ich gehe zögerlich auf den Stapel Äpfel zu und schlucke. Ich bin überhaupt nicht vorbereitet. Unwillkürlich schaue ich zur anderen Seite und sehe zu Teak. Seines Zeichens Patissier, Erfolgsblogger und aktueller Albtraum meines Berufslebens. Ich habe mich noch immer nicht daran gewöhnt, dass sie ihn mir einfach aufgezwungen haben. Auch wenn ich verstehen kann, wieso sie es taten. Ein neues Konzept für die Show war dringend nötig, das weiß ich, aber das hier überfordert mich vollkommen. Aber was solls. SHOW MUST GO ON, ruft es in meinem Kopf in bester Queen-Manier.

Ich schaffe das. Ich weiß nicht, wie oft ich diese Phrase bereits wiederholt habe als sich die Kameras auf uns richten und mein sonstiger Törtchenkollege damit beginnt, dass besondere Speziell vorzustellen. Er spricht von Herausforderungen und Experimenten, schwingt dabei etliche Küchenutensilien umher, die er für gewöhnlich nicht benutzen muss und eigentlich in mein Metier gehören. Wie immer ist er voller Elan und Witz. Teak ist ein geborener Entertainer. So ganz anders als ich. Als ich dran bin, lasse ich Zucker rieseln und puste, wie von mir gewünscht Mehl ins Bild, was mich direkt qualvoll husten lässt. Die ersten Lacher folgen.

Ich lasse mich nicht davon beirren und gebe mein Bestes. Ich brauche nicht lange, um mich für ein Gericht zu entscheiden. Im Grunde habe ich es schon die ganze Zeit gewusst. Ein Apfelstrudel. So, wie ihn meine Mutter gemacht hat.

Mit sanft gebräuntem Teig. Knusprig beim ersten Bissen und mit dem vollmundigen Geschmack süßer Äpfel, buttrig und zart beim Abgang. Jeder Bissen sollte ein herrlich duftender Nebel von sanft sauren Apfelaromen, Zimt und süßem Rum sein, der auf der Zunge tanzt und jedem die Sinne berauscht. Muskatnuss und geröstete Mandeln runden es ab. Tonkabohne und Karamell bringen den Kick. Es wird perfekt.

Die Realität sieht leider anders aus.

Der Strudelteig klebt mehr als das er blättert und zu allem Überfluss verschütte ich zu viel Zimt über den Apfelschnitzen, weil ich zu hektisch bin, um dafür einen Messlöffel zu benutzen. Ich versuche noch einige Reste des Pulvers abzukratzen, aber ich weiß jetzt schon, dass die Ausgewogenheit der Gewürze damit völlig durcheinander gebracht ist.

Das Karamell verklumpt und die Zuckerkristalle wollen sich einfach nicht auflösen, egal, was ich versuche. Die hinzugefügte Sahne lässt es in einem unbeachteten Moment vollkommen überkochen und aus den vorigen Klümpchen werden steinharte Brocken. Zartschmelzend ist anders. Die geschmolzene Butter flockt und nicht einmal die Sahne ist mir wohlgesonnen.

Es ist zu süß. Nicht rund. Nicht gut.

Ein Desaster. Das ganze Studio beginnt zu lachen, ebenso, wie der gelernte Patissier neben mir.

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Mit einem Mal bin ich wach und starre in die Dunkelheit. Es dauert einen Moment bis sich ersten Konturen bilden und Umrisse der Essecke und der Küche zu erkennen sind. Ich bin in meiner Wohnung. Auf meiner Couch. Das flauschige Kissen mit Teddybärfell, welches ich von meiner Tante bekommen habe, streift meinen Daumen. Mit der Gewissheit, dass alles nur ein Traum gewesen ist, merke ich wie die reißende Anspannung in meinen Schultern verschwindet. Ich sinke zurück in das Kissen und starre an die Decke. Mit den Bildern des Traumes im Kopf lausche ich meinem pulsierenden Herzschlag, den rauschendem Blut in meinen Gehörgängen, die alles andere übertönen und seufze in die Stille des Raumes hinein.

Was für ein Traum! Ein Albtraum durch und durch. Für einen Koch gibt es nichts Schlimmeres als ein nicht gelungenes Menü. Egal, welcher Bestandteil davon. Egal, wie klein die Unannehmlichkeit auch ist oder wie oberflächlich nichtig. 'Wenn es nicht rund ist, ist es nicht gut', so sagte es meine Mutter immer und bewegte dabei tänzelnd ihre Hüfte im Kreis. Sie hatte gelacht, jedes Mal. Sie hat es auch immer geschafft. Wir streben nach Perfektion und ich, vielleicht noch mehr als andere, weil ich es für sie gut machen will.

Ich aktivierte das Display meines Handys und mit einem Ruck richte ich mich auf. Morgen am ersten Weihnachtsfeiertage ist das Live- Weihnachtsspecial. Morgen muss ich den Apfelstrudel perfekt hinbekommen, sonst werde ich mich wirklich vor der gesamten Mannschaft und vor Teak blamieren. Was ist, wenn mein Traum ein schlechtes Omen war? Was ist, wenn morgen nichts gelingt? Was ist, wenn ich es nicht schaffe meine Mutter gebührend zu ehren? Was ist, wenn ich wirklich niemals gut genug bin? Eine Fülle von negativen Gefühlen durchströmt mich mit tiefsitzender Trauer. Es ist nicht das erste Weihnachten ohne sie. Aber das erste, was ich bewusst allein verbringe. Meine Tante hatte es vor einem Jahr gut mit mir gemeint, mich zu sich und ihrer Familie eingeladen, aber es war nur bedrückend. Meine Anwesenheit hatte die Freude aus den Gesichtern meiner Cousins und Cousinen gesogen und das wollte ich dieses Jahr nicht wieder mit ansehen. Als der Sender uns das Weihnachtsspecial vorschlug, willigte ich, ohne großartig darüber nachzudenken ein. Arbeit ist die beste Ablenkung und etwas worin ich aufgehen kann. Also dachte ich mir, dass ich den 24. Dezember schon irgendwie überstehen werde. Vormittags Probe. Mittags Plätzchen essen bis ich kotze. Abends früh schlafen gehen. Ganz leicht. Absolut easy. Gerade bin ich mir nicht mehr so sicher.

Die Türklingel ertönt. Ich schrecke hoch, rutsche prompt von der Kante der Couch und ende auf dem Boden. Schlimmer noch, meine Hand landet in den Resten eines Sandwichs, welches ich intelligenter Weise nicht auf den Tisch, sondern auf dem Boden abgestellt habe.

„Autsch!", murmele ich, gefolgt von einem Ausruf des Ekels. Was hab ich mir nur dabei gedacht? Wann habe ich mir ein Sandwich gemacht? Ich weiß nicht mal, wann ich nach Hause gekommen bin. Irgendwie verschwimmen die Erinnerungen der letzten stressigen Tage. Ich sehe auf das platt gedrückte Brot und es klingelt erneut.

„Komme ja!", rufe ich energielos, rapple mich auf und öffne nach wenigen Schritten die Tür. Teak oder auch Tea, wie er sich gerne nennt, taucht vor mir auf. Er hält lächelnd eine Plastiktüte mit zwei Tetra Paks in die Höhe. Ich schaue von dem knisternden Beutel zu dem jungen Asiaten und wieder zurück zu der Tüte. Das helle Licht im Flur macht mir zu schaffen und ich blinzele ihm leicht verwirrt entgegen.

„Theoooo,... Frohe Weihnachten?", begrüßt er mich überschwänglich und lässt es wie eine Frage klingen.

„HoHoHo?", erwidere ich ebenso fragend, aber dezent unleidlich und denke darüber nach, ob ich vielleicht noch schlafe. Ein Traum in meinem Traum sozusagen. Möglich. Teas Augenbraue wandert nach oben, als wir nach bestimmt drei Minuten noch immer zwischen Tür und Angel stehen. Er stößt einen theatralischen Seufzer aus, lässt die Tüte sinken und schiebt mich zur Seite.

„An deiner Gastfreundlichkeit musst du dringend arbeiten", ruft er mir aus der Küche zu, während ich gedanklich noch immer neben mir stehe. Auch bei unserem ersten Aufeinandertreffen war ich nicht wirklich herzlich gewesen, aber wie sollte ich auch? Sie haben ihn ohne mich zu Fragen zum Partner der Kochsendung gemacht. Die Kochsendung meiner Mutter. Mit einem leisen Seufzer schließe ich die Tür und folge ihm.

„Was machst du hier?", frage ich nun endlich.

„Hoffentlich gleich eine Unmenge an Glühwein trinken." Wieder lässt er die Tüte samt Inhalt geräuschvoll Knistern und macht dabei ein besonders dämlich, freudigen Gesichtsausdruck. So herrlich dämlich, dass ich es nicht schaffe ein Lächeln zu unterdrücken. Okay. Wieso nicht. Mit Glühwein kann ich gut leben. Ich nicke und wundere mich trotzdem, wieso er nicht bei seiner Familie ist und dort einen gemütlichen Heiligen Abend verbringt. Noch heute Morgen hat er von seinem Bruder gesprochen, der wohl in der Stadt ist.

„Feiert ihr überhaupt Weihnachten?", frage ich den anderen Mann abgelenkt, der einen Tetra Pak Glühwein auf den Tisch stellt, eine meiner Schubladen öffnet und sie unzufrieden schließt. Es folgt die nächste mit dem gleichen Ergebnis. Er könnte ja fragen.

„Du meinst meine durch und durch in Europa lebende Familie oder den Teil, den wir in Asien zurückgelassen haben?", fragt er scharf. Wieder mit diesem leicht ironischen Ton, den er gern mal anschlägt, wenn man ihn mit den typischen Klischees und Vorurteilen konfrontiert. Ich sehe beschämt zur Seite und beiße mir auf die Wange. Ich lasse auch nie ein Fettnäpfchen aus, wenn es um den süßspeisenaffinen Blogger geht und meine Frage war wirklich unglücklich formuliert. Ich wollte lediglich wissen, ob sie es als Familie zelebrieren oder jeder seinen eigenen Plänen nachgeht.

„Blöde Frage, tut mir leid", entschuldige ich mich direkt, gehe um die Mittelinsel rum und öffne eine Schublade auf der anderen Seite. Ich reiche ihm die Schere und bemerke, dass er mich ganz genau beobachtet.

„Was?", hake ich nach und hasse es verunsichert zu klingen.

„Muss dir nicht leidtun. Ist okay", sagt er lächelnd, „Zu Anfang haben wir es nicht gefeiert. Erst als ich sechs oder sieben Jahre alt war, haben wir damit begonnen, weil mich die anderen Kinder in der Kita und Schule deswegen oft aufgezogen haben. Ich würde nichts vom Weihnachtsmann kriegen, weil ich nicht brav war... weil ich nicht an ihn glaube... oder weil ich immer alles besser weiß. Und so weiter." Tea lächelt trotz seiner eher negativen Erzählung und zieht die Seitenlaschen des Kartons nach oben, so dass er die Öffnungen hineinschneiden kann. „Kinder sind grausam", fügt er noch hinzu, klingt dabei leicht jammernd und effekthascherisch. Es fehlt nur noch ein Fake-Wimmern. Ich nicke, suche währenddessen nach einem passenden Topf und entscheide mich für eine gusseiserne Kasserolle, die ich ihm direkt reiche. Danach greife ich neben mich ins Gewürzregal und schiebe eine Auswahl an kleinen Gläschen in seine Richtung, während der Blogger munter weiter quatscht.

„Erst war es nur so zum Zweck. Aber danach hat meine Mutter auch großen Gefallen daran gefunden das ganze Haus mit diesem glitzernden Krimskrams zu schmücken und seither hat unser Weihnachtsbaum, ungelogen, jedes Jahr eine andere Farbe!", berichtet er weiter. Tea lächelt breit und schüttelt dann den Kopf. Es müssen schöne Erinnerungen sein.

„Gibt es überhaupt so viele Farben?", frage ich skeptisch und stütze meine Ellenbogen auf der Arbeitsplatte ab.

„Definitiv!" Teak kippt den roten Weihnachtswein in den Topf, kleckert ein wenig und schert sich nicht darum. Dann stellt er den Herd auf niedrige Stufe und sieht sich um. Er entdeckt die Gewürze und lächelt erneut. Diesmal gilt es mir.

„Aber wir haben auch ein paar der alten Tradition beibehalten. Wir essen immer Jiaozi und Baozi. Apropos Essen...", sagt er und hockt sich plötzlich hin. Ich sehe, wie er seine abgestellte Hängetasche öffnet. Als er wieder hochkommt, hält er einen Handteller großen, geflochtenen Korb in der Hand, in dem ein roter Apfel liegt. Ein Apfel. Wie in meinem Traum. Er ist in sanft schimmernde Folie verpackt und lauter kleine Holzsterne in verschiedenen Größen hängen an Bändern an ihm herab. Es sieht wirklich hübsch aus und der junge Asiate hält ihn mir sanft lächelnd entgegen.

„Für dich, ein traditioneller chinesischer Friedensapfel."

„Friedensapfel?", frage ich verwirrt und nehme ihn entgegen. Als ich die Frucht nun näher betrachte, fällt mir auf das die Haut des Apfels mit lauter filigranen Bildern und Schriftzeichen verziert ist. Doch es ist nicht eingeritzt oder bemalt. Es ist die Schale selbst. Ich sehe erstaunt auf. Sowas habe ich noch nie gesehen. Als würde Tea meinen fragenden Blick deuten können, beugt er sich vor und zeigt ebenfalls auf die Bilder.

„Sie kleben Schablonen aus Papier auf die Haut und beim Reifen des Apfels werden die abgedeckten Stellen von der Sonne ausgespart, deswegen wird er da nicht rot. So entstehen die Muster. Toll, oder?" Ich brauche einen Moment um mich ebenfalls darauf zu konzentrieren, denn er riecht nach dem Aftershave, was ich so gern mag.

„Ja, unfassbar", entgegne ich als ich es schaffe mich zu sammeln und spüre das feine Kribbeln in meinem Bauch immer stärker werden.

„Will ich auch hoffen, immerhin musste ich dafür 24 Leuten die Füße küssen." Seine Worte lasse mich spontan auflachen.

„Wieso das denn?"

„Das sagt die Tradition!"

„Dass du Füße küssen musst?"

„Nein, nicht so bildhaft gemeint. Aber man darf nicht einfach einen Apfel kaufen, man muss ihn mit Mühe, Aufmerksamkeit und eigener Zeit beschaffen. Also musste ich mir von 24 Leuten das Kleingeld dafür erbetteln. In China muss man dafür Leute mit verschiedenen Nachnamen finden.... Hehehe.... Ich habe fast das Gefühl geschummelt zu haben, weil es hier so einfach war. Chinesische Nachnamen gibt es nämlich nicht so viele. Das ist wohl echt schwer, hat meine Mutter gesagt", plaudert er begeistert, kichert zwischendrin und lacht auf. „Gefällt er dir?"

„Er ist wunderschön", gebe ich ehrlich zu und betrachte das hübsche Obst erneut. Dann höre ich wie der Glühwein leicht zu simmern beginnt und lege den Apfel vorsichtig zur Seite.

„Setz dich doch schon mal, ich mache das eben fertig." Ich deute zum Topf und schiebe Teak sachte aus meiner Wohnküche. Als nächstes schalte ich den Herd noch eine Stufe runter und wische die roten Flecken von der Arbeitsplatte.

„Okay", erwidert Teak fröhlich, reicht mir den Kochlöffel und schlendert zur Couch. Dort lässt er sich mit einem geschafften Ächzen fallen, erblickt das zermatschte Sandwich am Boden und hebt den Teller auf den Tisch. Danach schaltet er die Stehlampe an, so dass er nicht im Dunkeln sitzen muss.

„Ich habe übrigens nix mit der irrwitzigen Idee zu tun", verkündet er, „Carlson sagte, es erhöht den Spannungsaufbau, wenn wir uns in unbekannte Gefilde wagen und sie wollen einfach sehen wie wir uns machen. Ich denke ja, sie wollen eine Katastrophe provozieren." Seine Worte lassen mich aufhorchen. Ein Déjà-vu. Hoffentlich ist es kein schlechtes Zeichen.

„Weißt du schon, was du machst?", frage ich.

„Du meinst, außer negativ zu brillieren?" Wieder muss ich etwas lachen. Er wird es packen, ohne Frage, denn er ist ein Typ, der alles schafft, was er will. Ich hole eine angebrochene Packung Orangensaft aus dem Kühlschrank und gieße ein paar Schlucke in den sanft dampfenden Glühwein. Die Frucht selbst habe ich leider nicht zur Hand, sonst würde ich auch etwas in die Schale hinein geben. Danach lasse ich noch verschiedene Gewürze in die rote Flüssigkeit fallen. Kardamon. Zimtstangen. Sternanis. Etwas frischer Ingwer und Muskat. Ich spüre schon das anregende Kitzeln auf meine Zunge und wie die Aromen die Küche benebeln. Es riecht wunderbar. Fruchtig und vollmundig. Es riecht vertraut. Ich lasse das Ganze noch etwas länger ziehen, während mir Teak von seinen Ideen für die morgigen Aufnahmen berichtet. Ich suche nach zwei gleich großen Tassen, was gar nicht so einfach ist, da ich keine Tasse zweimal habe. Jede einzelne war ein Geschenk und erzählt ihre ganze eigene Geschichte.

Nachdem ich endlich welche gefunden habe, fülle ich sie und bleibe noch einen Moment lang in die Küche stehen. Mein Blick wandert zu dem hübschen Mitbringsels, dann zu dem anderen Mann, der Unsinn plaudernd auf dem Sofa mit den Kissen hantiert. Mir ist vollkommen egal, was er da erzählt, denn schon die Tatsache, dass ich gerade nicht allein bin, erfüllt mich mit Glück.

Als sich der Duft mehr und mehr im Zimmer ausbreitet, greife ich beide Tassen mit einer Hand an den Henkeln und trabe zur Couch. Den hübschen Apfel bringe ich ebenfalls mit und stelle diesen sorgsam auf dem Tisch ab. Er ist viel zu schade um ihn zu essen.

„Wieso ein Apfel?", erfrage ich und drücke Tea die dampfende Tasse Glühwein in die Hand. Er nimmt sie dankend entgegen, schnuppert und schließt verzückt die Augen.

„Kardamom, Ingwer und Orange! Keine Nelke?" Wie immer bin ich beeindruckt von seinem Geruchssinn und nicke, während ich mich neben ihn auf das Sofa niederlasse und an meiner eigenen Portion schnüffle. Ich rieche fast nur den Alkohol und die leicht herbe Traube des billigen Rotweins, aber ich weiß, dass die Orangen es abmildern, der Kardamom und die Muskatnuss im Abgang brillieren und der Ingwer für eine kleine Aromenexplosion sorgt. Im Schmecken bin ich besser. Zum Thema Nelke schüttele ich lediglich den Kopf. Ich bin kein Fan und werde es nie werden. Außerdem hat ihn so auch meine Mutter angesetzt und ich habe es geliebt. Doch der Gedanke an sie holt sogleich die nostalgische Beklommenheit zurück und ich will sie nicht fühlen.

„Also?", fordere ich Tea erneut auf und greife mir noch das weiche Teddyfellkissen, lege es in meinem Schoß ab und stütze die Tasse darauf ab. Der junge Patissier schlürft geräuschvoll und grinst. Ich schenke ihn einen nüchternen Blick und verdrehe die Augen.

„Okay. Okay, ich erzähle es. Also,... im Chinesischen sagt man zum Weihnachtsfest auch Ping An Ye 平安夜. Es bedeutet so viel, wie 'friedlicher Abend' oder auch 'heilige Nacht' und der kleine Freund hier", sagt er, greift nach dem hübsch verpackten Apfel und hält ihn hoch, „... nennt sich Píng guǒ 苹果," Ich höre dabei zu, wie die doch fremden Silben über seine Lippen fließen, wie zartschmelzendes Karamell gewürzt mit salziger Erkenntnis. Nun ist mir augenblicklich klar, welche Zutat es war, die in meinem Traum fehlte. Die Prise Salz.

„Und weil es ähnlich klingt, verschenkt man Äpfel?", erkundige ich mich interessiert und schließe beide Hände um die warme Tasse. Tea nickt, stellt meinen Apfel zurück auf den Tisch.

„Japp, anderes Schriftzeichen, aber gleiche Aussprache. Die Chinesen mögen es sprachlich damit zu spielen.", erklärt er mir, „ Und ich finde das mit dem Apfel wirklich schön, denn das andere ist eher Kitsch und Kommerz. Weihnachten ist mehr oder weniger ein Einkaufsfest für die Familien und für die Jüngeren ein Spaßtag. Karaoke. Partys... Dates. All sowas."

„Aber man verbringt es mit der Familie und den Freunden, mit seinen Lieben... also ist es doch ähnlich. Oder?", merke ich an und nehme einen Schluck aus der Tasse. Es ist angenehm warm und er schmeckt genauso wie ihn meine Mutter machte.

„Ja, kann man so sagen." Tea blickt mich verblüfft an, nickt und lächelt. Ich nicke ebenfalls und kuschele mich dichter in die Kissen und schiebe meine Füße etwas unter die Decke auf der Teak sitzt. Als er das sieht, setzt er sich etwas auf, zieht die Decke hervor und bedeckt meine Füße vollkommen. Diesmal ist es nicht der Glühwein, der mein Inneres wärmt.

Als ich am nächsten Morgen ins Studio komme, ist schon alles in vollem Gange. Wie gewohnt wuseln überall Mitarbeiter herum. Einige von ihnen tragen rote Mützen oder diese überaus hässlichen Pullover, die das gesamte Studio mit so viele Farbe und Licht erfüllen, dass es einer Wichtelwerkstatt gleicht. Ich grüße alle mir entgegenkommenden Kollegen, wünsche ihnen ein frohes Fest. Auch Teak ist bereits in der Showküche und trägt ebenfalls einen dieser Pullover. Auf seinem ist ein großer roter Apfel abgebildet, der eine blinkende Weihnachtsmütze trägt. Er winkt mir lächelnd entgegen, während ich in die Maske abbiege, wo mich unsere Stylistin Jona mit einen ebensolchen Pullover empfängt, der aber nicht weniger hässlich ist, als die der anderen. Ich ergebe mich meinem Schicksal ohne groß zu murren. Sie grüßt mich mit einem breiten Lächeln. Heute lächele ich zurück.

„Und was hast du gestern schönes gemacht?", fragt sie als sie letzte Handgriffe an meine Haare legt.

„Glühwein getrunken."

„Doch nicht etwa allein?"

„Nein, Teak war bei mir..."

„Oh, wirklich?"

„Ja, er hat mir einen Apfel geschenkt", plaudere ich ungewöhnlich offen und lächele, während sie gewissenhaft meine Gesicht abpudert, um zu verhindern, dass ich nachher glänze, wie einer dieser kandierten Äpfel auf dem Weihnachtsmarkt. Ins Schwitzen komme ich nachher sicher dennoch.

„Oww, wirklich? Wie süß."

„Süß?", hake ich verwundert nach.

„Oh ja, sie heißen ja nicht umsonst Liebesäpfel, nicht gewusst?" Nein. Was? Das Knacken der Lautsprecher durchbricht meine Gedanken.

„LEUTE, WIR GEHEN GLEICH AUF SENDUNG! WO IST TEAM T'n'T?"

~

*T'n'T and Appetite... Explosiv und lecker*

in

Cooking Manners - Über Geschmack lässt sich streiten

Das Buch zur Show is coming soon.

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