9 ✅
Nachdem ich mein Handy weggelegt habe, fühle ich mich viel befreiter. Es tat gut mal jemandem von meiner Familie zu erzählen. Hoffentlich behält er es wirklich für sich. Marcus kann er das von mir aus sagen, aber ich möchte nicht, dass irgendwer anders davon erfährt und ich möglicherweise in ein blödes Waisenheim muss.
In der nächsten halben Stunde bereite ich mich auf das Lernen mit Amelie vor. Ich lege alle Materialien für Mathe, Geschichte, Physik und Latein raus. Latein mag ich am wenigsten, aber ich kann es trotzdem ganz gut. Ich glaube, wenn ich zur Schule gehen würde, wäre ich so eines von den Kindern, dass niemand mag, weil es so gut ist, aber nie was dafür tun muss. Zum Glück hab ich mich trotzdem super mit Amelie angefreundet!
13:12
Es klingelt an der Tür und sofort laufe ich hin, um sie zu öffnen. Das werden Amelie und Nico sein! Aber Moment... Es gibt hier sogar eine Klingel? Ich öffne die Tür und tatsächlich stehen Amelie und Nico davor. Sofort umarme ich Amelie fest. "Schön, dass du da bist", sagte ich erfreut. "Finde ich auch", sagte sie noch leicht schüchtern. Ich bitte die beiden hinein und gehe mit ihnen in die Küche.
"Wann soll ich dich wieder nach Hause bringen, Amelie?", fragt Nico, als ich das Essen, welches ich schon gekochte hatte, auf den gedeckten Tisch stelle. "Ähm... Ich denke so gegen 5 ist okay", meint sie. "Alles klar. Viel Spaß euch!", sagt er zwinkernd. "Danke!", erwidere ich mit leicht ironischem Unterton. "Ey, ich muss dir dass nicht beibringen, wenn du nicht willst", meldet sich nun Amelie zu Wort. "Schon gut, es macht mir ja Spaß", meine ich lachend.
Nico geht dann und Amelie schaut ihm ein kleines bisschen nach, wahrscheinlich in der Hoffnung, ich bemerke es nicht. "Willst du jetzt schon was essen oder hast du noch keinen Hunger?", frage ich Amelie. "Äh, ich hab jetzt schon Hunger", lacht sie. "Gut so! Ich nämlich auch", sage ich und steige in ihr Lachen mit ein. Wir setzen uns an den Tisch und fangen an zu essen.
Immer wenn Amelie zu mir kommt, essen wir zusammen, da ihre Eltern auch sehr mit der Arbeit beschäftigt sind und nicht wirklich Zeit haben, um Amelie etwas warmes zu Mittag zu kochen.
"Sag mal, wieso wohnst du jetzt eigentlich nicht mehr Zuhause? Hast du dir das selbst ausgesucht oder haben dich deine Eltern rausgeschmissen?", fragt Amelie plötzlich. "Ich hab's mir selbst ausgesucht. Ich will einfach mal versuchen komplett alleine zu leben, da es ja irgendwie schon immer so war. Keine Ahnung, wie wir dann auf die Idee gekommen sind, dass ich hier wohnen kann." Sie schaut mich misstrauisch an. "Und deine Eltern haben da ganz sicher nichts gegen? Ich meine, sie lassen dich doch nur Sonntags mit mir raus und sie sollen auch nicht erfahren, dass ich mit dir lerne oder wieso sonst kriege ich deine Eltern nie zu Gesicht? Ich habe so viele Fragen über die Jahre gesammelt, die sich mir einfach nicht erklären. Vielleicht ist ja jetzt der richtige Zeitpunkt mir alles zu erklären", sagt sie und wirk enttäuscht.
Mir stockt der Atem. Soll ich ihr nun alles erzählen? Ich meine bei Martinus war es was anderes! Er kann sich nicht einfach mal so einmischen, da er nicht weiß wer meine Eltern sind und wo genau ich wohne, aber Amelie? Ich hab jahrelang versucht ihr die Wahrheit zu verschweigen ohne sie richtig anzulügen und jetzt soll ich das alles auf einmal erklären? Doch sie wirkt so, als ob sie ganz genau weiß, dass ich sie anlüge, und hat sich sonst immer zurück gehalten mit Fragen. Vielleicht hat sie ja recht und jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt, um mit der Wahrheit raus zu rücken.
"Lisa? Ist alles okay?", reißt mich Amelie aus meinen Überlegungen. Jetzt ist es eh zu spät es noch zu verheimlichen, sie merkt ganz genau, dass etwas nicht stimmt.
Und so erzähle ich ihr alles. Wie es angefangen hat, dass meine Eltern mich so behandeln bis hin zu dem Vorfall am Samstag. Ich muss mich ziemlich beherrschen, dass ich nicht anfange zu weinen. Aber es tut unfassbar gut, sie nicht mehr anlügen zu müssen! Amelie blickt mich fassungslos an. "Lisa, das tut mir so unfassbar Leid! Ich hätte das doch mitbekommen müssen. Es tut mir wirklich Leid!" "Das muss es nicht! Du bist nicht daran Schuld! Ich wollte nicht, dass es jemand erfährt, weil ich nicht in ein Waisenhaus will!"
"Das kann ich nachvollziehen, aber was ist mit deinem Bruder? Gehen sie mit ihm anders um?", fragt sie besorgt. "Er ist das Wunschkind, er bekommt quasi alles. Er muss nur mal mit dem Finger zu schnipsen und sie kommen sofort angerannt", lache ich ironisch. Doch bevor Amelie mir weitere Fragen stellen kann unterbricht uns mein klingelndes Handy.
-----------------------------------------------------------
Danke fürs Lesen dieses Kapitels! :)
798 Wörter
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top