Der Duft der Weihnachtszeit
Der süßliche Duft von frisch gebackenem Lebkuchen streift durch das Haus, erfüllt jeden einzelnen Winkel. Das letzte Blech ist aus dem Ofen geholt, die Lebkuchenmännchem vom ersten liegen bereits in der Dose.
Naja, bis auf einer jedenfalls. Während alles um ihn herum friedlich zu seien scheint, versucht das kleine Lebkuchenmännchen an der glatten Oberfläche der Keksdose hochzuklettern. Er weiß nicht, was ihn dahinter erwarten wird, doch er ist sich sicher, dass es allemal spannender ist, als in einer Keksdose zu liegen.
Mit aller Kraft zieht sich das kleine Geschöpf am Dosenrand hoch, bevor es sich auf diesem eine kurze Verschnaufpause gönnt. Lange Zeit hat das Gebäck jedoch nicht. Kaum, dass sich die Besitzerin der Keksdose nach dieser umdreht, hüpft der kleine Lebkuchenmann herunter, um sich hinter seinem einstigen Gefängnis zu verstecken.
Er hat Glück, die Frau möchte lediglich nach einem Teller über ihm greifen, dann wendet sie sich auch schon wieder dem Ofen zu.
Auf Zehenspitzen pirscht sich der Lebkuchenmann voran. Sollte ihm die Keksdose eben noch wie ein unüberwindbares Hindernis vorgekommen sein, so ist das nichts im Vergleich zu der Überwindung der Höhe zum Fensterbrett, die dem Kleinen jetzt bevorsteht.
Einen Moment steht er ratlos da, bis sein Blick auf die Vorhangschnur fällt, die nur wenige Zentimeter über ihm baumelt. Ohne groß zu zögern springt der Lebkuchenmann in die Höhe, bekommt das Seil zu fassen und zieht sich an diesem hoch.
Noch einmal blickt der kleine Lebkuchenmann zurück, als er an der Fensterbank des Küchenfensters steht, dann jedoch dreht er sich um und setzt sein Abenteuer fort.
Es dauert eine Weile, bis das kleine Geschöpf die Straßen erreicht. Zwischen so vielen Ecken und Winkeln hatte es sich erst einmal zurechtfinden müssen. Und auch, als er den breiten Weg endlich erreicht hat, weiß er nicht so wirklich, wohin mit ihm.
Für einen Moment bleibt er stehen, versucht in dem ganze Wirrwarr aus unbekannten Dingen etwas zu finden, was er kennt, etwas, dem er folgen kann. Nicht nur einmal dreht er sich dabei im Kreis, als ihm tatsächlich etwas Bekanntes in die Nase steigt. ‚Diese Süße...' Genau so hatte es auch in der Küche der Frau gerochen. Noch einmal blickt der Lebkuchenmann nach rechts und links, bevor er schulterzuckend in die Richtung läuft, aus der dieser süßliche Geruch kommt.
Nicht lange und es war mehr, als nur ein süßlicher Geruch, welcher den Lebkuchenmann dazu verleitet, seinen Weg fortzusetzten. Auch die vielen Lichter und Lieder die er die Straße herunter entdecken kann, haben es ihm angetan.
Das Klettern hat er mittlerweile gut geübt und so schafft er es auch recht gut, an der holzigen Fassade hochzuklettern, um verdeckt von einem Stück Stoff um die Ecke zu spinzen. Jetzt, wo er es mit eigenen Augen sieht, versteht der kleine Kerl, was ihn da angelockt hat. Auch wenn er nicht weiß, dass es gebrannte Mandeln sind, die ihn verzaubert haben, so kann er doch nicht anders, als sich eine zu stibitzen und genüsslich auf der Zunge zergehen zu lassen.
Der Kleine hat die Mandel noch gar nicht wirklich fertig gekaut, da steigt ihm ein neuer Geruch in die Nase. Auch er hat etwas Süßliches. Und doch ist er so anders, als die Mandel, auf die er sich gerade eben noch so gefreut hat.
Von der Neugier gepackt, huscht der kleine Lebkuchenmann von Häuschen zu Häuschen, einmal quer durch die Menschenmassen, bis er den Erzeuger dieses Geruches ausfindig gemacht hat.
Verblüfft starrt er auf die orangenen, runden Dinger. Mit den schwarzen Teilen, die überall in sie gepiekt worden sind, sehen sie beinahe aus, wie ein Igel. Doch riechen sie nicht wie einer.
Einen Moment schenkt der Lebkuchenmann seiner Entdeckung noch, doch wie es aussieht, hat er nicht sonderlich viel für die mit Nelken bestückten Orangen übrig.
Interessiert schleicht sich der Keks von Stand zu Stand; erkundet alles, was es zu erkunden gibt. Lange blickt er in den hellen Schein einer Kerze und liefert sch einen Anstarrwettbewerb nach dem anderen mit den vielen Holzfigürchen die er überall findet. Allesamt verliert er.
Am Ende aber ist es einer der Teestände, von welchem man den Lebkuchenmann gar nicht mehr wegzubekommen scheint. Egal ob es ein Früchtetee, ein schwarzer Tee oder doch ein Rooibostee ist, hinter welchem er kurz Schutz sucht, er genießt jede einzelne Sekunde in seinem Versteck. Jedoch lässt sich auch dabei ziemlich schnell ein ganz klarer Favorit herausnehmen. Es ist der Bratapfelgeruch, welcher den Kleinen so sehr verzaubert, dass er gar nicht mehr weiß, wohin mit sich.
Über beide Ohren strahlend und mit einem Gefühl der unendlichen Zufriedenheit im Herzen, wuselt der kleine Lebkuchenmann weiter über den Weihnachtsmarkt, hält hier an, hält da an. Immer darauf bedacht, bloß von niemandem gesehen zu werden.
Doch irgendwann ist auch dieses Abenteuer vorbei. Nur noch eine letzte Sache hat die Aufmerksamkeit des Kekses auf sich gelenkt. Er kann gar nicht beschreiben, was es war. So etwas hat er in seinem kurzen bisherigen Leben noch nie zuvor gesehen. Aber eines weiß er: Er muss da hinauf!
Am Rande des Weges, dort wo ihn niemand sehen würde, schleicht sich der Lebkuchenmann immer näher, bis sein Ziel schließlich zum Greifen nah ist. In Eilgeschwindigkeit, so schnell, wie er noch nie gerannt ist, flitze das kleine Ding den letzten Meter und schafft es gerade noch so, sich an einem Bändel der Verzierung festzuhalten, bevor sich die Gondel in Bewegung setzt.
Und als das Riesenrad das nächste Mals stehen bleibt, sind es nicht nur die vielen Augen aus den Gondeln, die die Aussicht bestaunen, auch ein kleiner Lebkuchenmann steht am höchsten Punkt des Fahrgeschäftes und blickt mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen in die sternenklare Nacht hinaus.
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