21. Türchen

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21.

„Vertrau mir", sagt Yoongi und es ist lächerlich offensichtlich, dass ihm nicht bewusst ist, was für einen krassen Widerspruch seine Aussage enthält und in Jeongguk entfacht.

Glücklicherweise tut der Feuerwhiskey in seinem Blut das Nötige, um die Anspannung erfolgreich in den Hintergrund zu drängen und die Aufregung mit einer ordentlichen Portion Hormone anzufeuern.

Das ist so dumm, so dumm, so dumm...

Seine innere Stimme kann sich gerade mal selbst in der Pfeife rauchen, vielen Dank. Jeongguk ist nicht dumm, sondern enorm mutig und der Alkoholgehalt in seinem Blut beglückwünscht ihn zu dieser elaborierten Erkenntnis. Er kichert, als hätte Yoongi einen Scherz gemacht und nimmt seine ausgestreckte Hand entgegen.

Ich vertraue dir.

So dumm, so dumm, so dumm...

Für einen kurzen, schrecklichen Moment glaubt Jeongguk, dass Yoongi ihn in die Kammer des Schreckens führt. Vielleicht weil das in seiner Vergangenheit einer der wenigen Orte ist, an denen er tatsächlich persönlich auf Lord Voldemort getroffen ist... während seiner machthungrigen und populistischen Ansprachen an die Schülerschaft. Hier aber, tatsächlich in der Vergangenheit, aber viel mehr die Gegenwart, ist es natürlich nicht der Weg ist, den sie gemeinsam einschlagen. Yoongi führt ihn lediglich raus der Großen Halle, weg von den letzten Schüler:innen, die nicht genug bekommen von immer leiser werdender Musik, hin- und herwiegen auf der Tanzfläche und den Reste der Bowle, die mittlerweile vermutlich nur noch aus hochprozentigem Feuerwhiskey besteht.

„Wo gehen wir hin?", fragt Jeongguk mit eindeutiger Verzögerung in seinem Denken. Sie haben mindestens schon zwei Stockwerke nach oben hinter sich gebracht.

„Ich will dich ganz für mich allein."

Und was vor wenigen Tagen noch wie eine Drohung geklungen hätte, ist jetzt nur noch ein Versprechen.

Yoongis Augen lodern. Im Zwielicht der Nacht blitzen sie immer wieder rot auf. Jeongguk weiß nicht, ob es eine optische Täuschung ist oder der erste Vorbote für das Aussehen von Lord Voldemort, dass Yoongi nach seiner Wiederauferstehung annehmen wird.

Wie auch immer – Jeongguk hat (dumm, dumm, dumm) keine Einwände.

Er lässt sich widerstandslos von Yoongi durch die Gänge führen, immer höher und höher...

Du könntest ihm von Astronomieturm stürzen und es wie einen betrunkenen Unfall aussehen lassen, schlägt ein Teil seines Gehirns vor, welches noch halbwegs bei Bewusstsein ist und die Fähigkeit rational zu denken nicht vollkommen verloren hat.

Oder ich lasse mich einfach auf sein Spiel ein...

Denn ja, das tun sie vielleicht immer noch. Spielen, drei Fakten, Katz- und Maus, Zukunft und Vergangenheit. Und Jeongguks sturer Gryffindorkopf kann und will nicht einsehen, dass Yoongi ein Gegner ist, den man nicht besiegen kann.

„Wir sind da", flüstert Yoongi verheißungsvoll.

Seine Stimmlage löst eine Gänsehaut auf Jeongguks gesamten Körper aus. Seine Augen fokussieren sich erst auf ihn, auf Yoongi, dann langsam beginnt er ihre Umgebung wahrzunehmen. Sie stehen vor einer kahlen Steinwand, in einem kahlen Gang, nur gegenüber hängt ein Gemälde und in einiger Entfernung sind die ersten Türen zu sehen... Jeongguk kennt diesen Gang...

Wo sind wir? Komm schon, Jeongguk...

... und dann kommt die Erkenntnis. Nüchtert ihn schneller aus als jeder Ausnüchterungstrank dazu in der Lage wäre.

„Der siebte Stock. Der Raum der Wünsche."

Ein Zittern ergreift von Jeongguks Köper Besitz, dass er nicht unterdrücken kann.

Ich will nicht zurück. Ich kann nicht zurück. Hat Yoongi es herausgefunden? Will er mich zurück in die Zukunft schicken? Damit ich seine Pläne nicht zerstören kann?

Seine Gedanken sind vollkommen wir und irrsinnig, aber kalte, blanke Panik lässt kein logisches Denken zu. Sie betäubt und frisst dich auf. Nur rudimentär bemerkt Jeongguk den überraschten Gesichtsausdruck von Yoongi, der sich ohnehin innerhalb von einem Augenblick in seine übliche unberührte Fassade verwandelt.

„Du kennst ihn", bemerkt Yoongi ebenso nüchtern, fast schon... enttäuscht.
„Woher kennst du ihn?"

„Du willst... Du h-hast... Du h-h-hasst..."

Jeongguk bekommt keine Luft.

„Ich will... Ich k-kann... ich... nicht z-zurück."

„Zurück? Jeongguk, ist alles in Ordnung?"

Offensichtlich ist nicht alles in Ordnung mit Jeongguk. Die Panik mischt sich mit unangemessener Wut und richtet sich auf die einzig unmittelbare Angriffsfläche in der Umgebung.

„ICH KANN NICHT ZURÜCK", faucht Jeongguk, vergisst für einen Moment, dass er ein Zauberer ist, als Reflexe, sogar noch älter als die Magie, die Überhand gewinnen. Mit überraschend viel Kraft versetzt er Yoongi einen kräftigen Schubs, sodass er gegen die Wand in seinem Rücken prallt. Jeongguk ist nicht mal einen Wimpernschlag später vor ihm, presst ihn noch dichter gegen die Wand, schlägt Yoongi in einer Art Überlebensreflex den Zauberstaub aus der Hand und legt diese im Anschluss um seinen Hals.

„Ich. Kann. Nicht. Zurück", keucht Jeongguk schweratmend. Er drückt zu, mit Nachdruck aber ausprobierend, wie weit er gehen kann. Yoongi trägt immer noch diesen hässlich-gelassenen Gesichtsausdruck. Seine Augenlider sind halbgesenkt, müde, wache Augen. Er wirkt so desinteressiert, als wäre er gar nicht an der Situation beteiligt.

„Was meinst du?", fragt er mit ruhiger Stimme.

„Du willst mich zurückschicken", faucht Jeongguk wieder mit der Stimme eines Tieres, dass in die Falle gegangen ist und mit dem Rücken zur Wand steht. In der Realsituation ist er es, der Yoongi gegen die Wand presst und ihm die Luft abdrückt, aber sein Kopf gaukelt ihm andere Bilder vor. Panik ist eine seltsam intensive Emotion. Realitätsverändernd, entfremdend.

„Ich will dich nicht zurückschicken."

„Also weißt du es!", poltert Jeongguk. Er schüttelt Yoongi, mit den Händen um seinen Hals, schlägt den – im direkten Vergleich – deutlich kleineren Körper mehrfach schmerzhaft gegen die Wand.

„Wasss weißßßß ich?", fragt Yoongi mit Augen, die jetzt nicht mehr müde, sondern nur noch rot blitzen und dieser zischenden Stimme, die Jeongguk schon einmal um den Verstand gebracht hat. Sie tut es jetzt wieder, aber aus einem vollkommen anderen Grund diesmal. Und der ist so viel schlimmer.

„Alles!!", brüllt Jeongguk verzweifelt. „Einfach alles."

„Keine Geheimnisssseee mehr, Jeongguk", zischt Yoongi und aller Absurdität zum Trotz klingt seine Stimme wie ein Befehl. „Sag es. Sag, wassss ich ohnehin schon weißßß."

„Hör auf", fordert Jeongguk und drückt fester zu.

Ein bisschen fester noch, los! Tu es! Befrei dich von der Zukunft, die es nicht wert ist, gelebt zu werden...

„Hör auf so zu sprechen wie er!"

„Wie wer?"

„Wie Lord Voldemort!", sagt Jeongguk und die Verzweiflung bildet Tränen in seinen Worten.

„Ich bin Lorrrrrd Voldemorrrt", knurrt Yoongi, das erste Mal, wirklich und wahrhaftig bösartig zurück. Seine Augen leuchten nun zweifelsfrei rot auf, keine optische Täuschung mehr.

„Nein", widerspricht Jeongguk und der letzte Widerstand in ihm bröckelt. Seine Hände drücken so fest zu, dass kein Sauerstoffmolekül mehr den Weg in Yoongis Lunge finden kann. Er erwürgt ihn. „Das bist du nicht..."

Ihre Blicke verfangen sich in der aufgeheizten Stimmung zwischen ihnen. Glühendes Rot trifft auf verwaschenes Braun.

Grünes Licht. Die Schreie. All die Toten. Drück fester zu, Jeongguk, länger!!!

...aber da sind auch: dunkle Augen und volle Lippen. Du fragst nicht, weil du den Krieg kennst, oder? Schwarze Wimpern vor müden Augen. Wolltest du nicht mit mir zusammenarbeiten, damit ich dir helfen kann? Ein Junge im verliebten Abendrotlicht im Verbotenen Wald. Du bist schön, Jeongguk. Ein perfekter erster (zweiter) Kuss im Bad der Vertrauensschüler. Willst du mit mir zum Weihnachtsball gehen? Ein ganz normaler junger Mann, der die Musik genießt. Ich will niemand anderen. Nur dich.

Jeongguk lässt los. Er kann es nicht.

Vollkommen entsetzt von sich selbst, von dem, was er beinahe getan hätte, tritt er eilig einige Schritt zurück, blickt auf seine Hände und auf Yoongi, atmet so schwer, als hätte man ihm selbst die Luft abgedrückt und kann es nicht begreifen.

„Ich... k-kann... nicht z-zurück...", wispert er noch einmal, verzweifelt und voller ungeweinter Tränen, die in der Zukunft, einer Welt, in der keine Schwäche jemals erlaubt ist, keinen Platz gefunden haben.

Yoongi, unbeeindruckt wie ein je, das sprichwörtliche Bild des Felsen in der Brandung, unerschütterlich und erhaben, tritt von der Wand weg, als wäre nie etwas vorgefallen.

„Wohin kannst du nicht zurück?", will er mit fester Stimme wissen.

Jeongguk hinterfragt nicht einmal, warum Yoongi das fragt, wenn er doch schon alle Antworten kennt. Er antwortet nur: „In die Zukunft. Ich kann nicht zurück in die Zukunft." 

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