20. Türchen

Hochzeitskuss [ꝏ]

„Du hast doch gesehen, was vor einigen Wochen passiert ist!", rege ich mich auf und schließe kurz die Augen. Dabei drücke ich Zeigefinger und Daumen gegen meine Nasenwurzel. Nicht schon wieder. Nicht schon wieder Stress. „Ich weiß, dass es nicht optimal gelaufen ist, aber -" Perplex sehe ich ihn an und unterbreche ihn sofort. „Nicht optimal gelaufen? Hier fällt alles auseinander, falls du das meinst!" Louis seufzt und sieht für einen Moment lang zur Seite. „Du sollst dich nicht stressen." – „Und wie meinst du soll das funktionieren? Sieh dich doch um!", entgegne ich und deute auf unser etwas entstelltes Wohnzimmer.

„Er hat doch nur eine Party geschmissen." – „Willst du so tun, als hättest du die leeren Flaschen im Müll nicht gesehen? Es war Wodka, Louis!" – „Und jetzt? Sei doch froh, dass er wenigstens Zuhause war!", antwortet Louis lauter. „Wenigstens war er hier und nicht irgendwo, wo er nicht wusste, wie er nach Hause kommt!" Ich sehe mich erneut um. Das Sofa muss definitiv gereinigt werden, zwei meiner Vasen mussten dran glauben und überall riecht es nach Bier und Cocktails. Vom Garten ganz zu Schweigen. „Er hätte mindestens Aufräumen müssen." – „Er schläft noch." – „Wenn er feiern kann, muss er die Sauerei auch wieder beseitigen. Kater hin oder her.", antworte ich trocken. „Das geht so nicht." – „Er ist ein Teenager. Lass ihn doch seinen Spaß haben.", widerspricht Louis mir erneut. „Das bedeutet, du heißt es gut, dass unser Sohn schon harten Alkohol trinkt?!", frage ich entgeistert.

„Das bedeutet, dass ich es positiv sehe; er hat hier gefeiert und nicht mitten in London.", antwortet er mir. Ich gehe in den Garten und muss feststellen, dass einer meiner Blumentöpfe neben der Tür als Aschenbecher genutzt wurde. Danke dafür. Ich hebe ihn aus der Halterung und möchte gerade die Kippenstummel entsorgen gehen, als er mir augenblicklich aus der Hand genommen wird. „Das mache ich." – „Die Zigaretten sind nicht einmal an.", widerspreche ich, aber Louis ignoriert es. Ich seufze.

„Wir müssen mit Dylan sprechen. Er kann nicht einfach hier eine Party veranstalten und unser Haus in einen Schweinestall verwandeln, wenn wir weg sind.", stelle ich klar, als Louis wieder zu mir heraus gekommen ist. Er schweigt. Skeptisch mustere ich ihn. „Louis?" Er seufzt und verdreht die Augen. „Du hast es ihm erlaubt.", stelle ich fest. „Habe ich. Weil ich nicht wollte, dass er in die Innenstadt fährt, um dort zu feiern.", antwortet er mir. „Und du kommst nicht auf die Idee, dass du das mit mir absprechen solltest?" – „Du sollst dich ausruhen und -" – „Und du meinst, ich kann mich ausruhen, wenn das hier dabei rauskommt?!", falle ich ihm aufgebracht ins Wort.

„Verdammt, Harry!", sagt Louis plötzlich laut. „Dir ging es in letzter Zeit ziemlich beschissen und ich wollte dir eine Freude damit machen, als ich dich mit dem Wochenendtrip nach Paris überrascht habe. Ja, ich wusste, dass Dylan eine kleine Party schmeißen wollte. Ich wusste wer eingeladen war und Liam war hier in London. Er hätte jeder Zeit herkommen können. Dylan hatte mir versprochen, ihn anzurufen, wenn etwas sein sollte, alles klar?! Ich habe mich darum gekümmert und dir nichts gesagt, weil du dich aktuell auf dich konzentrieren sollst!" – „Es geht hier um unseren Sohn, verdammt! Nicht um deinen, um unseren! Ich habe keine Lust darauf, dass er in diesem Alter schon damit anfängt, Wodka und den ganzen Mist zu trinken, alles klar?! Das solltest du auch nicht wollen!" – „Oh, jetzt bin ich ein schlechter Vater, ja?! Ich stecke seit Wochen zurück! Ich war seit Ewigkeiten weder im Tonstudio noch bei der Produktionsfirma meines Films! Mein Management macht mir inzwischen wirklich die Hölle heiß, aber ich lasse sie warten, um mich um dich und Dylan zu kümmern und jetzt bin ich ein schlechter Vater?!"

„Wenn es alles so stressig für dich ist, dann geh wieder ins Studio! Ich bin vorher hier klargekommen, ich werde auch jetzt alles regeln können!" – „Scheiße, du bist umgekippt, Harry!" – „Ach was, Sherlock. Es ist ja schön und gut, dass du mich nach Paris gebracht hast, aber meinst du wirklich, dass hilft mir, dass ich weniger gestresst bin, wenn ich nach Hause komme und so etwas vorfinde?", möchte ich von ihm wissen. „Garantiert nicht, Louis! Hast du mal daran gedacht, dass Dylan jetzt erstens denkt, es wäre okay, dass er diese Menge Alkohol trinkt und zweitens, dass es hier aussieht, wie ein einer Studentenbude nach einer ganzen Partywoche?! Außerdem werde ich jetzt erstmal wohl nicht mehr mit dir wegfahren können, weil ich mir automatisch Gedanken darüber machen werde, was Dylan hier anstellen wird! Aber dir ist das ja offensichtlich egal! Nimm ihn doch direkt mit ins Jewel!"

Louis möchte antworten, lässt es dann aber doch. „Was? Daran hast du nicht gedacht, richtig?", frage ich trocken und schüttle den Kopf. Das war klar. „Geh einfach wieder ins Studio oder zu deinem Management.", murmle ich genervt. „Ich dachte, ich mache mit dem Wochenende nach Paris eine Freude.", sagt Louis plötzlich erstaunlich ruhig. „Ich wusste nicht, dass es so ausartet. Ich finde es ebenfalls nicht gut, dass Dylans Party ausgeartet ist, aber das bedeutet nicht, dass ich ein schlechter Vater bin."

Bevor ich weiß, was hier gerade geschieht, verschwindet Louis aus der Tür. Perplex dreinblickend stehe ich mitten im Schlachtfeld, das mal unser Wohnzimmer war. Ich schließe die Augen erneut und merke, dass ich Kopfschmerzen bekommen habe. Super, das auch noch. Ich sehe mich um, hole einen großen Müllsack aus der Küche und beginne damit die leeren Becher, Scherben und sonstigen Überbleibsel der Party einzusammeln. Schweren Herzens landen die Überreste meiner beiden Vasen in dem Schwarzen Sack und einige Minuten später muss ich feststellen, dass in Bilderrahmen ebenfalls der Party zum Opfer gefallen ist. Ich hebe ihn auf und sehe auf das Bild darin.

Liam hat das Foto geschossen; es zeigt Louis' und meinen Hochzeitskuss. Louis hat es in DIN-A 4 Größe und der besten Qualität ausdrucken und Rahmen lassen, als wir hier eingezogen sind. Ich seufze. Das Foto ist ebenfalls kaputt, die Scherben haben es zerrissen. Ich setze mich auf das Sofa und sehe auf das Foto. Es ist nach wie vor eins meiner Lieblingsbilder von uns beiden.

In Gedanken an Jamaika und unsere Hochzeit versunken, höre ich nicht, wie Dylan die Treppe herunter kommt. „Oh Shit.", murmelt er, aber ich drehe mich um. „Äh... guten Morgen, Papa." – „Es ist vier Uhr nachmittags.", antworte ich nur. Er setzt sich neben mich. „Ich hätte aufräumen sollen, aber... Ugh.", er stöhnt und schließt die Augen. „Kater?" – „Ja..." – „Mein Mitleid hält sich in Grenzen.", antworte ich ehrlich. „Und wer trinken kann, der kann auch aufräumen." – „Mhm... ich mache mir vorher einen Tee, okay?" Ich nicke und sehe wieder auf das Foto.

„Oh scheiße.", murmelt mein Sohn. „Ist das gestern kaputt gegangen?" – „Ich habe es zumindest nicht auf den Boden geworfen." – „Tut mir leid.", murmelt Dylan reumütig. „Ich wollte nicht, dass es so eskaliert." – „Dann hättest du bei Bier bleiben sollen." – „Was?" – „Meinst du, ich habe die Wodkaflaschen im Müll nicht gesehen?" – „Oh." – „Ja, oh. Darüber sprechen wir, wenn es hier nicht mehr nach Alkohol stinkt und man nicht mehr aufpassen muss, in Scherben zu treten.", kündige ich an. Er nickt verstehend und trottet in die Küche.

„Wo ist Dad?", fragt er, als er mit einer dampfenden Tasche Tee wiederkommt. „Nicht hier?" – „Und wo ist er?" – „Weiß ich nicht.", antworte ich knapp und sammle die Scherben weiter ein. Das Hochzeitsfoto liegt auf dem Sofatisch. „Papa, ich – ich mache das hier schon.", seufzt Dylan und nimmt mir den Müllbeutel ab. „Wie lange willst du beschäftigt sein, mhm? Und du hast den Garten nicht einmal gesehen.", antworte ich ihm und hole einen Staubsauger. „Oh scheiße.", höre ich ihn sagen. „Ich hoffe, das ist das letzte Mal, dass es hier so aussieht." – „Sorry, Papa.", entschuldigt er sich erneut und pflügt den Fußball aus meinem Rosenstrauch.

„Was hat Dad gesagt?", möchte er wissen. Ich verdrehe die Augen. „Was soll er gesagt haben? Er wusste doch, was du vor hast.", antworte ich ihm nur. „War er hier?" – „Ja." – „Wieso hat er dich alleine gelassen?", möchte Dylan verwundert wissen. Ich zucke mit den Schultern. „Papa." Er stellt den Staubsauger aus und blickt mich skeptisch an. „Ich weiß, dass ich Mist gebaut habe, das bestreite ich nicht, aber wieso hat Dad dich hier alleine gelassen? Du bist immer noch nicht wieder ganz gesund und der Arzt hat gesagt -" – „Er ist gegangen, okay?", unterbreche ich ihn und versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich diese Tatsache verletzt. „Er ist gegangen. Er wird heute Abend bestimmt wiederkommen." – „Das klingt nicht so, als wärst du dir da sicher." – „Ach was.", winke ich ab. Dylan hat recht. Ich bin mir nicht sicher.

„Habt ihr euch gestritten?" – „So schlimm war es nicht." – „Also ja. Und wahrscheinlich wegen mir." – „Es ist nur ein Streit.", entgegne ich. Dylan seufzt. „Papa, tust du mir einen Gefallen?" – „Reicht es nicht, dass ich deine Sauerei beseitige?", frage ich halb spaßend, halb ernst gemeint. „Dann mache ich jetzt das, was du normalerweise machen würdest, wenn du nicht in Gedanken ständig an deinen und Dads Streit denken würdest." – „Was?" – „Ich sage, dass ich hier alles wieder sauber mache und du solltest dich in den Jacuzzi setzen und dir ein Buch oder so nehmen." – „Woher kommt das denn plötzlich?", frage ich verwundert und mustere meinen Sohn skeptisch. „Ich bin verkatert, aber nicht blöd, okay? Ich habe durchaus mitbekommen, wie es dazu gekommen ist, dass du ins Krankenhaus musstest und nur weil Dad abgehauen ist und dich alleine gelassen hat, heißt das nicht, dass ich zulasse, dass es sich wiederholt.", stellt er klar. Ich seufze, lächle und ziehen Dylan in eine Umarmung. „Ich hab dich lieb, Großer." – „Ich dich auch, Papa.", antwortet er mir.

„Wenn du Hilfe brauchst, sagst du aber Bescheid." – „Ich werde wahrscheinlich nur doppelt so lange brauchen, wie du es tun würdest.", antwortet er schulterzuckend und nimmt sich den Staubsauger. Ich hole mir mein aktuelles Buch vom Nachtisch und lasse den Jacuzzi in der Zeit mit warmen Wasser volllaufen. Wenig später finden meine Klamotten ihren Weg auf den Boden und ich seufze, als das warme Wasser meinen Körper einhüllt.

In den Roman in meinen Händen versunken, bekomme ich nicht mit, dass Louis wohl nach Hause gekommen ist. Erst, als sehr deutlich zu hören ist, dass Dylan und er wohl eine Meinungsverschiedenheit haben, lege ich das Buch zur Seite und lausche.

„Du kannst doch nicht einfach abhauen!" – „Was? Was soll das, Dylan?" – „Du hast ab und lässt Papa alles alleine machen!" – „Moment, war das meine oder deine Party?" – „Ja, es war meine und es tut mir leid, dass es... ausgeartet ist, aber du kannst doch nicht einfach gehen, Dad! Ich bin vorhin hier runter gekommen und Papa hat ganz alleine geputzt! Du weißt ganz genau, dass er sich ausruhen soll!" – „Ja, das weiß ich, deswegen war ich mit ihm in Paris!" – „Ein Wochenende reicht doch nicht! Du hättest dafür sorgen müssen, dass Papa sich ausruht, anstatt hier aufzuräumen und sich erneut Arbeit zu machen! Das habe ich jetzt getan, aber du bist sein Mann!" – „Sag mal, was wird das hier?!" – „Du hast ihn schon vor dem Vorfall im Krankenhaus fast alles alleine machen lassen, Dad!", regt Dylan sich auf und einen Moment denke ich darüber nach, zu ihnen zu gehen. Dann bleibe ich aber doch sitzen und höre weiter zu. „Mir ist klar, dass ich nicht unbeteiligt daran war und dass ich Papa definitiv einen ganzen Haufen Arbeit zu viel gemacht habe, aber ich hatte erwartet, dass du dich ebenso darum kümmern wirst, dass es nicht wieder so wird wie vor her. Nicht nur ein paar Wochen lang, sondern generell!" – „Du kannst mir nicht die Schuld dafür geben, dass es hier aussieht, wie nach einer Studentenparty!" – „Verdammt, Dad! Papa geht es nicht so gut, wie er tut, sieh das doch!" Ich schlucke und atme tief durch. Ich mag es nicht, mit den beiden zu streiten, aber noch viel schlimmer ist es, wenn die zwei untereinander sich anschreien.

„Papa war ganz alleine hier und hat minutenlang das Foto angesehen! Du hättest bei ihm sein sollen!", höre ich Dylan noch rufen. Dann ist Ruhe. Ich schließe einen Moment lang die Augen. Verdammt, wieso habe ich das kaputte Hochzeitsfoto nicht schon weggetan?

„Engel?"

Ich seufze leise. „Dylan hat mich in den Jacuzzi verbannt.", antworte ich ihm und er tritt durch die Tür. Hinter sich schließt er sie wieder und einen Moment später öffne ich die Augen, als er sich zu mir setzt. Er hat den Bilderrahmen in der Hand. „Dylan hat sich dafür schon entschuldigt.", sage ich nur, aber das scheint Louis nicht zu kümmern. „Ich hätte nicht gehen dürfen." – „Und ich hätte dir nicht das Gefühl geben dürfen, dass du ein schlechter Vater bist.", entgegne ich. Louis streicht über den Riss im Bild. „Es tut mir leid." Ich mustere ihn, als er weiterspricht. „Ich hätte in den Jacuzzi schicken sollen, nicht unser Sohn. Das wäre meine Aufgabe gewesen." Ich widerspreche nicht. „Und ich habe nachgedacht. Ich habe in Dylans Alter bereits getrunken, vielleicht war ich deswegen zu entspannt, was dieses Thema angeht. Das nächste Mal besprechen wir alle drei zusammen die Regeln vorher. Ich denke nicht, dass es die letzte Party sein wird, die er schmeißt, aber ich hoffe es ist die letzte, die so endet."

„Das klingt doch gut.", sage ich lächelnd und zögere einen Moment, ehe ich zu ihm auf die andere Seite des Jacuzzis durch das Wasser gleite. Ich setze mich auf seinen Schoß und Louis legt vorsichtig und zaghaft seine Hände an meine Hüfte. „Es tut mir leid, mein Engel." – „Danke, Louis.", antworte ich ehrlich und streiche durch seine Haare.

„Ich möchte dich gerne Küssen." – „Und?" – „Darf ich?", fragt er und ich lache. „Das muss du nicht fragen, das weißt du doch. Ich liebe es, wenn du mich küsst." – „Ich werde dich immer fragen.", antwortet er. „Normalerweise fragst du mich das doch nur beim Sex?" – „Ich habe gesehen, wie unbeholfen Dylan mit dem Putzzeug umgeht. Und er hat sich Musik angemacht. Es wird mindestens noch zwei Stunden dauern, bis man das Wohnzimmer wieder ansatzweise erkennt.", antwortet er schulterzuckend und seine Hände gleiten zu meinem Hintern. „Louis!" – „Was? Ich liebe unseren Versöhnungssex." – „Spinner.", antworte ich lachend, lasse mich anschließend aber in einen süßen Kuss ziehen.

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