9. Die Dunkelheit !!
Natürlich musste ich Lilian dann alles von A bis Z ganz genau erzählen und eine komplette Personenbeschreibung abliefern, inklusive aller Gespräche, Blicke und was sie sonst noch wissen wollte.
Deshalb begann ich dort, wo die Geschichte angefangen hatte, mit Benjamin, der mich nach meinem Kollaps im Wald im Institut umsorgt und den ich sofort ins Herz geschlossen hatte. Und dann kam ich natürlich auch nicht um James herum. Ich berichtete davon, dass er mich von der Arbeit abgeholt hatte und dabei überaus ungehobelt war. Und dann erwähnte ich auch, dass er derjenige war, der mich im Wald gefunden hatte.
All das schaffte ich, ohne die Elemente zu erwähnen oder einen Hinweis auf Magie zu liefern. Ich wusste selbst nicht, wie mir das gelungen war, da Lilian wirklich ein Talent darin hatte, jede noch so unbedeutende Information aus einem herauszukitzeln.
Wir verbrachten noch einige Zeit im Café und redeten über Gott und die Welt. Draußen war es inzwischen pechschwarz, als Lilians Handy klingelte. "Hey Babe!", nahm sie den Anruf freudig entgegen. Sofort wusste ich, dass es sich hierbei um ihren Verlobten, Paul, handeln musste.
"Ok, dann mache ich mich gleich auf den Weg. Bin in 15 Minuten bei dir, bis gleich!", sie schmatzte noch einen Kuss zum Abschied ins Telefon und legte dann auf. Sie sah wieder zu mir und sagte entschuldigend: "Es tut mir leid Adeline, aber ich muss mich leider schon vor dir verabschieden! Ich hätte ja wirklich noch gerne weitergeplaudert, aber in einem kleinen Häuschen auf der anderen Seite der Stadt geht gerade die Welt unter: Paul versucht schon seit Stunden verzweifelt unseren neuen Kasten zusammenzuschrauben - meine Wenigkeit wird dringend gebraucht.", bei seinem Namen huschte ihr ein Lächeln über die Lippen.
Ja, ich kannte Paul, eine Baumeister Karriere würde er wohl nie anstreben. Das lag aber vermutlich auch daran, dass er in der Modebranche seine Berufung gefunden hatte. Er war Modedesigner und Schneider aus Leidenschaft. Die handwerklichen Aufgaben übernahm lieber Lilian, denn das war genau ihr Fachgebiet. Nicht umsonst war sie bei uns im Botanischen Garten vor einem Jahr Leiterin der technischen Forschungsabteilung geworden, wofür sie als promovierte Ingenieurin bestens qualifiziert war.
Ich warf einen Blick auf die Uhr und da fiel mir erst auf, dass es schon kurz vor elf war - wow, die Zeit war ja wie im Flug vergangen. "Puhhh, es ist sowieso schon spät. Ich sollte mich auch auf den Weg machen. Wir sehen uns am Montag in der Arbeit wieder, kein Grund zur Sorge!", beruhigte ich ihr Gewissen und lächelte ihr beschwichtigend zu.
Nachdem wir bezahlt hatten, verabschiedeten wir uns noch mit einer langen, innigen Umarmung. "Pass auf dich auf, komm gut nach Hause!", rief mir Lilian zu, als sie in die entgegengesetzte Richtung losmarschierte. "Werde ich! Du auch!", antwortete ich, winkte ihr noch einmal zu und verlor sie dann aus der Sicht, als sie hinter der nächsten Hausmauer verschwand.
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Die Straße war menschenleer, aber Newcastle war eine Großstadt, in der es immer brenzlig werden konnte, vor allem nächtens. Also beeilte ich mich lieber damit zurückzukommen, bevor ich auf zwielichtige Gestalten traf.
Aber das Glück war nicht auf meiner Seite, denn kurz vor meiner Wohnung kam mir eine Gruppe von Männern auf dem Gehweg entgegen. Von dem Gelächter, das sie von sich gaben, konnte ich darauf schließen, dass sie sturzbetrunken waren. Ich wurde unruhig und suchte nach einer Gelegenheit, um die Straßenseite zu wechseln. Doch gerade als ich ihnen ausweichen wollte, schrie einer der Männer mir hämisch zu: "Wo willst du denn hin junges Fräulein!"
Panik legte meine Nervenbahnen lahm, die meinem Körper befehlen hätten sollen loszulaufen, ich saß in der Falle. Die bedrohlichen Gestalten kamen direkt auf mich zu und fingen an, mich zu umzingeln wie ein Rudel Wölfe. Scheiße! Ich machte ein paar unbeholfene Schritte rückwärts. Mein Körper wollte mir nicht gehorchen, denn eigentlich wollte ich schon längst gehen - wegrennen - fortsprinten! Irgendwann erreichte dieser Gedanke endlich meine Muskelfasern und ich drehte mich am Absatz um und nahm meine Beine in die Hand, um so viel Distanz wie möglich zu gewinnen.
Doch ich kam nicht weit, da packte mich ein Verfolger grob am Handgelenk und zog mich in eine kaum beleuchtete Seitengasse. Als ich laut losschrie, hatte sich bereits eine große raue Hand um meinen Mund gelegt, sodass meine hilfesuchenden Laute im Keim erstickt wurden. Scheiße, scheiße, scheiße! Ich schlug um mich, wollte bloß den dreckigen Händen dieses Ekels entkommen.
"Die Kleine ist aber widerspenstig!", rief der Mann den anderen mitleidslos zu, lachte auf und drückte mich mit dem Rücken an sich, "Mach nur weiter, es ist viel spaßiger, wenn sie sich wehren.", flüsterte er mir dicht an meiner Wange in mein Ohr und der abscheuliche Gestank von Whiskey und Bier verbreitete sich.
Nun gingen auch die anderen Männer auf mich zu und da bekam es richtig mit der Angst zu tun. Panisch versuchte ich wieder zu schreien und trat mit meinen Füßen nach ihnen. Aber sie lachten nur, was mir einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Und als ein Paar raue Hände versuchten, unter mein Shirt zu gelangen, wurde ich richtig hysterisch, strampelte und schlug um mich, aber der Koloss hinter mir bewegte sich keinen Millimeter, er verstärkte nur seinen fesselnden Griff. Ich wimmerte auf, wusste nicht, wie mir geschieht.
"Ihr dreckigen Mistkerle", hallte ein Schrei durch die Gasse, der mir durch Mark und Bein ging, "Was fällt euch eigentlich ein. Lasst sofort die Finger von dieser Frau!", die Stimme bebte vor Zorn, der Mann hinter mir zuckte zusammen. Die Erscheinung des Fremden hinterließ anscheinend einen bleibenden Eindruck, denn sie ließen ruckartig von mir ab. Ich stolperte nach vorne, fing mich aber schnell wieder und rannte sofort los, hinaus aus der dunklen Gasse, in die Richtung meines Retters.
"Was willst du hier Kleiner? Lass uns unseren Spaß haben und verkriech dich in das Loch, aus dem du gekommen bist, das Mädel gehört uns!", giftete einer der ekelerregenden Männer, die anscheinend wieder ihr Selbstbewusstsein zurückgewonnen hatten und machte sich wieder daran zu mir zu kommen. Der Anonyme trat ins schwache Licht hervor, ich konnte ihn aber nicht erkennen, seine Kapuze war tief über seine Stirn gezogen: "Ich sagte, ihr sollt gefälligst eure dreckigen Finger von ihr lassen!"
Die Erde um uns herum fing an zu beben, als er seine Hände zu Fäusten ballte und ihm ein tiefes Knurren entwich. Die Männer sogen scharf die Luft ein - damit hatten sie wohl nicht gerechnet. Doch sie rissen sich schneller als gehofft wieder zusammen und bereiteten sich murmelnd auf einen Kampf vor. Selbstsicher, da sie in der deutlichen Überzahl waren, liefen sie zu dem Unbekannten in Kapuze. Dieser stand immer noch seelenruhig da, ich bildete mir sogar ein, ein leises Lachen zu hören, als er die Meute sah, die auf ihn zustürmte.
Und dann ging alles so schnell, dass meine Augen und mein Sinn gar nicht alles erfassen konnten: Die Kapuzengestalt war wie aus dem Nichts direkt vor den Männern, riss ihre Arme in die Höhe und machte eine stoßende Bewegung in Richtung der Menge. In dem Moment erklangen ein furchteinflößendes Pfeifen und Rauschen wie bei einem wilden Sturm. Die Männer wurden allesamt mitgerissen, durch die Luft geschleudert und klatschten einige Meter weiter hinten wieder hart auf dem Boden auf. Schmerzerfülltes Stöhnen war zu hören.
"Ihr wolltet nicht auf mich hören! Glaubt mir, wenn es nach mir ginge, dann würdet ihr jetzt sowieso ganz anders daliegen. Das war eine Warnung, eine zweite wird es nicht geben! Wenn ihr mir noch einmal unter die Augen kommt, dann verspreche ich euch - dann lernt ihr mich richtig kennen!", zischte der Mann in Kapuze und zwang sich, sich zurückzuhalten. Ich war mir sicher, dass er seine Drohung auf der Stelle wahr machen würde, wenn die Männer sich jetzt nicht verzogen.
Aber sie waren schlau genug die Situation richtig zu erfassen und machten sich allesamt sekundenschnell aus dem Staub.
Ich selbst kauerte noch dicht gedrängt an der kalten Steinmauer und beobachtete meinen Retter in Kapuze schweratmend, immer noch unter Schock. Wäre er nicht gewesen, will ich gar nicht wissen, was diese Männer bereits mit mir angestellt hätten. Ich schüttelte mich vor Ekel und spürte, wie mir die Säure aus meinem Magen bereits die Speiseröhre hochkroch. Bitte nicht!
Der Fremde wurde nun wieder auf mich aufmerksam und bewegte sich langsam auf mich zu. Ich drückte mich enger an die raue Wand, es war der einzige Schutz, der sich mir bot. Da stoppte der Mann mitten in seiner Bewegung und wisperte: "Bist du verletzt? Haben sie dir etwas angetan?" Ich schluchzte auf und zitterte am ganzen Leib, weil die Anspannung aufgrund seiner Stimme, die nun so mitfühlend und vertrauenserweckend klang, plötzlich von mir abfiel.
Er trat noch näher, ging aber in die Knie, um mich nicht zu überragen und dadurch einzuschüchtern. Mich umhüllte sofort der intensive Duft von frischem Aftershave. Sofort wusste ich, dass ich diesen Geruch von irgendwo her kannte, aber ich kam nicht drauf. Doch dann sah der Mann zu mir auf und die Kapuze rutschte ein Stück zurück und legte so sein Gesicht frei.
Augenblicklich sah ich in ein eisblaues Augenpaar. Da traf mich der Schlag, ich wusste wer der Mann vor mir war und hauchte sprachlos: "Jamiel!"
Heute gab es ein düsteres Kapitel - leider sind immer noch viele Frauen von übergriffigen Handlungen betroffen und auch in Adelines Welt gibt es diese Problematik. Falls euch diese Thematik zusetzt oder ihr selbst Opfer seid - nutzt die jeweiligen (online) Hilfsangebote in eurem Land - ihr seid nicht alleine. In diesem Sinne - stay safe!
evira
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