20. Türchen

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20

Der Weihnachtsball findet traditionell am letzten Freitag vor den Winterferien statt, bevor der Großteil der Schülerschaft das Schloss verlässt, um Weihnachten mit ihren Familien zu verbringen.

Jeongguk beobachtet wehmütig Taehyung, Christopher und Namjoon dabei, wie sie ihre Koffer für die Heimreise packen. Es erinnert ihn an seine Vergangenheit, die Zukunft und alles, was er verloren hat. Früher gab es für ihn auch eine Familie, zu der er Weihnachten zurückreisen konnte. Bevor die Anhänger von Voldemort sie getötet haben... die Anhänger des Mannes, mit denen er in wenigen Stunden zum Weihnachtsball gehen wird.

Habe ich sie verraten?

Es ist nicht die einzig quälende Frage, die Jeongguk sich stellt. Er sympathisiert mit dem Feind (und ja, stärkere Verben als sympathisieren sind in diesem Zusammenhang verboten), aber er tut es in den besten Absichten (tut er das?). Was hat er bisher aktiv getan, um Yoongi davon abzuhalten, Lord Voldemort zu werden?

Zu wenig...

Und doch kann Jeongguk sein Herz nicht davon abhalten schneller zu schlagen, wann immer er an den bevorstehenden Abend denkt.

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„Du siehst sehr gut aus", flüstert Yoongi in Jeongguks Ohr, nachdem er ihn auf die Tanzfläche geführt hat.

„Du hättest mir vorher sagen sollen, dass der Schulsprecher und seine Begleitung diesen verdammten Ball auch noch eröffnen müssen...", grummelt Jeongguk ebenso leise zurück. Seine mürrische Tonlage täuscht leider nicht über seine erröteten Wangen hinweg.

„Das hätte ich tun können", gurrt Yoongi zufrieden. „Aber du bist schon so bewandert in Hogwarts Ritualen und Traditionen... Ich bin davon ausgegangen, dass es dir bekannt ist."

„Mh? Wie kommst du darauf, dass ich mich gut in Hogwarts auskenne? Mit Hogwarts Geschichte?"

„Nur eine bescheidene Beobachtung."

Jeongguk will dagegen protestieren, aber Yoongi bringt ihn mit einem tadelnden Blick zu schweigen.

„Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um zu diskutieren. Hör' auf die Musik.... Es geht los."

Und alle Blicke sind auf sie gerichtet.
Erneut.

Und ja. In Gedanken kann Jeongguk Yoongi Recht geben. Es hätte Jeongguk vermutlich bekannt sein können, dass der Schulsprecher den Ball eröffnet, wenn er sich zu irgendeiner Zeit mal für so Nebensächlichkeiten wie den Schulball interessiert hätte. Hat er aber nicht und dann hat Lord Voldemort die Kontrolle über Hogwarts übernommen und jegliche Ablenkung von striktem Lernen und Trainieren abgeschafft, sprich: auch den Weihnachtsball. So ein romantischer Blödsinn hatte unter seinem Regime nichts zu suchen. Unfreiwillig fragt sich Jeongguk, ob selbst einem Lord Voldemort schon einmal das Herz gebrochen wurde...

... was voraussetzt, dass er eins besitzt.

Aber so wie Yoongi jetzt vor ihm steht, mit den müden Augen, die ihn unter den halb gesenkten Augenlidern tief und wach anfunkeln, der Andeutung eines Lächelns auf den verführerischen Lippen und einem Hauch von Rot auf den Wangen... Da ist es erstaunlich leicht zu glauben, dass auch in seiner Brust ein Herz schlägt.

... nur vielleicht nicht ganz so schnell wie meins.

Yoongi scheint die Aufmerksamkeit der anderen Schüler:innen nichts auszumachen. Viel mehr badet er darin, blüht darin auf. Jeongguk hingegen wünscht sich, dass er nicht ganz so ungeschickt wäre, sein letzter Tanz vielleicht nicht schon Jahre her und als er Yoongi tatsächlich auch noch auf den Fuß tritt, schaut er zerknirscht auf.

„'Tschuldige... Ist schon eine ganze Weile her, seit ich das letzte Mal getanzt habe."

„Es macht mir nichts aus. Es würde mir auch nichts ausmachen, dein Erster zu sein...", entgegnet Yoongi dunkel und verheißungsvoll. Sein Griff um Jeongguks Taille verstärkt sich. „Konzentrier' dich nur auf mich und lass' dich führen."

Er schiebt Jeongguk jetzt mit mehr Nachdruck über die Tanzfläche, dirigiert und gibt die Richtung vor, in die sich als nächstes bewegen. Es ist wieder einer dieser Momente, in denen Jeongguk vergisst, dass er eigentlich der Größere von ihnen ist. Yoongis Präsenz ist endlos. Sie füllt den ganzen Raum. An der verzauberten Decke über ihnen funkeln heute Nacht die Sterne, der Himmel ist wolkenfrei und die Sterne spiegeln sich in Yoongis Augen, lassen sie tief erscheinen und endlos und Jeongguk erlaubt sich, darin zu ertrinken.

Danach ist das Tanzen ganz leicht.

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Sie tanzen stundenlang. Nicht nur gefühlt, sondern wortwörtlich. Jeongguk ist vollkommen überrascht von der Erkenntnis, dass Yoongi Min Musik tatsächlich zu genießen scheint.

Sie haben nur eine längere Pause eingelegt, um etwas zu trinken und auch zu essen. Gemeinsam mit Jeongguks Freunden und Yoongis... Anhängern? Nein, Freunde? Zumindest das, was der Beschreibung bei ihm am nächsten kommt. Seokjin und Hyunjin haben ihnen beim Essen Gesellschaft geleistet (zum großen Amüsement von Taehyung und Christopher und der absoluten Glückseligkeit von Namjoon, der natürlich keinen Bissen runterbekommen hat).

Seokjin hat seichte Konversation mit Namjoon geführt, wie um seine Nerven zu schonen, erstaunlich rücksichtsvoll für einen Slytherin. Jeongguk hat ihn stumm beobachtet und musste zugeben, dass er umwerfend aussieht – mit den starken Schultern und den vollen Lippen und der Alabastahaut. Kein Wunder, dass ihr Vertrauensschüler ihm so hoffnungslos verfallen ist.

Hyunjin hat sich das Schauspiel aus der Distanz heraus angesehen, ebenfalls belustigt davon, aber in typischer Slytherin-Manier es nicht ganz so offensichtlich zeigend. Christopher und Taehyung haben ihn zum Verbündeten erkoren (ohne Hyunjins Meinung dazu einzuholen) und haben ihn nach dem Essen zum gemeinsamen Punsch holen beordert (und der arme Hyunjin hatte wirklich keine Wahl, eingepfercht von beiden Seiten vom Duo Infernale, die ihm erstaunlich schöne Augen gemacht haben – wortwörtlich). Es muss an der Stimmung vom Weihnachtsball liegen. Es liegt Liebe in der Luft, vielleicht sogar wortwörtlich. Jeongguk würde es Professor Slughorn den Punsch mit einem Liebestrank versetzt zu haben (dieser verrückte, aber gutmütige alte Mann....).

Jeongguk schnüffelt zunächst misstrauisch an seinem Getränk und als er den fremden Geruch wahrnimmt, schiebt er den Becher weit von sich weg.

„Das ist nur Feuerwhiskey", versucht Taehyung ihn zu beruhigen und wedelt wenig unauffällig mit einem silbernen Flachmann, bevor er ihn wieder in seinem Umhang verschwinden lässt. „Ich dachte, wir brauchen alle mal ein bisschen mehr Lockerheit in dieser Runde..." und dabei zwinkert er, ebenso wenig subtil, Hyunjin über sein Getränk hinweg zu. Christopher folgt seiner Geste und nutzt die Chance mit dem überforderten Slytherin anzustoßen. „Nur ein wenig Feuerwhiskey, um die Nerven zu beruhigen..."

Kann ja nicht schaden..., denkt Jeongguk und frei nach dem Motto, Augen zu und durch, legt er den Kopf in den Nacken und ext das Getränk in einem einzigen Zug.

„Aufgeregt, Jeongguk?", fragt Yoongi, der ihn mit aufmerksamem Blick dabei beobachtet.

„Nonsens – nein. Warum sollte ich?"

„Vielleicht wegen deiner umwerfenden Begleitung."

„Mh? Ich hab' gar nicht mitbekommen, dass ich mit Seokjin hier bin."

Seine Antwort bringt ihm zwei Lacher, ein amüsiertes Schnauben und zwei bitterböse Blicke ein.

„Vorsichtig", knurrt Yoongi und Namjoons Blick scheint ihn ausnahmsweise einmal Recht zu geben.

„War nur ein Spaß", rudert Jeongguk deswegen auch sofort zurück und legt Yoongi versöhnlich eine Hand auf den Arm. „Wollen wir vielleicht wieder tanzen gehen?"

Nachdem er sich einmal wieder an die steifen Bewegungsabfolgen gewöhnt hat, macht es ihm tatsächlich Spaß.

Yoongi stimmt ihm kommentarlos zu, indem er sein eigenes Getränk ebenfalls in einem Zug leert und sich gleich darauf erhebt. Er bietet Jeongguk seinen Arm an (so altmodisch, wobei, Moment – vermutlich eher zeitgemäß, schließlich sind wir in den fünfziger Jahren...) und führt ihn mit eleganten und fließenden Schritten zurück auf die Tanzfläche.

„Du tanzt gerne?", spricht Jeongguk nun seine Beobachtung von eben an.

„Ich mag Musik. Man tanzt zu ihr. Es bietet sich an, der Tätigkeit nachzugehen."

„Wow... das hätte ich nicht gedacht."

„Warum so überrascht?", will Yoongi von ihm wissen und Jeongguk weiß nicht, wie genau er darauf antworten soll, ohne viel zu viel zu verraten.

„Du wirkst irgendwie nicht so wie der Typ Mensch, der an so sinnlosen Tätigkeiten wie Tanzen Freude hat...", versucht er es vorsichtig.

„Du findest Tanzen sinnlos?"

„Nein", widerspricht Jeongguk sofort. „So war das nicht gemeint."

„Wie war es dann gemeint?", will Yoongi wieder wissen. „Und wie ‚was für ein Typ' wirke ich denn sonst auf dich?"

Wie ein verrückter, massenmordender Psychopath...

Aber das ist nicht wahr. Das ist Jeongguks Bild von Voldemort aus der Zukunft. Der Yoongi hingegen, der jetzt vor ihm steht, vermittelt ihn einen vollkommen anderen Eindruck.

„Zielstrebig", wagt sich Jeongguk an einen Antwortversuch heran. „Ehrgeizig. Als hättest du dein Ziel klar vor Augen und würdest dich nicht durch irgendetwas davon abbringen lassen."

Yoongi wirkt durchaus zufrieden mit seiner Beschreibung und Jeongguk atmet erleichtert aus. Manchmal ist es so in Yoongis Nähe so, als würde er ein Minenfeld betreten und jeden Schritt vorsichtig setzen, damit er keine Explosion auslöst.

„Dem kann ich nicht widersprechen", sagt Yoongi, wieder mit diesem kleinen Lächeln auf den Lippen, was so anders ist als jedes Lächeln, mit denen er den Lehrern im Unterricht begegnet oder andere Schüler:innen auf dem Gang grüßt. Es ist viel zurückhaltender, fast schon schüchtern.

Ehrlich, denkt Jeongguk, das hier ist sein ehrliches Lächeln.

Ein faszinierender Gedanke.

„Aber wie kommst du darauf, dass Tanzen und mein Ziel klar vor Augen sich ausschließen müssen?"

„Was meinst du?", fragt Jeongguk, weil er diesem Gedankengang nicht direkt folgen kann.

„Du sagst es, als wären es zwei Gegenpole", erklärt Yoongi geduldig. „Als könnte ich meine Ziele nicht weiterverfolgen, nur weil ich mich den Freuden des Tanzes hingebe. Dabei bin ich mir durchaus sicher, dass ich mein Ziel gerade nur umso deutlicher vor Augen habe..."

Das impliziert...

... richtig, Jeongguk, du Blitzmerker.

Es impliziert, dass du Yoongis Ziel bist.

Er stottert, um eine Antwort verlegen und weiß wirklich nicht, wie er auf dieses Geständnis (ist ein Geständnis??? Was genau will Yoongi ihm denn damit sagen???) reagieren soll. Ein Kurzschluss ist mal wieder die präferierte Reaktion seiner überforderten Nervenbahnen. Er konzentriert sich auf alles um ihn herum, nur nicht auf den Mann vor sich, nicht auf seinen Duft (erdig und waldig), nicht auf die starke Hand in seinem Rücken (kräftig und sanft) und auch nicht darauf, wie nahe ihre Körper sich sind (so nah, dass Jeongguks Herz, wenn es nur noch ein wenig kräftiger wäre, für sie beide schlagen könnte). Stattdessen nimmt er die anderen Tanzpaare um sie herum wahr, die sich Großteils verliebt angucken und langsam im Takt der Musik hin- und herschwingen.

Die Musik...

„Oh", macht Jeongguk aufrichtig überrascht. „Das Lied kenne ich."

Und singen, leise, so dass nur Yoongi ihn hören kann, kommt ihm wirklich wie eine hervorragende Ablenkungsstrategie vor, die ihn davor bewahren wird, auf Yoongis Statement reagieren zu müssen.

Also beugt er sich nach vorne, legt den Kopf schief, sodass seine Lippen fast Yoongis Ohr berühren und beginnt leise zu singen:

remember the way you made me feel?
such young love, but
something in me knew that it was real
frozen in my head

pictures I'm living through for now
trying to remember all the good times
our life was cutting through so loud
memories are playing in my dull mind
i hate this part, paper hearts
and I'll hold a piece of yours
don't think I would just forget about it
hoping that you won't forget about it...

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„Okay, es reicht", beschließt Jeongguk entschlossen und leicht außer Atem, während er sich auf einen der vielen freien Stühle fallen lässt. Sein Kopf dröhnt und dreht sich ein wenig, von den unzähligen Runden auf der Tanzfläche, aber vermutlich auch von den Zwischenrunden Feuerwhiskey, die sie immer wieder dazwischengeschoben haben. Mittlerweile ist es so spät geworden, dass die Große Halle sich deutlich geleert hat. „Du musst jemand anderen fragen, ob er oder sie mit dir tanzen will."

Yoongi lässt sich unbeeindruckt neben ihm nieder. Er beobachtet ihn nur träge, aus diesen müden-wachen Augen, die nur er hat, und den unfairen Schmollmundlippen. Sein Bein presst sich unbewusst gegen das Jeongguk.

„Ich möchte niemand anderen", sagt Yoongi dann schließlich. Er sagt es beinahe beiläufig, als wäre es keine große Sache. „Nur dich."

Er meint es nicht ernst, er kann es nicht ernst meinen.

Jeongguk muss mit mehr Sarkasmus auf seine Aussage reagieren, sonst erträgt er sie nicht.

„Wow, da hab' ich richtig Glück gehabt. Die ungeteilte Aufmerksamkeit vom großen Yoongi Min. Was für ein Geschenk."

Er darf nicht darüber nachdenken, was Yoongis Worte mit ihm anstellen. Was sie mit seinem Kopf und seinem Herzen machen können, wenn er sie einmal reinlässt. Er darf nicht darüber nachdenken, dass er schon viel zu tief drinsteckt. Wen kümmert es schon, dass er vielleicht wirklich damit beginnt, Yoongi Min zu mögen? Und wenn schon? Das ist sein Problem.

„Könntest du bitte damit aufhören mich anzustarren?", sagt er dann, nur um abzulenken. „Ich weiß, ich sehe gut aus und all das, aber es ist trotzdem irgendwie verstörend. Was erwartest du jetzt von mir? Eine große Liebeserklärung?"

„Nun, wenn es das ist, was du fühlst..."

„Nun", wiederholt Jeongguk verbissen, „das ist es sicher nicht. Ich toleriere dich allerhöchstens. Zufrieden damit?"

Es soll der schwache Versuch einer Beleidigung oder zumindest einer Zurückweisung sein und bei jedem anderen hätte Yoongi sie vermutlich auch als eine solche aufgefasst. Bei Jeongguk hingegen... er lacht nur, lehnt sich auf seinem Stuhl nach vorne. „Unhöflich" fasst er zusammen. Sie sind sich jetzt wieder so nahe, dass Jeongguk seine langen Wimpern sehen kann, die sich mit einem trägen Augenaufschlag erst absenken und dann wieder aufsteigen. In seinen Augen dahinter lodert ein Feuer. Seine Wangen sind uncharakteristisch gerötet, ein wenig nur, aber trotzdem. Jedes Zeichen von Menschlichkeit an Yoongi ist an ihm so viel besonderer, als an jeder anderen Person in ganz Hogwarts. 

Yoongis Stimme wird tiefer und leiser: „Bist du müde?", fragt er. Seine Hand findet wie selbstverständlich den Weg auf Jeongguks Oberschenkel, malt gedankenversunken kleine Muster auf den Stoff dort.

„Ja", sagt Jeongguk hellwach. Eine Sekunde vergeht. Yoongis Blick ist immer noch intensiv, brennend und lodernd, und seine Finger rutschen Stück für Stück an Jeongguks Oberschenkel hinauf.

„Dann lass uns gehen..." 

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Mein Lieblingskapitel :)
Jeongguk singt am Ende "Paper Hearts", falls ihr es nicht ohnehin schon erkannt habt. 
Zielgerade beginnt jetzt - noch vier Kapitel!

Wir schaffen das!

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