𝟶𝟺.𝟷𝟸.𝟸𝟶𝟸𝟸 𝐼𝐼 𝐸𝑖𝑛 𝑤𝑖𝑒𝑑𝑒𝑟𝑠𝑒𝘩𝑒𝑛
AlicjaVanDire
Freier OS
Fortsetzung zum OneShot vom 03.12.2022
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Lang war es her, dass Yukine sich hierher verirrt hatte. Hier, vor den kleinen Teeladen, dessen Verkäufer ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. Der Laden, den man ihm vorgeschlagen hatte und um den er wochenlang herumgeschlichen war, als er erfahren hatte, wer dort arbeitete. Über ein ganzes Jahrhundert hatten sie sich nicht gesehen. Jahre, in denen Yukine kaum einen Gedanken an Naoki verschwendet und ihn beinahe vergessen hatte. Ihre Wege hatten sich so früh getrennt, und obwohl sie in der gleichen Stadt wohnten, waren ihre Begegnungen äußerst selten gewesen. Manchmal erblickte Yukine seinen ehemaligen Schulkameraden beim Einkaufen und gelegentlich liefen sie sich – ohne auch nur ein Wort des Grußes aneinander zu richten – über den Weg. Dabei sprachen ihre Blicke immer die gleiche Sprache: sie beide sehnten sich nach dem jeweils anderen. Doch keiner der beiden vermochte den ersten Schritt zu machen, die ersten Worte an den anderen zu richten. Beide Männer gingen ihrer eigenen Wege, die sich gelegentlich und nur für einen kurzen Moment kreuzten. Es waren Augenblicke, in denen Yukine diese seltsame Anziehung zu Naoki verspürte. Gefühle, die er nicht zuordnen konnte und die er zu verdrängen versuchte.
Doch mit jeder noch so kurzen Begegnung, schienen sie zu wachsen und sich zu vermehren. Mittlerweile gab es kaum einen Tag, an dem Yukine nicht an Naoki dachte. Manchmal waren es lediglich flüchtige Gedanken oder Erinnerungen, die er beiseite schob. An anderen Tagen waren sie so dominant, dass der General sich plötzlich vor dem Geschäft wiederfand. Von Schatten verborgen und in sicherem Abstand, sodass Naoki ihn durch die Fenster nicht sehen konnte – er ihn dafür schon. Heute war so ein Tag. An diesem warmen und verregneten Frühlingstag hatten seine Beine ihn wieder in die Gasse geführt, in der sich das kleine Geschäft befand. Anders als noch vor ein paar Monaten sprossen an den Ranken, die an der Wand wuchsen, zarte weiße Knospen. Die dunkelroten Blättert bewegten sich leicht im Wind und glänzten dank der daraufliegenden Tropfen, die nach dem Regen liegengeblieben waren. Zwischen den Wolken war die Sonne zu sehen, die ihr Licht auf das Gebäude ihm gegenüber warf. Durch das Fenster konnte er Naoki beobachten, der, wie bei ihrer ersten Begegnung auch schon, am Tresen saß und etwas las. Dank des wechselhaften Wetters schien sich an diesem Nachmittag niemand in das gemütliche Geschäft zu verirren, wodurch Naoki vermutlich nicht viel zu tun hatte. Auch sonst war kein Elysianer auf den Straßen zu sehen. Sie alle versteckten sich vor dem Regen, der an dem heutigen Tag immer wieder gefallen war.
Zu Yukines Glück, wenn er ehrlich war. Auf andere würde er sonst seltsam oder verdächtig wirken, so, wie er hier stand und den blonden Verkäufer nicht aus den Augen ließ. Beinahe wie ein Häscher, der nur darauf wartete, seine Zielperson zu fassen. Da blieb er lieber ungesehen, in dieser etwas engen Seitengasse, von der aus er Naoki im Blick hatte, solange dieser dort sitzenblieb. Immer wieder unterdrückte Yukine das Verlangen, hineinzugehen und den Verkäufer anzusprechen – wusste er doch nicht, worüber sie reden sollen. Da waren so viele Jahre vergangen und es hatte sich eine riesige Kluft zwischen ihnen gebildet. Unausgesprochene Gedanken und verletzte Gefühle. Yukines einstige Abweisungen gegenüber des blonden Mannes, weil er nicht gewusst hatte, wie er mit ihm umgehen sollte oder wie er sich ihm gegenüber hätte verhalten sollen. Damals hatten seine Empfindungen ihn von Naoki ferngehalten und nun waren es genau diese, die Yukine hierher zurückbrachten – und das beinahe jede Woche, wann auch immer er die Zeit dafür fand.
Seufzend sah er auf die Uhr. Yukine hatte nicht einmal mitbekommen, wie lange er bereits hier gestanden hatte und nun musste er feststellen, dass es später war, als gedacht. Nicht, dass er an diesem Nachmittag noch etwas geplant hätte. Der General warf noch einen Blick in Richtung des Schaufensters, dann trat er aus den Schatten heraus. Es hatte wieder zu nieseln begonnen, weshalb Yukine sich dazu entschlossen hatte, nach Hause zu gehen, wenn er nicht im Regen stehen wollte. Nur schien ihn etwas davon abzuhalten, zwang ihn dazu, wieder zu Naoki zu blicken. Sehnsucht packte ihn – und statt den Nachhauseweg einzuschlagen, ging er zu der Tür, die sich beim näherkommen von selbst öffnete. Ein leises Glöckchen ertönte als er schließlich eintrat und kurz darauf blickte er auch schon in die hellen, bernsteinfarbenen Augen des Verkäufers. Naoki schenkte ihm ein sanftes und freundliches Lächeln, das sein Herz höherschlagen ließ. Wie bei ihrer ersten Begegnung in diesem Geschäft, breitete sich eine ungewöhnliche Nervosität in Yukine aus. Ohne es sich anmerken zu lassen, trat der General an den Tresen heran und erwiderte zögerlich das Lächeln. Er schluckte schwer, bevor er den Verkäufer schließlich begrüßte und stehenblieb.
»Willkommen zurück, General.« Naokis melodische Stimme drang an seine Ohren und löste dabei eine angenehme Gänsehaut bei ihm aus. Sie klang genauso, wie er sie in Erinnerung hatte – wie hätte es auch anders sein können? »Wie kann ich Ihnen behilflich sein?« Die bernsteinfarbenen Augen waren auf Yukine gerichtet, musterten ihn neugierig und abwartend, das Lächeln hatte Naoki noch immer auf den Lippen. »Möchten Sie wieder einen Tee für Frau Nakano und General Miyamoto erwerben?«, fragte er, als Yukine noch immer keine Anstalten machte, ihm zu antworten. Zu seinem Erstaunen erinnerte sich der blonde Verkäufer noch an ihre Begegnung im vergangenen Herbst, als er für seine beiden ‚Erzeuger' Tee gekauft hatte. Dabei hatte Yukine gedacht, dass er für Naoki einer von vielen, flüchtigen Laufkunden war, die sich nur zufällig hierher verirrten.
»Nein, eigentlich nicht«, entgegnete er und schüttelte dabei den Kopf. »Dieses Mal nicht.«
Ein fragender Ausdruck schlich sich auf Naokis Gesicht. Doch fragte er nicht nach, stattdessen musterte er Yukine weiterhin abwartend. Die bernsteinfarbenen Augen funkelten im Licht der überall verteilten Ätherlampen, die in ein sanftes warm-weiß Licht verbreiteten. Aus der Nähe konnte Yukine dunklere, bräunliche Sprenkel in den Iriden seines Gegenübers erkennen, die mit den Sommersprossen auf der karamellfarbenen Haut harmonierten. Goldblonde Locken umrahmten Naokis Gesicht, wovon dieser sich eine Strähne hinter das Ohr strich. Verlegen sah der junge Verkäufer zur Seite, wich dem intensiven Blick von Yukine aus, während sich eine verräterische Röte auf dessen Wangen schlich. In diesem Augenblick verstand Yukine, dass es dem Verkäufer unangenehm war, dass er ihn so anstarrte. Schließlich räusperte der General sich, löste seine Augen von Naoki und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Dabei interessierte er sich nicht einmal für die Einrichtung. So schön sie auch war und so ordentlich alles an Ort und Stelle stand, Yukine kannte das alles schon. Hatte er doch viele Stunden damit verbracht, wie ein Stalker vor dem Geschäft zu lungern und sich jedes noch so kleine Detail eingeprägt.
Und so glitt sein Blick wieder zu Naoki. »Aber ich würde gerne etwas für mich kaufen«, sagte der General nach einer Weile schließlich. »Vielleicht etwas ... zum wachhalten.« Damit er nicht immer wieder im Büro eindöste, wenn gerade nichts zu tun war und ihn die Müdigkeit übermannte.
»Einen Tee, der sie wachhält?« Naoki schien zu überlegen, dann wandte er sich ab und durchsuchte das Regal hinter dem Tresen. Immer wieder zog er eine Dose heraus, murmelte etwas vor sich hin und schob sie wieder zurück. Interessiert beobachtete Yukine ihn, ein leichtes und verträumtes Lächeln auf den Lippen. Der kleine Mann stellte sich auf die Zehnspitzen und versuchte an eine Dose zu kommen, die sich allem Anschein nach zu weit oben befand. Leise fluchend suchte er den Bereich um sich herum ab – vermutlich auf der Suche nach seinem Tritt, den er benutzen konnte. Doch wusste der General, dass Naoki ihn dort nicht finden würde – stand die kleine Leiter doch an einem Regal im Kundenbereich. Er hatte sie beim Reingehen gesehen, war an ihr vorbeigelaufen.
Amüsiert darüber, trat Yukine um den Tresen herum, direkt hinter den Verkäufer, und zog die Teedose aus dem Regal. Für einen kurzen Augenblick hatten ihre Hände sich berührt und Yukine verspürte dabei ein seltsames, aber angenehmes Kribbeln. Erschrocken drehte Naoki sich zu ihm herum und weitete die Augen. Erneut färbten sich die Wangen des blonden Mannes rot und als Yukine realisierte, wie nah sie sich doch standen, wich er ein Stück zurück. Die Dose hielt er ihm entgegen und erwiderte den Blick seines ehemaligen Klassenkameraden, ohne auch nur einmal zu blinzeln.
»War es der, den du haben wolltest?«, fragte er schließlich, und vergaß dabei seine Höflichkeit. Nickend nahm Naoki die Dose zwischen seine kleinen Hände, wodurch die beiden sich erneut berührten.
»Ja, genau die war es. Danke ...«, antwortete der Verkäufer, seine Stimme war nicht mehr als ein Hauch. Leise und sanft. Auch war er es, der ihren Blickkontakt unterbrach, worauf Yukine wieder zurücktrat und seinen vorherigen Platz einnahm.
Schweigend und irgendwie nachdenklich füllte Naoki den Tee ab, bevor er seine Aufmerksamkeit auf den General richtete. »Es ist ein Kräutertee mit wilden Früchten. Die Wirkstoffe der einzelnen Komponenten wirken belebend und vertreiben die Müdigkeit. Sie sollten ihn auf keinen Fall abends trinken, sonst kann es sein, dass Sie nicht einschlafen können.« Er pausierte und schob das liebevoll verpackte Päckchen über den Tresen. Die Verpackung war dunkelgrün, verziert mit einer goldenen schnörkeligen Aufschrift und dazu ein passendes goldenes Band, das alles zusammenhielt. »Am besten morgens zum oder nach dem Frühstück – und falls die Müdigkeit eher im Laufe des Tages auftritt, dann können Sie ihn auch zum Mittag gut trinken.« Nickend nahm Yukine den Tee entgegen, betrachtete das Päckchen einen Moment, ehe er sich Naoki wieder zuwandte. Dieser stand abwartend da, die Röte nur noch ein leichter Schimmer, der kaum sichtbar auf seinen Wangen lag. »Kann ich ihnen sonst noch etwas anbieten?«
»Ich denke, das war alles.« Yukine steckte den Tee ein und bezahlte. Als er über die Schulter schaute, direkt durch das große Fenster nach draußen, musste er feststellen, dass aus dem Nieselregen mehr geworden war. Strömender Regen prasselte auf die Stadt hinab und ergoss sich über das Schaufenster, durch das man kaum noch hinausblicken konnte. Entsetzt betrachtete er das Szenario, hatte er doch keinen Schirm mitgenommen – und selbst wenn, dann hätte dieser vermutlich nicht einmal Schutz geboten. »Vielleicht ja doch ...«, murrte er leise, nachdem er wieder zu Naoki gesehen hatte. Neugierig neigte der blonde Verkäufer den Kopf, als Yukine sich plötzlich doch anders entschied. »Ich würde gerne einen Tee vor Ort trinken und ...« Er pausierte und dachte nach, er hatte das Gebäck entdeckt, welches er stirnrunzelnd betrachtete. Er mochte Süßes nicht besonders, weshalb er den Leckereien zuerst keine Beachtung geschenkt hatte, doch nun sah er dort etwas, das selbst ihn ansprach. »Das Laugengebäck dort.«
»Kommt sofort, General«, trällerte Naoki zufrieden und drehte Yukine den Rücken zu. »Wie wäre es mit der Spezialität der Woche?« Ohne sich umzusehen, bereitete der blonde Verkäufer alles vor, holte einen Teller heraus und dazu eine passende Tasse mitsamt Untersetzer. »Nur als Empfehlung.« Yukine brummte zustimmend – auch, wenn er keine Ahnung hatte, was die Spezialität war. Er hätte natürlich nachfragen können, vermutlich stand es irgendwo an der Tafel, doch sein Blick lag auf Naokis Rückansicht. Er hatte sich erneut eine lose Strähne hinter das Ohr gestrichen, wahrscheinlich hatte sie sich aus seinem etwas zu lockeren Zopf gelöst und störte ihn nun gelegentlich. Yukine mochte die Geste, auch damals waren Naokis Haare lang, fielen ihm ständig ins Gesicht, weshalb er sie immer wieder hinter das Ohr gestrichen hatte. Außerdem tat der blonde Verkäufer es ebenfalls, wenn er nervös oder verlegen war. Kleinigkeiten, die Yukine schon damals aufgefallen waren. Dinge, die er immer wieder beobachtet hatte und die ihm gefielen.
Er drehte sich um und ging zu einem der freien Plätze, während Naoki noch an seinem Platz stand und die Bestellung zubereitete. Indessen betrachtete Yukine den Regen, sein Blick verfolgte die Tropfen auf dem Glas und wartete. Schritte erklangen, als Naoki näherkam und schließlich alles auf dem kleinen, dunklen Tisch platzierte. »Kann ich Ihnen sonst noch etwas Gutes tun?«, fragte Naoki freundlich und Yukine konnte das Lächeln, das dessen Lippen zierte, deutlich heraushören, ohne es zu sehen.
»Wie wäre es, wenn du mir etwas Gesellschaft leisten würdest?«, erwiderte der weißhaarige General, als er sich Naoki zugewandt hatte. Auch er lächelte, wenn auch ganz leicht und beinahe unscheinbar. Auf die Frage hin trat Verwunderung auf das karamellfarbene Gesicht des etwas jüngeren Mannes. »Das meine ich ernst«, fügte Yukine kurzerhand hinzu, als Naoki zögerte – vermutlich hielt er es für einen Scherz seitens des Generals. Doch Yukine wollte, wenn er es schon mal hierher geschafft hatte, etwas Zeit mit dem blonden Mann, der ihn so durcheinander brachte und seltsame Gefühle in ihm hervorrief, verbringen.
»Es wäre mir eine Freude, General.« Aus Yukines zartem Lächeln wurde ein erfreutes Grinsen, das er kaum zu unterdrücken vermochte. Aufrichtige und ehrliche Freude spiegelte sich auf dem blassen Gesicht des Generals. »Ich hole mir nur einen Tee, dann leiste ich Ihnen Gesellschaft«, sagte Naoki kurz darauf und huschte hinter den Tresen, wo er eine weitere Tasse vorbereitete – dieses Mal für sich. Nie hätte Yukine erwartet, dass dieser Nachmittag so enden würde. Und ganz ehrlich? Er war wirklich froh darüber, dass der Regen ihn aufgehalten hatte. Vielleicht konnten die beiden von vorne beginnen, sich besser kennenlernen und mehr Zeit miteinander verbringen. Dann würde Yukine möglicherweise erfahren, was das für eine Anziehung war, die er verspürte und was General Takashi Miyamoto gemeint hatte, als er behauptet hatte, dass Naoki ihm vorbestimmt war. Dass sie einander vorbestimmt waren ...
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