Prolog

"Wo ist Adeline?", fragte der hochgewachsene, einschüchternde Mann mit bebender, tiefer Stimme, "Wage es ja nicht erneut zu schweigen Kara! Es ist mein Recht, sie zu sehen. Du weißt, dass auch du sie nicht ewig vor mir verstecken kannst." Er baute sich vor der schmächtigen Frau auf und funkelte sie erbarmungslos an. Sein finsterer Umhang reichte bis zum Boden, gemeinsam mit seinem rabenschwarzen, langen Haar ließ es ihn herrisch und noch bedrohlicher wirken. "Niemals! Niemals wirst du meine Tochter auch nur zu Gesicht bekommen Cyril, dafür habe ich gesorgt", spuckte ihm die Frau angewidert - aber selbstsicher - entgegen.

Voller Zorn ballte er seine starken Hände zu Fäusten, sodass sogar seine Knöchel weiß hervortraten, und schnaubte verächtlich. Mit seinen zu Schlitzen verengten Augen durchbohrte er die zierliche Gestalt vor ihm. Seine Augen waren mindestens so dunkel wie die Seele, die sich hinter ihnen verbarg und wenn man ganz genau hinsah, dann erkannte man inmitten der schwarzen Iris eine lodernde Flamme - blutrot und heiß. Kara kannte jene Augen nur zu gut, sie wusste dem stechenden Blick standzuhalten. Ihre eisblaue Iris war durchzogen von grasgrünen Flecken und strotzte nur so vor Stolz und Edelmut.

Cyril kam ihr noch näher, so nah, dass sein heißer Atem Karas sanften Hals streifte und ihre Nackenhaare sich blitzschnell aufstellten. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als er ihr viel zu ruhig, dicht an ihrer Wange ins Ohr flüsterte: "Ich frage dich noch einmal Kara: Wo ist Adeline?"

Insgeheim wusste sie, dass es keine Frage war - oh nein - es war eine bitterernste Drohung. Sie wusste auch, dass er niemals leere Drohungen aussprach und doch war ihre Entscheidung schon längst gefallen. Keine Entscheidung hatte sie je mit solcher Sicherheit getroffen wie diese. Das Leben ihrer Tochter bedeutete ihr ALLES. Nichts bereitete ihr mehr Angst als die Furcht davor, dass ihrer Adeline etwas zustoßen könnte. Deshalb fiel es ihr auch so leicht, ihm die Worte mit entschlossener und fester Stimme zu entgegnen, sie fühlten sich mehr als richtig an, ja sogar befreiend: "Adeline ist an einem sicheren Ort, weit weg von dir, damit sie dich niemals kennenlernen muss."

Wutentbrannt stieß er Kara von sich. Durch die Wucht des Stoßes stolperte sie einige Schritte zurück, bis sie schließlich den Halt verlor und rücklings auf dem harten steinernen Boden aufprallte. Cyril ließ ihr keine Zeit, sich in jeglicher Hinsicht zu sammeln. Während sie noch versuchte, von ihm wegzurobben, stand er bereits mit gezücktem Dolch über ihr. "Sieh mich an Kara!", schrie er kaltherzig. Die Dominanz, die in seiner tiefen Stimme lag, jagte wilde Blitze durch ihren Körper und obwohl sie ihm nicht die Genugtuung geben wollte, ihn anzusehen, gehorchte ihr Körper dennoch seinen Worten ohne ihr Zutun - seine Kontrolle war zu stark - sie war machtlos dagegen.

Sie hasste sich selbst dafür, dass er nach all den Jahren immer noch solch eine Wirkung auf sie hatte und blickte ihm schlussendlich angewidert entgegen. Als sie den eisblauen Dolch zu Gesicht bekam, erstarrte sie auf der Stelle und weitete ihre Augen. Eine gefühlte Ewigkeit war vergangen, seitdem sie die geschwungene Klinge mit dem saphirblauen Knauf und den goldenen Ornamenten zuletzt gesehen hatte. Fast hatte sie vergessen, welche Schönheit und Macht sie repräsentierte. Überwältigt von dem Anblick hielt Kara die Luft an. Vielleicht auch, weil sie um Kräfte des Dolches wusste und sie nun schon erahnen konnte, was ihr bevorstand.

Langsam kniete sich Cyril zu ihr herunter, umfasste ihr Kinn sanft, aber doch bestimmt. Er zog sie näher an sich heran und flüsterte zynisch, fast schon lieblich: "Wenn ich sie nicht haben kann, dann bekommst du sie auch nicht." Mit diesen Worten ließ er den meerblauen Dolch zwischen Karas Rippen hindurch gleiten, mitten in ihr weiches Herz. Schmerzverzerrt und voller Schrecken riss Kara die Augen auf. Sie wimmerte auf und zuckte, umgriff die todbringende Klinge mit beiden Händen.

Die letzten Sandkörner ihrer Lebensuhr rieselten unaufhaltsam zu Boden. Die Energie des Dolches raubte ihr den Atem. Es fühlte sich an, als würden tausende, winzige Eiskristallsplitter bei jedem ihrer Herzschläge durch ihre Venen gepumpt werden. Die unmenschliche Kälte verbreitete sich so immer ein Stückchen weiter bis an die entferntesten Stellen ihrer Glieder und vereiste unaufhaltsam jede Zelle ihres Körpers. Irgendwann entschied Kara nicht mehr dagegen anzukämpfen, es war ihr selbst bestimmtes Schicksal so zu gehen. Sie hatte diesen Weg gewählt, wohl wissend, dass Cyril früher oder später ihr Ende sein würde.

Endlich konnte sie Frieden finden. Frieden im Gedanken, dass Adeline in Sicherheit war. Das Band, welches Kara für immer mit Cyril vereinigt hätte, war nun endlich getrennt worden. Sie lächelte und dachte an ihre wunderschöne Tochter, die schlussendlich behütet aufwachsen und ein erfülltes Leben haben würde. Währenddessen ließ der Mann neben ihr sie immer noch nicht los und blickte in ihre Augen, bis die letzten grünen Sprenkel verblassten und das Blau ihrer Iris sich in trostloses Grau verwandelte.

Als alles Leben in ihr verhaucht war, strich Cyril federleicht über Karas kühle Wange. Er schloss ihre Augenlider für immer und hob sie vorsichtig vom kalten Boden empor, wie ein teures Gemälde. Ein letztes Mal betrachtete er die wunderschöne Frau in seinen Armen. Ihr Blick war friedlich, als würde sie schlafen. Er saugte jedes Detail ihrer Konturen auf und prägte sich ihr Bild ein. Zuletzt hauchte er ihr einen federleichten Kuss auf die Stirn und flüsterte sanft: "Adeline ist nicht nur deine Tochter, meine Liebste, sie ist auch meine." Mit diesen Worten schloss auch er seine Augen, wandte sich ab und richtete das Antlitz himmelwärts.

Ein kräftiger Wirbel formte sich um ihn herum, wurde immer stärker, leuchtete zuerst in pastelligen Gelbtönen auf und riss dabei den losen Kies vom Boden mit. Die Farbe wechselte kurz in ein kräftiges Grasgrün und umhüllte beide wie ein Efeugewächs, bis es durch das blaue Glitzern von kleinen Wassertropfen durchbrochen wurde. Doch schlagartig verwandelte sich der Wirbelsturm in eine helle, zischende Flamme und Cyril riss seine Augen ruckartig wieder auf, die nun ebenfalls feuerrot loderten. Donner grollte und grelles Licht umhüllte seine Gestalt.

Plötzlich war es wieder absolut still und kein Staubkorn regte sich  - Totenstille.

Die beiden waren fort.

Willkommen bei meiner ersten Story :))) Ich habe viele Ideen für dieses Buch und hoffe, dass ich die Zeit finde daran zu arbeiten. Freut mich, dass ihr euren Weg hierhergefunden habt und Adelines Reise mitverfolgen wollt!

evira

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