7: Peter Pan
Remus liebte Märchen. Er liebte Happy Ends. Wenn seine Mutter nach Vollmonden oder bei Krankheiten an seinem Bett saß, um ihm etwas vorzulesen hatte er es geliebt die Geschichten zu hören.
Zu hören, wie alle diese Leute glücklich wurden, ihr perfektes Happy End bekamen war toll und er malte sich immer wieder aus wie sein eigenes aussehen würde. Immerhin waren Märchen für alle, also war Remus sich sicher das auch er ein Happy End bekommen würde.
Selbst nach seiner Verwandlung gaben Märchen ihm Hoffnung irgendwann sein Happy End zu bekommen, eines Tages endlich all das Leiden hinter sich lassen zu können. Natürlich war ihm irgendwann bewusst geworden das es nicht so war, dass er sich sein Leben lang jeden Vollmond verwandeln musste und es für ihn keinerlei Möglichkeit gab dem zu entkommen.
Seine Liebe für Märchen verschwand nach und nach als er älter wurde und sein Realitätssinn stärker wurde. Außerdem hatte er mit ungefähr acht Jahren das Märchenbuch gefunden, aus welchem seine Mutter ihm immer vorlas. Normalerweise stand es ganz oben im Regal, sodass Remus nicht darankommen konnte, aber er war so gut wie eingeschlafen und sein Vater hatte etwas anbrennen lassen weshalb Hope es einfach neben seinem Bett liegen gelassen. Dabei hatte sie mitten in Rotkäppchen aufgehört und Remus, welcher das Märchen liebte, suchte die Stelle an welcher der Wolf gemeinsam mit Rotkäppchen, der Großmutter und dem Jäger Tee hatte, bevor er sich wieder zurück in einen Menschen verwandelte und sich richtig mit Rotkäppchen anfreundete. Allerdings hatte er diese Stelle nicht gefunden. Er hatte das gesamte Buch durchgeblättert, doch das einzige Ende, welches er für das Märchen fand, war der tote Wolf mit aufgeschnittenem Bauch und den feiernden Menschen. Von da an wollte er die Märchen seiner Mutter nicht mehr hören.
Er wusste das Sie es nicht verstanden hatte, er hatte ihr schließlich nie gesagt, wann und wie er die wahren Enden all der Märchen rausgefunden hatte, welche er zuvor so geliebt hatte. Doch Remus hatte es nicht geschafft ihr davon zu erzählen, er wollte ihr das Herz nicht noch mehr brechen als er es Tag für Tag ohnehin schon tat. Natürlich wusste er das seine Mutter ihn liebte und ihn glücklich machen wollte, sie und sein Vater hatten so viel für ihn getan und aufgegeben, aber dennoch sah er wie es sie verletzte wann immer sein Ärmel hochrutschte und die groben Narben auf seinen Armen entblößte oder wenn seine Augen im Licht des Feuers unheimlich leuchteten. Dabei versuchte er wirklich den Wolf zu unterdrücken, er gab sich alle Mühe ihn zurückzudrängen und klein zu halten.
Seine Selbstbeherrschung war innerhalb kürzester Zeit viel besser geworden. Wo er am Anfang noch knurrte oder grollte, blieb er still, wo er bemerkte das er Dinge nur wegen seines Wolfes mitbekam ignorierte er sie einfach und er aß mehr Schokolade als möglich sein sollte. Doch er wusste das Schokolade tödlich für Hunde war und mit jedem Stück hoffte er das es endlich das Eine sein würde das den Wolf in ihm auslöschen würde, dass er endlich wieder normal sein konnte. Doch auch nach Jahren half es nicht, der Wolf war weiterhin da und die Schokolade schien ihn nicht im Geringsten zu stören.
Das erste Märchen, das er nach all diesen Veränderungen las, war schließlich Peter Pan. Seine Mutter hatte ihm das Buch mit einem Lächeln und traurigen Augen zu Weihnachten geschenkt, immerhin liebte er Märchen doch so sehr und war jetzt auch alt genug dieses zu lesen. Es war Hopes Lieblingsmärchen und es wurde auch schnell zu Remus.
Der Gedanke der Zeit einfach entgehen zu können, für immer mit dem Körper eines Tages zu leben, ohne dass er sich veränderte und in eine andere Welt gehen zu können, wo niemand ihn verurteilte, sondern er nur einer von vielen Jungen war erschien ihm traumhaft.
Es hatte eine Weile gebraucht, bis er das Buch gelesen hatte, zunächst hatte er zu viel Angst davor, doch Hopes ständige Nachfragen und enttäuschten Augen, wenn er ihr sagte das er es nicht gelesen hatte brachten ihn dazu. Er hatte das Buch nicht aus der Hand legen können und um Mitternacht hatte er sich aus seinem Zimmer geschlichen und sich im Flur vor das Fenster gestellt, welches der Karte nach Richtung London zeigte. Er hatte die weißen Vorhänge beiseite gezerrt und es geöffnet. Dann hatte er gewartet, verzweifelt den fast vollen Mond angestarrt und in Gedanken gefleht das Peter Pan oder der Schatten ihn abholen würden.
Als niemand gekommen war hatte er sich morgens um drei wieder zurück in sein Bett geschlichen. Am nächsten Morgen hatte er einen Brief an Peter Pan geschrieben und ihn der Familieneule umgebunden. Schließlich fanden Eulen doch jeden, oder? Doch die Eule war nicht losgeflogen, hatte nur nach einiger Zeit ungeduldigen Anstarrens den Brief fallen lassen und hatte angefangen ihr Gefieder zu putzten. Enttäuscht und verzweifelt hatte Remus den Brief ins Feuer geworfen.
Mit der Zeit hatte er sich damit abgefunden das Märchen nur waren, was sie zumal waren... Geschichten mit welchen Kindern Moral beigebracht werden sollte. Und als das hatte er sie dann auch gesehen. Hatte sich die Märchen mit all den toten Wölfen in Erinnerung gerufen, wenn er zu übermütig wurde oder sich beim Träumen an eine bessere Welt erwischte. Wölfe bekamen kein Happy End und Remus wusste das - musste das wissen. Sonst würde er sich nur Hoffnungen machen. So wie er es bei Neverland getan hatte.
Manchmal, wenn er einen besonders schlimmen Vollmond hinter sich gehabt hatte, schlich er sich wieder ans Fenster im Flur und suchte den Himmel ab, quetschte sich noch auf die Fensterbank als es viel zu eng wurde und hoffte. Hoffte so sehr, dass es ihm fast die Brust zerriss. Nichts half.
Er konnte Wendy in solchen Nächten einfach nicht verstehen, wusste nicht warum sie nicht für immer bei Peter Pan und den verlorenen Jungen bleiben wollte, wenn sie dort doch gebraucht und geliebt wurde. Doch am Tag, wenn seine Mutter ihm extra Schokolade ins Müsli mischte, seine Verbände erneuerte und sich selbstlos um ihn kümmerte wusste er wieder, weshalb Wendy zurückgekehrt war, und wollte sich gar nicht vorstellen wie es sein wäre, wenn er auf einmal verschwinden würde. Wobei es seinen Eltern das Leben deutlich einfacher machen würde. Wendy war ein Mensch gewesen, er war es nun mal nicht.
Diesen Fakt immer im Hinterkopf behaltend machte Remus weiter, durchlitt Monat für Monat die mit jedem Mal schlimmer werdenden Verwandlungen und die traurigen, schmerzerfüllten Blicke seiner Mutter. Dabei gab er die Hoffnung auf ein normales Leben vollkommen auf. Wie sollte er jemals dazu fähig sein normal zu sein, er war es nicht und würde es sein Leben lang nicht sein. Er sollte einfach froh sein das seine Eltern sich um ihn kümmerten und das Ministerium nichts von ihm wusste.
Doch alles, was Remus über sich selbst zu wissen schien änderte sich als Dumbledore mit einem Mal vor Ihrer Haustüre stand und ihm einen Platz auf Hogwarts anbot.
Remus konnte und wollte es zu Anfang nicht glauben, doch als er dann tatsächlich am Bahnsteig stand und die ganzen fröhlichen Kinder um sich herum beobachtete ergriff ihn das Gefühl, welches man mit Sicherheit haben musste, wenn man sein happy End erreichte. Und dabei war dieser Tag für ihn doch eigentlich nur der Anfang, längst nicht das Ende.
Doch die Ermahnungen seiner Eltern achtzugeben hatten seine voreilige Euphorie schnell wieder gedämpft und Remus auf den Boden der Tatsachen geholt. Er war nach wie vor ein Werwolf, eine dunkle Kreatur und wenn es herausgefunden würde, dann würde er mit einer Silberaxt hingerichtet werden.
Doch auch das vergaß er ganz schnell wieder als er im Zug saß und sich aufgeregt umsah. Es traute sich sogar ein kleiner Junge, ebenfalls ein Erstklässler, sich zu ihm zu setzen und dann kamen etwas später noch zwei weitere Jungen ins Abteil. Sie hatten sich unterhalten, Remus noch immer etwas zurückhaltend, aber es war toll gewesen. Er hatte es so sehr genossen mit Gleichaltrigen zu reden und konnte nicht anders als sich zu fragen wie sich wohl anfühlen würde richtige Freunde zu haben oder gar in einer Bande zu sein, so wie die verlorenen Jungs es gewesen waren.
Aber sicherlich würden die anderen Jungen davon nichts halten. Ziemlich schnell zeigte sich das auch. Sie kamen zwar ins gleiche Haus und teilten sich den Schlafsaal, doch sie redeten immer ohne ihn. Nach der Zugfahrt schien er fast wieder vollkommen vergessen und der erste Vollmond hier war schlimmer als jemals zuvor.
Aus reiner Gewohnheit hatte sich Remus als er endlich zurück im Schlafsaal war das Fenster in Richtung London ausgesucht und sich auf die schmale Fensterbank gequetscht. Wie immer war Peter Pan nicht gekommen und Remus war eingeschlafen. Doch glücklicherweise weckte ihn Sirius schließlich nicht allzu lange später, irgendwas hatte ihn wohl aufgeweckt, und hatte dann mit ihm geredet. Von allem Möglichen erzählt und Remus von seinen Gedanken abgelenkt.
Am nächsten Morgen schien er genauso wie die anderen zur Gruppe zu gehören, einfach so. Als wäre es nie anders gewesen waren sie nun zu viert. In dieser Nacht hatte ihm Sirius das Gefühl von Freiheit und Zugehörigkeit geschenkt, er hatte nun eine Gruppe, die sogar viel besser war als die verlorenen Jungen, immerhin waren sie Rumtreiber. Und wer brauchte schon Peter Pan, wenn er Sirius Black hatte? Was wollte Remus in Neverland, wenn er doch in Hogwarts war?
Nach wie vor liebte er die Geschichte von Peter Pan, dem Jungen, der niemals erwachsen wurde. Doch er verband sie jedes einzelne Mal mit Sirius Black welcher ebenfalls immer jung zu bleiben schien, der nicht älter oder reifer wurde, sondern immer sein albernes, kindisches und absolut perfektes Selbst bleib. Sirius, der ihm zeigte, das Märchen und Geschichten egal waren, denn manchmal war das tatsächliche Leben so viel besser. Nicht gegen alle Happy Ends der Welt würde Remus seine Bekanntschaft mit Sirius eintauschen. Denn jetzt hatte er sein vollkommen eigenes.
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