18. Dezember ♡︎❄︎
Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Dass wir genauso problemlos zurückgelangen würden, wie der Hinweg verlaufen war? Vielleicht. Da wurde ich jedoch gründlich enttäuscht.
Wir landeten nach einer gefühlten Unendlichkeit auf eiskaltem, hartem Marmorboden mit goldfarbenen Schlieren darauf. Der Aufprall war hart, aber seltsamerweise spürte ich nach ein paar höllischen Sekunden nicht mehr Schmerz als zuvor ohnehin schon.
Avery neben mir rappelte sich hastig auf und half dann mir auf- wenn sie mich nicht gestürzt hätte, wäre ich vermutlich erneut umgeknickt. "Wo sind wir?", fragte ich und sah mich suchend nach einer Wand um, doch da war nichts. Nur der Boden. Weder Decken, noch Wände, noch irgendetwas anderes außer einem wabernden, undurchdringlichen Nichts und einer bleiernen Stille, die über allem hing, so lamge wir nicht sprachen.
"Ich weiß nicht, wie es offiziell heißt, aber ich nenne es Zwischenwelt.", gab Avery zurück und starrte mit zusammengekniffenen Augen nach vorne. Zwischenwelt, super, das klang ja beruhigend. "Mach dich auf was Unangenehmes gefasst- ich konnte diese Theorie aufgrund mangelnder Versuchszahlen noch nicht genau wiederlegen, aber falls es stimmt...", sie verstummte für einen Moment und legte einen Finger auf die Lippen.
"Falls was stimmt?", flüsterte ich beunruhigt zurück. In diesem Moment traten mehrere Gestalten aus dem Nebel. Anfangs waren ihre Gesichter undeutlich, doch als sie näherkamen, erkannte ich alle sechs.
Ich schauderte. Vor mir standen Mum, Dad, Josi, Lydia, Lina und Lola. Aber nicht die echten, da war ich mir sicher- gruselige Kopien von ihnen mit steifem Gang und starr auf mich gerichteten Augen. "Glaube nichts von dem, was sie dir sagen, es sin-", der Rest von Avery's Worten ging in plötzlich einsetzendem Gelächter unter.
Entsetzt fuhr ich herum und fand mich plötzlich alleine wieder, umringt von den wichtigsten Personen in meinem Leben. Ich wollte nach Avery rufen, doch meine Kehle gab keinen Laut von sich. Das Gelächter verebbte langsam und Josi begann zu sprechen.
"Andriana, siehst du dich eigentlich selbst? Wie du da alleine in der Mitte stehst, verlassen von den wichtigsten Menschen deines lächerlichen Lebens...", sie lachte kurz auf und die anderen fielen mit ein, dann hob sie die Hand, um es zu beenden. Ihr spöttischer Unterton entging mit genauso wenig wie das gekünstelte Mitleid, das in ihrer Stimme mitschwang.
Ich wollte etwas erwidern, doch diesmal versagte meine Stimme ohne dass es nicht möglich gewesen wäre, zu sprechen. Nun trat Lydia vor, grinste bei meinem Anblick verächtlich. "Oh Andriana... So lange hast du geglaubt, wir würden dich wirklich vermissen... Du kannst einem ja fast leid tun, so ignorant, wie du all den eindeutigen Zeichen, die wir dir gegeben haben, keine Beachtung geschenkt hast."
Lina kicherte boshaft und legte einen Arm um Lydia. "Oder was glaubst du, warum wir dir nicht mehr geschrieben haben? Oder, warum wir ohne dich zum Sommerkonzert gegangen sind?", fragte sie mit zuckersüßer Stimme.
Meine Augen brannten. "Ich war krank und habe gesagt, ihr könnt auch ohne mich gehen!", wollte ich brüllen, doch sie lachten erneut alle, bevor ich irgendetwas sagen konnte. Das waren zwar nicht meine echten Freundinnen, aber dafür ihre sehr wohl echten Seelen, oder nicht? Das war es, was sie von mir dachten.
Vorwurf um Vorwurf warfen sie mir der Reihe nach an den Kopf, meine Eltern verkündeten ihre maßlose Entäuschung über mich, die Stimmen verschwammen zu einem einzigen Knäuel aus Lärm und Gelächter, Blut rauschte durch meine Ohren, ich sank auf die Knie, Tränen rannen mir die Wangen hinab und ich wollte einfach nur, dass es aufhörte.
Was hatte Avery versucht zu sagen, bevor sie unterbrochen worden war? Glaube nichts von dem, was sie dir sagen, das sin- oder so ähnlich. Ich sollte nichts davon glauben, weil es nicht die echten waren. Und Avery hätte es garantiert anders ausgedrückt, wenn es zumindest die Seelen der Menschen wären, die ich am meisten liebte. Garantiert.
Der einzig klare Gedanke, den ich in dem Stimmengewirr um mich herum fassen konnte, war Es sind nicht die Echten, sie denken nicht so über mich, es sind nicht die Echten, sie denken nicht so über mich, es sind nicht...
Ich sprang auf, mit einem Mal von plötzlicher Gewissheit durchströmt. "Ihr seid das nicht, ihr seid nicht die Menschen, die ich liebe, denn die denken nicht so über mich! Haut, verdammt noch mal, ab und verschwindet dahin, woher ihr gekommen seid!", schrie ich und im nächsten Moment zerstoben die Gestalten zu Rauch, der sich innerhalb weniger Sekunden verflüchtigte.
Stille. Dann hörte ich ein Schluchzen, das nicht von mir stammte. Ich rannte ein Stück weiter und sah Avery. Der Anblick von ihr, weinend auf dem Boden zusammengekauert, das Gesicht in den Händen verborgen, traf mich wie ein Messerstich direkt ins Herz und ließ meine aufgewühlte Gefühlswelt verstummen.
Vor ihr stand eine andere Avery, ein Abbild des Mädchens, das da auf dem Boden kniete, nur genauso verschroben und verstörend wie die Bilder meiner besten Freundinnen und meiner Eltern. Die Stimme war unnatürlich blechern und klang hohl, aber das war mir zuvor nicht aufgefallen. Schlimmer war, was sie sagte.
Sie verhöhnte Avery, und das offenbar bereits eine ganze Weile. Als die Zombie-Avery mich sah, lachte sie laut und blechern. „Und wen haben wir denn da? Andriana?" Sie kicherte. „Weißt du, Andriana, niemand wird dich jemals mögen. Schon gar nicht ich. Ich meine, sie dich nur an- ein albernes Mädchen mit Heimweh, das denkt, jemand wie ich könnte es auch nur im Entferntesten sympathisch finden...", sie gackerte, doch bevor sie weiterreden konnte, schnellte ich vor und schlug ihr mit der Faust ins Gesicht.
Das war nicht Avery, sondern nur ein boshaftes Spiegelbild. Eine Einbildung. Schockiert starrte das Abbild mich an, und da war auch schon die echte Avery aufgesprungen und verpasste dem Biest, das uns gegenüber stand, einen erneuten Kinnhaken, wobei sich ihr Spiegelbild zu Rauch verflüchtigte.
Avery brachte ein schwaches Lächeln hervor, das ich erwiderte. "Danke.", hauchte sie und nahm meine Hand. Dann brach der Boden unter uns weg und wir stürzten erneut in die Tiefe.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top