7. Das Wasser
Zuerst verstummte alles um mich herum. Das weit entfernte Brummen der Autos, der fiepende Laut eines fahrenden Aufzugs und sogar das gleichmäßige Surren der Lüftung wurden, wie im Keim erstickt. Einzig und allein das Rauschen meines eigenen Blutes hallte in meinen Ohren wider. Die Luft war geladen wie vor einem mächtigen Gewitter. Ich fühlte mich wie ein Sprinter auf seinem Startblock kurz vor dem Pistolenschuss.
Mein Blick wanderte zu Benjamin. Seine hellen Augen leuchteten dunkelblau auf und im selben Moment hob er seine beiden Hände so geschmeidig und elegant wie ein Dirigent, der zu einem neuen Stück ansetzte.
Die Stille wurde durch das Brodeln, Zischen und Rauschen von strömendem Wasser durchbrochen. Wasser, das sich seinen Weg durch die engen Metallrohre in Wänden und Böden bahnte. Es hatte eine ungeheuerliche Kraft. Der Raum und seine Einrichtung vibrierten blitzschnell und die lebendige Dynamik der bewegten Flüssigkeit schien mich vom Boden abheben zu lassen. Ich hatte das Gefühl zu schweben, umgeben von einer Druckwelle, die immer näher zu kommen schien und mich immer weiter einkreiste wie ein Rudel Wölfe seine Beute.
Der Druck wurde zunehmend größer, das Brodeln immer lauter und die Energie im Raum immer geladener, dann nahm ich ein Knacken wahr. Das auslösende Moment.
Wasser schoss, wie ein reißender Bach nach strömendem Regen oder bei einem gigantischen Rohrbruch, aus dem Wasserhahn. Reflexartig presste ich meine Augenlider aufeinander und wartete auf das kühle Nass, das meinen Körper sofort treffen müsste. Doch nichts geschah. Es wurde wieder totenstill und ich traute mich nicht, meine Augen zu öffnen. Dann packte mich aber die Neugier.
Ich beschloss einen Blick zu riskieren. Doch was ich sah, ließ mich erstarren und ich konnte meinen Augen kaum trauen. Überall um mich herum, nein im ganzen Raum, tanzten winzige, kleine, meerblaue Wassertröpfchen in der Luft. Die letzten hellen Lichtstrahlen der untergehenden Sonne schienen durch die große Fensterfront. Sie wurden durch das zerstäubte Wasser in all ihren Spektralfarben wiedergegeben. Es war unbegreiflich, von kleinsten, glitzernden Wasserpartikeln und buntem Regenbogenlicht umgeben zu sein. Der ganze Raum war hell und erleuchtet. War es das, was man Himmel nannte? Was passierte hier?
Das Wasser bewegte sich wie in Zeitlupe, nur ich war eingefroren und konnte nur zusehen. Mittendrin stand Benjamin, er bewegte seine Hände federleicht umher, als würde er so mit jedem einzelnen Tröpfchen kommunizieren. Und das tat er, denn die klimperkleinen Wasserbällchen folgten gehorsam den Bewegungen seiner Fingerspitzen. Es faszinierte mich. Benjamin sah aus wie ein Mozart auf dem Klavier oder ein Da Vinci vor seiner Leinwand. Es war pure Kunst. Und die geladene Energie, die den Raum füllte, fuhr durch meine Venen und so durch meinen ganzen Körper, ich fühlte mich wie berauscht. Ich war selbst zu einem Teil dieses Spektakels geworden.
Und dann begann Benjamin mit seinen Armen in edlen, leidenschaftlichen Bewegungen die Wasserperlen in einem blauen, funkelnden Strom um uns herum zu bewegen. Jeder Tropfen glitzerte im Sonnenlicht, es war, als wären tausende schimmernde Diamanten um uns. Wir waren der Mittelpunkt einer gewaltigen, feinen Wassertröpfchen Spirale geworden.
Langsam holte Benjamin seine gehorsamen, nassen Sphären Stück für Stück zurück und begann mit geschmeidigen Gesten einen größeren Ball zwischen seinen Händen zu formen. Dafür ließ er seinen gesamten Körper in die Bewegungen einfließen und wirkte dadurch selbst wie ein Teil der vielen Wassertröpfchen. Sie gehorchten seinem Willen, wurden von allen Enden und Ecken des Raumes herangesogen und bildete vor ihm eine lebendige, schwebende Wasserkugel. Mit einer Drehbewegung lenkte er den Ball quälend langsam zu mir und sah dabei mit seinen unglaublich dunkelblau leuchtenden Augen in meine.
Der Wasserball kam immer weiter auf mich zu, sodass ich kurz Angst bekam, dass er mich erfassen würde, aber das tat er nicht. Direkt vor mir stoppte das vibrierende Energiebündel voll von feinsten, glitzernden Wassertröpfchen und schwebte mühelos vor meinen Augen. Der Moment war mehr als nur magisch, die Luft hatte ich schon längst angehalten, aus Angst, dass eine kleinste Regung von mir alles beenden könnte. Und dann geschah es auch: Das Bündel voll Wasser sauste hinab, direkt auf das Glas zu, das Benjamin vorhin auf dem Tisch platziert hatte.
Ich kniff die Augen fest zusammen, wollte nicht sehen, wie das Glas zu Bruch ging. Das Auftreffen des Wassers auf dem Boden des gläsernen Gefäßes durchbrach die Stille und hallte laut in meinen Ohren wider, es glich dem Knall eines Überschallfliegers: Platsch. Ich drückte meine Handflächen fest auf meine Ohren, um die Geräuschkulisse zu dämpfen und wurde gleichzeitig auf brutalste Weise aus dieser magischen Blase gerissen. Die Leichtigkeit um mich herum verschwand viel zu früh und ich spürte das schwere Gewicht meiner Gliedmaßen, das mich zurück auf den Boden drückte.
Als ich wieder einen Blick zum Tisch wagte, schwappte das Wasser im Trinkgefäß und auch das Glas selbst schwankte noch gefährlich hin und her, pendelte sich jedoch ein. Alles war wieder wie vorher, nichts deutete mehr auf das Spektakel hin, das sich eben noch abgespielt hatte. Alles war trocken, nur das Glas war nun gefüllt, alle Spuren waren verwischt. War das alles nur ein Hirngespinst gewesen? Träumte ich?
Dann sah ich zu Benjamin, der sich mit einer Hand an dem Tisch abstützte und sich mit der anderen an die Schläfe fasste. Die Augen hatte er verkrampft geschlossen. Er sah aus, als hätte er Schmerzen. Der anmutige Wasserkünstler von gerade eben war wieder verschwunden, zurück blieb die Hülle eines alten, schwachen Mannes.
Doch dann atmete er tief ein und der verzerrte Blick verließ sein Gesicht, er öffnete seine Augen und lächelte mich wieder wie gewohnt an. Seine Augen hatten wieder die übliche blau-grüne Mischung angenommen. "Was ...", brachte ich schließlich hauchend hervor, "Ich ... ich ... ich ... ", stammelte ich sprachlos, war zu erschüttert, um einen klaren Satz zu formulieren. Es waren nur Sekunden gewesen, aber sie hatten sich wie eine Unendlichkeit angefühlt. Die Art, wie das Wasser in Form von kleinsten Tröpfchen im ganzen Raum getanzt hatte, mich gestreichelt, aber doch nicht berührt hatte. Eine Faszination, die ihres Gleichen sucht.
"Das ist, was wir hier hüten Adeline. Es ist die Kraft der vier Elemente. Doch bei solch einer Macht gehen Geschenk und Fluch Hand in Hand. Wir vom Institut sorgen dafür, dass sie kontrolliert eingesetzt und nicht missbraucht wird. Zu Gunsten unserer Umwelt, den Mitmenschen und unserem eigenen Wohl.", flüsterte er und sah mich dabei todernst an, ein Gesichtsausdruck, den ich von ihm noch nicht kannte "Diese Kraft - die Macht - ein Element zu steuern sieht nicht immer so schön aus. Sie kann auch verletzen...", er stoppte "... oder töten."
Endlich habt ihr etwas Magie erleben können 0:) Ich hoffe ihr konntet euch die Situation genauso gut vorstellen wie ich!
evira
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