14. Die Vergangenheit
Während ich meinen Bund mit den Elementen noch weiter vertiefte, war meine Großmutter schon längst unbemerkt in den Türrahmen getreten und beobachtete mich voller Stolz und Ehrfurcht. Als ich den inneren Kontakt zu den Elementen schließlich löste, sah ich sie.
Ich musste nicht fragen, um zu wissen, dass sie es auch fühlen konnte. "Adeline, du hast deine Verbindung wieder gefunden!", Granny kam mit Tränen in den Augen zu mir gelaufen und nahm mich fest in ihre Arme. Diesmal waren es Freudentränen. Doch ich selbst konnte kaum fassen, was passiert war. Waren das die schlummernden Kräfte von denen James gesprochen hatte? Was hatte dies zu bedeuten?
"Granny, jetzt kannst du dich nicht mehr davor drücken. Ich muss alles wissen, was du mir verheimlicht hast!", forderte ich sie sanft, aber bestimmt auf. Sie nickte, wischte sich ihre Tränen weg und lächelte mich erneut an. Gemeinsam setzten wir uns wieder in den Wintergarten, um die Aussicht nach draußen nicht zu missen.
"Also gut! Ich bin ein Elemagia, mit der Verbindung zur Erde geboren und habe das Glück, auch mit der Elementkraft der Luft beschenkt worden zu sein. Dadurch habe ich, wie du eine starke Nähe zur Pflanzenwelt entwickelt.", begann meine Großmutter nun ehrlich zu erzählen.
Ich konnte nicht glauben, dass ich diese Verbindung zuvor nie bemerkt hatte. Jetzt, wo ich die Pflanzen selbst spüren konnte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Es war glasklar, warum Granny inmitten der Natur lebte, in ihrem eigenen urbanen Dschungel. Die Gewächse gaben ihr Kraft. "Wieso konnte ich nie sehen, welch magische Verbindung du mit diesen grünen Wunderwerken hast?", fragte ich unglaublich.
Meine Oma lächelte, umschmeichelte die Monstera, die sich ebenfalls an sie schmiegte. Schließlich flüsterte sie: "Du hast alles gesehen meine Blume, früher konntest du auch mit ihnen kommunizieren.", sie stoppte, hinterließ einen sanften Kuss auf dem Blatt und ließ es wieder in ihre Wuchsrichtung frei, "Leider weißt du es nicht mehr. Die Erinnerungen wurden dir zusammen mit deinen Kräften genommen." Sie schaute mich reumütig an, es war offensichtlich auch für sie nicht einfach. Ich hatte so viele Fragen.
Granny sprach von sich aus weiter: "Weißt du Adeline, deine Mutter ...", sie nahm wieder den Bilderrahmen zur Hand und strich sachte über das Glas, "... wünschte sich ein normales Leben für dich. Kara wollte dich beschützen und von den Vantagia fernhalten." Wieder, ein neuer Begriff. "Warum ist all dies so gefährlich, wovor wollte sie mich bewahren? Mein Kontakt mit den Pflanzen heute Morgen, war so friedvoll und so wunderschön. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Verbindung gefährlich sein kann.", ich schüttelte ungläubig den Kopf, diese neue Welt war so verkorkst.
Großmutter stand auf und rückte den bunten Perserteppich zur Seite. Eine Diele darunter wirkte beim genauen Hinsehen ein wenig heller als der Rest. Der Verdacht bestätigte sich, als das Brett durch eine zeitgleiche Schieb- und Drückbewegung unter die anderen Dielen am Fußboden glitt und dadurch einen kleinen Hohlraum freigab. Dieser war offensichtlich gefüllt, denn ein Tuch aus rotem Samt bedeckte den Inhalt.
Die Neugierde überkam mich und ich kniete mich neben meine Grams. Sehr sorgsam und vorsichtig zog sie den Stoff ab. Darunter kamen gleich mehrere Gegenstände zum Vorschein. Einer stach besonders hervor. Meisterlich glänzte ein rubinbesetzter Griff hervor und zog meinen Blick gar magisch an. Automatisch streckte sich mein Arm nach ihm aus.
"Haaaaalt", schrie meine Großmutter voller Schrecken. Ich spürte eine unsichtbare Barriere, die mich wie ein Schild davon abhielt, dem Gegenstand näherzukommen. Mein Verlangen, danach zu greifen, fühlte sich unmenschlich an. Doch das vor Panik verzerrte Gesicht meiner sonst so frohen Granny jagte mir weit mehr Angst ein. Einen Schauer lief über meinen Rücken, als ich zitternd fort rutschte, bis die Besessenheit von mir wich.
Fröstelnd drängte ich mich ins Eck des Wintergartens, umklammerte meine Beine und wippte hin und her wie ein Kleinkind. Der Schock war uns beiden ins Gesicht geschrieben. Noch nie hatte ich meine Großmutter so erlebt, noch nie hatte sie mich angeschrien.
Besorgt fasste meine Großmutter zuerst das Wort: "E-E-Es t-t-tut m-mir leid!", sie atmete tief ein und sprach dann wieder mit fester Stimme, "Du darfst dem Dolch nicht zu nahekommen. Er ist so mächtig, ein winziger Schnitt reicht aus um, damit großen Schaden anzurichten." Langsam beruhigte auch ich mich etwas und hauchte mit gebrochener Stimme, immer noch voller Schrecken: "Granny, was passiert hier, was passiert mit mir?"
Ohne mir zu antworten, holte sie die anderen Gegenstände aus dem geheimen Versteck und legte sie behutsam auf dem dunkelroten Tuch aus. Eines davon war ein zerflederter und schmutziger beiger Stoffhase, der vermutlich einmal weiß gewesen war. Daneben lagen eine bunt bemalte Keramikschüssel, ein gelber Wollschal und jede Menge Schmuck in Form von Ringen, Amuletten oder Ketten. Als Granny auch den Dolch aus dem Fach nahm, drängte ich mich zischend zurück in das schützende Eck. Die Angst vor einer erneuten Besessenheit machte sich in mir breit.
"Keine Sorge, du hast es geschafft, dem Drang zu widerstehen. Jetzt bist du vorerst in Sicherheit. Hab keine Angst mein Sonnenschein, die Sogwirkung ist nicht menschlich, deine Reaktion ist vollkommen normal für eine junge Elemagia. Dieses magische Instrument wurde für sehr mächtige Rituale erschaffen.", erklärte mir meine Großmutter diesmal ruhig, sie hatte sich anscheinend wieder vollständig vom Schock erholt. Das konnte ich von mir nicht behaupten. Ich war vollkommen durch den Wind, kauerte wie ein frisch geschlüpftes Küken verschreckt in der Ecke.
Granny kam zu mir, setzte sich neben mich auf den kalten Boden und legte ihren Arm um meine Schultern. Sie gab mir einen Kuss auf den Haaransatz und flüsterte beruhigend: "Da vorne liegt, ein kleiner Teil deiner Erinnerungen.", sie lächelte, doch es erreichte nicht ihre Augen, "Schneehoppy, dein Stoffhase, ihn hast du überall mitgenommen. Er war dir treu ergeben und hat dir stets Mut gemacht." Nun musste auch ich lächeln. Schneehoppy - was für ein komischer Name.
Jetzt kam Grams in den Redefluss, wollte alles loswerden, was sie so lange für sich behalten hatte: "Daneben ist deine Übungsschüssel. Darin hast du deine Kräfte ausprobiert. Man fängt immer sehr klein an weißt du, damit man ein Gespür für die winzigste Einheit der Elemente bekommt und sie dadurch grundlegend verstehen kann." Sie legte meine Handfläche auf ihre und schloss die Augen. Plötzlich spürte ich ein leichtes Kitzeln auf meinem Handrücken, das immer stärker wurde. Schließlich sah ich klitzekleinen Bläschen, die meine Fingerknöchelchen umschmeichelten.
Ich merkte kaum, wie meine Großmutter sich von mir löste und meine Hand allein durch die Kraft der Luftbläschen schwebte. Gebannt beobachtete ich das Geschehen, es fühlte sich prickelnd und aufregend an. Wie Kohlensäure in frischem Wasser. Ich wollte mehr davon spüren: "Wow. Konnte ich das auch?", flüsterte ich vorsichtig und voller Ehrfurcht für diese Kraft.
Granny war erfreut über meine Frage und die Worte sprudelten aus ihr heraus wie die Bläschen auf meiner Haut: "Ja, du konntest das und noch viel mehr. Du warst unsere kleine Zauberhexe, so wissbegierig und ehrgeizig wie kein anderes Kind. Dir deine Kräfte zu rauben, brach mir das Herz, und so entschieden wir auch deine Erinnerungen zu nehmen, um dir diesen Schmerz zu ersparen.", zuletzt schwang wieder die Bitterkeit in ihrer Stimme mit.
Ich konnte nicht fassen, dass ich all dies schon einmal getan hatte, wie war das möglich? Wo war meine Erinnerung und wo waren meine Kräfte? Wie konnten sie mir einfach so genommen werden? Um nicht von meinen Gedanken verschlungen zu werden, fragte ich, was mich beschäftigte.
Granny seufzte laut und hielt inne, bevor sie zu mir sprach: "Es war keine leichte Entscheidung, doch nach all dem Leid beschloss Kara dir deine Kräfte und damit auch deine Erinnerung zu nehmen. Sie wollte dich vor den Machenschaften der Institute beschützen, dich von all dem hier fernhalten. Es tut mir so unendlich leid, Adeline. Ich versprach deiner Mutter darüber zu schweigen. Bei ihrer Rückkehr wollten wir das Ritual rückgängig machen, doch dazu kam es nicht. Seither lag es an mir deine Vergangenheit für mich zu behalten. Damit ist die Schuld, dir deine Kindheit und Identität gestohlen zu haben, meine."
Jetzt gibt es kein Zurück für Adeline. Ein bisschen von ihrer Vergangenheit wurde aufgedeckt.
Evira
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top