3. Der Glaspalast
Es dauerte, bis ich meine Großmutter dazu überreden konnte, mich zurück nach Hause zu bringen. Ein paar Untersuchungen später und nach einem Gespräch mit dem Chefarzt persönlich, war Granny etwas beruhigter. Schließlich gab sie meiner Bitte nach, nahm mich mit und fuhr mich zu meiner Wohnung. Da bekam ich dann endlich die Gelegenheit dazu, das Gebäude, das mir Benjamin als das Institut vorgestellt hatte, von außen zu betrachten. und meine Großmutter ein bisschen auszufragen. Tatsächlich befand es sich im Herzen meiner geliebten Stadt Newcastle. Es war eines der vielen Wolkenkratzer, natürlich hatte ich diesem speziellen Gebäude früher noch nie meine Aufmerksamkeit geschenkt. Wieso denn auch? Ich war schließlich kein Architekturjunkie. Das Bauwerk hatte von außen keine Fassade - nur Fenster und hatte daher passenderweise den Namen Glaspalast bekommen.
Das Institut war anscheinend sowieso irgendeiner größeren Organisation untergeordnet und ausschließlich für irgendeine Art von besonderen Menschen zugänglich.
Ja, das war dann auch der Teil, wo ich anfing, sehr skeptisch zu werden. Hatte meine Großmutter hier so viel für meinen Aufenthalt bezahlt, dass sie mir eine wirklich amüsante "Gute-Nacht-Geschichte" auftischte? Vielleicht wollte sie mich einfach durch einen schlechten Scherz aufmuntern?
Ich wusste es nicht. Daraufhin habe ich sie natürlich gefragt, was ich dort zu suchen hatte und die Antwort war ein einfaches "Du bist eben auch sehr besonders, Adeline." mit einem Augenzwinkern von meiner Granny - na vielen lieben Dank auch, welches Enkelkind hört das denn nicht von seinen Großeltern. Ich beließ es bei dieser Aussage, weil ich wohl keine normale Antwort erhalten würde und weil ich einfach nur froh war, endlich von diesem kryptischen Ort verschwinden zu können.
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Nach einer gefühlten Ewigkeit konnte ich endlich wieder meine Wohnung betreten. Ich warf mich gleich auf mein großes Bett und vergrub mein Gesicht in den weichen Kissen. Es war schön endlich wieder in meinen eigenen vier Wänden zu sein, jetzt fühlte ich mich ja fast schon wieder normal. Aber leider waren mir die Ereignisse der letzten fast 24 Stunden zu präsent, als dass ich an etwas anderes hätte denken können. Auch musste ich meiner Großmutter noch zigmal versichern, dass es mir gut genug ginge und sie mich alleine lassen konnte. Bei einem Notfall würde ich natürlich einen Krankenwagen rufen - was denn sonst. Schließlich hatte sie sich auf ihren Heimweg gemacht. Granny hatte mich einfach zu gern, aber ich war eben doch schon erwachsen und konnte für mich selbst sorgen.
Es war schon Abend und bereits dunkel, ich war vollkommen erschöpft, mein Kopf brummte immer noch ordentlich. Morgen musste, nein, wollte ich, definitiv wieder zur Arbeit - das stand nicht zur Diskussion. Meine geliebten Pflanzen brauchten mich und ich brauchte jetzt meinen stinknormalen Alltag.
Schließlich schleppte ich mich doch noch widerwillig in meine kleine Küche, um mir halbherzig ein paar Sandwiches zu schmieren. Sonst wäre ich bald an dem Hunger zugrunde gegangen, der mich seit dem Aufwachen geplagt hatte. Die Krankenstation hatte mir zwar etwas angeboten, aber ich wollte dort einfach nur weg. Insgeheim hätte ich gern etwas Gesünderes zu mir genommen, aber ich durfte nicht undankbar sein, denn immerhin hatte ich überhaupt noch was zu Hause. Auch die verschriebenen Kopfschmerztabletten schluckte ich breitwillig mit einem großen Glas Orangensaft.
Am Ende meines verrückten Tages wollte ich unbedingt noch in die Dusche, bevor ich mich endlich in meinem Bett verkriechen konnte. Es gelang mir gekonnt keinen Blick in den Spiegel zu werfen. Ich wusste, dass ich schrecklich aussah, das musste ich nicht anhand einer optischen Begutachtung bestätigen. Das warme Wasser auf meiner Haut tat so gut und es war so angenehm, die kleinen Tröpfchen auf meinen ausgelaugten Körper prasseln zu lassen. Endlich konnte ich den ganzen Humbug, den ich heute erlebt und gehört hatte, von mir waschen, um mich in meiner eigenen Haut wieder wohlzufühlen. Obwohl ich sonst nicht lange in der Dusche verweilte, cremte ich mich diesmal extra dick mit meinem Glückseligkeit Duschgel ein. Ich weiß, was für eine Ironie - heute bräuchte ich eher einen Schrubb-mich-wieder-normal Schaum. Aber der Duft von Mandarine, Zimt und Vanille hüllte mich sofort ein, betäubte meine schlechten Gedanken und ließ mich tatsächlich etwas runterkommen.
Zum Glück war der Spiegel beschlagen, als ich schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit doch noch aus der Dusche kroch. Ich verlor keine Zeit und schlüpfte in meinen weichen Tinkerbell Plüschschlafanzug - der war nun mehr als notwendig - und zog mir sogleich meine weichen blauen Wollsocken über, die mir Granny gestrickt hatte.
Nachdem ich in mein Schlafzimmer getapst war, konnte ich mich endlich in mein mit Kissen bedecktes Himmelbett fallen lassen. Ich schloss sofort die Augen und atmete tief durch, erst nach diesem Akt des Ankommens kuschelte ich mich vollkommen in meine dicke Daunendecke und rollte mich ein wie eine Mumie. Obwohl ich so müde war, konnte ich in dieser Nacht nicht gut einschlafen. Ich war zu aufgewühlt von den Ereignissen, die mich noch länger wachhielten:
Wer war dieser James und wieso hatte er mich gefunden? Ich war in den frühen Morgenstunden noch nie einer Menschenseele begegnet und auch sonst war kaum jemand auf meiner Laufstrecke unterwegs - sie war mein Zufluchtsort. Aber vielleicht sollte ich froh sein, dass es diesmal der Zufall anders wollte, denn wer weiß, wie lange ich sonst noch bewusstlos im Wald gelegen hätte.
Wieso kannte meine Großmutter die Leute dieser mysteriösen Einrichtung? Wir hatten meine ganze Kindheit über in Germont gelebt, einem kleinen idyllischen Dorf am Waldrand. Erst für mein Studium ließ mich meine Großmutter widerwillig nach Newcastle in die Großstadt ziehen. Inzwischen hatte sie sich wohl damit abgefunden, dass ich meine eigenen Wege gehen musste. Wir telefonierten und besuchten uns oft. Ich glaube, das machte es ihr leichter loszulassen. Schließlich hatte sie auch nur noch mich, mein Großvater Teddy verstarb bereits vor meiner Geburt. Ich lernte ihn leider nie kennen, kannte nur unzählige Geschichten von meinem abenteuerlustigen und liebenswerten Opa. Damals sowie heute hatte ich ihr mehrmals angeboten, mit mir hierher nach Newcastle zu ziehen. Doch sie wollte lieber in Germont bleiben. Ich verstand ihre Entscheidung nur zu gut, es war schon immer unser gemeinsames Zuhause gewesen.
Was mich am meisten beschäftigte, war das mit den besonderen Menschen. Hatte sie damit wirklich etwas Ernstes gemeint oder war es bloß eine Schmeichelei? Hatte ich vielleicht irgendein Leiden, das sie mir verschwieg, weshalb ich besondere Ärzte benötigte? Oder wollte sie mir doch etwas anderes verheimlichen? Seufz, ich fand einfach keine schlüssige Erklärung. Wahrscheinlich sprach sie absichtlich so mysteriös, wie damals bei den übernatürlichen Heldensagen, die sie mir als Kind immer erzählt hatte.
Hach, meine liebe Granny, wann wirst du endlich merken, dass ich schon längst erwachsen bin?
Kleines Verarbeitungs-Kapitel :))
evira
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