05 | »Don't be scared of a little symbol, Darling« von NoSoVo

»Don't be scared of a little symbol, Darling«

Eine Kurzgeschichte aus dem Genre Übernatürliches von NoSoVo

Triggerwarnungen: Verstümmelung, Blut

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Dick eingepackt, in meinem Mantel, stapfte ich durch den tiefen Schnee, der seit Wochen täglich fiel.

Der Schnee knirschte jedes Mal laut, wenn meine Schuhsohlen wieder auf die weiche, aber kalte Oberfläche trafen. Ich persönlich hasste dieses Geräusch, es war widerlich.

Wie das Quietschen von Kreide auf einer Tafel.

Ich dachte an das ekelhafte Geräusch, das jedes Mal ertönte, wenn Mrs. Barrymore irgendwelche Hieroglyphen an die Tafel schrieb. Wo hatte diese Frau nur schreiben gelernt?

Ich ging die verschneite Straße entlang, auf der sich der Schnee türmte, da kaum jemand diese benutzte.

Aber das war nicht immer so gewesen, ich konnte mich noch an Zeiten erinnern, in denen man die breite Teerstraße nicht einmal betreten konnte. Sie führte quer durch das kleine Dorf, das ich Heimat nannte.

Die Heimat, in der seit 11 Jahren nichts mehr so war, wie es einmal war.

Die Heimat, in der ich einen toten Jungen fand.

Die Heimat in welcher seit diesem Tag bei jedem Frost ein Symbol für dieses Ereignis seinen Platz einnahm und erst wieder verschwand, wenn der Frost vorbei war.

Ein Symbol, das einem Symbol gleicht, das niemand erklären konnte.

[Flashback Anfang]

Mit meinen neuen, flauschigen Winterstiefeln an den Füßen trottete ich den frisch gestreuten Weg entlang. Meine Gedanken waren ganz bei dem alten Märchenbuch, welches Oma mir letzte Woche geschenkt hatte.

Ich achtete nicht darauf, wohin ich ging.

Es wurde still, sehr still, man hörte nichts.

Ich dachte mir nichts dabei und vertiefte mich noch mehr in das alte Buch, mit dem Einband aus braunem Leder.

Ich wollte gerade den nächsten Schritt machen, als mein Stiefel an etwas hängen blieb und ich hinfiel.

Das Buch fiel mir aus der Hand und ich schloss die Augen. Mein Kopf schlug hart auf den kalten Asphalt und ich schrie vor Schmerz und Schreck auf. Ich richtete mich auf und sofort kullerten dicke Tränen über meine kleinen Wangen. Mit der Hand tastete ich nach meiner Stirn, langsam zog ich meine Hand zurück, an der mein warmes Blut klebte.

Ich blickte hinter mich, um zu erkennen, über was ich gestolpert war. Mein Körper erkannte es, bevor mein Gehirn es tat. Ich krümmte mich und gab aller Welt den Inhalt meines Magens preis.

Eine Leiche, wenn man sie noch so nennen konnte. Sie war in mehrere Teile zerstückelt und keines davon war an seinem Platz. Der Kopf lag da, wo das rechte Bein hätte sein sollen, und da, wo das linke hätte sein sollen, lag ein Arm. Statt der Arme lagen die Beine und ein Arm lag da, wo der Kopf gewesen wäre und zu guter Letzt war der Torus in zwei Hälften geteilt, so dass die Eingeweide aus beiden Hälften heraushängen.

Und es war alles andere als schlampig. Die einzelnen Körperteile wurden präzise und sorgfältig vom Rest des Körpers abgetrennt. Wie von einer Schneidemaschine.

Ich rappelte mich auf, versuchte von der Leiche wegzukriechen, schaffte es aber nicht, mich ganz aufzurichten. Ich atmete ein paar Mal durch.

Vorsichtig richtete ich mich auf und betrachtete das Gemetzel, welches sich vor mir ausbreitete. Aus irgendeinem Grund, der mir nicht klar war, befand sich anstelle der Blutlache, in der die Leiche hätte liegen müssen, ein kreisförmiges Symbol mit einem Durchmesser von etwa zwei Metern. Nicht mal aus den einzelnen Körperteilen lief Blut, wie als wäre die Leiche ausgesaugt.

Das Symbol war ein Kreis mit leichten Verschnörkelungen, die in den Kreis hineinragen, es war sauber auf den kalten Asphalt gemalt, fast wie gedruckt, nicht zu vergessen, dass es rot war und wahrscheinlich aus dem Blut des Jungen bestand.

Als ich das Symbol betrachtet hatte, sah ich mir das Gesicht des Jungen genauer an. Man konnte es nicht mehr richtig erkennen, weil es zerschnitten war und nur noch einzelne Teile preisgab.

Der Junge musste etwa 16 bis 17 Jahre alt sein und er kam mir bekannt vor, aber ich wusste nicht woher.

Es war merkwürdig, dass ich, nach einer Weile, keine Angst oder Ekel mehr empfand. Das genaue Gegenteil von dem, was ich vorher empfunden hatte.

Ich fühlte gar nichts mehr, als ich die Leiche ansah. Nicht einmal Mitleid.

Ich ging um den Kreis herum auf die andere Seite und betrachtete ihn von dort, jetzt lag sein Kopf richtig herum vor mir und da erkannte ich ihn.

Joschka Pendergrass.

Ein Junge aus der 11. Klasse, der nicht gerade für sein gutes Benehmen in der Schülerschaft bekannt war.

[Flashback Ende]

Ein Symbol, das hellblau leuchtete und genauso aussah wie das Symbol, in dem sich Joschka Pendergrass verstümmelte Leiche befunden hatte.

Niemand konnte es sich erklären und ich glaubte, niemand wollte es sich erklären. Natürlich kamen Interessierte zum Geheimnis, um sein Erscheinen zu lüften. So schnell sie kamen, so schnell verschwanden sie aber auch schon wieder. Alle versuchten, ihm aus dem Weg zu gehen, nur ich nicht.

Ich hatte das Gefühl, dass es wie ein Magnet auf mich wirkte.

An manchen Tagen stand ich nur vor diesem Symbol und betrachtete es, egal wie kalt es draußen war, egal wie viele mich für verrückt erklärten. Nichts hielt mich von ihm fern.

Ich stapfte weiter durch den Schnee, bis ich zu ihm kam.

Um das Symbol herum lag kein Schnee genauso wie auf ihm.

Ich wusste nicht, warum ich heute wieder das starke Bedürfnis hatte, ihm nahe zu sein. An manchen Tagen konnte ich es kaum ertragen, nicht bei ihm zu sein.

Aber heute war es nicht wie sonst, ich wollte es viel dringender. Ich hatte das Gefühl erdrückt zu werden, aber je näher ich dem Symbol kam, desto schwächer wurde dieses Gefühl.

Ich stand nur wenige Zentimeter von ihm entfernt und wurde immer mehr von dem Symbol verzaubert.

Ich wagte es, einen Fuß in den Kreis zu setzen. Warum hatte ich keine Angst vor der Ungewissheit? fragte ich mich.

Plötzlich leuchtete das Symbol noch heller, so hell, dass ich die Augen zusammen kniff, um nicht geblendet zu werden. Vorsichtig öffnete ich meine Augen einen Spalt, um zu sehen, ob das Symbol immer noch so hell leuchtete. Aber da war nichts.

Das Symbol war verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.

Verwirrt blinzelte ich und ging ein paar Schritte vorwärts. Das beklemmende Gefühl war auch verschwunden.

Es war nichts mehr zu sehen außer dem großen leeren Fleck ohne Schnee, an dem vorher das Symbol war.

Ich stand mitten auf der Stelle, an der das Mahnmal vorher war. Wie konnte es einfach so verschwinden? fragte ich mich und sah mir den Boden noch einmal genauer an.

Er sah noch aus wie neu, keine Risse oder sonstige Spuren. Das lag wahrscheinlich daran, dass kaum ein Auto sie in den letzten Jahren befahren hatte.

Ich hockte mich hin und betrachtete sie genauer. Langsam zog ich den dicken Winterhandschuh aus und legte die flache Hand auf die Straße.

Erstaunt zog ich auch den anderen Handschuh aus und legte beide Hände auf die Straße. Keine Veränderung. Die Oberfläche der Straße, die ich berührte, war nicht kalt, sondern warm. Nicht kochend heiß, aber auch nicht kalt.

Ich versuchte, meine Hände wieder von der Straße zu lösen, aber es gelang mir nicht. Meine Hände wollten sich einfach nicht von der Straße trennen, sie waren wie festgeklebt.

Unter meinen Händen wurde es immer wärmer und ich hörte es knacken. Es war, als würde der Asphalt unter meinen Händen brechen und sich in meine Handflächen bohren. Langsam begannen Risse im Asphalt von meinen Händen aus zu wachsen. Sie knackten und zischten und öffneten sich immer weiter. Aus den Rissen im Asphalt begann dasselbe blaue Licht zu strahlen, aus dem das Symbol bestanden hatte.

Die Risse breiteten sich immer weiter in alle Richtungen aus und ich hatte das Gefühl, meine Hände würden verbrennen. Ich versuchte, nicht in Hysterie zu verfallen, was mir aber eher weniger gelang, da ich wie verrückt versuchte, meine Hände von der Straße zu bekommen.

Inzwischen hatten sich die Rissen schon in einem Radius von etwa einem Meter ausgebreitet und es sah nicht so aus, als würden sie aufhören, sich weiter auszubreiten. Sie wuchsen immer schneller, heißer Dampf stieg auf und verbrannte meine Hände, vor Schmerz schrie ich auf.

Mit einem Mal ging ein gewaltiger Ruck durch die Erde und die Straße fing an, sich in zwei Teile zu teilen, genau zwischen meinen Hände verlief der Riss und öffnete sich. Kochend heißer Dampf schoss aus dem Spalt und dazu das helle blaue Licht.

Der heiße Dampf verbrannte meine Haut und das Licht brachte mich dazu, meine Augen schmerzhaft aufeinander zu drücken.

Es knackte immer lauter und meine Hände wurden immer weiter auseinandergezogen. Und dann fühlte es sich an, als würde mir jemand den Boden unter den Füssen wegziehen.

-

Schmerzerfüllt stöhnte ich auf und öffnete die Augen. Mir war eiskalt und alles, was ich sah, war der von Eis überzogene weiße Boden.

Meine Hand fing an zu schmerzen und ich zischte. Es fühlte sich an, als würde mir jemand auf diese treten. Auf der Stelle schaute ich zu meiner Hand, alles, was ich sah, war ein Fuß, der auf meiner Hand stand.

Langsam wanderte mein Blick nach oben und ich schaute in das Gesicht einer Frau.

Sie war groß und hatte ein fein geschnittenes Gesicht, welches von langen silbernen Wellen umrandet wurde. Ihre Augen waren wie eine Katze.

Sie schaute mich böse an und erdolchte mich mit ihrem Blick. Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen und musterte sie argwöhnisch. Keiner von uns sagte etwas.

»Zora, Schätzchen lass sie«, kam es bestimmt von jemanden anderen.

Perplex schaute sie von mir weg und zischte: »Du hast mir gar nichts zu sagen Amond! Dein Stolz wächst dir mal wieder über den Kopf!«

Als sie das sagte, lachte ich, ich vermutete Amond, nur hämisch. Jetzt erdolchte mich Zora nicht mehr mit ihrem Blick, sondern Amond, der hinter mir stand.

Elegant nahm sie ihren Fuß von meiner Hand, die ich schnell wegzog, und stieg über mich hinweg.

Ich richtete mich auf und klopfte mir Eis und Schnee von der dicken Hose. Mein Blick wanderte zu Zora und ich sah einen Mann, der von ihr angeschnauzt wurde. Sie sah nicht sehr glücklich aus.

Der Mann, der wahrscheinlich Amond war, war hochgewachsen und hatte schneeweiße Haare, die er ordentlich nach hinten gekämmt hatte. Er sah sie nur desinteressiert an.

Gebannt sah ich ihn an, bis er seinen Blick blitzschnell auf mich richtete. Auch seine Pupillen waren wie die einer Katze, nur dass man keine Iris um sie herum sah.

Keine Gefühlsregung spiegelte sich in seinem Gesicht wider, was mich unwohl fühlen ließ.

Ohne Zora eines weiteren Blickes zu würdigen, umrundete er sie und kam auf mich zu. Einen halben Meter vor mir blieb er stehen.

Sofort machte ich mich kleiner und blickte zu Boden. Dieser würde mir bestimmt noch viel beibringen.

»So schwach und verletzlich«, sagte er nur kalt. Wie bitte?

Abrupt hob ich den Kopf und warf ihm einen bitterbösen Blick zu.

»Vielleicht bin ich schwach und verletzlich, aber das heißt noch lange nicht, dass du mir das sagen darfst«, gab ich nur zickig von mir. Ich mochte keine unhöflichen Leute, man konnte denken was man wollte, das bedeutete aber noch lange nicht, dass man es jedem unter die Nase reiben musste!

Da traf es mich wie ein Blitz: Wo bin ich hier eigentlich? Wie bin ich hierher gekommen?

Eine minimale Regung machte sich in seinem Gesicht breit.

Sein rechter Mundwinkel zuckte nach oben: »Wer sagt, dass ich das nicht darf?«

Ich ging nicht auf seine Frage ein, sondern sah mich um. Wir befanden uns in einer Art Höhle aus Eis. Sie hatte keinen Eingang und keinen Ausgang, obwohl beides dasselbe war. Nirgendwo konnte Licht durchdringen, trotzdem war es hier hell.

»Wer sagt das?«, wiederholte er seine Frage und atmete genervt aus. Ich achtete nicht weiter auf ihn und ging zur Wand. Sie war aus Eis, weswegen sie glitzerte.

Irgendetwas kam mir an diesem Ort noch merkwürdiger vor als alles andere. Ich stand nicht weit von ihr entfernt, machte einen Schritt auf sie zu und streckte meine Hand nach ihr aus.

Und genau das war das Problem, sie berührte sie nicht. Ich streckte meine andere Hand nach der Wand aus, welche sie berührte.

Eine optische Täuschung.

Warum habe ich das nicht früher bemerkt? Das erklärte mir zwar immer noch nicht, warum es in der Höhle hell war, aber das war mir in diesem Moment egal. Alles was ich herausfinden wollte, war, wo ich war.

Ich ging durch die optische Täuschung und konnte nichts sehen.

Alles war weiß, als würde man auf ein weißes Blatt Papier schauen. Man sah keinen Boden, keine Wände, keine Decke. Ich fragte mich, ob ich wieder vor einer optischen Täuschung stand und machte mich deswegen auf die Suche nach einer Wand, an der ich mich entlang tasten könnte. Ich ging einfach drauf los.

»Was machst du da?«, fragte mich Amond.

Ich antwortete ihm nicht, sondern lief einfach weiter ins Nichts, in der Hoffnung, ein Ende zu finden.

Ich erschrak, als Amond mich an der Schulter packte und umdrehte.

»Muss man sich bei dir immer wiederholen? Was hast du vor?«, fragte er mich mit den Nerven am Ende.

Er schien noch nie etwas mit kleinen Kindern zu tun gehabt zu haben.

Ich räusperte mich: »Was geht dich das an?« Meine Worte ließen seinen rechten Mundwinkel wieder nach oben zucken.

Mit meiner Aussage wollte ich ihn eigentlich nur ärgern, was ich sonst nie bei anderen gemacht habe.

»Darling, sag es mir einfach«, sagte er, und es klang weder genervt noch kalt oder amüsiert, und warum nannte er mich Darling?

Ich seufzte ergeben: »Ich versuche einen Ausgang zu finden.«

Er nickte und sagte leise: »Es tut mir wirklich leid, dir das sagen zu müssen, aber du wirst keinen Ausgang finden.«

»Wer sagt das? Ich habe auch vorhin einen gefunden. Ich muss einfach nur eine Wand finden, an der ich mich entlang tasten kann«, ich war mir sicher, dass er nichts dagegen sagen konnte.

Schmunzelnd antwortete er mir: »Darling, hier gibt es keine Wände.«

Ich runzelte die Stirn. Warum sollte es hier keine Wände geben? Ein Raum war immer von Wänden begrenzt.

»Räume haben immer Wände!«, gab ich nur von mir.

»Das hier ist kein Raum«, versuchte er mir klar zu machen.

Ich lachte nur spöttisch: »Was soll es denn sonst sein?«

»Die Frigus Infernum«, sagte er ernst. Fragend zog ich eine Augenbraue hoch.

»Die kalte Hölle«, antwortete er auf meine umgestellte Frage.

»Die kalte Hölle? Im Ernst? Ich kann mich immer noch selbst verarschen. Was soll das überhaupt sein?«, gab ich nur genervt von mir.

Er blieb ernst: »Der Vorort der Hölle.«

»Oh ja! Ganz bestimmt! Wie konnte ich nicht selbst darauf kommen? Das ist doch ganz normal, wenn man auf so ein komisches Symbol tritt, das bei jedem Frost auf unerklärliche Weise genau an dieser Stelle auftaucht, an der man selbst die verstümmelte Leiche eines Jungen gefunden hat. Da landet man doch immer in der kalten Hölle«, der Sarkasmus in meiner Stimme war nicht zu überhören.

»Nur damit du es weißt, Darling, du bist nicht auf irgendein Symbol getreten. Du bist auf das Symbol der Kalten Hölle getreten.«

»Symbol der Kalten Hölle ernsthaft? Warum sollte das Symbol der Kalten Hölle einfach so auf einer normalen Straße auftauchen, nachdem dort ein verstümmelter Junge gefunden wurde?«, wollte ich von ihm wissen. Alles, was Amond sagte, ergibt einfach keinen Sinn.

»Weil dieses Symbol immer auftaucht, wenn die kalte Hölle sich jemanden holt«, sagte er monoton.

»Warum sollte sich die kalte Hölle Joschka Pendergrass holen?«, fragte ich ihn.

»Weil Joschka Pendergrass alle Todsünden erfüllt hat und die kalte Hölle sich diese Leute holt, bevor sie zu viel Schaden anrichten. Sie schafft es aber nicht immer.«

»Was? Ist das bei mir auch so? Oder was mache ich hier?«, fragte ich mit einem Hauch von Angst in der Stimme. So bescheuert es auch klang, irgendwie glaubte ich ihm.

»Hab keine Angst vor einem kleinen Symbol, Darling«, sagte er mitfühlend und sah mir tief in die Augen.

ENDE

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