5. Türchen
⊱ ────── ⋅ ۞⋅ ───── ⊰
5.
Am nächsten Morgen steht Jeongguk als Erster auf. Er braucht keinen Wecker dafür. Der Rhythmus wurde ihm in den letzten Jahren in Fleisch und Blut eingebrannt. Die Sonne versteckt sich noch hinter den Hügeln, aber es dämmert schon, ganz leicht, und nachdem Jeongguk nun drei volle Tage innerhalb der Schlossmauern verbracht hat und sich verstecken musste, muss er jetzt nach draußen. Er zieht sich eine lockere Hose und ein T-Shirt an (die Kleidung hat Professor Dumbledore am Wochenende für ihn besorgt und Jeongguk hat sie sich selbst in die richtige Größe gezaubert. Außer seinem Zauberstab und den Slytherinroben, die er in Gryffindor nicht gebrauchen kann, hat er nichts aus seiner Zeit mitbringen können), danach verlässt er leise den Schlafsaal und im Anschluss den Turm der Gryffindors.
Im Schloss kennt er sich aus, auch wenn ihm einfällt, dass er das vor den anderen Schüler:innen nicht zeigen sollte. Es würde zu viele Fragen aufwerfen, die er doch nicht beantworten kann. Diese Geheimnistuerei ist schwerer als gedacht. Noch ist es so früh, dass ihm keine andere Person begegnet und doch fühlt sich Jeongguk wie ein Eindringling, während er durch die leeren Gänge streift.
Erst als sich die großen Flügeltüren zur Eingangshalle von Hogwarts hinter ihm schließen, kann Jeongguk erleichtert aufatmen. Die Luft ist kühl und klar und irgendwie... einladend. Alles in dieser Zeit kommt ihm heller und freundlicher vor, als hätte die Boshaftigkeit von Lord Voldemort ihre Spuren nicht nur in den Menschen hinterlassen, sondern auch in der Natur. Es ist Jeongguk nicht direkt aufgefallen, wie jeder schleichende Prozess hat er zur Folge, dass man die Veränderungen nicht unmittelbar sieht. Erst im Kontrast werden sie sichtbar und das sind sie jetzt - deutlich. Hier gibt es sie noch, das Freundliche, das Gute gibt es noch, und Jeongguk atmet wieder, dreimal, tief ein und aus, lässt sich von dem Gefühl fluten. Er schließt die Augen, kann es nicht glauben, was passiert ist, aber muss es zumindest versuchen und läuft los.
Ich kann nicht weglaufen, konnte es noch nie, aber muss ich es jetzt vielleicht auch nicht mehr versuchen...?
Körperliches Training gehörte vor wenigen Tagen noch zu seiner täglichen Routine. Die Todesser haben es verlangt. Reinblüter müssen in allen Aspekten den niedergestellten Halbblütern oder gar den Muggeln überlegen sein; in ihrem Denken und Zaubern und ihren Körpern. Stählern und so hart wie Eisen - von innen und außen.
Von außen haben sie es geschafft, denkt Jeongguk mit einem ironischen Grinsen. Objektiv betrachtet könnte er stolz auf seinen Körper sein. Subjektiv betrachtet ist es aber leider nur das Ergebnis von sinnlosem Rassedenken und dem Versuch, eine nicht vorhandene Wertigkeit zwischen Lebewesen irgendwie sichtbar zu machen.
Innen, und das weiß Jeongguk, ist er noch immer weich und sanft und nachgiebig. Das ist es, worauf er wirklich stolz ist. Lass nicht zu, dass eine schlechte Welt dich hart macht. Lass nicht zu, dass Hass dich dazu verleitet, ebenfalls zu hassen. Und lass nicht zu, dass all die Bitterkeit dir deine Leichtigkeit nimmt.
Und trotzdem genießt Jeongguk den körperlichen Ausgleich, die Möglichkeit, seine Gedanken wandern zu lassen, ohne dass sie jemand aufhält.
Er läuft zum Quidditch Feld, das jetzt, in dieser Zeit, noch da ist, wirklich, obwohl es Jeongguk in der Theorie bewusst war, ist es doch etwas ganz anderes, es noch einmal real vor sich zu sehen. Wie ein Mahnmal, dass er sich tatsächlich in der Vergangenheit befindet. Am Quidditch Feld vorbei (und Jeongguks Herz schlägt viel zu schnell, als dass die körperliche Betätigung es erklären könnte – ob ich wieder Quidditch spielen kann? – Er ist vollkommen aus der Übung, aber – egal, es würde mir schon reichen, wenn ich mit der Mannschaft trainieren kann) und weiter in Richtung der Peitschenden Weide und dem verbotenen Wald. Aus einiger Entfernung sieht er die Hütte des ehemaligen Wildhüters, Rubeus Hagrid, auch er ist tot in Jeongguks Zeit und vage fragt er sich, ob er ihn in dieser Zeit wiedersehen wird – in einer jüngeren Version? Irgendwann wird auch er zur Schule gegangen sein müssen. Ob sie in einem Jahrgang sind?
Der verbotene Wald wirkt viel zu einladend um verboten zu sein, mit den ersten Sonnenstrahlen des Tages, die sich langsam durch die Baumkronen schieben. Es ist ein magischer Anblick und Hogwarts und seine Ländereien, sind voll davon. Voll von Magie, die unverdorben ist und rein und Jeongguk hat vergessen, dass es so sein kann. Es ist viel zu lange her. Der Anblick stimmt ihn glücklich, aber auch düster, vor allem wohl melancholisch. Er erinnert ihn an alles, was er verloren hat, und wieder fragt er sich, ob er es wirklich wiederfinden kann, hier, in 1944.
Jeongguk hält an, um das Licht zu beobachten, wie es spielerisch durch Blätter tanzt und ein Duett mit dem Wind aufnimmt. Seine Runde ist fast beendet und auch, wenn er keine Pause braucht, nimmt er sie sich trotzdem. Er ist jetzt kurz vor der Eulerei (er hat keine Eule mehr und er hat auch niemanden mehr, dem er schreiben könnte) und bleibt stehen. Irgendwo zwischen dem alten Turm und dem Rand des verbotenen Waldes. Irgendwo zwischen Magie und Licht und Morgengrauen, der freundlich ist und gütig. Er ist irgendwo dazwischen und Jeongguk fühlt sich verloren.
Ich bin in der falschen Zeit, die sich aber richtig anfühlt und in der richtigen Zeit, fühle ich mich falsch an...
Es ist genau dieser Moment (zwischen wanken und schwanken und zu-viele-Fragen-haben), in dem er gefunden wird. Jeongguks Haut ist heiß und verschwitzt, Wind streicht ihm die feuchten Haarsträhnen aus der Stirn und hinterlässt eine sanfte Form von Gänsehaut und das weißes T-Shirt schmiegt sich fast durchsichtig an seinen Oberkörper.
„Guten Morgen", begrüßt ihn ein anderer Schüler.
Er scheint gerade aus der Eulerei zu kommen und sich auf dem Weg zurück zum Schloss zu befinden. Er hat dunkle Haare und helle Haut und ist so schön, wie ein Prinz aus einem Märchenbuch. Um seinen Hals hängt die Krawatte von Slytherin.
⊱ ────── ⋅ ۞⋅ ───── ⊰#
P.S. Ich freue mich so sehr auf das Kapitel von morgen :]] !!
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top