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James hat mich in mein Zimmer gezerrt. Er selber muss draußen warten, weil ich mich strikt geweigert habe, ihm Eintritt zu gewähren.
Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich heiraten soll und James mich einfach so fort schleppen kann. Immerhin bin ich keine Schachfigur, die man irgendwo schnell einsetzen kann, wenn man sie braucht. Nur fühle ich mich gerade, als wäre ich eine.
Der Junge vor der Tür denkt zwar, dass er mich retten würde, aber das, was mein Vater gerade eben veranstaltet hat, war nichts. Nichts im Vergleich zu meiner Kindheit. Ich lache trocken auf, weil dieser Gedanke klingt wie ein Klischee eines wahnsinnig schlechten Buches, aber das hier ist leider mein Leben und nicht irgendeine ausgedachte Geschichte mit fiktiven Charakteren, die ein ach so schlimmes Leben haben und am Ende der Story doch alles bekommen, was sie wollen.
Das hier ist harte Realität und daraus wird auch James mich nicht retten können. Man kommt aus so einer Organisation nicht heraus, wenn man nicht tot ist. Also werde ich hier auch nicht durch eine arrangierte Ehe herauskommen.
Ich ziehe ein schwarzes Kleid aus dem Schrank heraus, welches von Glitzer nur so übersäht ist. Bis zur Hüfte liegt es eng an, dann folgt ein Rock, der vor Tüll nur so trieft. Ich rufe mein Dienstmädchen Greer zu mir, die mir beim Ankleiden helfen soll.
"Es ist schade, dass Mister Marcini dich einfach so mitnimmt, meinst du nicht?", fragt sie, während sie mein Kleid anfängt zuzuschnüren. "Ich soll ihn heiraten, also sollte ich ihn wohl so schnell wie möglich kennenlernen.", seufze ich.
Bei Greer kann ich ganz ich selbst sein und lasse jegliche Arroganz, die zu meinem eigenen Schutz dient, fallen. Wenn ich niemanden an mich heranlasse, kann mich auch niemand verletzen, aber ohne Freunde ist das Leben noch beschissener als sowieso schon.
"Ich denke, dass du Recht hast. Du wirst mir fehlen.", stellt sie fest. Ich konnte mich bis jetzt noch zusammenreißen, aber auch ich werde traurig. Meine Augen werden langsam aber sicher wässrig und ich schniefe. "Ich werde dich auch vermissen, Greer."
Sie zieht noch einmal fest an den Schnüren des Kleides und bindet sie dann zusammen. Ich drehe mich zu ihr um und nehme sie fest in den Arm. Sie wird mir fehlen, als einzige Person, die mir wirklich etwas bedeutet, neben meinem kleinen Bruder.
Greer streicht mir niedergeschlagen lächelnd eine Träne aus dem Gesicht und schiebt mich sanft in Richtung Tür. Dazu nimmt sie selbst eine kleine Sporttasche in die Hand, in die sie alles nötige für eine Nacht zusammengepackt hat.
Ich werfe noch einen letzten Blick in den Spiegel. Das Kleid sitzt so gut wie perfekt und meine glatten, braunen Haare sind zu einem hohen Zopf gebunden. Ich sehe wahnsinnig gut aus.
"Ich danke dir, Greer. Für alles.", verabschiede ich mich, während ich ihr die Tasche abnehme. Ihre Lippen sind nach wie vor zu einem Lächeln verzogen, aber ihre Augen füllen sich mit Tränen. "Geh, bevor ich noch anfange zu weinen. Das wird nicht gern gesehen.", zwinkert sie mir zu.
Wie von selbst nicke ich und nehme einen letzten tiefen Atemzug, bevor meine Finger die kalte Klinke der Tür berühren und sie sogleich nach unten drücken. Die Tür springt auf und zeigt mir James, der ungeduldig auf seine Armbanduhr schaut.
Der Blick des Lockenkopfes hebt sich und seine Augen weiten sich. Sein Blick gleitet an meinem Körper nach unten, so als würde er versuchen, jedes Detail in sich aufzusaugen. "Willst du noch weiter starren oder können wir endlich hier weg?", keife ich.
Er schreckt auf und scheint sein Gehirn wiedergefunden zu haben. James bietet mir seinen Arm an, jedoch stolziere ich allein davon. Die Hacken meiner hohen Schuhe machen Geräusche auf den Fliesen und hallen durch die Gänge.
James folgt mir schnell und läuft wenig später neben mir her. "Draußen wartet ein Wagen auf uns. Er wird uns zu dem Anwesen meiner Eltern bringen. Benimm dich bitte.", erklärt er mir.
Ich erscheine ihm vielleicht arrogant, aber ich habe durchaus die Fähigkeit, mich zu benehmen und habe auch eine Erziehung genossen, die mir dabei behilflich sein wird.
***
Der Wagen hält vor dem Anwesen der Marcinis und es sieht wunderschön aus. Das Haus ist von außen schwarz gehalten und hat große Fensterfronten, jedoch sind die Fenster getönt, sodass man von draußen nicht hineinsehen kann. Vor dem Anwesen befindet sich frisch gemähter Rasen mit ein paar in verschiedene Formen geschnittenen Büschen. Hinter dem Tor erstreckt sich ein Weg, über den der Wagen fährt, in dem ich mehr oder weniger freiwillig platzgenommen habe.
Das Haus hat sogar eine unglaublich große Tiefgarage, in der unzählige Fahrzeuge untergebracht sind, sodass man sich in jeder erdenklichen Situation mit einem dieser Wagen fortbewegen könnte.
Bis jetzt ist vieles so wie bei mir Zuhause, nur in eleganter.
Wir fahren mit einem Fahrstuhl ins obere Geschoss und werden von einem breitschultrigen Mann empfangen. "Mister Marcini, Miss Genova, folgen sie mir.", kommt es von ihm. Der Chauffeur fährt mit dem Fahrstuhl weg, nachdem wir ihn verlassen haben.
Der Mann führt uns zu einem großen Speisesaal. Die Teile des Anwesens, die ich bis jetzt gesehen habe, waren schwarz gehalten, hatten aber goldene Akzente, was wirklich elegant aussieht und meinem Geschmack entspricht.
Vor mir erstreckt sich ein großer Esstisch, mit einem Kronleuchter darüber. Am Ende des Tisches sitzt ein etwas älterer Herr, der James und mich mit kaltem Blick ansieht. Diesen Blick beherrscht mein Vater auch mehr als gut.
Eine Frau mit schwarzen, kinnlangen Haaren kommt auf uns zu. Sie legt ihre Hand auf meine Wange und sieht mir in die Augen. "Bellezza, du siehst genauso hübsch aus wie deine Mutter. Ich freue mich, dich kennenzulernen.", sagt sie voller Aufregung und mit einem breiten Lächeln auf den Lippen.
"Ich danke ihnen. Die Freude liegt ganz meinerseits.", antworte ich noch, bevor sie mich in die Arme schließt und mich fest drückt. Etwas unbeholfen lege auch ich meine Arme um sie und hoffe, dass sie mich bald wieder loslässt. Sie erscheint mir nett, aber ich mag Körperkontakt mit Fremden nicht sonderlich gerne, wenn es über Hände schütteln hinaus geht.
Die Frau schließt auch James in eine feste Umarmung und bittet uns dann, uns an den Tisch zu setzten.
Der Mann, wahrscheinlich Mr. Marcini sieht uns weiterhin wachsam an. "Du bist also Adelaide. Ich habe dich das letzte Mal gesehen, als du ein Baby warst und dein Vater den Vertrag unterschrieben hat. Du scheinst wenigstens ganz ansehnlich zu sein.", wirft er mir an den Kopf.
Mein zukünftiger Schwiegervater scheint mich ja sehr zu mögen. Die Ironie in diesem Satz stinkt bis nach Nordafrika.
"Ja, ich bin Adelaide Genova. Es freut mich, sie kennenzulernen, Mr. Marcini.", versuche ich es erst einmal auf die nette Tour. Hier sollte ich nicht direkt die Zicke raushängen lassen, wie ich es James gegenüber getan habe. In solchen Situationen ist es besser, den Kopf einzuziehen, wenn man weiß, wie es in solchen Familien läuft. Wer hier nicht nach der Nase des Bosses, in dem Fall Mr. Marcini, tanzt, wird besten Falles gefoltert oder direkt getötet. Mich wird der Boss hier nicht einfach töten, weil ich ihm einen Nutzen einbringe. Die Allianz zwischen unseren Familien bringt beiden Seiten einen enormen Vorteil ein und dieser sollte nicht so einfach verspielt werden.
Giovanni Marcini lacht trocken auf. "Du freust dich nicht, mich kennenzulernen. Dein Blick verrät dich, aber es ist schön, dass du denkst, ich wäre einfach zu manipulieren und zu belügen. Leider hast du dich dabei gewaltig geschnitten. Ich denke du weißt, was in den Kellern dieses Hauses passiert? Versuch noch einmal, mich zu belügen und du landest da, das verspreche ich dir."
Nun ergreift auch James das Wort. "Vater, sie wird meine Ehefrau und sie wird nicht in diesem Keller landen, damit das klar ist. Sie wird auch nicht hier bleiben. Wir fliegen heute Abend noch zu meinem Haus nach Miami."
Nach außen hin wirke ich, als würde ich das schon seit Jahren wissen, aber innerlich bin ich einfach nur verwirrt. Wieso genau will James mich unbedingt von hier wegbringen und wieso nach Amerika? Jetzt gerade befinden wir uns in Italien, also wieso heute Abend noch in die USA reisen?
"Ach James, lass uns deine Zukünftige doch erstmal richtig kennenlernen, bevor du sie nach Miami bringst.", bittet seine Mutter. Ich würde sie gerne besser kennenlernen, weil sie mir nett erscheint, aber zu Giovanni würde ich gerne einen gesunden Abstand halten, was aber nicht heißen soll, dass ich direkt nach Miami flüchten will.
"Ich habe meinen Entschluss gefasst, Mutter. Adelaide und ich werden uns eine Weile zurückziehen und die Hochzeit aushandeln. Dabei ist es eher kontraproduktiv, wenn uns noch andere Leute im Nacken sitzen.", erklärt James sich weiter. Eine Locke fällt ihm ins Gesicht, die er sich genervt von der Stirn streicht.
"Bellezza, willst du denn wirklich jetzt schon mit meinem Sohn das Land verlassen?", fragt Mrs. Marcini. Ich überlege kurz, bevor ich antworte. Mit einem gefälschten Lächeln auf den Lippen sage ich schließlich noch etwas. "James und ich haben zusammen beschlossen, uns zurückzuziehen, also ja, ich möchte mit James nach Miami."
James Vater stützt die Unterarme auf dem Tisch ab und beugt sich etwas nach vorn. "Adelaide, wie geht es Matteo? Ist er denn bereit, die Genova im Ernstfall zu übernehmen?", fragt er.
Ich weiß ganz genau, worauf er hinaus will. Er ist gierig nach Macht. Sollte meinem Vater also etwas zustoßen, wird diskutiert, wer die Familie dann leitet. Normalerweise würde mein Bruder dies übernehmen, aber er ist noch zu jung dafür. Ich darf die Familie nicht übernehmen, weil ich eine Frau bin. Sollte meinem Vater also etwas passieren, was für ihn tödlich enden würde, dann müsste ich James sofort heiraten und unsere Mafia würde an ihn gehen. Über James hätte Giovanni dann auch Einfluss auf meine Familie, was mir absolut nicht passt.
"Matteo wurde sehr gut vorbereitet und könnte die Genova im Zweifelsfall übernehmen. Mein Vater hat dafür gesorgt, dass er das schaffen kann. Dazu hätte er seine Schwester an seiner Seite, die in dem ganzen natürlich auch noch verwickelt ist.", lächele ich wieder gefälscht in der Hoffnung, dass er meine Lüge nicht wieder durchschaut.
"Du denkst viel zu hoch von dir. Das schwächere Geschlecht passt nicht in diese Welt. Als Frau oder als Mädchen hast du hier nichts zu sagen und du weißt ganz genau, wie die Geschichte ausgehen würde, wenn Gabriel etwas zustoßen würde. Du bist darin verwickelt, das stimmt, aber zu sagen hast du nichts. Dazu ist der kleine Matteo noch viel zu jung, um die Führung von etwas so großem zu übernehmen.", lächelt Giovanni genauso gefälscht.
"Giovanni, jetzt ist aber mal gut. Lasst uns essen.", beendet Isabella, James Mutter, das Gespräch. Sofort wird mir etwas zu essen vor die Nase gestellt.
Als Giovanni anfängt zu essen, fangen wir anderen auch an. Das Abendessen verläuft still, so wie es bei mir zu Hause auch immer war. Ich selbst versinke nebenbei ein Stück in meine eigenen Gedanken.
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