13. Türchen

Sie brauchen nicht lange zu dem Friedhof. Von weitem sehen sie schon die Turm der Kapelle und die nackten Baumkronen. Harry verdreht den Mund. Friedhöfe sind seltsam. Das denkt er schon, seitdem er ein Kind war. Er ist dort nur sehr ungerne und schon gar nicht allein. Und das, obwohl er Detective ist und eine Waffe trägt. Rational weiß er natürlich, dass dieses Gefühl unbegründet ist. Was soll ihm passieren? Er wird wohl kaum von Krähen oder Eichhörnchen angegriffen. Trotzdem sträubt sich sein Körper ein Stück weit, auf den Friedhof zu gehen. Er strafft sie Schultern und parkt an der Seite. Louis sieht ihn verwundert an. „Wieso fährst du nicht bis zum Eingang?", will er wissen.

„Hier können wir auch rein", antwortet Harry und deutet auf das sehr viel kleinere Tor ein paar Meter weiter.

„Was für eine Pflanze suchen wir genau?"

„Eiben. Das sind Nadelbäume mit roten, kleinen Früchten." Er zeigt ihm ein Bild.

„Ah ja", sagt Louis und Harry ließt weiter vor. Er hat einen Lexikonartikel geöffnet. „Die Eibe gilt als Baum des Todes."

„Wie passend", murmelt Louis.

„Sie gilt aber auch als Symbol der Unsterblichkeit und Widergeburt. Das kommt vor allem, weil diese Bäume schon sehr lange hauptsächlich auf Friedhöfen zu finden sind. Bei beiden Tatorten waren Spuren davon. Der Täter war bestimmt zwischen den Morden hier."

„Oder bevor er die Leiche wegbringt", meint Louis und spricht weiter. „Was ist, wenn er herkommt, direkt bevor er die Leiche wegbringt?"

„Du meinst, er läd die Leiche in den Wagen, fährt erst her und legt sie dann in einem anderen Park ab", versteht Harry und sieht sich um. Noch habe sie keine Eibe gefunden.

„Er erzählt es jemandem. Er kann mit niemandem darüber sprechen, dass er ein Sadist ist, nur mit jemandem, der schon tot ist", denkt Louis nach.

„Meinst du?"

„Wieso sollte er sonst hier sein. Er könnte die Leiche hier außerdem gut loswerden. Wieso tut er es nicht und macht diesen Umweg."

„Hier ist schon jemand."

„Und dieser jemand ist besonders. Es soll sonst niemand dorthin."

„Sein erster Mord?", fragt Harry, aber Louis zögert. Es könnte schon sein, aber er glaubt etwas anderes. „Vielleicht. Oder jemand, der ihm nahe stand."

Sie laufen weiter und sehen sich um. Hier sind tausende Gräber. Eins zu finden, ohne einen Anhaltspunkt zu haben, ist quasi unmöglich.

„Dort vorne. Das ist eine Eibe, oder?", entdeckt Louis und geht vor. Harry nickt und geht ihm hinterher. Sie ist groß, bestimmt zwanzig Meter. Rote Früchte liegen am boden keine, aber einige Kerne. Er nimmt einen der Kerne in die Hand. „Das hier wurde bei beiden Leichen gefunden. Die Kerne sind im Profil der Stuhe steckengeblieben und durch den feuchten Boden im Park wieder rausgefallen."

Sie sehen sich um. Es sieht aus, wie auf einem normalen Friedhof. Harry entdeckt ein paar Vögel in den kahlen Bäumen und spannt sich an. Er mag es hier nicht. Louis macht in der Zeit einige Fotos von der Umgebung, bevor sie weitergehen.

Auf diesem Friedhof stehen einige Eiben. Viele und nicht wenige davon an den Hauptwegen. Sie können nicht sagen, in welche Bereich des Friedhofs der Täter sich aufhält. Harry hatte die Hoffnung, dass es anders wäre oder das vielleicht ein Grab so dekoriert ist, dass es auffallen könnte, aber nichts. Was hat er erwartet? Dass dein Grab mit einem schwarz-grünen Seidentuch dekoriert ist? Wohl kaum.

Sie verbringen gut zwei Stunden auf dem Friedhof. Harry würde am liebsten jeden Moment gehen, aber er reißt sich zusammen. Louis hat kein Problem damit, hier zu sein und er will sich vor ihm garantiert nicht idese Blöße geben. Sie verlassen den Friedhof durch den Seiteneingang. „Stopp, warte!" Louis hält einen Arm vor seine Brust und hintert ihn daran, weiterzugehen.

„Was?"

„Psht!"

Harry folgt Louis' Blick. Ein Ford Fiesta. Das könnte auch Zufall sein, oder? Bestimmt ist es Zufall. Oder? Sie warten am Eingang. Wie gut, dass sie keine Uniform tragen. Zwei Minuten, drei Minuten. Nichts passiert. Sie sehen nicht, ob jemand im Wagen sitzt. Louis hat längst ein Foto gemacht, sodass sie das Nummernschild haben.

Dann fährt der Wagen weg. Die ganze Zeit saß jemand hinterm Steuern. Verdammt. Sie sehen dem Wagen hinterher und erst, als er weg ist, setzen sie sich selbst in den Dienstwagen.

„Wir könnten Streifen vor den Eingangen des Friedhofs plazieren", schlägt Harry vor. „Vor dem nächsten Mord, falls wir den Täter bis dahin nicht haben."

„Ja. Klingt gut", stimmt Louis zu, hofft aber, dass es soweit nicht kommen wird. Dann gibt er das Nummernschild der Zentrale durch und bittet sie, es zu überprüfen. Er glaubt nicht daran, dass dieser Wagen hier zufällig war. Während Harry zurück fährt, sieht Louis sich den Ausschnitt des Videos der Überwachungskamera an, den Miller rausgesucht hatte. Das Auto auf dem Video sieht man nicht gut, aber man erkennt, dass es alt ist und durchaus heruntergekommen ist. Er verleicht es mit den Fotos, die er gerade gemacht hat. „Es ist das selbe Auto", sagt er dann und Harry sieht ihn überrascht für einen kurzen Moment an, als sie vor einer roten Ampel stehen. „Es ist das Auto", widerholt er und wartet darauf, dass die Zentrale eine Antwort zum Nummernschild hat.

„Das heißt, wir haben ihn um einige Minuten verpasst."

„Verdammte Scheiße!", flucht Louis und schließt kurz die Augen. Das darf doch nicht wahr sein. Ein paar Minuten.

Sie fahren zurück zur Wache. Louis ist frustriert und holt sich einen neuen Tee. Harry folgt ihm und stellt die Kaffeemaschine an. Dann greift er sich einen der Muffins und geht mit der vollen Tasse zum Schreibtisch zurück. Er nimmt einen Bissen und setzt sich. Louis ist einen Moment später bei ihm und sieht ihn perplex an. Dann reißt er ihm den Muffin aus den Fingern und schnappt sich den Papierkorb. „Ausspucken!"

Irriitert sieht Harry ihn an, aber Louis streckt ihm den Mülleimer hin. Als Harry den Kopf schüttelt, wiederholt Louis mit mehr Nachdruck: „Ausspucken, jetzt!"

Harry seufzt und macht es. „Gönnst du mir jetzt nicht einmal den Muffin?", fragt er ihn, als Louis seine Muffin isst. „Ist das dein Ernst?"

Louis stellt den Mülleimer weg uns setzt sich. Er zuckt mit den Schultern und betrachtet den Muffin. „Wenn du gleich noch Luft bekommen möchtest, solltest du ihn nicht essen. Und du solltest eine deiner Tabletten nehmen." Harry sieht ihn irritiert an. Was?

„Es sei denn, du bist nicht mehr gegen Nüsse allergisch. Dann hol dir einen neuen Muffin", sagt Louis trocken.

„Da sind Nüsse drin?"

„Hast du das nicht geschmeckt?"

„Wie denn, wenn ich fast nie Nüsse esse?", will Harry wissen und nimmt eine Allergietablette. „Danke", schiebt er hinterher und Louis nickt.

„Du weißt noch, dass ich eine Allergie hab?"

„Offenbar", sagt er knapp. In der Academy hatte Harrydas einmal erwähnt, als jemand ihm einen Müsliriegel angeboten hat. Er meinte,sein Hals würde zuschwellen und er würde keine Luft mehr bekommen. Louis hat essich gemerkt, ohne es zu wollen, aber jetzt gerade sind beide ganz froh, dassLouis es nie vergessen hat.

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