6. Türchen

Bis kurz vor elf waren sie auf der Wache. Jetzt gerade ist es halb acht und Harry tritt durch die Türen. Sein erster Weg führt zu der Kaffeemaschine. Dann holt er seine Waffe und seine restliche Ausrüstung ab. Louis tritt kurz nach ihm ein. Er hat kaum geschlafen. Seine Gedanken drehen sich nur um den Fall und daher hat er heute Morgen auch vergessen, Tee und Milch zu kaufen. Unzufrieden greift er wieder nach dem Früchtetee. Harry sieht ihn skeptisch an. Wird Louis krank? Schon damals hat er immer Earl Grey mit Milch getrunken. Die dunklen Ringer unter den Augen würden zumindest dafür sprechen, dass es ihm nicht gut geht. Harry sieht wieder auf seine Tasse, die sich langsam mit Kaffee füllt. Es muss nicht sein, dass Louis denkt, er würde ihn anstarren.

Stumm stehen sie nebeneinander in der Küche. Die Spannung ist derart unangenehm, das man meint, man könnte die Luft spielend leicht mit einer Schere zerschneiden. Zum Glück kommt gerade niemand rein, denkt Harry sich. Er hat keine Lust, jemanden von der Wache erklären zu müssen, dass Louis Tomlinson ein Arschloch ist.

Der Kaffee ist fertig, als das Teewasser gerade kocht. Harry verschwindet aus der Küche. Louis sieht ihm nach. Zumindest einen guten Morgen hätte dieser Idiot ihm mal wünschen können. Louis schüttelt den Kopf. Was hat er von Harry schon erwartet? Anstand? Wohl kaum.

Er schüttet den Tee auf und sieht unzufrieden in die Tasse. Das Wasser verfärbt sich rötlich. Er muss daran denken, sich Earl Grey zu kaufen. Und Milch. Er möchte zumindest vernünftig in den Tag starten, wenn er schon mit Styles Zeit verbringen muss.

„Der Autopsiebericht ist da", sagt Harry, als Louis sieht ihm gegenüber an den Schreibtisch setzt.

„Schon?", fragt dieser überrascht. Er hatte nicht vor heute Nachmittag damit gerechnet. Harry nickt. „Dr. Walker hat fast die ganze Nacht durch gearbeitet. Er weiß, dass die Möglichkeit besteht, dass in ein paar Tagen die nächste Leiche gefunden wird. Zeit ist kostbar."

Anschließend öffnet Harry das Dokument. Er atmet tief durch, als er die Bilder von Allen sieht. Er ist mindestens genauso schlimm zugerichtet, wie Josh. Er liegt mit geschlossenen Augen und einem Tuch über dem Schambereich auf dem Autopsietisch.

Louis ist aufgestanden und sieht die Bilder ebenfalls. Die Schnitte konzentrieren sich auf den Oberkörper, aber auf ihren Beinen sind viele dunkle Hämatome zu sehen. Ein großer Handabdruck, wie der am Hals, ist auch zu sehen.

„Er hat sich gewehrt", versteht Louis, ohne den Bericht gelesen zu haben. Harry nickt stumm und liest. Es könnte dasselbe Messer oder ein sehr ähnliches Messer gewesen sein. An seinem ganzen Körper sind Wunden, aber er wurde nicht sexuell missbraucht. Die Wunden und Hämatome an den Hand- und Fußgelenken sind wie bei Josh von Seilen. Dann ließt Harry etwas, dass ihm einen Schauer über den Rücken jagt. An Allens Körper wurde Joshs DNA gefunden. Genauer gesagt dort, wo die Seile, um ihre Gliedmaßen gebunden wurden.

„Es ist der gleiche Täter. Definitiv", versteht Louis und auch ihm ist eiskalt geworden. Der Täter benutzt die gleichen Seile wieder. Wenn er das Messer ebenfalls bei beiden benutzt hat, hat er es gesäubert. Außerdem hat sie genau wie Josh Holzreste unter den Fingernägeln, die allesamt abgebrochen und blutig sind.

„Er wollte sich befreien", sagt Harry leise. „Er saß auf einem Stuhl und hat versucht, loszukommen."

„Deswegen das Holz unter den Nägeln. Es kommt vom Stuhl", schlussfolgert Louis und Harry nickt. „Es ist Kiefer und schon einige Jahre alt", liest er vor. „Kiefer ist ziemlich günstig. Und wird häufig für die Erstellung von Möbeln genutzt."

„Es waren wieder keine Fingerabdrücke an dem Opfer", denkt Louis laut nach. „Keine Haare, keine DNA, nichts."

„Was ist, wenn der die Leichen wäscht?", überlegt Harry, aber Louis schüttelt den Kopf. „Das wäre sehr gründlich. Da würde er wohl kaum die Nägel auslassen. Ich denke eher, dass er eine Art Schutzanzug trägt. Wie ein Maler oder so."

„Die sind nicht schwierig zu finden. Die könnte man ganz einfach im Internet bestellen."

Louis nickt. „Er ist vorsichtig und will keine Spuren hinterlassen. Er könnte vorbetraft und seine DNA im System sein."

„Würde zu dem Aspekt des Sadisten passen", stimmt Harry zu und liest weiter. „In ihrer Kleidung sind Reste von Alkohol zu finden. Von Bier, um genau zu sein, aber sie war nüchtern und hatte keinen Alkohol im Blut. Genau wie Josh hatte sie einige Tage nichts gegessen, sondern nur ein bisschen getrunken."

„Der Täter gibt beiden nur Wasser zu trinken. Das Bier könnte vorher auf die Kleidung geraten sein."

„Auf der Party?"

Louis zuckt mit den Schultern. „Wäre auf einer Party nicht unwahrscheinlich, oder?" Er setzt sich wieder an den Schreibtisch. Harry sieht ihn fragend an, als Louis konzentriert auf den Bildschirm schaut.

„Wir haben viele Bilder von der Party von ihren Freunden bekommen. Auf keinem davon hat er einen Fleck auf der Kleidung, aber er ist nach seinen Freunden gegangen. Er hatte ihre Jacke drinnen vergessen. Seitdem wurde er nicht mehr gesehen", erklärt Louis mir. „Es könnte also passiert sein, als er wieder reingegangen ist."

„So könnte der Täter ihn angesprochen haben", spekuliert Harry. „Dieser alte ich verschütte aus Versehen mein Getränk Trick."

Louis nickt nachdenklich. Ihm ist das hier alles zu wage. Natürlich fangen die meisten Ermittlungen so an, aber ihm dauert das zu lange. Wieso haben sie immer noch keine Verbindungen zwischen Josh und Allen herausgefunden?

Bis zum Mittag ändert sich das nicht. Louis hat sich hinter die Berichte der IT-Abteilung geklemmt. Es gibt nicht einmal eine Handynummer, die beide abgespeichert haben. Keine gemeinsamen Bekannte, keine gemeinsame Interessen. Es ist, als wären die beiden zwei völlig fremde. Möglicherweise sucht der Täter sich die Opfer tatsächlich zufällig aus. Vielleicht sind sie nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen. Das würde es noch schwieriger machen, den Täter zu finden. Dann gab es keine Auswahlkriterien. Sie waren nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort.

„Josh und Allen haben mit Sicherheit geschrien", denkt er wenig später laut nach. Harry sieht auf. „Hast du das nicht gelesen? Im Bericht stand, dass ihnen der Mund gestopft wurde."

Hat Louis das wirklich übersehen? „Wieso hast du das nicht gesagt?", fragt er ihn trocken.

„Wieso sollte ich?"

„Du hast die Berichte bisher vorgelesen. Dieses Detail hast du definitiv ausgelassen", erwidert Louis angepisst. Wieso tut Harry so etwas? Er bremst sie doch nur aus, wenn er Details auslässt.

„Ich dachte, du würdest die Berichte selbst noch einmal komplett lesen. Ich wusste ja nicht, dass du das nicht kannst."

„Arschloch."

„Schön, wie du dich selbst beschreiben kannst", entgegnet Harry unberührt. Louis schnaubt. Wer dachte jemals, dass es eine kluge Idee wäre, Harry zu einem Officer, geschweige denn zu einem Detective zu machen? Dieser Kerl hat keine Empathie und ist ein Egoist. Er ist vollkommen ungeeignet für diesen Beruf.

„Ein Schal", liest Louis.

„Mhm. Ein Seidenschal oder ein Tuch oder so. Nicht, dass du wieder ein Detail nicht mitbekommst", provoziert Harry ihn.

„Das habe ich schon gelesen, keine Sorge."

Es sind schwarze und grüne Fasern zwischen den Zähnen und unter der Zunge bei beiden Leichen gefunden worden. An den Fasern war Waschmittel.

„Er hat den Stoff gewaschen, nachdem er Josh ermordet und Allen entführt hat", versteht Louis. „Wieso wird der Stoff gewaschen, die Seile aber nicht?", will er von Harry wissen, aber auch er hat keine Antwort auf diese Frage.

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