23. Türchen
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23.
Du darfst beginnen", gesteht Yoongi großzügig zu. „Wassss möchtest du wisssen, Jeongguk Jeon?"
Dieses Zischen. Es verfehlt niemals seine Wirkung. Jeongguk will es nicht, aber kann sich gegen die Gänsehaut nicht wehren, die sich auf seinem Körper ausbreitet.
Es gibt so viel, dass er wissen will. So viele Fragen, die er zum Wohle der Zukunft stellen sollte. Aber das Veritaserum zwingt ihn dazu, die Wahrheit zu sagen. Selbst die Wahrheiten, die ihm nicht bewusst sind. Er trägt sein Herz nun auf der Zunge. Es antwortet für ihn.
„Was empfindest du für mich?"
Jeongguk, du bist SO DUMM. Wie können deine dämlichen Gefühle wichtiger sein als die Zukunft der Zaubererwelt? Von allen Fragen, die du hättest stellen können, entscheidest du dich ausgerechnet dafür??
Auch Yoongi wirkt ehrlich überrascht (das Veritaserum wirkt sich sogar auf seine Mimik aus, bemerkt Jeongguk überrascht und hasst sich ein bisschen dafür, wie faszinierend er es findet in Yoongis hübsches Gesicht zu sehen, wenn es ihn nicht nur das sehen lässt, was Yoongi ihm zeigen will).
„Viel", versucht Yoongi auszuweichen. Aber sie wissen beide, dass Veritaserum so nicht funktioniert. Nicht mit vagen Antworten und auch nicht mit Umschreibungen. Es zwingt dich zu einer einzigen Sache – der Wahrheit – und erlaubt dabei keine Umwege und Abkürzungen. Genau das macht es so effektiv.
Jeongguk wartet geduldig. Ist beinahe überrascht davon, wie lange Yoongi dem Zwang des mächtigen Zaubertranks widerstehen kann. Er ist wahrhaftig nicht umsonst der stärkste Zauberer seiner Zeit...
„Ich habe mich in dich verliebt", gibt Yoongi schließlich zu, mit bemüht beherrschter Miene, als wäre das Geständnis nicht so gewaltig, wie es sich anfühlt. Und Jeongguk würde es nicht glauben – das kann nicht sein, denkt er selbst jetzt – wenn Yoongi es nicht unter dem Einfluss von Veritaserum zugegeben hätte.
Er will weiterfragen, hat so viele Anschlussfragen, aber Yoongi lässt keine Diskussion zu, bringt ihn mit eiskaltem Blick zum Schweigen und setzt nun seinerseits zum Angriff an.
„Warum bist du in der Zeit zurückgereist? Bist du gekommen, um mich aufzuhalten?"
Im Gegensatz zu Yoongi wehrt sich Jeongguk nicht gegen die Wirkung des Zaubertranks. Im Gegensatz – mit dem Herz auf der Zunge fühlt er sich so, als könnte er endlich wieder frei atmen. Die Wahrheit über die Zukunft hat ihn so lange belastet, damals in 2003, als er in ihr gelebt hat und sie tragen musste, und jeden Tag in 1944, an dem er mit niemanden darüber sprechen konnte, was er erlebt und durchgemacht hat.
„Es war keine aktive Entscheidung", beginnt Jeongguk. „Mehr ein Wunsch. Gerichtet an den Raum der Wünsche... Er hat mich zurückgebracht. In diese Zeit und an diesen Ort."
„Deswegen hattest du Angst, dass ich dich zurückschicken will...", murmelt Yoongi, mehr zu sich selbst, verbindet die losen Fäden, welche die Erzählerin so achtlos hat herumliegen lassen.
„Wolltest du nicht?"
„Nein."
Oh –
„Oh."
„Der andere Teil meiner Frage", fordert Yoongi. „Bist du hergekommen, um mich aufzuhalten?"
„Ja... Nein... Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, warum der Raum der Wünsche mich hierhin gebracht hat. Er spricht nicht viel, musst du wissen und hat mir keine Erklärung in einem Brief dagelassen. Aber als ich erfahren habe, dass ich deiner Schulzeit gelandet bin, da... da habe ich gedacht, dass ich vielleicht hier bin, um dich aufzuhalten."
„Und jetzt denkst du das nicht mehr?"
„Ich weiß es nicht", antwortet Jeongguk ehrlich, eben weil er es wirklich nicht weiß. Er weiß nicht, was er noch denken soll. „Aber ich bin dran. Du hast deine Frage gestellt."
Yoongi nickt und blickt ihn aufmerksam an, berechnend, kalkulierend. Die Wirkung des Veritaserums wird nicht lange anhaltend, die Halbwertszeit ist rasend schnell. Sie haben sich Antworten für Antworten gekauft. Aber es sind nicht viele. Er muss weise wählen und Jeongguk sollte es auch tun, wenn da nur etwas mehr Verstand in ihm wäre und nicht so endlos viel, quälendes Gefühl.
„Der Kuss... die Zusammenarbeit in den Unterrichtsstunden... die Einladung zum Weihnachtsball... hast du nur mit mir gespielt?"
„Nein."
„Aber warum... ich?" Die Frage ist voll und aufgeladen mit Verzweiflung. Es ist eine der Fragen, die Jeongguk sich nicht selbst beantworten kann. Egal, wie oft er es auch versucht hat.
... und es ist wohl auch eine Frage, die Yoongi nicht so einfach beantworten kann. Seine Mimik verzieht sich unzufrieden.
„Weißt du, wie oft ich mich das selbst gefragt habe?", will er im Gegenzug von Jeongguk wissen. Aber es ist eine rhetorische Frage und die bedürfen keiner zwingenden Antwort. „Erst habe ich gedacht, dass du mich verzaubert hast. Ein dummes, niederes Wesen wie eine Veela mit ihren heimtückischen Methoden... Dann musste ich herausfinden, dass du diese Wirkung nicht auf andere hast. Nur auf mich. Also bin ich von einem Zaubertrank ausgegangen. Vielleicht eine modifizierte Form des Amortentia? Ich habe viel recherchiert und selbst mit Slughorn über die Wirkungsweise von Liebestränken philosophiert. Deswegen haben wir sie dann auch im Unterricht behandelt. Aber du wirktest nicht so, als würdest du dich mit der Materie auskennen. Hast dich, um ganz ehrlich zu sein, eher stümperhaft angestellt."
Jeongguk schnaubt bei dieser Formulierung. Stümperhaft? Wärst du nicht gewesen, wäre ich der fucking Klassenbeste gewesen...
„Also habe ich ausgeschlossen, dass du mit deinem rudimentären Wissen über Zaubertränke dazu in der Lage wärst mich, Lord Voldemort persönlich, zu verzaubern. Trotzdem sind diese lästigen Gedanken und... Gefühle.... einfach nicht verschwunden. Ich habe dich im Auge behalten, um dich zu studieren. Aber je näher ich dir gekommen bin, desto störender ist es geworden. Dieses... Gefühl."
Wow.
Und warum kann Jeongguk es sich so bildhaft vorstellen? Wie Yoongi zunächst in der Bibliothek über Bücher grübelt, weil er etwas erlebt, was er sich mit seinem rationalen Verstand nicht erklären kann? So etwas menschliches wie... Liebe?
Yoongi lässt ihm nicht viel Zeit, das Gesagte zu verdauen und den eigenen Gedanken hinterherzujagen. Schade. Es ist eine schöne Vorstellung. Jeongguk hätte ihr gerne mehr Aufmerksamkeit geschenkt.
Aber: „Wer bin ich in der Zukunft?" Natürlich. Das ist es, was Yoongi wissen will.
„Der, dessen Name nicht genannt werden darf", versucht sich Jeongguk an einer Erklärung. „Du bist Lord Voldemort. So mächtig und so ... grausam, dass die Menschen sich nicht einmal mehr trauen, deinen Namen auszusprechen."
Und es ist nicht grausam, nicht herzzerbrechend, nein, es ist absolut herzzerschmetternd, dass sich Yoongi aufrichtig über diese Antwort zu freuen scheint. Jeongguk hat es eben noch als Segen empfunden, dass sich das Veritaserum auf Yoongis Gesichtszüge auswirkt. Er mag es – so, so sehr – wenn Yoongi menschliche Züge zulässt. Aber das jetzt? Es ist desillusionierend. Jeongguk fasst deswegen seinen Gryffindormut zusammen und versucht zu beschreiben, was man nicht erklären kann:
„Du bist ein großer Zauberer, Yoongi. Aber das bist du auch jetzt schon." Jeongguk denkt an die stumm gesprochenen Zaubersprüche im Unterricht und das Schnipsen mit den Fingern als Ersatzhandlung für den Zauberstab. Nicht viele Hexen und Zauberer sind dazu in der Lage. „Aber in der Zukunft... da bist du nicht nur dieser große Zauberer. Da bist du vor allen Dingen ein Monster."
Jeongguk atmet tief durch. Dreimal ein, dreimal aus.
Ich schaffe das. Vielleicht zerstöre ich die Zukunft dadurch, aber ernsthaft jetzt, da ist nicht mehr viel kaputt zu machen.
„Du hast den Verstand verloren. Bist vollkommen verrückt und willkürlich und wahnhaft. Hunderte und tausende Menschen sind wegen dir gestorben. Zu Beginn hast du noch versucht zu erklären, dass du es wegen der Reinheit des Blutes machst. Dass du die Zaubererwelt vom Einfluss der Muggelstämmigen befreien willst... Später hast du einfach alles getötet, was sich dir in den Weg gestellt hat. Hast dich selbst und deine Ziele verraten, in denen du mit den Halbwesen, die, die du so verachtest, gemeinsame Sache gemacht hast, solange es dir dienlich war. Bist schließlich gestorben, wegen einer Prophezeiung, wegen einem kleinen Kind, dass den Todesflucht abgewehrt hast, mit dem du so achtlos um dich geworfen hast. Ja, du bist danach wiedergekommen und du hast es irgendwann geschafft, deine Ziele zu erreichen. Du hast den Jungen, der lebt und überlebt hat, umgebracht. Du hast die Macht über die Zaubererwelt übernommen. Hast selbst Hogwarts kontrolliert. Aber... in deinem endlosen Kampf ist nicht mehr viel übriggeblieben, dass du beherrschen kannst. In Hogwarts sind wir noch fünfzig Schüler:innen. Den Rest hast du umgebracht. Wir leben alle im Kerker und sehen nie das Licht und als Hausaufgabe erleben wir den Crucio-Fluch zwanzig Mal. Wir sind die Zukunft der magischen Welt, aber kaum jemand von uns will noch leben. Du fragst mich, wer du in der Zukunft bist? Du bist ein großer Herrscher über Nichts in der Zukunft."
...
...
Für eine Weile ist das Knistern des Feuers im Kamin das Einzige, was im Gemeinschaftsraum der Gryffindors zu hören ist.
Jeongguk lehnt sich heftig atmend auf dem bequemen Sofa zurück. Er ist körperliches Training gewohnt, nur ist nichts so anstrengend wie über die Zukunft, Jeongguks Gegenwart, Jeongguks Leben in den letzten fünf Jahren zu sprechen, seit Lord Voldemort alles kaputt gemacht hat.
Yoongis glücklicher Gesichtsausdruck ist in sich zusammengefallen wie ein versalzener Kuchen, den man auch noch zu früh aus dem Backofen genommen hat. Von der eigenen Überheblichkeit ist nicht viel übriggeblieben, je länger Jeongguk gesprochen hat.
„Aber ich bin... ich bin unsterblich", murmelt Yoongi schließlich mit Augen, die rot flackern.
„Ich weiß es nicht genau", gibt Jeongguk zu, „aber es wird vermutet. Du behauptest es. Aber was bringt dir die Unsterblichkeit, wenn alle um dich herum sterblich sind?"
„Wie lange herrsche ich schon in deiner Zukunft?"
„Seit fünf Jahren. Und in diesen fünf Jahren hast du fast alles umgebracht. In weiteren fünf Jahren wird alles tot sein. Dann wirst du weiterhin unsterblich sein und weiterhin ein Herrscher, aber es wird nichts mehr da sein, was du beherrschen kannst."
...
...
Ein Holzscheit knackt, wird vom Feuer verschlungen.
Jeongguks Atmung normalisiert sich langsam wieder.
Das Gefühl des Veritaserums wird schwächer. Sein Herz rutscht langsam wieder seinen Rachen hinab. Sie haben nicht mehr viel Zeit für die Wahrheit.
Aber es gibt noch eine Sache, die Jeongguk wissen muss.
„Stellst du dir die Zukunft so vor? Ist es das, wie du herrschen willst?"
Nach all den gefühlsbetonten und Ich-bezogenen Fragen zuvor, ist es diesmal recht rational, was Jeongguk wissen will. Er ist stolz auf sich, zumindest ein bisschen. Es ist nicht leicht, vor einem Dunklen Lord zu bestehen. Nicht einmal, wenn diese ein 18-jähriger Teenager ist. Jeongguk hat vielleicht nicht alles richtig gemacht. Aber es ist nicht zurückgeschreckt und hat es zumindest probiert. Ein richtiger Gryffindor. Dieser Teil von ihm hat sich niemals mit den Slytherins abfinden können.
Yoongi schweigt mal wieder auf Jeongguks Frage hin. Auch ihm muss bewusst sein, dass die Wirkung des Zaubertrankes nachlässt und wenn er sich genug Zeit lässt, er um die Antwort auf die Frage herumkommen kann. Er scheint abzuwägen und sich dann schließlich zu entscheiden.
Und wie alles, was Yoongi tut, tut er es mit der Entschlossenheit eines Anführers.
„Nein", gibt er schließlich zu. „Es macht keinen Sinn zu herrschen, wenn es nichts gibt, dass beherrscht werden kann."
Da – scheinen Professor Dumbledores Augen Jeongguk erneut sagen zu wollen – sieh hin. Da ist es. Das Licht.
Yoongi scheint sich mit der Antwort so beeilt zu haben, weil er selbst noch eine Frage hat, die er stellen will. Jeongguk ist bereit für sie, egal, wie sie auch lauten mag. Er hat über die Zukunft gesprochen, schlimmer kann es nicht werden.
Trotzdem strafft er sich, innerlich und äußerlich, als Yoongi sich räuspert, den Blick hebt und plötzlich ganz verletzlich wirkt. Mit rot schimmernden Augen, seiner blassen Haut und den blühenden Hämatomen um seinen Hals.
„Was empfindest du für mich?", wiederholt Yoongi nun Jeongguks erste Frage zu Beginn und es ist ungewöhnlich, so höchstungewöhnlich, dass jemand wie er seine kostbaren Antworten für etwas vergeudet, dass nichts mit dem eigenen Ruhm zu tun hat.
„Ich hasse Lord Voldemort", beantwortet Jeongguk ohne zu Zögern. „Ich hasse, hasse, hasse ihn."
Aber das ist nicht alles.
„Und ich bin verliebt in dich."
Diesmal macht Yoongi sich die Mühe und nimmt seinen Zauberstab aus der Tasche seiner Robe. Seine Mimik ist unleserlich. Er wedelt erneut damit und lässt die Buchstaben erscheinen, die sich eben schon gebildet haben.
Yoongi Marvolo Min ist... Lord Voldemort.
„Nein", widerspricht Jeongguk entschieden. „Nein, das bist du nicht."
Das musst du nicht werden.
Und sie sehen sich in die Augen und irgendwie sind sie beide verloren.
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