4. Die Begegnung

Das kühle Wasser der Dusche entspannte mich sofort, als es auf mich niederprasselte. Ich genoss es noch etwas länger, aber dann musste ich mich auch schon auf den Weg zur Arbeit machen. Im Vorbeigehen warf ich noch einen kurzen, prüfenden Blick in den Spiegel und sah mir dabei in meine blau-grünen Augen. Man konnte mir den gestrigen Tag fast nicht mehr anmerken - fast.

Die erdig braunen Sprenkel in meiner Iris und die feuerroten Haare von meiner Mutter waren das einzig Besondere an meiner Erscheinung. Ansonsten fand ich mich eher unauffällig. Kein Riese, aber auch kein Zwerg. Weder Athlet noch Couch-Potato - obwohl das Laufen sich schon bemerkbar machte. Ich hatte also wirklich nichts zu meckern.

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Als ich auf dem Mitarbeiterparkplatz hinter dem Botanischen Garten zum Stehen kam, sah ich auch schon im Seitenspiegel eine zierliche blonde Gestalt auf mein Auto zueilen. Während ich die Türe meiner alten grauen Blechkiste ins Schloss fallen ließ, sprang sie mir auch schon um den Hals.

"Dir auch einen schönen guten Morgen Lilian.", lachte ich herzlich. Durch ihre wuchtige Umarmung versuchte ich nicht nach hinten umzufallen und drückte meine Freundin auch an mich. Nach einer gefühlten Ewigkeit ließen wir uns wieder los und sie sah mich mit ihren bernsteinfarbenen Augen an: "Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht. Wie geht es dir, Adeline?"

Ich sah sie mit einem schiefen Lächeln an: "Na ja, sie haben mir gesagt, dass ich eine leichte Gehirnerschütterung davongetragen habe und ich mich ausruhen sollte, aber ..." Meine Freundin riss die Augen auf: "Die Ärzte haben dir also gesagt, dass du im Bett bleiben sollst!! Was machst du dann hier Adeline, verdammt!"

Beruhigend legte ich meinen Arm auf ihre Schulter: "Keine Sorge, ich fühle mich fit und du weißt ja, dass ich ein unruhiger Geist bin. Ich kann nicht einfach den ganzen Tag auf der Couch liegen, während ich daran denken muss, dass du hier von Besuchermengen niedergerannt wirst und in Arbeit versinkst."

Seufzend hakte sich bei mir unter und machte sich mit mir auf den Weg in das Gebäude. Sie kannte mich schon lange genug, um zu wissen, dass sie mich sowieso nicht davon hätte überzeugen können, zurück nach Hause zu fahren: "Adeline, du bist wirklich solch ein sturer Kopf! Du bist unglaublich! Du solltest nicht immer das Wohl anderer vor deines stellen. Wir kommen hier auch ein paar Tage ohne dich zurecht, wenn es dir nicht gut geht. Bitte versprich mir einfach, dass du dich trotzdem schonst, auch wenn du nicht im Bett bleiben willst. Sonst muss ich dich morgen wohl daran festbinden!" Ich sah sie schmunzelnd an: "Na klar Lilian, weil du mich ja gegen meinen Willen irgendwo festbinden würdest." Wir mussten beide lachen und es tat gut, wieder hier mit ihr zu sein - genau deshalb war ich auch hergekommen.

Unsere Hallen waren an diesem herrlichen Morgen bereits rege gefüllt. Später würden viele Besucherinnen und Besucher die Hallen stürmen, um die atemberaubende Vielfalt der Pflanzenwelt zu bestaunen. Ich war hier am Institut für Palmen oder wie sie im Fachjargon hießen Arecaceae tätig. Das bedeutete natürlich, dass hier das ganze Jahr über tropisches Klima herrschte, was ich sehr genoss und die Besucherinnen und Besucher natürlich besonders. Den ganzen Tag über kümmerten wir uns um die individuellen Pflanzenbedürfnisse, kontrollierten Temperatur und Luftfeuchtigkeit in unserem speziellen Bereich oder waren in der "Nachwuchsstation" tätig. Natürlich führten wir auch die interessierten Besucherinnen und Besucher durch die Räumlichkeiten, zeigten ihnen den Weg oder beantworteten ihre Fragen. Auch der heutige Tag war nicht anders und es freute mich, dass ich die Menschen für unsere grünen Lieblinge begeistern konnte.

Als sich der Tag dem Ende zuneigte, kam ein junger Mann geradewegs auf mich zu. Er war groß und breit gebaut und strahlte enormes Selbstbewusstsein und Autorität aus. Sein Gesicht war kantig und sein Blick eisern. Ich schluckte, als ich in seine dunklen, eisblauen Augen blickte. Seine schwarzen Haare wirkten durcheinander, sie gaben seinem gestriegelten Aussehen einen kleinen chaotischen Touch. Doch das machte ihn unglaublich attraktiv.

Unwillkürlich spannte ich mich an, als er vor mir stand und mich um mindestens einen Kopf überragte. Ich räusperte mich, weil ich Angst hatte, dass ich kein einziges Wort herausbringen würde, wenn ich meinen Mund nun aufmachte: "Guten Abend, was kann ich für Sie tun? Suchen Sie nach etwas Bestimmten?", erkundigte ich mich mit einer meiner Standardphrasen höflich und wunderte mich abermals, warum er mich so einschüchtern konnte.

Seine tiefe, imperatorische Stimme jagte einen Schauer über meinen Rücken: "Wirklich sehr zuvorkommend von dir, Adeline. Ich suche dich - ha gefunden - sparen wir uns also weitere Höflichkeiten. Ich wurde geschickt, um dich zum Glaspalast zu bringen. Da ich ungern warte und auch gar keine Zeit habe, empfehle ich dir, gleich mitzukommen."

Mir blieb die Spucke weg, ich stand mit offenem Mund da und starrte ihn an, als wäre er von einem anderen Stern: "Was soll das denn bitte heißen, wie kommst du überhaupt auf die Idee, dass ...?", entgegnete ich pampig, wenn auch perplex, doch er schnitt mir das Wort ab:

"Da das hier ein bisschen spontan kommt, werde ich es nochmal für dich wiederholen: Ich bin hier, um dich zum Glaspalast zu geleiten und wenn möglich, machst du bitte keine Sperenzchen, weil ich wirklich andere Pläne hatte für meinen heutigen Abend.", sprach er zu mir wie mit einem kleinen Kind und verdrehte die Augen.

Ich schnaubte, außer mir vor Wut. Was bildete sich dieses Paket eines Schnösels eigentlich ein, so mit mir zu reden. "Was fällt dir überhaupt ein. Ich werde sicher nirgendwo mit dir hingehen, und erst recht nicht nach so einer unnötigen Testosteron-Nummer, die du hier gerade abgezogen hast."

Kurz zuckten seine Mundwinkel, als ob ihn diese Situation belustigte, was mich noch wütender machte: "Ich weiß, ich bin nicht unbedingt der Gentleman, den du dir wünschst, um hin und her chauffiert zu werden. Doch das war auch nicht meine Entscheidung", fügte er noch murmelnd und genervt hinzu.

"Wovon redest du überhaupt, hörst du dir eigentlich gelegentlich mal selbst zu? Und würdest du mich jetzt bitte in Ruhe lassen, ich habe zu tun.", gab ich schnaubend von mir und zeigte demonstrativ um mich.

Sichtlich genervt sagte er: "Ich habe schon mit deinem Chef gesprochen, ich habe seine Erlaubnis, dich früher von der Arbeit abzuholen. Also komm jetzt, Benjamin wartet bereits auf dich. Du hast sowieso keine Wahl, ich nehme dich so oder so mit", er sagte es so, als wäre es jetzt selbstverständlich, dass ich alles stehen und liegen lasse und einfach mit ihm mitgehe.

Und ja - ich dummes Stück gab tatsächlich nach. Ich seufzte genervt auf und verdrehte demonstrativ die Augen. Damit überspielte ich, dass ich mich insgeheim geschlagen fühlte, was unter anderem daran lag, dass er mich die ganze Zeit über mit seinen Augen zu durchbohren schien und mich damit mehr als nur unwohl fühlen ließ.

"Na gut, ich fahre dahin, aber nur, weil Benjamin darum gebeten hat, mich zu sehen und ich einige ungeklärte Fragen habe, nicht weil du hier den Bestimmer raushängen lässt oder Ähnliches!", sagte ich trotzig, auch wenn es natürlich nur der halben Wahrheit entsprach: "Aber ich muss noch die Bewässerungsanlage einschalten, denn meine Pflanzen werde ich wegen dir bestimmt nicht vertrocknen lassen." Gerade als ich aber in Richtung des Geräteraumes stapfen wollte, schoss das Wasser der Anlage aus allen Rohren.

Verwirrt schaute ich mich um, bis ich auf das selbstgefällige Grinsen des Mannes traf, dessen Namen ich immer noch nicht wusste. Provokant sagte er: "Anscheinend hat das wohl doch jemand anderer für dich übernommen, jetzt hast du keine Ausrede mehr." Selbstsicher drehte er sich um und schritt zum Ausgang, ohne sich nach mir umzudrehen, weil er sich wohl so sicher war, dass ich ihm sowieso folgen würde.

Und das tat ich auch, aber nur aus Perplexität, da die Bewässerung im richtigen Moment angesprungen war. Keinesfalls, weil ich nicht standhaft genug war - nur um das klarzustellen. Als ich durch die automatischen Schiebetüren, bei unserer Luftschleuse, hinaus in die frische Abendluft trat, lehnte der Schnösel bereits an seinem neumodischen Wagen und wartete ungeduldig auf mich.

Nun traute ich mich endlich zu fragen, was mir schon auf der Zunge brannte: "Warte mal, bevor ich einsteige, wer bist du denn überhaupt?"

Ich hoffe ihr mögt Lilian auch so wie ich. Und vielleicht auch den Unbekannten ;))

evira :))

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