2. Advent
Roskilde, Dänemark
„So unterschiedlich sind unsere Schneelandschaften gar nicht."
„Jeg ved, skat."*
„Ich denke, es war eine gute Idee, dass wir dieses Jahr hier in deiner Heimat feiern. Ich mag es hier sehr gerne."
Lächelnd schob sich Kevin näher an seinen Freund, konnte einfach nur glücklich gucken, als er Nicholas sanft küsste. Sie waren gerade wach geworden und Nicholas hatte sofort erkannt, dass es wohl auch in der Nacht durchgehend geschneit haben musste. Eine dicke Schicht Schnee hatte sich in ihrem Garten breit gemacht und es schien auch nicht so, als wollte es demnächst aufhören zu schneien.
„Kanada ist auch sehr schön. Ein großartiges Land. Und ich mochte unsere Feier vorletztes Jahr dort auch sehr gerne. Es war schön, dass unsere Familien zusammen feiern konnten."
Nickend schmiegte er sich an den Älteren, malte kleine Muster auf die nackte Brust und erzitterte im nächsten Moment, als Kevin seine Hände über seinen Rücken zum Po wandern ließ. Auch nach guten drei Jahren Beziehung wurde er noch immer zu Wachs unter den Händen des Dänen.
„Ist es eigentlich böse von mir, dass ich schon froh bin, dass Laura und Agnes bei ihrer Mom sind? Macht mich das zu einem schlechten Vater?"
Nachdenklich legte Kevin sein Kinn auf den schwarzen Haarschopf, welcher an seiner Brust ruhte. Nicholas und er genossen jede Sekunde mit ihren Töchtern, saugten alles auf, was ihre beiden Engel machten. Und trotzdem gab es manchmal kleine Momente, in denen er ein wenig erleichtert war, wenn sich Louise um die beiden kümmerte. Gerade Agnes mit ihren erst sechs Monaten brauchte noch öfter ihre biologische Mutter. Laura war weitestgehend bei Nicholas und ihm und er war seinem Freund mehr als nur dankbar, dass dieser die Elternzeit übernommen hatte.
Es war nicht so, dass es ihnen nicht in die Karten gespielt hatte, dass Nicholas dieses Jahr kein Cockpit bekommen hatte. Die ganze Saison über hatte es sich schon abgezeichnet, dass es für seinen Partner nicht reichen würde und dass der junge US-Boy den Platz neben Alex bekommen würde. Und wo andere wahrscheinlich in ein tiefes Loch gefallen wären, schlug Nicholas nur Vorteile aus dieser Situation.
Gerade nach der doch sehr frühen Geburt ihrer ersten Tochter, wo sie beide kaum Zeit hatten, war es Nicholas gewesen, der dort schon überlegt hatte, mit dem Fahren aufzuhören. Obwohl er selbst zu diesem Zeitpunkt keine Formel 1 mehr gefahren war, war Zeit trotzdem ein sehr schwindender Faktor, welchen er bis heute schon bereute, nicht eingeräumt gehabt zu haben. Louise hätte ihn damals viel mehr gebraucht, als ihre Tochter Anfang 2021 als Frühchen auf die Welt gekommen war. Diese Zeit war für Nic und ihn als Paar nicht einfach gewesen, hatten sie doch ständig Angst um ihre Tochter gehabt. Aber sie durften auch Louise nicht außen vor lassen. Seine beste Freundin seit Kindertagen, seine engste Vertraute und beste Seele, die sich zwei schwule Rennfahrer wünschen konnten. Es war Louise gewesen, die auf sie beide zugekommen war, als irgendwann das Thema Kinder aufgekommen war.
Noch heute war er der jungen Frau unendlich dankbar, ihm und Nicholas zwei wunderschöne Töchter geboren zu haben.
„Wir sind keine schlechten Väter, weil wir uns Zeit für uns nehmen. Du weißt, dass Louise jederzeit für uns da ist, dass sie Laura und Agnes jederzeit zu sich nimmt. Wir können jederzeit zu den kleinen Mäusen. Wir müssen nur aus der Haustür raus und knappe zehn Minuten laufen."
Wenn diese Welt nur nicht so engstirnig und homophob wäre, könnten Nicholas und er als normale kleine Familie durch die Weltgeschichte schlendern. Müssten sich gemeinsame Urlaube nicht haargenau überlegen, müssten sich keine Alibifrauen zulegen und manche Menschen anlügen. Nicht mal unter ihren Kollegen in der Formel 1 wussten alle Bescheid. Es gab nur eine Handvoll Fahrer, die wussten, dass Nicholas und er seit Anfang 2020 ein Paar waren. Der Kanadier hatte ihn damals einfach umgehauen. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Nicholas hatte ihn im Hotel über den Haufen gerannt und sich so oft entschuldigt, bis Kevin den Jüngeren lachend an sich gezogen und erklärt hatte, dass alles in Ordnung war. Er würde nie das ungläubige Gesicht seines Freundes vergessen, wie ihn dieser groß angeguckt hatte. Wahrscheinlich war Nicholas damals auch nur vom Schlimmsten ausgegangen, kannte auch nur die düsteren Geschichten über Kevin Magnussen. Aber schnell hatte er den anderen vom Gegenteil überzeugen können, auch wenn dies hauptsächlich in ihrem privaten Umfeld und ihren privaten Räumen geschah. Für die Öffentlichkeit war Kevin noch immer oft unnahbar.
„Ich wünschte, es wäre einfacher. Hier in Dänemark ist man nicht so verbohrt und homophob. Aber leider zählt das ja nicht überall. Ich möchte doch nur wie jeder andere Mann mit seinem Freund durch die Stadt gehen, zusammen den Urlaub verbringen und unsere gemeinsamen Töchter großziehen. Hast du eine Ahnung, wie sehr mein Herz geschlagen hat, als Laura dich far Nicky genannt hat? Echt, ich dachte, mir würde das Herz vor Stolz aus der Brust springen."
Ein warmes Gefühl breitete sich in seinem Bauch aus, als auch er sich an diesen Tag erinnerte.
„Nicht doch, Laura. Alles gut, Kleine."
Achtsam hob er das kleine blonde Mädchen auf seine Arme und drückte diese sanft an sich.
Die dicken Tränen kullerten über das Gesicht, während Nicholas hilflos versuchte, Laura etwas zu beruhigen. Ausgerechnet jetzt war Kevin nicht da, brachte Louise zum Flughafen.
Es war nicht das erste Mal, das er mit der Anderthalbjährigen allein war, aber es war das erste Mal, dass die Kleine beim Toben gestürzt war und sie dabei allein waren. Ihre kleine Tochter war so eine kleine Lebemaus, tobte und spielte durch den Garten und das Haus.
„Soll ich pusten?"
„Ja."
Schniefend klammerte sie sich an den Hals von Nicholas, welcher sie vom Garten in das Haus trug, wo er Laura auf die Couch setzte und sich vor diese kniete.
„Das sieht gar nicht so schlimm aus."
Lächelnd strich Nicholas über das Knie, auf welches Laura gefallen war und wo sich eine kleine Abschürfung zu sehen war. Es war nichts Schlimmes, was ihn natürlich erleichterte, aber für ihre Tochter war es schlimm. Und es tat weh.
„Soll ich einen magischen Kuss auf dein Knie geben?"
„Kein Aua mehr?"
Liebevoll schüttelte Nicholas den Kopf, beugte sich etwas herunter und platzierte einen kleinen Kuss auf die abgeschürfte Haut.
„Und?"
Große blaue Augen sahen ihn an. Tränen hingen in den blonden Wimpern und beim Lächeln zeigte sich eine Zahnlücke.
„Danke, far Nicky."
Als Laura ihn das erste Mal Papa genannt hatte, war das einer der schönsten Momente in seinem Leben gewesen. Nicht mal seine erste Fahrt in einem Formel-1-Wagen hatte da mithalten können. Laura hatte ihn vom ersten Tag an in ihren Bann gezogen. Die ersten Wochen waren sehr schwer, weil ihre Kleine zu früh auf die Welt kam und er sie durch Corona nicht wirklich im Krankenhaus besuchen durfte. Außer ihren Familien und ganz engen Freunden wusste niemand, dass Kevin und er ein Paar waren, dass Louise die beste Freundin von Kevin war und ihnen den Kinderwunsch erfüllt hatte.
„Hey? Warum guckst du so traurig? Eben hast du noch so gestrahlt."
„Weil niemand von uns weiß, durfte ich nicht ins Krankenhaus. Ich hätte dir damals so gerne beigestanden. Und Louise natürlich auch. Und verstehe mich nicht falsch, Kevin. Ich möchte nicht, dass man uns verachtet, bedroht und den Tod an den Hals wünscht, aber manchmal wünschte ich mir, es wäre einfacher. Laura und Agnes sind auch meine Töchter. Auch wenn Louise und du die biologischen Eltern seid. Stell dir vor, was es für Fragen gegeben hätte, wenn Louise bei der zweiten Schwangerschaft mein Sperma genommen hätte? Ich bin schwarzhaarig. Wie hoch ist die Chance, dass unser Kind auch mit dunklen Haaren auf die Welt gekommen wäre? Man hätte ihr doch unterstellt, dir fremdgegangen zu sein. So wirklich habe ich noch keinen Skandinavier mit dunklen Haaren gesehen."
„Ist nicht dieser kleine Schwede in der Formel 3 dunkelhaarig?"
Auch wenn die Situation nicht lustig war, musste Nicholas schmunzeln.
„Dino hat aber auch bosnische Wurzeln."
„Ach, Nicky. Ich weiß, was du meinst."
Elegant rollte sich Kevin auf seinen Freund, legte den Kopf schief und genoss für einen kurzen Moment den hübschen Anblick unter sich. So eine kinderfreie Zeit war schon Gold wert. Unter normalen Umständen hätte Laura ihr Schlafzimmer sicher schon geentert und Aufmerksamkeit gefordert. Und die bekam ihre kleine Maus auch. Aber so als Dad vermisste man schon gewisse Intimitäten mit dem Freund, die man mit einer lebhaften fast Dreijährigen eben nicht so freizügig auskosten konnte.
„Laura und Agnes sind unsere Kinder. Biologisch mag ich der Vater der beiden sein, aber wir sind ihre Eltern. Wären wir uns in einem anderen Leben begegnet, hätten wir vielleicht eine ganz normale Familie sein können. Zwei Väter. Zwei Kinder. Ich bin dir dankbar, Nicholas, dass du bei Laura geblieben bist, als ich ein weiteres Mal ein Cockpit bekommen habe."
Dass er den Rennsport schmerzlich vermisste, konnte Nicholas nicht behaupten. Er liebte seine Rolle als Vater und verbrachte unheimlich gerne Zeit mit ihren Töchtern. Louise war ihm dabei immer wieder eine große Hilfe. Mit einem kleinen Baby und einem lebhaften Flummi als Tochter war er manchmal doch etwas überfordert, gerade wenn Kevin unterwegs war.
„Wir hatten das Thema oft genug, Kevin. Ich bereue es nicht, dass ich kein Cockpit mehr habe. Die Formel 1 hat mir nicht mehr das gegeben, was ich am Anfang verspürt habe. Und wir wissen beide, dass ich nicht zu den Besten gehörte, auch wenn du das vielleicht anders sehen magst. Ich liebe unsere Töchter und ich gehe in der Rolle als Papa richtig auf. Natürlich wäre ich gerne mit Laura in deiner Box, aber Louise vertritt mich schon sehr gut. Und sie sorgt auch nicht für Gesprächsthemen, so wie ich es tun würde."
Liebevoll ließ Nicholas seine Finger durch die blonden Haare gleiten. Er wusste, wie sehr Kevin daran zu knabbern hatte, dass sie während der Saison nicht so viel Zeit als Familie oder als auch Paar hatten. Die kostbare Zeit zwischen freien Rennwochenenden wurde ausgiebig genutzt und sie versuchten auch so, immer wieder Paarzeit freizuschaufeln, was angesichts der Tatsache, dass sie in der Öffentlichkeit nicht geoutet waren, verdammt schwierig war.
Aber irgendwie hatten sie es in den drei Jahren geschafft, eine intakte Beziehung aufzubauen. Sie wurden Eltern zweier wunderschöner Töchter und alle Menschen, denen sie vertrauten und die sie liebten, wussten um ihr Geheimnis, halfen ihnen oft bei ihren Versteckspielen, damit nicht die falschen Personen etwas mitbekamen. Es mochte nicht einfach sein, gerade mit Kindern, aber sowohl Kevin als auch Nicholas wussten, wozu diese Mühen alles Wert waren.
+
„Skat, er du sikker på Nicholas vil have danks mad?"**
„Ja, mor. Jeg er sikker. Nicholas har også ofte spist delikatesser fra Danmark. Vi hat været sammen i tre år. Det skete at vi smagte på hinandens typiske køkken."***
„Ich möchte, dass der Junge hier eine schöne Zeit hat. Und irgendwie möchte ich nicht, dass er schlecht von uns denkt wegen der Traditionen."
„Mama." Lächelnd legte Kevin die Arme um seine Mutter und drückte diese an sich. Traditionen wurden in ihrer Familie großgeschrieben. Und die meisten und vor allem wichtigsten hatte er Nicholas schon im ersten Jahr ihrer Beziehung erzählt.
Da sie nun aber das erste Mal Weihnachten in Dänemark verbringen würden, war es seiner Mutter sehr wichtig, dass alles perfekt verlief.
„Nicholas weiß, dass wir am Abend vor Heiligabend unsere Tannenbäume schmücken. Und er weiß von dem üppigen Festmahl, welches es an Heiligabend geben wird. Ich habe ihn auf Schweinebraten, Ente, selbstgemachten Rotkohl, Kartoffeln und Soße vorbereitet. Und natürlich auf unser beliebtes Weihnachtsdessert Risalamande."
Kaum ausgesprochen, beschleunigte sich sein Herzschlag.
Natürlich hatte er Nicholas auch den Hintergrund dieses Desserts aus Milchreis und Kirschsauce erklärt. Das Familienmitglied, welches die versteckte Mandel findet, bekommt ein zusätzliches Geschenk.
„Alt bliver okay, dreng."****
„Jeg er bare nervøs. Og jeg er bange. Hvad hvis Nicholas siger nej?"*****
„Wird er nicht."
Fast schon leidend verzog Kevin sein Gesicht. Wieso waren sich Mütter immer so sicher? Er lief schon seit Wochen fast auf dem Zahnfleisch, weil er am Heiligabend alles richtig machen wollte. Aber es lief natürlich nicht alles wie erhofft. Erst hatte er keine Ringe gefunden, dann wurden diese fast nicht rechtzeitig fertig. Und hinzukam, dass er Nicholas einfach nicht verlieren konnte. Der Kanadier war der Mann, den er nicht mehr gehen lassen wollte. Der Mann, der sein Leben verändert hatte.
Nicholas war alles für ihn.
Sein Partner.
Sein Seelenverwandter.
Sein Ruhepol und Anker.
Seine bessere Hälfte.
Und der beste Papa, den Laura und Agnes hätten haben können.
Für nichts auf der Welt wollte er den Jüngeren verlieren. Und so wirklich hatten sie noch nie über das Thema Heiraten gesprochen, da es für sie beide eigentlich nicht in Frage kam. Auch wenn es ihm wohl niemand zutrauen würde, so war schon ein kleiner Romantiker in ihm und gerne hätte er Nicholas eine traumhafte Hochzeit ermöglicht - mit allem, was dazugehörte. Sollte sein Freund den Antrag annehmen, würden sie einen logistischen und sicheren Plan entwerfen müssen, damit nichts nach außen drang, was da nicht hingehörte.
„Kevin, hör auf, dir unnötige Gedanken zu machen. Keiner deiner Partner hat dich so glücklich gemacht wie Nicholas. Dein Vater und ich kennen einige. Es gab auch bezaubernde Partner, aber keinen von ihnen haben wir so lange an deiner Seite gesehen, dass eine Hochzeit in Frage gekommen wäre. Bei Nicholas ist das ganz anders. Er ist der Richtige."
Seufzend ließ sich Kevin in die Arme seiner Mutter fallen.
So oft hatte diese Frau schon recht gehabt, hatte ihn auf all seinen Wegen begleitet. Vom Outen bis zur Karriere in der Rennserie hatte er sie immer an seiner Seite gehabt. Kevin war dankbar für die bedingungslose Unterstützung, die er bekam, die Nicholas bekam. Vom ersten Moment an hatten seine Eltern den Kanadier ins Herz geschlossen und ihm sehr schnell zu verstehen gegeben, dass er diesen bloß nie wieder verlieren sollte.
„Ich bin froh, dass Nicholas und Laura heute Morgen spazieren gehen wollen. So kann ich meine Nerven etwas beruhigen, ohne das Gefühl haben zu müssen, ich würde mich jeden Moment verraten."
„Schatz, es ist vollkommen normal, dass du nervös bist. Es ist ein großer Schritt, den du mit Nicholas gehen möchtest. Aber ich versichere dir, dass er Ja sagen wird. Er liebt dich von ganzem Herzen. Und ehrlich, Junge? So einfach hast du es anderen nie gemacht. Aber Nicholas brauchte dich nur umrennen."
Auch damit hatte seine Mutter recht.
Nicholas hatte zwar nach dem Zusammenprall so was wie Angst gehabt und auch die ersten Tage nach diesem Zusammenstoß war ihm dieser aus dem Weg gegangen, bis es ihm zu bunt wurde und er Nicholas zur Rede gestellt hatte.
„Latifi! Mitkommen. Sofort."
Eingeschüchtert versuchte Nicholas, einen Fluchtweg zu finden. Aber da sein Glück ihn scheinbar nicht mehr gernhatte, fand er natürlich keinen, so dass er Kevin ausgeliefert gegenüberstand. Dabei hatte er so krampfhaft versucht, dem Dänen aus dem Weg zu gehen. Der Zusammenprall von vor ein paar Tagen war ihm noch immer peinlich, aber das Verhalten des Älteren danach hatte ihn richtig erschrocken, ja sogar Angst eingejagt.
Als Neuling kannte er diverse Geschichten über Kevin Magnussen. Dementsprechend hatte er schon mit seinem Ableben gerechnet, als er diesen umgerannt hatte. Aber nichts dergleichen war geschehen. Sein Kopf ruhte noch auf den Schultern und Kevin hatte sich herrlich amüsiert.
„Wieso gehst du mir aus dem Weg?"
„Mache ich gar nicht."
Bedrohlich baute sich Kevin vor dem Schwarzhaarigen auf, welchen er kurzerhand in sein Fahrerzimmer entführt hatte. Zwar gab es einige ungläubige Blicke, als er mit dem Williams-Piloten im Schlepptau die Hospitality betrat, aber die meisten sagten nichts, ließen sie einfach durchgehen.
„Was habe ich dir getan?"
„Nichts?"
Verbissen vermied Nicholas es, den Kopf zu heben. Er würde es nicht schaffen, den Augen von Kevin standhalten zu können. Der Blick war durchdringend, manchmal etwas gefährlich und feurig, genau die Mischung, die ihm am ganzen Körper eine Gänsehaut bescherte.
Und ein weiterer Grund, weswegen er versuchte, Kevin aus dem Weg zu gehen.
„Nicholas, ich weiß, was über mich erzählt wird. Davon ist nur ein Bruchteil wahr. Willst du mich nicht lieber persönlich kennenlernen, um dir ein Bild zu machen? Oder dem blind glauben, was gesagt wird?"
Hart schluckte Nicholas den Kloß im Hals herunter, als Kevin nur wenige Zentimeter von ihm entfernt stand. Er konnte die Wärme des anderen förmlich spüren. Aber noch deutlicher spürte er die warme Hand, welche sich auf seine Wange legte.
„Sieh mich an."
Zögernd hob er den Kopf, blinzelte ungläubig.
Kevin lächelte.
Und wie der Däne lächelte.
„Danke, Mama."
„Immer wieder gerne, mein Sohn. Nicholas ist so ein liebeswerter Mann, ein herzensguter Papa. Ihr seid füreinander bestimmt. Und wann, wenn nicht an Heiligabend, sollte man dem Menschen, den man liebt, die Frage aller Fragen stellen?"
Kevin nahm sich noch einen Moment, um die Nähe und mütterliche Liebe zu genießen. Schon seit fast einem halben Jahr plante er diesen besonderen Moment, hatte seine Mutter vom ersten Gedanken an mit einbezogen. Sie hatte ihm mit Rat und Tat zur Seite gestanden, hatte ihm sogar einige Juweliere herausgesucht, wo er bei einem tatsächlich auch fündig geworden war. Die Entscheidung für den richtigen Ring war in dem Moment, wo er diesen gesehen hatte, von allein gefallen und seitdem hatte er dieses kleine schmale Metall bei sich.
+
„Wirklich. Ich kann nicht mehr. Wenn ich nachher noch mit euch um den Tannenbaum tanzen soll, sollte ich nichts mehr essen. Die Gefahr, dass ich sonst rolle, ist sehr groß."
Eine Mischung aus Leid und vollkommener Zufriedenheit lag auf seinen Gesichtszügen, als er Kevin lächelnd anblickte.
Das Essen - von der Vorspeise bis zum Schweinebraten mit leckerem Rotkohl und der Ente - hatte Nicholas mit jedem Happen genossen. Es war nicht nur, weil er höflich sein wollte. Das Essen, welches Kevins Mom zubereitet hatte, war unglaublich lecker und er konnte mehr denn je nachvollziehen, warum Kevin das Essen seiner Mom so gernhatte. Anders als bei seinem Freund war es bei ihm zu Hause etwas anders. Seine Mom konnte zwar auch kochen, aber eigentlich hatten sie immer Angestellte gehabt, die das übernommen hatten. Die Zeiten, wo er mit seiner Mom zusammen gekocht hatte, waren rar und deswegen umso wertvoller für ihn gewesen.
„Wirklich? Vermisst du nichts? Ich hätte auch was aus Kanada zubereiten können."
„Nein, das ist nicht nötig. Ich gebe zu, euer Julefrokost war etwas gewöhnungsbedürftig. Ich bin nie so mit Hering oder Leberpastete in Berührung gekommen. Aber seit ich mit Kevin zusammen bin, hat er mir Dänemark wirklich sehr ans Herz gelegt. Ich liebe euer Land. Es ist so schön hier und ich mag gerade zur Weihnachtszeit die ganzen Traditionen. Laura hat heute beim Sparzierengehen einen Nisse gesehen."
Erst als Kevin ihm die Bedeutung dieses kleinen Wichtels und die Bestandteile der dänischen Weihnachtstradition erklärt hatte, wurde Nicolas bewusst, wie sehr die Dänen ihr Weihnachten liebten und feierten.
„Laura liebt die Nisse."
„Welches Kind nicht? Es ist eine schöne Tradition."
Zufrieden lehnte sich Nicholas an den Blonden, während Laura auf seinen Schoß geklettert war und glucksend mit ihrer Puppe spielte. Noch konnten sie die fast Dreijährige beschäftigten. Aber je näher die Bescherung rückte, desto zappeliger wurde ihre Tochter. Agnes nahm von dieser ganzen Aufregung nichts wahr. Sie lag zufrieden schlafend in ihrer Wiege, welche sie vom Esszimmer aus direkt sehen konnten.
„Ich finde es wirklich schön, dass wir in kleiner Runde feiern. Das ist so gemütlich und urig."
„Stimmt. Als wir Weihnachten bei dir in Kanada bei deiner Familie gefeiert hatten, war das ja schon ein Event."
Events und Shows kannte er ja von seinem Job als Rennfahrer in der Formel 1. Aber das, was sie letztes Jahr bei Nicholas' Eltern bekommen hatten, war tatsächlich ein Erlebnis gewesen, das er so auch noch nie gesehen hatte. Er selbst kannte Weihnachten – gerade den Heiligen Abend – als Familienfest mit leckerem Essen, gemütlichem Zusammensitzen und Geschenke auspacken und natürlich allen dänischen Traditionen. Bei Nicholas sah man das etwas anders - aufwendiger, luxuriöser und pompöser.
„Sind deine Eltern sehr traurig, dass ihr Heiligabend hier seid?"
„Nein, überhaupt nicht. Es ist auch fair. Letztes Jahr waren wir bei ihnen. Dieses Jahr wollte ich unbedingt ein Weihnachten erleben, wie es mir Kevin immer vorgeschwärmt hat. Ich glaube auch nicht, dass die Party meiner Eltern was für ein kleines Baby gewesen wäre. Für Laura war das letzte Jahr schon sehr aufregend und reizüberflutend."
Laura war tatsächlich überfordert gewesen. Mit ihren gerade mal zwei Jahren waren all die Menschen fast schon zu viel gewesen, so dass ihre Kleine die meiste Zeit bei Kevin oder ihm selbst war. Auch die unzähligen Geschenke konnten nicht darüber hinwegtrösten, dass es zu viel für Laura war.
„Ich weiß, du bist satt, Nicholas. Aber das Dessert muss noch einen Platz finden."
Fast schon jammernd, aber lächelnd nickte Nicholas. Er war pappsatt. Aber schon den ganzen Tag über hatte er diesen leckeren Geruch von Milchreis und Kirschsauce in der Nase und er freute sich fast schon kindlich auf das Dessert. Immerhin hatte er die Chance auf die Mandel und somit auf ein zusätzliches Geschenk. Nicht, dass er es unbedingt brauchte. Aber die Vorfreude war eben groß.
Dass Kevin etwas nervös neben ihm wirkte, realisierte er zwar, aber er schob es einfach darauf, dass sich sein Freund über dieses familiäre Weihnachten freute.
Genüsslich ließ er sich den Milchreis schmecken, teilte schmunzelnd mit Laura, welche noch immer auf seinem Schoß saß.
Glücklich lauschte er den Worten, die Kevins Mutter von sich gab, als er mit einem Mal die Augen zusammenkniff.
„Far. Far! Die Mandel. Du hast Geschenk extra." Begeistert klatschte Laura in die Hände, lachte hell auf.
„Ich habe doch schon alles, meine Süße. Ich habe dich und Agnes und deinen Papa." Liebevoll legte er die Arme um Laura, drückte diese zaghaft an seine Brust und gab kleine Küsse auf die strohblonden Haare. Alles, was man mit Geld kaufen konnte, war für ihn machbar, aber auch für Kevin. Aber sie hatten sich beide nie viel aus dem ganzen Geld gemacht, nahmen aber zur Kenntnis, dass sie damit vieles Gutes tun konnten. Alles, was er selbst brauchte, waren die Menschen, die er liebte und seine Freunde.
„Ich ... ich hätte da ein kleines Geschenk."
Neugierig drehte Nicholas seinen Kopf zur Seite, öffnete den Mund, wollte Kevin noch mitteilen, dass dies nicht nötig war. Aber als er seinen Freund anblickte und sah, was dieser in Händen hielt, blieb ihm einfach die Sprache weg. Sein Herzschlag verdoppelte sich und instinktiv hielt er Laura fester an sich gedrückt.
„Oh Mann. Ich habe mir so viele Worte zurechtgelegt. Und ja, ich hätte auf meine Mutter hören sollen, die sagte, ich solle mir was notieren. Aber ... aber alles, was ich dir sagen werde, kommt vom Herzen. Nicholas, der Tag, als du in mich reingerannt bist, war der beste aller Zeiten, auch wenn du das damals nicht direkt so gesehen hast."
Etwas wackelig schob sich ein Grinsen auf sein Gesicht, als Nicholas auch schon das Brennen hinter den Augenlidern spürte.
„Ich liebe dich. Ich habe neben meinen Töchtern noch nie einen Menschen so geliebt wie dich. Du bist alles, was ich will, was ich brauche. Du bist die Person, die ich morgens beim Aufwachen sehen möchte und die ich beim Zubettgehen in die Arme schließen möchte. Du bist der Mann, auf den ich gewartet hatte, mit dem ich mir eine Familie vorstellen konnte. Ich könnte so vieles sagen und würde nie müde werden. Ich möchte den Rest meines Lebens mit dir verbringen. Ich möchte, dass unsere Töchter deinen Namen bekommen, und ich möchte uns nicht mehr verstecken. Ich will allen zeigen, dass ich den perfekten Partner, den herzlichsten und liebevollsten Freund und Far an meiner Seite habe. Also, Nicholas Latifi, möchtest du mich heiraten?"
Seine Sicht war von den Tränen ganz verschwommen und immer wieder hatte Nicholas schlucken müssen. Geräuschvoll zog er die Nase nach oben, als er blinzelnd den schlichten goldenen Ring in der Schatulle erblickte.
„Natürlich will ich das. Gott, Kevin. Ja. Ja! Ja und wie ich das will!"
+
Es funkelte. Je nachdem, wie er den Finger drehte, funkelte und strahlte der schmale Ring an seinem Finger.
Wie gebannt schaute sich Nicholas diesen seit einigen Minuten an, konnte nicht glauben, dass er tatsächlich einen Verlobungsring am Finger hatte. Sein Bauch kribbelte freudig und seine Brust strahlte wohlige Wärme aus.
„Vergewisserst du dich, dass es real ist?"
Starke Arme schoben sich von hinten um seinen Bauch. Ein sanftes Lächeln wurde ihm im Badezimmerspiegel geschenkt, als er den Kopf anhob.
„Du hast keine Ahnung, was mir dieser Ring bedeutet. Was es mir bedeutet, dein Mann werden zu dürfen."
Zärtlich griff Nicholas nach der Hand seines Verlobten, strahlte heller als das Licht des Badezimmers, als sich ihre Ringe berührten.
Nach Kevins Antrag hatte er alles andere wie in einem schwebenden Zustand wahrgenommen. Das Tanzen um den Weihnachtsbaum, die Geschenke, all das freudige Lachen und der viele Schnee, der sich über dem Haus breit machte. Sein Herz quoll vor Glückshormonen nur so über.
„Bist du glücklich?"
„Und wie. Ich habe den liebsten, tollsten und besten Verlobten, zwei wunderschöne Töchter und die schönste Zeit meines Lebens. Kein Rennen, kein Geld der Welt kann mir das geben. Der Tag, an dem ich dir das Ja-Wort geben werde, wird zu den schönsten Tagen meines Lebens gehören."
Langsam drehte er sich in den Armen des Älteren, schlang die Arme um dessen Hals und lehnte seine Stirn an die von Kevin.
„Ich hatte damals so eine Angst. All die Horrorgeschichten über dich hatten mich verschreckt. Umso glücklicher bin ich, dass du mich damals einfach entführt hast und mich vor die Wahl gestellt hast. Entweder den wahren Kevin kennenlernen oder das glauben, was andere sagen. Ich bereue es keine Sekunde, dass ich an dem Abend mit dir essen gegangen bin. Ich bereue keinen einzigen Tag, den wir seitdem gemeinsam verbringen durften. Heute dieser Abend ... Er ist so voller Magie, voller Zauber. Nicht nur, weil ich den schönsten, schlichtesten Ring von dir bekommen habe. Dänemark ist so magisch, so geheimnisvoll. Dieses Land hat mich in seinen Bann gezogen, genauso wie einer ihrer Einwohner."
Schmunzelnd verband Kevin ihre Lippen.
Liebevoll schmiegten sich ihre Münder aneinander, erforschten sich zärtlich. Jetzt, wo sie Ruhe hatten, konnten sie sich dem widmen, was den ganzen Tag unter all den Vorbereitungen, dem Feiern, Singen und Tanzen zu kurz gekommen war.
Laura und Agnes schliefen, genauso wie seine Mom.
Kevin genoss den warmen, halbnackten Körper seines Mannes an dem seinen, seufzte wohlig in den Kuss, als Nicholas mit seiner Zunge seine Lippen teilte. Blind tasteten sich seine Hände über den nackten Rücken, legten sich auf den festen Po und knetete diesen sinnlich.
„Hmm. Kevin. Die Kinder. Deine Mom."
Vergeblich versuchte Nicholas, ein Stöhnen zu unterdrücken, schaffte dies aber nur, indem er seinen Mund gegen die nackte Schulter des Blonden presste.
„Die haben alle einen tiefen Schlaf. Ich möchte meinem Verlobten jetzt gerne auch die dänischen weihnachtlichen Spezialitäten zeigen."
Noch bevor Nicholas den Mund aufmachen konnte, hatte Kevin ihn nach hinten aus dem Badezimmer ins angrenzende Schlafzimmer geschoben.
„Dänische Spezialitäten? Gibt es zu Weihnachten andere?" Anrüchig wackelte Nicholas mit den Augenbrauen, nachdem Kevin aufs Bett gedrückt hatte und Sekunden später über ihm thronte.
„Ich kann dir gerne meine Rute zeigen."
„Aber ich war artig."
„Meine Rute macht da keinen Unterschied."
Lachend boxte Nicholas seinem Verlobten gegen die Brust, zog diesen im nächsten Moment näher zu sich und verwickelte Kevin in einen stürmischen Kuss.
Dieses Weihnachten würde sich auf ewig in seinem Herzen sein.
Kevin hatte um seine Hand angehalten, hatte sich für einen großen Schritt in ihrer Partnerschaft entschieden, welchen er nur zu gerne mitgehen würde.
Mit Kevin und ihren beiden Töchtern gab es nichts, was er sich mehr gewünscht hatte. Er hatte alles, was er je wollte, und war damit der glücklichste Mensch.
ENDE
*„Ich weiß, Schatz."
**„Liebling, bist du sicher, dass Nicholas dänisches Essen möchte?"
***„Ja, Mama. Ich bin sicher. Außerdem hat Nicholas schon öfter Delikatessen aus Dänemark gegessen. Wir sind seit drei Jahren zusammen. Da kam es schon vor, dass wir landestypische Küche des anderen gekostet haben."
****„Es wird alles gut gehen, Junge."
*****„Ich bin einfach nervös. Und ich habe Angst. Was, wenn Nicholas Nein sagt?"
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