16. Türchen | Handgeschriebenes Märchenbuch

Fandom: Harry Potter

Autor/in: marleenzpn

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Vorgeschichte

Minerva McGonagall war ein kluges Mädchen, dass ihre schulische Laufbahn in Hogwarts mit Bestnote absolvierte. Doch auch sie war ein wenig mysteriös, denn am Tag trug sie drei verschiedene Brillen. Eine schmale, koboldgrüne Lesebrille, eine violette Hornbrille und eine stinknormale, schwarze Brille für den Alltag. Außerdem hütete sie eine Kröte namens Mathilda, mit der nicht gerade zu Spaßen war. Sie hatte grässliche Blasen auf der schmierigen Haut, die widerlich nach Eidotter roch. Doch auch sie hatte das Herz am rechten Fleck.

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Minerva rückte ihren abgenutzten Umhang zurecht und tastete nach ihrem strengen Dutt, um zu kontrollieren, ob er wirklich auch immer noch akkurat saß. Zufrieden ließ das Mädchen ihre Hand wieder sinken und schob ihre koboldgrüne Lesebrille ein Stück weit nach oben. Sie hatte es sich in einem mit Stoff überzogenen Sessel im Gemeinschaftsraum der Ravenclaws gemütlich gemacht und schien mit den Gedanken in einer anderen Zeit zu sein.

»Was liest du denn da, Minerva«, wollte Marry wissen und beugte sich interessiert zu ihr. Ihre hellroten Stirnfransen hingen ihr zu lang über die Augen, deren Farbe undefinierbar war.

»Ach, nichts Besonderes, nur...« Schnell schloss das Mädchen aus Ravenclaw ihr Buch und legte ihre Hand über den Titel. Zu spät.

»Sind das etwa Märchen?« Neugierig grapschte die Rothaarige nach dem Wälzer und wollte es an sich bringen.

»Bitte, lass es«, forderte Minerva und funkelte ihr Gegenüber mit einem zornigen Blick an, der imaginäre Blitze abschoss.

»Ich will es erst sehen«, verlangte Marry stur und verschränkte die pummeligen Arme vor ihrer bereits mit elf Jahren üppigen Oberweite.

»Na schön«, stimmte das Mädchen zu und hielt ihr vorsichtig das Märchenbuch vors Gesicht. Ihre Gutgläubigkeit sollte leider schon bald bestraft werden...

»Oh«, grunzte Marry und fuhr mit den Fingerspitzen über den abgewetzten Buchrücken, auf dem in geschwungenen Lettern »Märchenbuch« prangte. »Ist das etwa ein Muggel-Märchenbuch?«, keifte die Rothaarige und warf der Lektüre einen verächtlichen Blick zu.

»Schon«, flüsterte Minerva und senkte beschämt ihren Blick. Da Marry aus der reinblütigen Familie Monroe stammte, verabscheute sie, wie ihre Vorfahren, Muggel und Muggelgeborene. Diese Tatsache hatte für das kleine Mädchen noch nie wirklich Sinn ergeben. Minerva empfand eine große Leidenschaft für Muggelobjekte, die sie jedoch zu verheimlichen versuchte, da sie genau diese Reaktionen nicht hervorrufen und lieber vermeiden wollte.

»Du gibst dich mit so etwas ab?«, redete die Pummelige sich in Rage. Man konnte die rote Ader unter ihrem Auge vor Missbilligung pulsieren sehen. Wie lächerlich, sich über so eine Kleinigkeit aufzuregen!

»Es ist doch meine Entscheidung«, motzte Minerva und rieb sich verärgert über die Stirn.

»Pff, du willst doch deinen Namen nicht beschmutzen!« Damit schlug Marry das Buch auf und riss wahllos Seiten heraus. Diese segelten als kleine Fetzen zu Boden und landeten kurz vor dem Kamin.

Vor Entsetzen fielen McGonagall beinahe die Augen aus dem Kopf. »Was hast du getan?«, schluchzte sie und ließ den Tränen freien Lauf. Sie kullerten an ihrer rosigen Wange hinab und landeten auf dem weichen Teppichboden. Wimmernd schlug sie sich die Hände vor den Mund und versuchte ihre Schluchzer zu dämpfen.

Marry schlug ihr fest auf den Arm. »Hör sofort auf, Heulsuse. Sei froh, dass ich es war, die bei dir war und nicht jemand Anderes. Was hätten die nur gesagt!«, rechtfertigte die Brünette ihre Tat und wirkte stolz.

Minerva wünschte ihr Böses, doch das würde das gut erzogene Mädchen niemals laut aussprechen. Doch manchmal wäre sie gerne mutiger. So wie die Helden in ihrem Märchenbuch, das nun zerfleddert auf dem Teppich ruhte. Bei seinem Anblick schüttelte es das Mädchen vor Kummer. Warum nur?

Nach einer geraumen Zeit versiegten ihre Tränen und sie wischte sich einmal unter den Augen entlang. Sie wagte sich an dem kläglichen Versuch, die Schultern zu straffen und trottete wie ein begossener Pudel die steinerne Wendeltreppe hinauf, in Richtung Mädchenschlafsaal. Diesen fand sie verlassen vor, weswegen sie sich auf ihr frisch gemachtes Bett kniete und zum wiederholten Mal ihrer Trauer Luft machte. Es war nicht nur irgendein Märchenbuch gewesen, sondern das ihrer verstorbenen Freundin Serafina.

*

Es war der Weihnachtsmorgen. Gerädert schlurfte Minerva durch den Korridor, während sie sich die Haare aus dem Gesicht strich. Zur Feier des Tages hatte sie ihre Haare einmal zu einem Mozartzopf geflochten und zu einer Schnecke gedreht. Im Korridor der Hogwartsschule begegnete das Mädchen Sir Clemence, dem einäugigen Geist.

»Guten Morgen, Sir Clemence. Fröhliches Fest«, begrüßte sie ihren Freund und winkte ihm herzzerreißend.

»Oh, wie schön Sie zu sehen, Miss McGonagall. Ihnen auch fröhliche Weihnachten.« Der Geist salutierte und schwirrte davon. Oft wäre auch Minerva gerne ein Geist, denn so könnte sie einfach verschwinden und durch dicke Wände schweben. Hach!

Das Mädchen eilte weiter in Richtung große Halle, denn dort wartete ein leckeres Weihnachtsfrühstück auf die Ravenclaw. Der köstliche Duft nach Rührei, Bohnen und Kürbissaft stieg ihr in die Nase und leitete sie. Als Minerva sich an den Ravenclaw-Tisch begab, klingelten die lauten Stimmen in ihren Ohren. Diese ausblendend häufte sie sich etwas von Allem auf ihren Teller und begann sich Gabel für Gabel in den Mund zu schieben.

Ihre Mahlzeit wurde von den Eulen unterbrochen, die die Weihnachtsgeschenke brachten. Voller Freude ließ sie ihr Essen stehen und folgte den Federtieren mit den Augen. Sie ließen die liebevoll eingepackten Päckchen vor seinen Besitzer fallen und zogen dann geschwind von dannen. Doch Minerva ging leer aus. Mit schrecklicher Gewissheit wurde der Ravenclaw bewusst, dass ihre Eltern sie vergessen hatten.

*

Das Mädchen hatte sich vor dem Kamin im Gemeinschaftssraum ausgebreitet, mit der quakenden Mathilda an ihrer Seite und starrte betrübt in das flackernde Feuer. Warum hatten alle ihre Geschenke bekommen, nur sie nicht? Im Grunde ging es ihr nicht um die materiellen Dinge, sondern um die Gesten.

»Minerva?« Eine Stimme riss die Ravenclaw aus ihren Gedanken heraus, zurück in die traurige Gegenwart. Über ihr stand ein etwas breiteres Mädchen. Marry Monroe. Abrupt spürte Minerva Zorn in ihr aufsteigen, den sie versuchte, mit ihrer bloßen Willenskraft zu verdrängen.

»Was willst du?«, erkundigte sie sich, wobei ihre Stimme nicht ganz so fest klang, wie ursprünglich beabsichtigt.

»Ich-ich«, stotterte Marry und schluckte mühsam, »ich wollte mich bei dir entschuldigen. Für alles. Für mein schlechtes Benehmen dir gegenüber, aber auch für meine Worte. Ich habe gesehen, dass keine Post für dich kam. Das tut mir wirklich leid.«

Minerva horchte auf. Wann hatte die junge Monroe sich jemals zuvor bei ihr für ihre Taten entschuldigt?

Stumm nickte Minerva und wartete gespannt darauf, dass Marry fortfuhr.

»Ich habe hier etwas für dich.« Gespannt reichte sie ihr das Päckchen, dass hektisch in Geschenkpapier eingepackt worden war.

Irritiert riss McGonagall daran. Was konnte sie ihr denn bloß schenken? Zum Vorschein kam ein unscheinbares, ledernes Notizbuch.

»Was ist das?«, konnte die Ravenclaw sich die Frage nicht verkneifen.

»Ein Märchenbuch. Aber nicht nur Irgendeins; ich habe mir Eigene ausgedacht und sie für dich festgehalten.« Marry wirkte nicht mehr so überzeugt, wie es anfangs der Fall war. Doch Minerva war es umso mehr. »Das ist wunderbar!«, kreischte sie und fiel dem Mädchen um den Hals. Diese tätschelte ihr unbeholfen den Rücken und bekam puterrote Wangen.

»Schön, dass es dir gefällt«, freute Marry sich und klatschte zufrieden in die speckigen Hände. »Und wie!«, bemerkte McGonagall ausdrücklich und fuhr behutsam über den altertümlichen Buchdeckel.


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