23 | »Von einer vergangenen Winternacht« von Irrlichtfeuer
»Von einer vergangenen Winternacht«
Eine Kurzgeschichte aus dem Genre Romantik von Irrlichtfeuer
Triggerwarnungen: Keine
❄️ ❄️ ❄️ ❄️ ❄️
24. Dezember – Der Tag
Die Kerzen des Weihnachtsbaums waren fast heruntergebrannt, meine Familie bereits zu Bett gegangen, als Mikael mir sein letztes Geschenk überreichte. Nur noch wir beide waren von der Weihnachtsgesellschaft übriggeblieben, saßen eng aneinander gekuschelt auf dem Sofa und sahen den Flammen beim Erlöschen zu, während wir unsere Teetassen hielten.
Mit einem schüchternen Lächeln zog er das Päckchen aus seiner Tasche hervor und reichte es mir: „Es ist nur eine Kleinigkeit zur Erinnerung, wenn ich gehe." Das kleine Geschenk hatte eine halbrunde Form, die man durch das rote Geschenkpapier nur erahnen konnte. Als ich es vorsichtig auspackte, kam eine Schneekugel zum Vorschein, in der zwei kleine Figuren auf Schlittschuhen zu sehen waren. Doch das eigentlich Besondere war das Foto, das den Hintergrund bildete. Es zeigte Mikael und mich, wie wir gemeinsam auf dem Eis Hand in Hand Schlittschuh liefen, mit strahlenden Gesichtern.
Die Aufnahme war in einer jener endlosen Winternächte im Norden entstanden, als wir gemeinsam unter den Polarlichtern Schlittschuhlaufen waren. In jenem Moment hatte ich mir gewünscht, dieser Winter würde niemals enden. Als ich hoch sah, blickte ich direkt in Mikaels erwartungsvolle Augen. „Gefällt es dir?", fragte er, obwohl er es an meinem Verhalten längst hätte erkennen können. Ich küsste ihn als Antwort und dachte nur, ich könnte nie wieder so glücklich sein.
An jenem Abend betrachtete ich die Schneekugel noch lange, selbst als Mikael neben mir schon eingeschlafen war. Ich verlor mich in unserem glücklichen Lächeln und der Art, wie er mich ansah, und war mir sicher, wir waren füreinander gemacht. Diese Schneekugel war für mich zum Symbol geworden, dafür wie wahre Liebe sich anfühlen musste.
17. Dezember – 2 Jahre danach
Wütend betrachtete ich die Schneekugel in meiner Hand. Das Foto darin zeigte Mikael und mich, Hand in Hand auf dem Eis stehend. Alles an diesem Bild wirkte zu kitschig, zu perfekt, wie Mikael mich mit diesem übertrieben glücklichen Lachen anstrahlte und ich nur dämlich verliebt zurück grinste. Die Nordlichter im Hintergrund, der grüne Tannenwald, all das vermittelte den Eindruck eines schlechten Liebesfilmes. Zwei Menschen, die sich das erste Mal unsterblich verlieben und sich schwören, für immer zusammen zu bleiben. Nur dass es nicht so war. Bereits zwei Monate nach der Aufnahme hatte Mikael mich betrogen, sich eine neue Freundin gesucht und ihr den perfekten Freund vorgegaukelt. Bis sie und ich von seinem doppelten Spiel erfahren hatten, war nochmal fast ein Jahr vergangen. Die Zeit danach verschwimmt in meiner Erinnerung. Liebeskummer war etwas, das ich zuvor so noch nicht gekannt hatte und so überwältigte dieser mich, nachdem meine erste Beziehung auf so unglückliche Weise geendet hatte. Wie hatte ich damals nur all die Zeichen nicht sehen können. Es war Zeit, endgültig mit diesem Kapitel meines Lebens abzuschließen, mit Mikael. Doch als ich nach draußen trat, um die Kugel zu den aussortierten Sachen auf dem Hof zu bringen, konnte ich es nicht über mich bringen. Dieses kleine Stückchen Erinnerung war schließlich alles, was mir von damals geblieben war. Immerhin, es waren fast zwei Jahre Beziehung gewesen.
Wütend über mich selbst, und dass ich das alles nicht gehen lassen konnte, ging ich zurück ins Haus. Ich warf noch einen letzten, zornigen Blick auf die Schneekugel, bevor ich sie in einem der Kartons ganz hinten im Keller verstaute, auf dass ich sie lange nicht mehr wieder sehen würde. Diese Schneekugel war nur noch eine ärgerliche Erinnerung an das, was niemals hätte bestehen können.
23. Dezember – 10 Jahre danach
Wie jedes Jahr erklomm ich am Tag vor Heiligabend die Stufen zu unserem Dachboden, um den Christbaumschmuck hinunterzuholen. Unten hörte ich meine Kinder aufgeregt lachen, während Noah den Weihnachtsbaum im Wohnzimmer aufgestellt. Ich hörte ihn fluchen, während kleine, schnelle Schritte vermuten ließen, dass Anna und Michi das Vorhaben erschwerten, indem sie durchs gesamte Wohnzimmer rannten. Als ich die Dachbodenklappe hinter mir schloss, verstummten die Geräusche abrupt, ich stand allein im Dämmerlicht des Dachbodens. Vorsichtig suchte ich mir meinen Weg zwischen diversen Kisten und alten Spielzeugen hindurch zu einem Regal an der anderen Seite des Zimmers. Dort oben, im höchsten Regalfach standen unsere zwei Kartons mit Weihnachtsschmuck. Unter leisem Fluchen hob ich den Ersten herunter und griff nach dem Zweiten, als meine Hand vom Henkel abrutschte. Mit lautem Scheppern fiel der Karton zu Boden, diverse Weihnachtssterne und Lichterketten verteilten sich auf dem Boden. Ich wollte mich schon daran machen, alles wieder aufzusammeln, als mir ein kleiner Gegenstand unweit meines Fußes auffiel. Eine halbrunde Kugel mit Kunstschnee gefüllt, der als er sich legte, den Blick auf ein Bild von zwei jungen Menschen freigab. Wie sie dort auf dem Eis standen und einander in die Augen blickten, sie wirkten so glücklich. Mikael und ich. Inzwischen dachte ich nur noch selten an die gemeinsame Zeit, warum auch, ich war glücklich mit meinem Mann und meinen beiden Kindern.
Noch einmal betrachtete ich das Bild dieser zwei Menschen in einer so friedlichen Umgebung. Wie kam es, dass es mir nie zuvor aufgefallen war, wie schön die Landschaft dieses Foto, unabhängig von den abgebildeten Personen aussah? Die Nordlichter, die sich auf dem Eis des Sees widerspiegelten, die schneebedeckten Wälder, all das vermittelte eine ruhige, glückliche Stimmung. Diesmal dachte ich nicht darüber nach, die Schneekugel zu entsorgen, sie würde hier oben auf dem Dachboden bleiben, damit ich sie in ein paar Jahren wiederfinden und mich erinnern konnte. Daran, wie glücklich ich jetzt war, und dass auch, wenn etwas Schönes böse endet, Neues umso besser werden kann. Diese Schneekugel spiegelte nun die bittersüßen Erinnerungen meiner Jugend wider, und wie sehr ich mich seitdem entwickelt habe.
22. Dezember – 80 Jahre danach
„Schauen mal Oma, was wir in deinen alten Sachen gefunden haben", mit diesen Worten betraten meine Enkel mein Zimmer. Zu Hause lebte ich schon längst nicht mehr, seit meine Demenz weiter fortgeschritten war, habe ich mich gemeinsam mit meiner Familie entschieden, dass es besser wäre, wenn ich ins betreute Wohnen wechseln würde. Noah war bereits seit einigen Jahren verstorben, aber ein Bild von uns beiden auf meinem Nachttisch und das Buch, in dem ich all meine wichtigen Erinnerungen aufgeschrieben hatte, bewahrten mich vor dem Vergessen.
Dennoch, an schlechten Tagen verschwimmen meine Gedanken, dann wusste ich nicht mehr, wie meine Kinder oder Enkel aussahen, oder wo ich die größte Zeit meines Lebens verbracht hatte. Dann war dort dieser unbeschreibliche Schmerz, dass irgendetwas fehlte, nur konnte ich beim besten Willen nicht bestimmen was.
Zum Glück war heute ein guter Tag, Anna war mit ihren beiden Kindern anlässlich des dritten Advents vorbeigekommen und sie hatten eine alte Schneekugel mitgebracht. Hinter zwei schlittschuhlaufenden Figuren war dort das Bild eines jungen Paars in einer Winternacht auf einem gefrorenen See zu sehen. Die beiden sahen glücklich gemeinsam aus, wie sie dort dicht beieinander standen. Noch einmal so jung zu sein, Hals über Kopf verliebt in Noah.
„Mama sagt, das Mädchen auf dem Foto bist du, stimmt das?", wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, „und wer ist der Junge neben dir?"
Das war also ich gewesen in meiner Jugend? Verzweifelt versuchte ich mich zu erinnern, wer neben mir war? „Ich weiß es leider nicht", antwortete ich mit brüchiger Stimme, doch meine Enkel hatten bereits eine andere Beschäftigung gefunden.
Nachts saß ich noch lange wach und betrachtete das Bild in der Schneekugel. Ein Bild zweier Fremder, die ich beide einmal gekannt habe. Wie es wohl gewesen war, von diesem Jungen geliebt zu werden? Ich sah noch so jung aus, ob es wohl meine erste Liebe gewesen war? Und was war passiert, dass wir uns wieder getrennt hatten.
Mit einem leisen Seufzen stellte ich sie auf meinem Nachtisch ab. Die Schneekugel, die einmal so viele Erinnerungen symbolisiert hatte, war nun zu einer Hoffnung geworden, dass auch ich einmal eine erste, wunderschöne Jugendliebe erlebt hatte. Mit einem Gefühl von Nostalgie schlief ich ein.
ENDE
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top