14. Türchen
Four Years And Three Month
„Harry tust du mir bitte einen Gefallen?" Ich seufze leise, wende mich aber meiner Kollegin Mabel zu. „Was gibt es denn?" – „Ich habe dir doch von dem Neuen erzählt, oder?" – „Du meinst dem neuen Juniorchef.", antworte ich ihr. „Ja, genau der.", antwortet sie und winkt ab. „Der Kerl kommt direkt von der Uni der hält sowieso nicht lange durch.", fügt sie hinzu. „Ich kam auch direkt von der Uni.", erwidere ich skeptisch. „Ja, aber du hast dich in den vier Jahren, wo du schon hier bist um drei Stellen nach oben gearbeitet.", argumentiert sie.
„Lass ihn doch erst einmal hier ankommen, Mabel. Du weißt, was ich davon halte, Leute zu beurteilen, bevor ich sie kennengelernt habe.", entgegne ich seufzend. „Du bist zu gut für diese Welt.", antwortet sie mir und reicht mir eine Akte. „Hier ist alles drin, Passwörter, Anmeldedaten, der ganze Kram eben. Er sollte um zehn Uhr unten im Foyer stehen.", meint sie und ich sehe auf die Uhr. Noch zehn Minuten, genug Zeit, um sich einen Kaffee zu holen. Ich bringe direkt einen zweiten für den neuen Juniorchef mit und stelle mich an den Empfang des großen Marketing-Unternehmens, in dem ich arbeite.
„Sollte er nicht schon hier sein?", fragt Andrew, der Student, der für uns zweimal die Woche am Empfang arbeitet. Ich schaue auf die Uhr. Zehn Minuten zu spät – nicht gerade das, was man von einem angehenden Juniorchef erwartet. Plötzlich kommt ein junger Mann, etwa in meinem Alter, in das Foyer gelaufen. Er schnauft und streicht sich den Anzug glatt, den er trägt. Er sieht sich um und ungewollt seufze ich genervt. Das darf doch nicht wahr sein.
Sein Blick trifft meinen und er stockt. Er hat mir erkannt, ganz klar. Wieso sollte er mich auch nicht erkennen? „Was machst du denn hier?", fragt er und mustert mich. „Freut mich auch dich zu sehen, Louis.", antworte ich trocken und schaue auf die Akte, die mir Mabel gegeben hat. Tomlinson, Louis William. Na super, vielleicht hätte ich mir den Namen vorher durchlesen sollen. Wie konnte mir entgegen, dass ausgerechnet er diesen Posten besetzen wird?
„Du arbeitest hier?", fragt er perplex und ich nicke. „Korrekt. Und du bist zu spät." – „Sorry, mein Bus kam nicht und dann musste ich laufen und-" – „Spar's dir. Du warst früher schon immer zu spät.", unterbreche ich ihn. „Magst du Kaffee?" – „Sicher.", antwortet er und ich gebe ihm die Tasse. „Kalt.", stellt er fest. „Er war vorhin noch heiß.", antworte ich schulterzuckend. „Komm mit." Er nickt und sieht sich um. „Warst du hier etwa noch nie?", frage ich amüsiert. „Äh... nein.", antwortet er zögerlich und ich schmunzle. Er folgt mir und erst im Aufzug entspannt er sich wieder ein bisschen. Er hat sich also doch nicht verändert.
„Ich stelle dir gleich erst einmal einige der Kollegen vor.", kündige ich an und er nickt stumm. „Dabei führe ich direkt herum und enden werden wir in einem Büro. Dort bekommst du alle Passwörter und den ganzen Kram. Ich denke, deine Arbeit muss ich dir nicht erklären?" – „Äh, nein.", antwortet er sichtlich nervös. „Schön." Er zögert und der Fahrstuhl scheint langsamer zu fahren als sonst. Ich seufze und drücke einen Knopf an der Wand. Der Fahrstuhl ruckelt einmal und bleibt dann stehen.
„Was soll das?", fragt Louis verwirrt und ich drehe mich zu ihm. „Soll ich dich gleich mit Mr. Tomlinson ansprechen?", möchte ich wissen. „Was? Wieso das?" – „Weil du im Prinzip mein neuer Chef bist und die anderen nicht wissen, dass wir uns... kennen." – „Wissen nie nicht?" – „Ich wusste bis gerade nicht einmal, dass du der Neue bist.", antworte ich trocken und Louis nickt verstehen. „Uhm... wie du möchtest." – „Louis, du bist der neue Chef. Du entscheidest.", beschließe ich und er nickt erneut. „Dann... äh... ich denke, es wäre wahrscheinlich sinnvoll, wenn du Mr. Tomlinson sagst.", antwortet er mir.
„Ist es schlimm für dich, dass ich hier arbeite?", möchte er dann wissen und ich seufze. „Nein, ist es nicht. Es ist inzwischen wie lange hier? Vier Jahre?" Louis nickt. „Etwas mehr." – „Mhm?" – „Vier Jahre und drei Monate." Ah ja. „Von mir aus." Louis räuspert sich und ich seufze. „Ein gut gemeinter Rat, Mr. Tomlinson, sie sollten wenigstens so tun, als wären sie nicht schüchtern." Er sieht weg. Ertappt.
„Du glaubst doch nicht, ich habe nicht mitbekommen, dass sich das nicht geändert hat." – „Ich hatte es gehofft.", antwortet er schulterzuckend. „Wenigstens bist du hier." – „Ich?" – „Bei dir bin ich schon lange nicht mehr schüchtern.", erwidert er und ich verdrehe die Augen. „Ach was, vielleicht liegt das daran, dass wir gevögelt haben. Oft.", antworte ich unüberlegt. „Du weißt, was ich meine." – „Ich soll wissen, was du meinst? Ich weiß nur, dass wir zwei Jahre Mitbewohner waren und du mich in dem Glauben gelassen hast, dass es ein wir gibt." Ich schüttle den Kopf. „Und für dich war es nur Sex, die ganze Zeit über." – „War es nicht.", widerspricht er sofort. „Wem willst du das erzählen, mhm? Du warst von heute auf morgen verschwunden und hast mir nur einen Zettel hinterlassen, dass du das Studium schmeißen wirst und doch wieder nach Amerika gehst. Ach ja, und du hast deine Nummer gewechselt.", erinnere ich ihn.
„Es ist ja schön und gut, wenn du mir Gegenüber deine Schüchternheit abgelegt hast, aber das bedeutet nicht, dass ich dir hier in irgendeiner Form helfen werde, Mr. Tomlinson.", stelle ich klar und lasse den Aufzug wieder anspringen. Louis möchte etwas antworten, aber schweigt, sobald sich die Tür wenige Sekunden später öffnet.
Louis schlägt sich nicht so schlecht, wie gedacht, aber ihm ist nach wie vor an der Nasenspitze anzusehen, dass er sich nicht unbedingt wohl fühlt. Ich weiß, dass sich das legt, sobald er die anderen Kollegen besser kennenlernt, aber das dauert seine Zeit. Ich mustere ihn auf dem Weg zur Kantine. Er sitzt inzwischen an seinem Schreibtisch und ist in seine Arbeit vertieft. Verflucht, wieso musste gerade er hier auftauchen? Ich schüttle den Kopf und laufe weiter.
„Kommst du heute Abend?" Fragend sehe ich Mabel an. „Was ist heute?" – „Freitag. Wir gehen in die Bar gegenüber.", antwortet sie mir und ich nicke. „Klar, wieso nicht." Vielleicht hätte ich fragen sollen, ob Louis auch kommen wird, aber das habe ich nicht getan. Dass er auch kommt, stelle ich fest, als ich durch die Tür der Bar komme. „Äh... hi.", sagt er überrascht. „Mr. Tomlinson.", was machen sie hier?", möchte ich wissen und setze mich zu den anderen. „Ich habe ihn gefragt, ob er mitkommen möchte.", antwortet Mabel und überrascht sehe ich Louis an. Hätte nicht gedacht, dass er zusagt.
Ich halte mich eine ganze Zeit lang aus der Unterhaltung raus, bis Mabel plötzlich meinen Namen sagt. „Harry auch." – „Was?" – „Du bist auch Single.", wiederholt sie. „Warum ist das wichtig?", möchte ich verwirrt wissen." – „Oh, ich meinte nur, dass hier wohl alle vergeben zu sein scheinen.", antwortet Louis schulterzuckend. „Ach so." Ich sehe mich um. „Ja, vermutlich." – „Obwohl ich nicht wirklich verstehe, wieso Harry Single ist.", wirft Mabel an. „Ich bin nicht auf der Suche.", antworte ich halb genervt, halb grinsend. „Er sieht gut aus, ist wirklich klug und charmant noch dazu. Es kann doch nicht sein, dass er seit Vier Jahren Single ist, oder Louis?", fragt Mabel ihn. Oh, sie nennt ihn Louis? „Schon vier Jahre?", fragt er verwundert und Mabel zuckt mit den Schultern. „Kurz bevor er hier angefangen hat, wurde er böse abserviert." – „Danke, Mabel.", murre ich und versuche ihr zu zeigen, dass sie aufhören soll zu reden.
„Oh, echt?", fragt er zögerlich und sieht kurz zu mir. „Ich habe ihm damals bei seinem Umzug in die neue Wohnung geholfen und rate mal, was ich gefunden habe." – „Äh... viele Schallplatten?", fragt er irritiert. Ja, die habe ich damals schon gerne gehört. „Einen Ring." – „Einen..." – „Einen Verlobungsring." – „Das reicht, Mabel." – „Ich denke, den Rest muss ich nicht erzählen.", meint sie schulterzuckend. Louis' Blick gleitet zu mir. „Vier Jahre.", wiederholt er und ich verdrehe die Augen, bevor ich mein Glas leer trinke. Natürlich versteht er, was Mabel ihm gerade erzählt hat. „Und... hast du den Ring noch?", fragt er mich zögerlich. „Was interessiert Sie das, Mr. Tomlinson?", frage ich bissig. „Er kann doch nichts dafür, Harry.", fährt Mabel dazwischen. „Und du solltest wirklich langsam über diesen Kerl hinwegkommen."
„Ich gehe an die frische Luft.", beschließe ich und verlasse die Bar. Verfluchter Mist. Louis hätte das nie erfahren sollen! Er hätte sowieso nie herkommen dürfen! Wieso hat er sich nicht wo anders beworben? Ich seufze und lehne mich an die Hauswand.
„Uhm... hi." Louis ist rausgekommen und kommt mit kleinen Schritten näher. Ich stöhne genervt. „Geh wieder rein." – „Können wir bitte reden?" – „Lass gut sein, Louis.", entgegne ich. Er zögert, kommt dann aber noch ein Stück näher. „Es tut mir leid, Harry, ehrlich." – „Mhm. Klar.", antworte ich sarkastisch. „Du wolltest mir einen Antrag machen?" – „Ich hatte daran gedacht, ja, aber ich glaube nicht, dass das noch wichtig ist, oder?" – „Ich wusste nicht... ich wäre nicht gegangen, wenn ich das gewusst hätte." – „Wenn du das gewusst hättest?" Er nickt und sieht einen Moment lang weg. „Ich wäre geblieben, hätte mir einen neuen Studienplatz in deiner Nähe gesucht und – es tut mir ehrlich leid, Harry." – „Wieso bist du dann gegangen?", möchte ich von ihm wissen.
„Ich... im Nachhinein klingt es sogar in meinem Kopf dumm.", lacht er ironisch. „Ich dachte, du bist ohne mich besser dran, ich habe nicht daran geglaubt, dass wir wirklich sehr lange wir sein können.", spricht er weiter. „Ich bin unsicher und schüchtern, wenn ich an einen Ort komme, den ich nicht kenne und du kannst mit einer Leichtigkeit neue Leute kennenlernen, ich dachte, das passt nicht zusammen." – „Es hat damals gepasst, oder nicht?", möchte ich von ihm wissen. „Hat es.", stimmt er mir zu und nickt leicht. „Ich war zu dumm, es zu sehen und auch, wenn es wahrscheinlich viel zu kitschig klingt, um wahr zu sein, ich bereue seitdem, dass ich gegangen bin." Überrascht sehe ich ihn an. „Das verwundert dich.", stellt er fest.
„Ein wenig.", gebe ich zu. „Ich hätte bei dir bleiben sollen.", wiederholt er. „Aber als ich das verstanden habe, war ich sicher, dass du mich hassen musst." – „Mhm." – „Lag ich etwa falsch?" – „Keine Ahnung.", antworte ich ehrlich. „Ich weiß nicht, ob ich ihr nicht noch eine Chance gegeben hätte." – „Vergangenheitsform. Du würdest mir keine Chance mehr geben, richtig?" – „Wundert dich das etwa?", frage ich ihn und er zuckt mit den Schultern. „Weißt du, ich hatte Jobangebote von vier verschiedenen Unternehmen." – „Und warum dieses?" Er schweigt. „Das ist nicht dein Ernst." – „Ich wusste, dass ich nur so mit dir sprechen könnte." – „Wieso hast du so getan, als wärst du verwundert, als du mich am Montag im Foyer gesehen hast?" – „Hättest du denn dann noch mit mir gesprochen?", möchte er wissen.
Ich zögere. „Keine Ahnung.", antworte ich ehrlich. „Ich weiß nicht, was ich von dieser ganzen Situation halten soll."
Louis nickt, atmet tief ein und wieder aus. „Geh mit mir aus." – „Was?" – „Geh mit mir aus. Bitte.", wiederholt er. So selbstbewusst und entschlossen habe ich ihn selten gesehen. „Ich habe dich vermisst, Harry, sehr.", spricht er weiter. „Und scheiße, wahrscheinlich hasst du mich tatsächlich, aber als ich wusste, dass ich dich vielleicht wiedersehen werde, wollte ich nur noch das. Wenn du mich nicht mehr... wenn du das mit uns nicht mehr kannst, verstehe ich das, dann lass uns Freunde sein, okay? Oder gute Kollegen. Ich möchte nur wieder bei dir sein können."
„Und das soll ich dir glauben?" – „Ich kann nichts beweisen.", erwidert er. „Ich kann nur hoffen, dass du es tust." Instinktiv sehe auf seine Lippen. Herr Gott, nie hat mich jemand so geküsst, wie es Louis getan hat. Nie ist jemand an ihn herangekommen. „Hass mich nicht.", murmelt er und bevor ich reagieren kann, küsst er mich auf einmal. Ich brauche einen Moment, um zu verstehen, was gerade passiert, mein Herz überholt sich selbst und meine Knie werden weich. Wie kann das nach so langer Zeit sein? Erst dann bemerke ich, dass ich den liebevollen und sehnsüchtigen Kuss erwidere.
„Ich hole dich morgen Abend ab.", beschließt Louis, als der Kuss geendet hat und ich ihn verwundert ansehe. „Was?" Er zieht mir mein Handy aus der Hosentasche und tippt seine Nummer ein. „Schreib mir deine Adresse, sonst frage ich Mabel. Und sei morgen um sieben Uhr fertig, wir gehen aus.", entscheidet er und geht wieder in die Kneipe, während ich dieses Mal derjenige bin, der perplex und überfordert einen Moment braucht, um die Situation zu begreifen.
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