Am nächsten Tag tauchte keiner der beiden auf. Weder Jonathan noch Hope. Und am darauffolgenden Tag ließ sich Hope immer noch nicht blicken. Ich machte mir Sorgen. Mehr als ich es je in meinem ganzen Leben getan hatte. Ich wusste immer noch nicht, was an dem Abend, an dem sie mich angerufen hatte, passiert war. Sie wollte darüber nicht sprechen, und das musste ich akzeptieren, egal wie sehr es mich um den Verstand brachte.
Ich wollte sie schon des Öfteren anrufen, aber legte immer wieder mein Handy weg, ohne mich nach ihr zu erkundigen. Ich wollte ihr Freiraum geben. Sie sollte sich nicht zu einer Erklärung gedrängt fühlen, sondern es mir dann erzählen, wenn sie dazu bereit ist.
Ich hörte meine Freunde lauthals lachen, während ich quälend lächelte. Ihr Leben schien so leicht und unbeschwerlich zu sein. Sie lachten, hatten gemeinsam Spaß, während ich teilnahmslos am Tisch in der Cafeteria saß. In meiner Hand hielt ich eine Pommes, aber ich verspürte keinen Appetit und würde sicherlich auch keinen Bissen herunterbekommen.
»Wo ist Jonathan?« fragte Nick in die Runde und ich wurde hellhörig. Seit dem Vorfall mit Hope hatte er sich selbst nicht mehr in der Schule blicken lassen. Es musste etwas Schlimmes geschehen sein, wenn selbst er sich nicht mehr traute, ihr unter die Augen zu treten. Aber vielleicht war er auch einfach nur krank oder hatte - seiner Meinung nach - besseres zu tun, als in die Schule zu gehen.
»Ich hab' ihn vorhin gesehen« meinte Scott schulterzuckend, bevor er einen Schluck von seinem Getränk nahm.
»Er ist wieder da?« rutschte es aus mir heraus. Ich bereute es sofort und versuchte meinen schockierten Blick hinter einer ausdruckslosen Miene zu verstecken. Sie brauchten nicht zu wissen, dass ich nicht auf seiner, sondern auf Hopes Seite stand.
Wie erwartet blickten sie ein wenig verwirrt, alle miteinander.
»Anscheinend« meinte Scott und kümmerte sich nicht weiter um das Thema. Er widmete sich seinem Handy, auf dessen er etwas eintippte, bevor er es zurück in seine Hosentasche steckte und sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte.
»War das etwa Lucia?« Nick wackelte mit den Augenbrauen und konnte sich ein dämliches Grinsen nicht verkneifen.
Wer ist Lucia?
»Scott ist verliiebt« Ashley kicherte daraufhin und schmiegte sich an Jonas' Körper. Scott verdrehte nur die Augen, doch in seinen Augen schimmerte etwas, das zeigte, dass sie ins Schwarze getroffen hatten.
Ich wusste nicht, wer dieses Mädchen war, woher sie sie kannten und inwiefern die beiden Kontakt hatten, aber ehrlich gesagt interessierte es mich auch nicht sonderlich. Es mag egoistisch klingen, aber was in dem Leben meiner Freunde vorging, war mir völlig egal. Ich brauchte nicht zu wissen, wer in wen verliebt war oder was sonst gerade in ihrem Leben passierte.
Unauffällig drehte ich meinen Kopf zur Seite, um den Tisch zu sehen, an dem Hope jeden Mittag sitzt, in der Hoffnung, sie dort sitzen zu sehen, mit Damian und voller Zufriedenheit. Doch es saß niemand an diesem Tisch. Damian hatte sich zu ein paar Freunden aus dem Footballteam gesetzt und Hope schien auch diesen Tag nicht in die Schule zurückkehren.
Ich vermisste sie. Ich vermisste ihre klaren blauen Augen, ihr kleines Lächeln, das immer aufs Neue mein Herz erwärmte. Ich vermisste unsere kleinen Berührungen, wenn niemand in unserer Nähe war. Oder die, wenn wir es durch reinen Zufall taten, wie damals im Supermarkt, als ihr Arm beim Vorbeigehen meinen streifte. Rein zufällig.
»Was hab' ich verpasst?« Mein Blick schnellte mit rasender Geschwindigkeit zurück an den Tisch, an dem ich mit meinen Freunden die Mittagspause verbrachte. Da stand er. Der Junge, der sich lieber nicht mehr in meine Nähe trauen sollte, wenn er unverletzt und am Leben bleiben wollte.
Durch meinen Körper rauschte das Blut, meine Muskeln spannten sich an und ich versuchte mich mit langsamen Atemzügen zu beruhigen.
Ich konnte ihn nicht sehen, ohne mir sämtliche Horrorszenarien in meinem Kopf auszumalen, was er ihr alles angetan haben könnte.
»Nur, dass Scott verliebt ist. Er hat ihr gerade mit einem fetten Grinsen geschrieben« erzählte ihm Ashley grinsend und deutete auf den freien Stuhl neben ihr, dass er sich doch setzen soll.
Wie es das Schicksal wollte, war der freie Platz direkt mir gegenüber.
Jonathan lächelte, aber er wirkte keineswegs glücklich. Ihn schien etwas zu bedrücken, das ihm sämtlichen Schlaf raubte. Unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab, sein Blick strahlte Leere und Trauer aus. Ich hatte keinerlei Mitleid mit ihm und doch interessierte es mich brennend, was geschehen war, dass er so mitgenommen aussah. Konnte es etwas mit Hope zu tun haben? Hatte er seine Fehler eingesehen und bereute seine Tat an diesem Abend? Oder hatte er andere Sorgen?
»Stimmt gar nicht« trotzte Scott und sah Ashley warnend an. Doch die kicherte bloß. Sie schien sich kein wenig von ihm bedroht fühlen, aber ich glaube, dass würde niemand: Scott war nicht furchteinflößend.
»Redet ihr von Lucia?« Jonathan schob dabei den Stuhl nach hinten und setzte sich darauf. Anscheinend kannte Jonathan meine Freunde und ihr Leben besser als ich. Dabei war ich ihre jahrelangen Freunde gewesen, nicht Jonathan.
Ich fühlte mich gekränkt, dass sie lieber Jonathan als mich, ihren Freund seit Kindergartenzeiten, einbezogen - auch wenn ich es nicht unbedingt wissen wollte. Es ging um das Prinzip. Wir lebten uns so weit auseinander, unsere Freundschaft bröckelte immer mehr, und sie schienen es nicht einmal richtig zu merken oder etwas dagegen zu tun.
Scott und Ashley diskutierten und versuchten alle mit ihrer eigenen Meinung zu überzeugen, während die anderen sich über die Situation und deren Argumente amüsierten. Jonathan schien sich langsam von Schmerz und plagenden Gedanken zu befreien, seine Augen strahlten wieder vor Freude, auch wenn die Leere nicht ganz verschwunden zu sein schien.
Als sein Blick auf meinen traf, erstarb sein Lächeln. Ich hatte die Arme vor der Brust verschränkt und musterte ihn. Ich schien ihm das Gefühl zu übermitteln, dass ich mehr wusste, als er dachte - auch wenn das nicht stimmte. Er schluckte schwer und irgendetwas ließ mich nicht los, dass er glaubte, ich wüsste, was er Hope an dem Abend, an dem ich sie das letzte Mal gesehen hatte, angetan hatte.
Er wurde nervös und wich meinen Blicken aus, doch auf die Gespräche der anderen schien er sich nicht mehr konzentrieren zu können. Ich hatte hiermit meine Arbeit, dass er sich nicht so sicher fühlen konnte, getan, doch es schien mir nicht genug zu sein. Ich war Hope mehr schuldig. Zum Beispiel hätte er definitiv einen Schlag ins Gesicht verdient, vielleicht sogar ein paar mehr.
Doch ich beherrschte mich, weil ich kein Aufsehen erregen wollte. Und weil ich wusste, dass, selbst wenn ich den Kampf gewinnen würde, niemanden hinter mir stehen haben würde. Niemanden meiner Freunde.
Allerdings konnte ich nicht länger mit ihm an diesem Tisch sitzen, denn er machte mich wütend. So wütend, dass ich mich kaum unter Kontrolle hatte.
Ich stand von meinem Stuhl auf, ohne etwas zu sagen, schnappte mir meinen Rucksack und lief davon. Ich hörte noch, wie Scott »Irgendetwas stimmt mit ihm nicht« murmelte, doch dann war ich auch schon zu weit entfernt, um noch etwas mitzubekommen. Sollten sie doch über mich reden, was sie wollten - es interessierte mich nicht.
Jedenfalls konnte ich nicht weiter mit Jonathan Matt an einem Tisch sitzen. Das konnte ich Hope nicht antun. Auch wenn sie nicht hier war und es somit nicht sehen konnte, fühlte ich mich wie ein Verräter, der ihr die kalte Schulter zeigte, sobald wir in die Öffentlichkeit traten, und für Außenstehende ihren Feind wie ein Freund behandelte. Das hatte sie nicht verdient. Wenn ich ihr schon nicht helfen konnte, dann würde ich mich wenigstens daran halten und auf Abstand gehen.
Ich stieß die Tür zu den Jungstoiletten auf, schmiss meinen Rucksack auf den Boden und stützte mich am Waschbecken ab. Ich ertrug den Blick in den Spiegel nicht mehr, weswegen ich nach unten sah und die Augen schloss.
Mein Leben war absolut beschissen und es zeigte sich kein Ausweg in eine bessere Version. Ich wollte so viele Dinge in meinem Leben ändern, doch hatte nicht die Möglichkeit dazu. Wohl eher nicht den Mut dazu.
Ich wollte zum Beispiel mit Hope befreundet sein, sie beschützen und auf ihrer Seite stehen, wenn es alle anderen nicht taten. Ich wollte sie unterstützen und das Gefühl geben, dass sie sich auf mich verlassen kann. Doch wie sollte ich das anstellen, wenn ich mich nicht überwinden konnte, meine Freunde und mein Ansehen dafür aufzugeben. Meine Freunde, die einem vielleicht jetzt das Gefühl geben, kein Interesse an mir zu haben, doch die besten Freunde waren, die man sich vorstellen konnte. Ich hatte viele schöne Erinnerungen mit ihnen und wusste, dass ich keine weiteren sammeln könnte, wenn ich nicht mehr hinter ihnen stand. Vielleicht würde ich es bereuen und letztendlich Hope dafür hassen. . .
Ich drehte den Wasserhahn auf und schütte mir eine Ladung Wasser ins Gesicht. Es wirkte erfrischend auf meiner Haut und sollte mir dazu verhelfen, einen kühlen Kopf zu bewahren. Ich konnte mir nicht über etwas den Kopf zerbrechen, dass ich schon längst entschieden hatte: Ich würde meine Freundschaften nicht für ein Mädchen aufgeben, das hatte ich mir schon vor Jahren geschworen.
Aber vielleicht war es schon damals die falsche Entscheidung, die ich damit getroffen hatte.
* * *
Der nächste Schultag verlief zunächst unspektakulär. Ich saß im Unterricht und starrte Löcher in die Luft. Meine Gedanken kreisten dabei nur um Hope und dass ich ein Idiot war, weil ich mich nur um mein eigenes Wohl kümmerte. Ich stellte meins über Hope, ohne darüber nachzudenken, dass ich mit einer Freundschaft sie glücklich machen könnte (was mich wiederum glücklich machen würde).
Die schrille Schulklingel unterbrach jedes Mal meine Gedanken. Erschöpft und desinteressiert schlürfte ich durch den Gang, der immer leerer wurde. Ich hatte vor, die letzten zwei Stunden Englisch zu schwänzen. Es würden sowieso zwei langweilige Stunden sein, in denen ich nicht aufpassen würde.
Auf dem Weg zum Ausgang lief ich im Treppenhaus ins untere Stockwerk.
Normalerweise kümmerte ich mich nicht, wenn hier Schülerinnen und Schüler geheime Treffen und wichtige Gespräche hatten, aber bei diesen Stimme wurde ich hellhörig. Hope und Jonathan.
In meinem Kopf stellten sich lauter Fragen von »Seit wann ist Hope wieder in der Schule?« bis »Was will Jonathan noch von ihr?«
Meine Beine blieben stehen, machten keinen Schritte. Ich beugte mich über das Treppengelände, um unten vor der Tür, die auf den Gang im Erdgeschoss führte, zu sehen, wie die beiden sich gegenüber stehen. Jonathan hielt sie am Arm fest, hatte sie in den Raum hineingezogen und sie gebeten, ihm zuzuhören.
Ich konnte Hopes Gesichtsausdruck nicht erkennen und stellte mich wieder mit gerader Haltung auf die Treppenstufe, auf der ich erstarrt stehengeblieben bin. Ich wollte von ihnen nicht gesehen und als Spion beschuldigt werden.
»Lass mich los!« Ihre Stimme klang brüchig und als ich doch einen weiteren kleinen Blick über das Gelände erhaschte, sah ich, wie er seinen Arm sank und sie erschrocken anblickte, während sie ihre Arme um ihren eigenen Körper schlang.
»Es tut mir leid, Hope« murmelte er und schloss seine Augen, faltete seine Hände vor seinem Gesicht zusammen.
»Ich wollte das nicht, Hope, das musst du mir glauben« meinte er und versuchte nach ihren Händen zu greifen, doch sie zuckte bei der kleinsten Berührung zusammen und wich ihm mit einem Schritt nach hinten aus. Doch er ließ sich von ihrer Reaktion nicht beirren, ging einen Schritt auf sie zu und legte seine Hände um ihre Oberarme.
»Ich bin kein schlechter Mensch« Sie drehte ihren Kopf zur Seite, konnte ihm nicht mehr unter die Augen treten.
»Jonathan. . .« flüsterte mit bebender Stimme. »Du machst mir Angst«
Seine Augen sahen sie verwundert an, bevor er ein paar Schritte nach hinten taumelte. Er wirkte erschöpft und traurig zugleich, während er Reue zeigte. Hope wollte sich umdrehen und die Treppen nach oben gehen, worauf ich erschrocken nach Luft schnappte. Ich wollte von ihr nicht entdeckt werden, dass ich gelauscht habe, obwohl es mich nicht anging.
Doch Jonathan ließ sie nicht gehen, umschloss ihr Handgelenk und zwang sie, ihn anzusehen.
»Du hast versprochen, mir zuzuhören« meinte er mit bestimmter Stimme und wagte es nicht, in Erwägung zu ziehen, sie loszulassen.
»Es ist alles gesagt« meinte sie daraufhin und startete den Versuch, sich von ihm loszureißen. Doch vergeblich. Er ließ kein bisschen locker, sondern drückte gar fester zu. Ich konnte mir vorstellen, dass sie panisch wurde und mächtige Angst vor ihm hatte, auch wenn ich nicht wusste, was zwischen den beiden vorgefallen war.
Mir stockte der Atem, als ich sah, was Jonathan nun tat: Er küsste sie. Er presste stürmisch seine Lippen auf ihre, doch Hope schien dies nicht zu erwidern. Sie schubste ihn kurzerhand weg und schüttelte den Kopf. Jonathan wischte sich über seine Lippen und musterte sie verletzlich. Sie hingegen drehte ihm den Rücken zu und machte Anstalten, mir immer näher zu kommen.
»Ich wollte es wirklich nicht. Ich hatte mich nicht unter Kontrolle und wenn ich könnte, würde ich es sofort rückgängig machen. Es war falsch, aber ich schätze, ich habe eine zweite Chance verdient« Hope lachte auf, als er den letzten Satz aussprach und schüttelte den Kopf, bevor sie die Treppen hinauf eilte.
Ich wollte von hier verschwinden, bevor sie mich zu Gesicht bekam, doch sie hatte mich längst entdeckt. Sie bremste ab, sah mir kurz in die Augen. In ihrem Blick lag Enttäuschung. Sie quetschte sich an mir vorbei, während ich sie kurz am Arm festhielt und einen entschuldigenden Blick zuwarf. Ich wollte ihr so Vieles sagen, aber die Anwesenheit von Jonathan, der immer noch wie bedröppelt unten stand, hinderte mich.
Ich ließ sie kurz darauf wieder los, um sie nicht zu bedrängen, wie Jonathan es zuvor getan hatte, und ließ sie wegrennen. Allerdings wollte ich es nicht dabei belassen und mit jedem Schritt nach unten, mit jeder Treppenstufe, die ich nach unten ging, stieg es stetig an. Letztendlich machte ich auf dem Absatz kehrt und eilte die Treppen hinauf, den Flur entlang. Sie schlenderte zum Raum, in dem sie seit einer Viertelstunde Unterricht hatte.
»Hope« sagte ich, bedacht darauf, dass es niemand anderes hören würde.
Sie drehte sich um und blickte mir direkt in die Augen. Ich konnte aus ihnen nicht herauslesen, was sie in diesem Moment über mich dachte. Ich konnte nicht einschätzen, wie sehr sie enttäuscht war, aber ich wollte es dringend erfahren. Zum einen glaubte ich, dass sie allgemein enttäuscht darüber war, dass ich ihre Gespräche belauschte, weil ich es nicht verstehen wollte, dass mich ihr Leben nichts anging. Und zum anderen schien sie enttäuscht darüber zu sein, dass ich nicht eingegriffen hatte, als sie offensichtlich Angst vor Jonathan zeigte. Als er sie mit unerwünschten Berührungen belästigte.
Ohne etwas zu sagen, nahm ich sie bei der Hand und zog sie mit in ein freies Klassenzimmer in der Nähe.
Weder Lehrer noch Schüler befanden sich in diesem Raum. Die Stühle waren auf den Tischen gestellt, die Tafel sauber gewischt und das Licht ausgelöscht. Der Ventilator in der Ecke hatte allerdings jemand vergessen auszuschalten, weshalb durchgehend kühle Luft im Raum verteilt wurde.
»Es reicht schon, dass du meine Gespräche belauscht. Musst du mich jetzt auch noch verfolgen?« beschwerte sich Hope und befreite sich aus meinem Griff. Ich machte keine Anstalten, sie länger festzuhalten, auch wenn es sich unheimlich gut angefühlt hatte.
»Es tut mir leid« meinte ich und kratzte mich verlegen am Hinterkopf. »Ich wollte euch wirklich nicht belauschen, aber . . .« Ich sprach meine Gedanken nicht zu Ende, aber Hope schien zu wissen, was ich meinte.
»Geht es dir gut?« fragte ich mit sanfter Stimme, wollte ihre Wange streicheln, doch blieb auf Distanz. Wir wusste nicht, wer uns zwischenzeitlich beobachten konnte und ich war mir nicht sicher, ob Hope momentan Nähe vermeiden wollte. Hope senkte ihre Lider, was mir sofort die Antwort auf meiner Frage gab. Ihr ging es nicht gut.
»Es ist alles okay, Adam« meinte sie, aber sie log. Das wusste ich. Und sie wusste es auch. Sie wusste zum einen selbst, dass es ihr nicht gut ging, und zum anderen, dass ich auch davon Bescheid wusste.
»Was kann ich tun?« fragte ich und berührte ganz leicht ihren Arm mit meinen Fingerkuppen. Ich strich ihren Unterarm hinauf und musterte sie eindringlich. Als Antwort zuckte sie bloß mit den Schultern. Durch den Ventilator im Hintergrund wehten ihre Haare leicht umher, nach hinten. Sie war so unglaublich wunderschön, dass ich es gar nicht beschreiben konnte. Ihre blauen Augen brachten mich um den Verstand und ihre weichen Lippen sahen einladend zum Küssen aus. Ich erinnerte mich urplötzlich an unseren Kuss auf der Party, den sie anscheinend vergessen hatte. Er war nicht in Worte zu fassen. Ich hatte noch nie so viel bei einem Kuss gefühlt wie bei dem mit Hope. Es hatte etwas Magisches, Fesselndes, was ich nie vergessen könnte.
»Wieso hast du so Angst vor Jonathan? Was befürchtest du, könnte er dir tun?« Sie schluckte schwer, öffnete ihre Lippen, um etwas zu sagen, doch schloss ihren Mund sogleich wieder. Sie schüttelte langsam den Kopf, nahm meine Hand von meinem Arm hinunter. Unsere Hände lagen ineinander, sie drückte kurz meine Hand, presste ihre Lippen aufeinander und schien Tränen zu unterdrücken. Dann ließ sie meine Hand los, drehte sich um und verließ den Raum.
Bewegungslos stand ich im leeren Raum und reflektierte unser Gespräch. Hope war noch nicht bereit dazu, es mir zu erzählen. Ich sollte Verständnis zeigen, weil ich selbst auch Momente erlebt hatte, die ich niemandem erzählt hatte oder je erzählen möchte. Doch irgendwie wollte ich es nicht akzeptieren. In mir stieg diese Neugier, auf das, was ihr widerfahren war. Es raubte mir jegliche Freude, ich konnte das Leben und die Tage nicht genießen, weil ich mir 24/7 den Kopf darüber zerbrach. Es musste etwas unglaublich Schlimmes gewesen sein, wenn selbst Jonathan Schuldgefühle hatte. Jonathan war nicht der Mensch, der seine eigenen Fehler einsah und sich entschuldigte. Er hatte es nicht einmal für nötig gehalten, sich bei Damian zu entschuldigen, nachdem er ihn krankenhausreif geprügelt hatte. Selbst nach dem Autounfall, weswegen Hope schlimme Verletzungen erlitt und ein paar Tage im Krankenhaus war, zeigte er weder Reue noch Mitleid und Sorge. Im Gegenteil: Er hatte noch mehr auf ihr herumgehackt, in jeder Sekunde, in der er die Möglichkeit hatte.
In meinem Kopf malten sich sämtliche Szenarien aus, was er ihr alles angetan haben könnte, und mir wurde speiübel. Es waren schlimme Überlegungen, an die man gar nicht denken wollte. Und doch verließen sie keine Sekunde meinen Kopf. Ich sah zur Türe, aus der Hope verschwunden war, und seufzte. Ich rückte meinen Riemen meines Rucksacks auf meiner Schulter zurecht, bevor ich es Hope nachmachte und den Raum verließ.
Ich musste Hope die Zeit geben, die sie brauchte. Auch wenn Geduld nicht wirklich meine Stärke war, blieb mir nichts anderes übrig, als zu warten bis sie es mir erzählt.
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