11. Das Frühstück
"Du kannst alles essen, was auf dem Tisch steht, es ist nur für dich!", eröffnete mir James, nachdem er mich wieder zurück in das Esszimmer geführt hatte. Meine Augen wurden groß und ich blickte mit offenem Mund zwischen ihm und dem reichlich gedeckten Tisch hin und her: "Nur für mich? Isst du nicht?", fragte ich ihn erfreut und verwirrt zugleich.
"Ich bin schon seit ...", er drehte elegant sein Handgelenk, um einen Blick auf die schwarze Uhr zu werfen, das Display leuchtete auf, "...fünf Stunden auf den Beinen. Da ich dich weder wecken wollte noch wusste, wann du aufstehst, habe ich bereits gefrühstückt. Aber ich leiste dir Gesellschaft, wenn du das möchtest.", meinte er halbherzig. Ich bemerkte, dass er sich bemühte freundlich zu sein. Warum war er schon wieder so mies gelaunt, lag es an mir?
"Ich muss mich noch bedanken, für gestern.", sagte ich aufrichtig zu ihm, "Und für letztens!", fügte ich noch kleinlaut hinzu. Kurz zuckten seine Mundwinkel nach oben, doch er starrte ins Leere. Nach einer Weile richtete er seinen Blick auf mich und sprach mit einem professionellen Ausdruck in seinem Gesicht: "Du stehst unter dem Schutz des Instituts. Die Elemagia geben aufeinander acht, das ist ein Ehrenkodex."
Ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Welches Stück des Puzzles sollte ich hierbei sein? Um ehrlich zu sein, fühlte ich mich eher wie ein Elefant im Porzellanladen. Alles, was mir einfiel, war ein schlichtes: "Okay."
Meine Antwort schien James zu irritieren, er runzelte die Stirn und sah mich verstimmt an: "OK? Das ist alles was du dazu zu sagen hast?" Seine direkte Frage war wie ein Vorwurf und plötzlich fühlte ich mich beschämt, hatte ich etwas Falsches gesagt? Gab es überhaupt die richtigen Worte? Ich wusste nicht mehr weiter. Diese neue Welt brachte mich um meinen Verstand.
"Es tut mir leid, wenn dich meine Antwort in irgendeiner Form beleidigt hat. Ich habe keine Ahnung, wie ich reagieren soll. Was soll ich denn noch glauben? Mein Leben lang habe ich der Wissenschaft vertraut. Die Vorgänge dieser Welt haben Sinn gemacht. Und nun soll ich aus dem Nichts - ja ich - ein stink normaler Mensch plötzlich Teil eurer Übernatürlichkeit sein? Also sag mir James, was genau soll ich antworten?", ich sprach so schnell, überschlug mich fast. Atemlos blickte ich meinem Gegenüber entgegen.
Er richtete sich auf, drehte sich weg von mir und machte ein paar unschlüssige Schritte in Richtung der Fensterfront, ich hörte ihn seufzen. Anscheinend war nun auch dem sonst so redegewandten Herren die Spucke weggeblieben.
Was solls, ich zuckte mit den Schultern, schnappte mir die Glaskaraffe auf dem Tisch, die mit orangener Flüssigkeit gefüllt war. Mein Hals war wie Schleifpapier. Ich nahm einen zögerlichen Schluck und war erfreut, den süßsauren Geschmack von frisch gepressten Südfrüchten zu schmecken. Bei der Aufregung hatte ich fast vergessen, wie hungrig ich war und griff sogleich auch nach dem braun gebackenen Croissant im Körbchen. Genüsslich biss ich in das fein luftige Gebäck, das beim Abbeißen die unangenehme Stille im Raum mit feinem Knistern durchbrach.
Als ich meinen persönlichen Glücksmoment zur Genüge ausgekostet hatte, öffnete ich meine Augen und verschluckte mich zugleich fast an meinem Bissen Blätterteig: "Spinnscht du!!", fauchte ich nuschelnd und hielt mir die Hand noch rettend vor den Mund, um James, der anstatt am Fenster plötzlich direkt neben mir stand, nicht anzuspucken. Ich schluckte: "Du hast mich mega erschrocken, wieso schleichst du dich so an?!"
Doch James hatte seinen Blick starr auf den Boden fixiert, stützte sich an der Sessellehne ab und atmete viel zu schnell. Sein Brustkorb hob und senkte sich rapide. Was war denn jetzt schon wieder passiert - war ich nun tatsächlich reif fürs Irrenhaus?
James sah zu mir auf und schluckte demütig: "Bitte entschuldige mein Verhalten!" Ich blickte ihm perplex entgegen, unfähig meinen Mund zu öffnen. Was hätte ich auch antworten sollen? Anscheinend hatte James gerade irgendetwas Dummes getan, denn er sah mich reumütig an: "Es tut mir leid Adeline, ich wollte gerade in deinen Kopf eindringen. Ich habe kein Recht das zu tun."
Was gab es denn noch in dieser Welt, wovon ich nichts wusste? Dinosaurier, sprechende Katzen oder Einhörner?! Aufgelöst fragte ich: "Wenn ich nichts zu verbergen habe, dann muss ich mich doch auch nicht davor fürchten, dass jemand meine Gedanken lesen kann, oder?"
Vollkommen verdutzt sah mich der Mann neben mir an, seine Augen blitzten blau-grün auf: "Du solltest deine Gedanken und Erinnerungen stets hüten Adeline! Auch, wenn du sie nicht verbergen musst, können sie gefährlich für dich werden.", seine Stimme war todernst, "Es geht viel zu leicht, wenn du es zulässt. Eine reine Verführung für erfahrene Elemagia." Was war denn das für ein Begriff? "Elemagia?", fragte ich unkundig, ich meine ehrlich gesagt klang es ja fast schon lächerlich.
James seufzte, offensichtlich war er es gewohnt, mit Leuten zu kommunizieren, die sich mit diesem magischen Kram auskannten: "Weißt du denn gar nichts über uns? So werden wir genannt. Menschen, die die Kraft der Elemente lenken können - Elemagia."
Dann war Benjamin also ein Elemagia und James anscheinend auch: "Das bedeutet, dass du auch Wasser in der Luft schweben lassen kannst, so wie dein Vater?" James zuckte zusammen. Er drehte sich am Satz um, ging zu der weißen Vitrine neben dem großen silbernen Kühlschrank und griff nach einem geschliffenen Glas. Hatte er etwa auch vor mir seine Künste zu demonstrieren? Eigentlich wollte ich gar nichts mehr davon sehen, die eine Vorstellung war mehr als genug gewesen. Gerade als ich fragen wollte, hielt er das Gefäß jedoch unter den Wasserhahn der Küchenspüle, ließ es volllaufen und trank einen großen Schluck. Eine unangenehme Stille breitete sich zwischen uns aus und ich kam mir sehr blöd vor. Warum hatte ich auch erwartet, dass James einen Zirkus für mich veranstalten würde?
Zum Glück ergriff er zuerst das Wort: "Benjamin hat dir also das Wasserelement präsentiert.", stellte er emotionslos fest und sprach auch gleich weiter. "Wie ich dir schon bei unserer ersten Bewegung erläutert habe, lehre ich den Umgang mit Luft und Wasser, natürlich beherrsche ich jenen auch selbst." Jetzt fiel mir wieder unsere Unterhaltung im Auto ein, als er mich von der Arbeit abgeholt hatte. Anscheinend hatte James es wirklich ernst gemeint - für mich war das immer noch unvorstellbar. "Wie viele SchülerInnen hast du denn?", fragte ich interessiert. Er blickte nach oben, als rechnete er nach: "Derzeit sind insgesamt dreizehn im Luft-Lehrgang und sechs im Wasser-Lehrgang. Die Zahl variiert stetig."
Ich war vollkommen gefesselt und starrte gebannt auf James volle Lippen, saugte jedes seiner Worte auf wie ein Schwamm. "Wow, es gibt also mehr von euch! Wie kann es sein, dass es Elemagia gibt und wir normalen Menschen nichts davon mitbekommen?", fragte ich vollkommen verblüfft.
James schmunzelte bei meiner Aussage und ich war froh, dass er wieder eine Emotion zeigte. "Sicher bekommen sie es mit, wir sind ja nicht unsichtbar. Doch ein offensichtlich übernatürliches Erlebnis vergessen sie oder verarbeiten es in ihren Träumen. Reiner Selbstschutz und das ist auch gut so, denn nicht jeder ist auch in der Lage die Kunst der Elemente zu erlernen oder zu verstehen.", erklärte er mir simpel.
Jetzt wurde ich wirklich neugierig und fragte gespannt: "Man kann das lernen?" Erneut schmunzelte er - wow, was war denn jetzt los - und beantwortete meine Frage: "Man nicht, nein, du musst es vererbt bekommen. Aber bei manchen kommt dieses Erbe nie an die Oberfläche und kann dann auch nicht mehr weitervererbt werden. Andere bekommen die Gabe ohne genetisches Material - das geschieht jedoch sehr selten. So erhält die Natur das Gleichgewicht aufrecht."
Langsam begannen sich die Puzzleteile dieser neuen Welt zusammenzusetzen: Es gab Menschen, die Elemente beeinflussen konnten. Man konnte es nur vererbt bekommen, außer man war superauserwählt, dann einfach so. Das alles war lieb und nett, doch wo kam ich in diesem Märchen vor? Ich konnte mich nicht daran erinnern, je zum Wasserspeier oder Tornado geworden zu sein, und ja, ich bin mir ziemlich sicher, das wäre in meinem Gedächtnis hängen geblieben.
"Nun gut, wieso bin ich mit dieser Welt in Berührung gekommen?", fragte ich endlich, was mich schon die ganze Zeit beschäftigt hatte. James wachsame Augen suchten die meinen und ich konnte fast nach der Spannung in der Luft greifen, die sich zwischen uns aufgebaut hatte. Dann setzte James endlich an zu sprechen, hielt aber wieder inne, bevor er überhaupt begonnen hatte. "Warum denn?", hackte ich nach, weil er mich echt auf die Folter spannte. Der Mann seufzte, spannte sich an und warf seinen Kopf in den Nacken. Schließlich richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf mich: "Adeline ... ", er stoppe wieder und sah mich mit einem undefinierbaren Blick an, "... du hast schlummernde Elemente in dir - ansonsten hättest du die elementaren Ereignisse schon längst vergessen!"
Das Kapitel ist fast ein einziger Dialog, ich hoffe es hat euch ein bisschen mehr Aufschluss über die Elemagia und ihre Welt gegeben.
evira
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top