20 | »Verborgenes im Nebel« von _Jay_M_

»Verborgenes im Nebel«

Eine Kurzgeschichte aus dem Genre Übernatürliches von _Jay_M_

Triggerwarnungen: Keine

❄️ ❄️ ❄️ ❄️ ❄️

Es knisterte und knarzte. Auf seinem Gang stampfte der routinierte Wächter regelrecht durch die karge vereiste Ödnis, wobei er Schwaden aus Verwünschungen in seine Umgebung hauchte. Wie auch an jedem anderen Tag.

Nichts Ungewöhnliches demnach. Boden und Luft vibrierten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Nichts vermochte Hallanen noch Freude zu bereiten. Es gab schlicht nichts, was ihn erhellen konnte. Die Welt drehte sich weiter und weiter, doch auf der Erde blieb es stets gleich. Eisig, frostig, elendig und weiß. Doch es war kein kristallklares Weiß, das einen verzückte. Nein, eher eins, das einen immerzu den gleichen Trott vor Augen führte und den alltäglichen Geschmack der Verdammnis in einem selbst zum Hervorbrodeln brachte.

Nasekräuselnd stockte er. Es schien etwas in der Luft zu liegen, beinahe zum Greifen nah. Nur konnte er es noch nicht mit Sicherheit bestimmen, was es war. Hinter einem Pfosten stehend hielt er Ausschau und schon kurz darauf sah er eine alte Frau herannahen. Obwohl sie ganz und gar keine Signale der Gefahr auszusenden schien, wartete er ab.

»Ne...bel. Berg ... Proph... Hil...« Die Alte hatte ihre sämtlichen Kräfte vermutlich für ihren Weg verbraucht und benötigte Hilfe. Sie brach ab und sank zu Boden.

Zwei andere Männer eilten zu ihr hin. Was sie miteinander besprachen, verstand er nicht mehr. Deswegen – und weil es keinen Grund mehr zum Verharren gab – straffte er seine Schultern, zog sich seine Wollmütze zurecht und schritt weiter auf seinem Weg entlang, um näher an das Geschehen heranzukommen.

Die zwei niederen Wächter bemerkten seine Anwesenheit und drehten sich zu ihm um. Einer der beiden klärte ihn mit einem Augenrollen auf: »Die Frau meint irgendetwas von einem grünen Nebel, der über den Berg – welcher auch immer – rüberkommt und dass sie ihre Verletzung daher habe.«

Der andere der beiden kreiselte währenddessen mit seinem Finger neben seiner Schläfe, die zwei scheinen dem keinen Glauben zu schenken. Was Hallenen nur zu gut verstand. Vermutlich benötigte sie wahrlich professionelle Hilfe, die ihr hier nicht geboten werden konnte.

»Im–« Der Wächter unterbrach sich – aufgrund des erdolchenden Blicks von Hallanen. Er nickte dem Wächter ungeduldig zu, damit dieser fortfuhr. »Verzeihung. Herr Hallanen, habt Ihr noch Fragen oder sollen wir sie direkt wegsperren?«, wurde sein Wort erbittet.

Fragen – was sollte er denn da fragen? Mit einem Wink signalisierte er, dass sie sie in eine Zelle verfrachten sollten. Er wandte sich seinem Pfad zu, da befiel ihn ein kurios heißer Schauder. Zwischen den Schulterblättern, und der drang tief ins Rückenmark. Da er dem nicht standhalten konnte, drehte er sich um. Seine Augen trafen die der Alten, während sie hinfortgeschliffen wurde. Schmale Schlitze, dazwischen sprühten Funken aus dunklen Iriden.

Auf seiner Runde glitten Hallanens Gedanken gänzlich von den Flüchen, immer wieder hin zu der alten Frau. Obwohl sie ihn starr aus zu Schlitzen geformten Augen fixiert hatte, lag darin auch etwas undefinierbares Interessantes. Oder wollte er das nur glauben?

Als wäre er an einer ungemütlichen Stelle eingeschlafen und müsste sich erheben, prickelte es in ihm. Er spürte das Verlangen, sie aufzusuchen. Nach Ende seines Dienstes ging er daher unvermittelt zu dem Gebäude, in dem sich die Zellen befanden und wurde – er war eben, wer er war: Ihr Vorgesetzter und Oberhaupt im Dienste des Gesetzes – ohne Widerworte hineingelassen.

Zelle für Zelle spähte er durch die Stäbe, bis er sie erblickte. Seelenruhig saß sie im Schneidersitz auf dem sicherlich kalten Betonboden und schien zu meditieren. Ihr Kopf nach unten gerichtet, die Augen mehr geschlossen denn offen. Ob der Wahn von ihr abgelassen hatte?

Seine Finger glitten nun über die Stäbe, als er bis zur Tür weiterschritt. Das hallende Geräusch musste sie gehört haben, doch ihr Kopf ruckte nicht in seine Richtung.

Irritiert darüber ließ er die Tür geschlossen, er räusperte sich. Immer noch nichts. »Benötigen Sie etwas?«, fragte er in einem betont neutralen Ton. »Mit bestimmter professioneller Hilfe können wir hier in unserem Ort leider nicht dienen.«

Einen Augenaufschlag später starrten ihm erneut die dunklen Augen der alten Frau entgegen, was einem Hieb gleichkam – zumindest spürte er es dumpf im Magen.

»Wollen Sie mir nicht erzählen, was sich heute zugetragen hat?«, bot er an, als sie ihn aus ihren Blickfängen befreite.

Doch sie erwiderte immer noch nichts. Er schickte sich schon an zu gehen, da meinte er, ein Flüstern wahrgenommen zu haben. »Haben Sie gerade etwas gesagt?«, hakte er nach.

Sie erhob sich, kam näher zu ihm und flüsterte: »Die Prophezeiung.«

»Wie bitte?«, schrillte er zurück.

»Pscht.« Wie ein verschrecktes Tier strauchelte sie rückwärts und guckte sich um. »Prophe–«

»Was für eine Prophezeiung denn bitte?«

Hallanen musste gedanklich seine Vermutung revidieren, ihr Geist schien noch immer verwirrt zu sein. Dabei scannte sie ihn nun mit einem abschätzenden Blick ab, als wäre er ein verirrter oder unwissender junger Mann.

»Nun sprecht schon«, forderte er sie auf, um diesen abstrusen Moment aufzulösen.

»Jene, die genau dies vorausgesagt hat«, murmelte sie vor sich hin und rieb sich die Arme.

Hallanen stierte sie an, doch offenbar wollte sie ihn nicht weiter in ihr heiliges schwachsinniges Wissen einweihen. Doch etwas passte nicht. Nur was genau? Sein Blick glitt prüfend durch ihre Zelle, bis er wieder auf ihr landete, um sich dann auf ihren Arm zu heften. Ab dem Handgelenk abwärts kamen Bläschen zum Vorschein, doch sie waren nicht mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt. Grünlich schimmerte es ihm entgegen.

Hallanen sog Luft ein, um äußerlich den Schein wahren zu können. »Warum weiß ich nichts davon, wenn es so was gibt?« Seine Stimme verriet jedoch ein klein wenig von seiner Beunruhigung.

Das Gesicht der alten Frau hob sich langsam, ihre Augen nun matt. »Verzeiht, aber Ihr seid noch recht jung?«

Es war nicht die Frage, die Hallanen zur Flucht bewegte, sondern eher, wie die Frau es sagte. Als würde sie ihn kennen, verbunden mit dem Ausdruck in ihrem Gesicht. Glasig und zeitgleich verhärmt.

Draußen an der frischen Luft vergewisserte er sich, dass seine Mütze und die restliche Kleidung vernünftig saßen und schaltete dann seinen Verstand aus; er überließ den Weg seinem Körper. Wie auch sonst traf er in der Kneipe Klapp am Eck ein. Eigentlich müsste es Abklappen am Eck heißen ... Doch das war dem Inhaber sicherlich zu dunkel. Wenn hier jemand landete, endete es oft ... gleich. Zwar nicht mit dieser Absicht, aber das konnte durchaus vorkommen in diesen Zeiten.

Er orderte sofort einen Krug an der Theke, ließ sich auf einen Hocker davor nieder und stützte seinen Schädel auf seinen Händen ab.

»Halla!« Sein Stichwort. Der Krug flog über den Tresen bis zu ihm heran, wo er ihn mit seiner Hand aufhielt. Unvermittelt setzte er ihn an seinen bärtigen Mund. Stockend. Ein Bild der Frau glomm auf. Mit diesen starren Augen. Er schüttelte seinen Kopf, wobei etwas des Bierschaumes auf der Theke verschüttging. Dann nahm er einen kräftigen Schluck. In der Hoffnung, all das von heute mit seinen sonstigen Sorgen herunterwürgen zu können.

Doch die Hand mit den merkwürdigen grünen Blasen konnte Hallanen nicht ganz in den Nebeldunst des Getränks verdrängen. Nebel ... Sie sprach beim Auffinden von einem Nebel. Vielleicht ist ja auch sie dafür verantwortlich und will alle ins Verderben stürzen!

Doch entgegen seiner aufgebrachten Vermutung wallte es in ihm auf, es brodelte – Gegenwehr, er glaubte es nicht. Nur was dann? Und, warum zum Teufel, weihte sie ihn nicht in alles ein? Vielleicht morgen, hoffte er. Jetzt sah er dem erneuten Wiedersehen zuversichtlich entgegen, vorhin war er noch frustriert.

Als könnten ihre Augen Magie wirken, hatte sie ihn fixiert und nicht aus ihrem Bann entlassen, bis er versprochen hatte, am nächsten Tage wiederzukommen. Doch diese Gabe besaß sie nicht, denn das hätte Hallanen gespürt. Nichtsdestotrotz hatte er zweifelsohne gegen seinen Willen zugesagt.

Die Tür zur Kneipe wurde aufgeschlagen und am Schritt erkannte er bereits, wer es sein musste. »Halla!«, rief dann auch schon sein Kumpan zu.

Hallanen fuhr sich durch die Haare und rieb sich durch das Gesicht, um die letzten trüben Gedanken zu vertreiben.

»Hallo?« Einar klopfte ihm auf die Schultern. »Was ist denn los bei dir?« Der Kumpan holte Hallanen nun endgültig zurück ins Hier und lachte dabei. »Hast du irgendwen kennengelernt?«, hakte er mit einem Augenbrauenwackeln nach.

»Lass einen trinken«, erwiderte Halla mit einer Abwinkbewegung.

»Na endlich.«

»Immi!«

Hallanen mochte es gar nicht, den eigenen Vornamen zu hören und musste demnach mit Mühe ein Schnaufen unterdrücken. Dazu hielt er die Augen fest verschlossen, weil er wusste, was ihm sonst blühte: Unermessliche Qualen, verursacht durch das Saufgelage, was sie meinten, letzte Nacht noch tätigen zu müssen.

»Immi! Nun steh schon auf!«, wurde er in den Grübeleien unterbrochen und seufzte nun doch. Zweimal hintereinander. Die Idioten wussten ganz genau, dass niemand ihn so anzusprechen hatte.

In diesem Moment wurde ihm gewahr, wo er sich befand. Ratzfatz schreckte er hoch und riss die Augen auf. Wie vermutet: Die Kneipe ... »Was zur Hölle?«

Einen skeptischen Blick hagelte sich Hallanen ein, den er ignorierte – oder vielmehr mit einem ignoranten Abwinken wegwischte. Durch das vereiste Lukenfenster drang ein wenig Helligkeit ein, sodass er meinte, es könnte der nächste Tag angebrochen sein.

»Ja, ja. Ich bin schon weg«, kam Hallanen der unausgesprochenen Aufforderung nach, aber nicht ohne einen weiteren grimmigen Blick zu Jori, dem Kneipenbesitzer. Im Grunde wusste er aber, dass der auch nur seinem Job nachkam.

Trotz des dröhnenden Kopfes, was durch die reflektierenden Strahlen im weißen Boden nicht besser wurde, wusste er schon, wohin ihn sein Weg nun führen würde.

Kurz darauf stand er der alten Frau erneut gegenüber. »Um was geht es hier denn jetzt? Was für eine Prophezeiung? Und am besten erzählen Sie mir mal alles.« Hallanen rieb sich die Schläfen.

Die Alte erwiderte nichts. Dabei konnte sie froh sein, dass er wiedergekommen war. Schließlich war er derjenige, der dafür sorgen konnte, dass sie eher entlassen werden könnte. Verstand sie das denn nicht? Er tippelte mit seinen Füßen auf dem Boden. Seine Geduld hing heute an einem noch dünneren und kürzeren Faden als sonst schon.

Im Augenwinkel bemerkte er eine Bewegung. Ganz langsam erhob sie ihren Kopf und schaute ihn an. Ihre Augen zeugten nicht von Furcht. Nein, vielmehr loderte in ihrem satten Grün eine Entschlossenheit. Grün, nicht dunkel. Grün wie die Flüssigkeit in ihren Blasen.

Es schien, dass sie Hallanen begutachtete, aufs Genaue überprüfte. Hallanen hingegen versuchte vergebens, aus ihrem Blick schlau zu werden. Als die alte Frau seine Augen fixierte, erlosch die Entschlossenheit.

»Ich fürchte, dass Ihr es nicht verstehen werdet und noch mehr fürchte ich, dass ich eine andere Weissagung missverstanden habe.« Nachdem sie ihre Worte hauchte, ließ sie ihren Kopf wieder sinken.

Er drehte den Schlüssel in der Zellentür um und schritt ins Innere der Zelle. Kurz vor ihr blieb er stehen. »Ich weiß ja nicht einmal, wovon Ihr redet, werte ...« Dame kam ihm unangemessen vor und ihren Namen kannte er nicht.

»Tarja ist mein Name.«

»Halla–«

Mit einer Handbewegung hielt sie ihn an. »Ich kenne Euch und Euren Namen. Aber wisst Ihr denn, wer Ihr seid?«

Sprachlos und mit offenem Mund starrte er sie an, nicht wissend, was er sagen sollte. Sein Körper handelte instinktiv. Er vergewisserte sich, dass sie nach wie vor allein waren; die niederen Wächter, seinem Befehl nachkamen, Abstand zu halten. Dann bewegte er sich noch näher zu ihr heran und hockte sich vor ihr hin.

Sie ergriff seine Hände. Sacht, doch bestimmt. Im nächsten Moment zirkulierte die Luft um sie herum, ein elektrisierender Wirbel entstand, der sie umschloss. Er konnte die Macht spüren, ja fühlen, sogar einen Teil greifen – mit den bloßen Gedanken danach haschen. »Wie kann ... Warum habe ...«, stammelte er verwundert, dass er ihre Kräfte vorher nicht erspürt hatte – wie er es sonst immer vermochte.

Statt ihm eine Antwort zu geben, tastete Tarja sich näher an ihn heran. Nicht körperlich, sondern in ihrer geistigen Verbindung. Es schien, dass sie wartete, wie weit er sie hinein ließ, wie weit sie gehen durfte. Die Wärme, die die sonstige Leere in ihm ersetzte, ließ ihn Tarja willkommen heißen.

Es erschienen einige Bilder, die zusammen eine Art Film ergaben. Von Tarja im jüngeren Alter; wie sie Voraussagungen von einem Geisterwesen der Natur erhielt und dann, wie ihr eine ganz bestimmte Prophezeiung zuteilwürde. »Schau genau hin und lausche«, hauchte ihm Tarja im Geiste zu.

»Ich werde es versuchen«, dachte er, in der Hoffnung, dass sie ihn ebenso auf diesem Wege hörte.

Daraufhin flog Tarja mit ihm über das Land, über Felder und Hügel, bis sie auf einem Anwesen ankamen. Dort zeigte sie auf eine Tafel und führte ihren Finger beim Lesen weiter, sodass er ihr beim Sprechen folgen konnte.

»J enseits der nord-westlich gelegenen Bergwipfel des Haltitunturis wird es beginnen; etwas, das unvorstellbar sein mag und doch geschehen wird. O berhalb der Höhen werden die Nebelschwaden emporkriechen und sich alles, was sie in ihren grünlich schimmernden Bann zu fassen bekommen, einverleiben. U nter ihnen strecken sie hingegen ihre Fühler aus, um fortwährend gewarnt zu sein – immer und überall scheinen sie zugegen, um Signale empfangen und senden zu können. L andeinwärts schleichen sie sich vor, nur um sich geschwind auszubreiten, bis sie alles in ihr grünes Gewand gehüllt haben werden. U nwillkürlich gehen Irrungen mit einer Berührung des grünen Gifts einher, bei der einem die Energie ausgesaugt wird, bis nichts mehr in einem bleibt, wenn keine Hilfe kommt. P irrouettenwürdig gleiten sie durch die Areale und erwecken den Anschein, dass sie keinen strikten Weg und keinen Plan verfolgen würden. U nheilvolle Ereignisse lassen niemanden mehr in Frieden ruhen, ohne dass die meisten es wissen; ohne es zu ahnen; ohne es zu glauben – das gleiche Schicksal wird alle ereilen, niemand ist vor der nebligen Dunkelheit gefeit. K atastrophaler Schrecken und ein Wandel von verheerendem Ausmaße; einer, der den Erdhaften alles nimmt, auch das, an was sie gar nicht mehr glauben mögen – doch spüren werden sie es umso mehr. K ämpfen und lauschen, laufen und fühlen, spüren und hören! I m Bruch der Pfade wird eine Entscheidung verlangt – nicht alle Verirrungen mögen verkehrt sein.«

Eben noch fühlte er sich ganz leicht, als wäre er schwerelos, doch nun lag eine Schwere auf und in ihm, die er nicht zu fassen bekam.

Allmählich entschwanden Tarjas leichte Schwingungen aus Immis Inneren. Vor seinen Augen schwebten noch immer die Buchstaben der–

Was war es, was sie ihm vorgelesen hatte? Womöglich die Prophezeiung. Jene, von der sie sprach, von der er nichts wissen wollte. Einige Letter waren hervorgehoben, sie pressten sich noch immer von innen gegen seine Stirn, um erkannt zu werden. Der Druck schwoll an, bis er sich dem nicht mehr entgegensetzen konnte. »Joulupukki«, flüsterte er ehrfurchtsvoll und riss seine Augen auf. Was hatte das zu bedeuten?

»Fürchte dich nicht.« Tarja blickte ihn an, ihr Grün sanft und grünschimmernd wie eine saftige Wiese – die er nie erlebt hatte und ihm doch so viel bedeutete.

»Aber ...« Mehr brachte er nicht heraus. Lag es in seiner Hand und verstand er es richtig? Seine Stirn glühte, seine Hände fuhren instinktiv dorthin, um sich den Schweiß wegzuwischen. Die Mütze verrutschte.

»Du begreifst, zweifele nicht«, sprach Tarja ruhig zu ihm, hob zaghaft ihre Hand und legte sie ihm an seine linke Gesichtshälfte, unterhalb seines Ohrs. Er zuckte unwillkürlich und ihm wurde bewusst, dass sein spitzzulaufendes Ohr frei lag. Tarja wartete auf ein Zeichen der Zustimmung, was er ihr gab, und nahm ihm die Mütze vollständig ab.

»Verstecke dich nicht mehr. Nimm dein Schicksal an und befreie uns.«

Zwischen seinen halblangen Haaren sein Gesicht – in ihren Händen liegend. Auf der einen Seite ein Ohr geformt wie bei Menschen, das andere elfengleich.

»Du sagst, ich begreife, aber ich bin mir da nicht so sicher. Joulupukki? Der Weihnachtsmann?«

»Ihn und uns alle. Es ist nun die Zeit, das Land von der ewig andauernden Eisschicht und der bedrohenden Düsternis zu befreien. Es ist Zeit, dem Einhalt zu gebieten, bevor alles zu spät ist, bevor nicht mal mehr Joulupukki sich seinen Weg bahnen wird können – so sagt es die deine Prophezeiung.«

»Woher nimmst du die Gewissheit, dass ich es bin?«

»Das sprach mir die meine Prophezeiung. Du bist der, der es kann. Als Mensch und Elf. Du wirst spüren, wie.«

»Was passiert, wenn ...« Immi brach ab, konnte er sich selbst vorstellen, was geschehen würde, wenn es ihm nicht gelingen möge; wenn er sich seinem Pfad nicht zuwenden wolle.

»Verzage nicht.« Tarja nahm erneut seine Hände in die ihren, schloss ihre Augen und sandte Immi über ihre Verbindung, Ströme der Gedanken und Gefühle. Lachende – fröhliche – Gesichter. Kinder inmitten von ihren Familien. Wie lange sah er schon keine glucksenden Kinder mehr? Erwachsene, die sich an den Händen halten. Wesen, die herumschweben und die teilende Liebe und Harmonie auf der Welt von weiter oben mit leichtem Gefühl beobachten.

»Es ist Zeit, Licht in den Nebel zu bringen.«

Der Impulsstrom endete, Immis Augen öffneten sich, glänzend. Eine Leichtigkeit ... Wohlgefühl. Geborgenheit. All das durfte er eben spüren; all das lag in seiner Hand. Für all das würde er seinen Weg antreten; für das würde er einstehen.

⋯⁕⋯

»Onkel Immi!« Freudig mit ausgestreckten Armen lief ein kleiner Knirps zu Hallanen. Er tat es ihm gleich, ging dabei in die Hocke.

Hallanens Lächeln verzog sich dabei etwas. Seine auf Dauer verbleibende Erinnerung schickte ihm einen Stoß durch die linke Seite. Eine Verletzung, die er sich vor etwa fünf Mondläufen bei seinem Kampf zugezogen hatte.

Doch das war es wert. Er hatte seine Bestimmung angenommen, dafür eingestanden – für dieses wunderschöne, nicht mehr hergeben wollene Geschenk. Harmonie und Freude.

Dank Tarja, die ihm – und ihnen allen – aus ihrer Zelle heraus solch ein Geschenk beschert hatte.

Schneeflocken fielen vom Himmel. Hallenen bestaunte mit dem Jungen die weißen Wundersterne. Endlich durften sie die ganze Bandbreite von weißer Pracht kennenlernen. Welch ein Glück, dass dieses Kind so viel mehr erleben darf.

Und oben am Himmel – das spürte Immi – lächelte Joulupukki, der sie schon bald besuchen und bescheren würde.

– E N D E –

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top