9. Kapitel
H O P E
Derek war anders als sonst. Nicht nur privat, wenn wir unter vier Augen waren, suchte er meine Nähe, sondern auch an allen anderen Orten. Zwar hatten wir miteinander besprochen, dass alles, was zwischen uns passierte, auch unter uns bleiben sollte, doch Derek schien das Risiko zu lieben.
Es fing schon am frühen Morgen an, als er den gleichen Aufzug nach oben nahm wie ich. Er stellte sich so dicht neben mich, dass sich unsere Fingerspitzen dabei berührten. Hinzu kam noch das charmante Lächeln, das er in meine Richtung zuwarf, während weitere Mitarbeiter im Aufzug verteilt dastanden. Meine Beine wurden zu Wackelpudding. Ich spürte die Hitze in mir aufsteigen. Aus Angst, rot zu werden, stürmte ich so schnell ich konnte aus dem Aufzug, als sich dieser öffnete.
Während des gesamten Arbeitstages fühlte ich mich dann auch noch verfolgt. Egal wo ich mich aufhielt, er war immer am selben Ort.
Zum Beispiel, wenn im Kopierraum wieder einmal der Drucker nicht auf Anhieb funktionierte, tauchte Derek wie aus dem Nichts auf und half mir, diesen wieder zu reparieren. Er krempelte sich die Ärmel seines Hemdes ein Stück nach oben und erntete dafür schwärmende Blicke der Mitarbeiterinnen. Genau in diesem Moment wollte ich nichts so sehr, wie ihnen und besonders Stella zu zeigen, dass Derek einzig und allein mich wollte. Aber ich riss mich zusammen und blieb auf Distanz.
Wenn ich mir in der großen Küche einen Kaffee kochen wollte, gesellte sich Derek zu mir und verwickelte mich in ein langes, ausgiebiges Gespräch – „rein geschäftlich" natürlich. Ich versuchte mich so seriös wie möglich zu verhalten, doch dieses kleine Lächeln auf meinen Lippen verschwand keine einzige Sekunde.
Irgendwann, am frühen Nachmittag, kam ich dann vollbepackt in sein Büro. Hier behandelte er mich nicht wie eine Mitarbeiterin und auch nicht wie ein gelegentlicher One-Night-Stand, der immer öfters nach der Arbeit bei ihm zuhause vorbeischaute, sondern wie seine feste Freundin, bei der er es kaum erwarten konnte, sie zu sehen und zu küssen.
Er hatte die Jalousien heruntergezogen, sodass uns niemand erwischen konnte, wenn er an seinem Büro vorbeilief.
Es war so schön mit ihm und gleichzeitig auch so anstrengend, aufpassen zu müssen, dass diese Beziehung nicht auffliegt. Ich konnte mich nicht fallen lassen und aus dem Bauch heraus handeln. Ich musste jede Bewegung, jedes Handeln in seiner Nähe überdenken, damit es nicht zu auffällig wurde, dass zwischen Derek und mir diese Spannung war und wir nicht nur Chef und Sekretärin füreinander waren. Es war wie damals mit Adam, als niemand von uns wissen durfte, weil er Angst vor den Konsequenzen hatte. Beinahe hätte es ein schreckliches Ende genommen, wenn Adam sich in letzter Sekunde nicht doch noch dafür entschieden hätte, sich seiner Angst zu stellen. Vielleicht würde das hier mit Derek schneller zu Ende sein, als ich je in Erwägung gezogen hatte. Vielleicht würde auch er mir das Herz brechen, wenn er dazu gezwungen war, mich in der Öffentlichkeit jedes Mal abzuweisen. Vielleicht würde es genauso schmerzhaft werden wie vor ein paar Jahren, als Adam mich nicht als seine Freundin akzeptieren konnte. Vielleicht würde ich es irgendwann bereuen, es nicht früher öffentlich gemacht zu haben, bevor zu vieles zwischen uns stehen würde. Doch vielleicht war es auch genau das Richtige, denn auf der anderen Seite fühlte ich mich in keiner Weise bereit, mich den damit verbundenen Probleme und neuen Herausforderungen zu stellen. Denn wollte ich ein zweites Mal blöde Sprüche und Beleidigungen, Tuscheleien und fiese, verurteilende Blicke über mich ergehen lassen? Ich hatte mich gerade an alles gewöhnt und mich hier eingelebt. Ich wurde akzeptiert und von manchen Mitarbeitern sogar gemocht. Wäre es da nicht völlig absurd, das alles aufs Spiel zu setzen?
»Worüber denkst du nach?« fragte Derek mit seiner sanften Stimme. Sein Daumen strich über meinen Handrücken, während er sich gegen seinen Schreibtisch lehnte. Ich sah in seine wunderschönen Augen und erkannte diese Liebe und Besorgnis darin. Einen Augenblick zuckte das Bild von Adams ähnlichen Blick vor meinem inneren Auge auf, den er mir immer zugeworfen hatte, wenn er sich Sorgen gemacht hatte. Fehlte nur noch die Sorgenfalte auf seiner Stirn. Es versetzte mir einen Stich in der linken Brust, weil es nicht Adam war, der gerade meine Hand hielt. Aber ich lenkte mich sogleich damit ab, dass Adam nicht ständig meine Zukunft kaputt machen ließ.
»Über uns, diese Heimlichtuerei und ob mir das alles wirklich so gefällt« erwiderte ich ehrlich auf Dereks Frage. Ich betrachtete währenddessen meine Hand, die er sanft mit seiner umfasst hielt. Sie war so weich und warm, dass ich sie nie wieder loslassen wollte. Es fühlte sich so gut und heimisch an, als wäre das mein wahres Zuhause – mein Zuhause, das ich jahrelang gesucht und jetzt endlich gefunden hatte.
Doch jetzt, nach meiner Ehrlichkeit, erwartete ich die Kälte und die Distanz, das Verschwinden meines neu gefundenen Zuhauses. Ich erwartete, dass er seine Hand von meiner nahm oder zumindest das Gesicht verzog, doch nichts dergleichen geschah. Er blieb weiterhin mein Zuhause. Er wirkte nicht einmal überrascht, so als hätte er bereits gewusst, dass dieser Satz eines Tages kommen wird.
»Willst du ... willst du, dass es aufhört?« fragte er stattdessen mit belegter Stimme. Er schluckte laut. Ich hörte die Zerbrechlichkeit und die Angst vor dem Verlassenwerden in seiner Stimme. Auch in seinen smaragdgrünen Augen spiegelte sich das Chaos wider. Er hatte Angst, mich zu verlieren, und ich hatte Angst davor, ihn loszulassen und mein in ihm gefundenes Zuhause zu verlassen. Ich wollte nicht, dass es aufhört. Das würde ich niemals wollen.
»Nein« Ich schüttelte vehement mit dem Kopf. »Ich mach mir einfach nur Sorgen, dass uns das beide auf Dauer nicht glücklich macht« erklärte ich ihm und sank meinen Blick wieder auf unsere Hände. Der Druck wurde fester, so als wolle er ebenfalls meine Hand nie wieder loslassen.
»Dass wir mehr wollen, aber dem anderen nicht mehr bieten können« führte ich fort. Meine Finger malten Kreise auf seiner Hand. Ich versank dabei in meinen Gedanken, die alle Möglichkeiten über unsere Zukunft durchspielten. Ein glückliches und ein weniger glückliches Ende. Eines voller Glückseligkeit und eines voller Traurigkeit und Tränen.
»Da hast du vollkommen Recht« murmelte Derek und seufzte. Seine freie Hand schlang er um meine Mitte und zog mich damit näher an sich heran.
»Wir können uns nicht ein Leben lang verstecken ... und das will ich auch gar nicht« Sein Griff um meinen Körper wurde stärker. Ich vernahm den Geruch seines Aftershaves, schloss die Augen und spürte mein Herz höherschlagen.
»Wir werden das schon schaffen und solange genießen wir einfach die Zeit miteinander« Auf seinen Lippen zierte sich ein Lächeln, das mich dahinschmelzen ließ. Ich vergaß meine Sorgen und konzentrierte mich einzig und allein auf diesen Moment zwischen uns. Wir waren einander so nahe, seine Berührungen ließen mich noch verrückter nach ihm werden und seine Augen strahlten eine unglaubliche Wärme und Liebe aus, dass ich mir nichts sehnlicher als einen Kuss wünschte. Den gab er mir dann auch. Und noch einen und noch einen. Er verteilte mehrere kleine Küsse auf meine Lippen. Mit jedem Kuss wurde das Grinsen in meinem Gesicht breiter.
»Ich muss jetzt leider los. Hab noch eine Telefonkonferenz« meinte er kurz danach und warf einen Blick auf seine teure Armbanduhr, die locker um sein Handgelenk saß.
»Aber wir sehen uns nachher beim Meeting« Er gab mir einen kurzen Kuss auf die Lippen, dann war er auch schon aus seinem Büro verschwunden. Ich sah ihm einen Augenblick lang verträumt hinterher, dann schnappte ich mir die Unterlagen, die wir völlig ignoriert hatten, und ging zurück in mein eigenes kleines Büro. Doch an Arbeit war erst einmal nicht zu denken. Zu viele Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum.
Ich dachte darüber nach, wie es sein würde, wenn wir uns nicht mehr verstecken müssten. Es wäre so schön und könnte gleichzeitig so schrecklich sein. Ich hatte Bilder im Kopf, wie mich Mitarbeiter und besonders Stella tyrannisieren würden. Wie sie ihre Köpfe zusammenstecken würden oder so laut über mich sprechen würde, dass ich die fiesen Worte ganz genau zu hören bekäme. Sie würden ein völlig falsches Bild von mir bekommen, denn sie würden danach nur noch eine Frau in mir sehen, die sich hochschlafen wollte. Unsere Beziehung würde das vielleicht nicht überstehen. Ich würde an den Qualen zerbrechen und Derek wäre sein Ruf als Chef vielleicht wichtiger als unsere Beziehung. Wie einer Parallele zu meinem alten Leben, nur dass ich dort mehr Hoffnungen auf ein Happy End hatte als heute.
Anderseits musste ich an Dereks Worte denken. Er glaubte fest daran, dass wir jede Krise schaffen konnten. Vielleicht war ich auch nur so negativ eingestellt, weil ich das alles schon einmal erleben musste. Derek war nicht Adam und Stella und alle anderen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen waren nicht Ashley und alle anderen Mitschüler der High School. Wieso sollte dann alles so sein, wie mit ihnen?
Irgendwann machte ich mich auf den Weg in den Coffeeshop, um vor dem Meeting Dereks Kaffee zu kaufen. Ich versuchte mich, mit positiven Gedanken von meinen Sorgen und Ängsten abzulenken.
Zurück in der Firma machte ich mich dann auf den direkten Weg zum Konferenzraum. Durch die lange Schlange hatte ich nicht mehr lange Zeit, bis das Meeting beginnen würde. Die meisten waren auch schon eingetroffen und saßen auf ihren Plätzen. Auch Stella saß ganz vorne und schaute missbilligend an mir herunter. Als sich unsere Blicke kreuzten, setzte sie ein aufgekünsteltes Lächeln auf. Sie machte gute Miene zum bösen Spiel.
Ganz vorne stand Derek. Er hatte sein anthrazitfarbenes Jackett ausgezogen und über eine Stuhllehne gehängt. Die Ärmel seines Hemdes hatte er wieder ein Stück weit nach oben gekrempelt. Er beugte sich nach unten zu seinem Laptop, der auf dem Tisch stand, und schien etwas zu suchen. Er war so sehr in seiner Arbeit vertieft, dass er mich gar nicht bemerkte. Erst als ich mich neben ihn stellte und mich räusperte, stellte er sich aufrecht hin und sah mich an. Auf seinen Lippen huschte ein kleines Lächeln, das mein Herz zum Hüpfen brachte.
»Ihr Kaffee, Mr. Chambers« brachte ich nervös durch seine Blicke heraus. Ich überreichte ihm den Becher und legte noch ein paar Unterlagen auf den Tisch ab.
»Vielen Dank« meinte er und legte für einen kurzen Augenblick seine Hand auf meinen Rücken. Doch diese Annäherung war einen Augenblick zu lang, denn Stella sah zur gleichen Zeit in die Richtung. Sie starrte irritiert auf seine Hand, die meinen Rücken berührte, als wäre es etwas total Ungewöhnliches. Und das war es bei Derek auch, denn er war bei Mitarbeitern sonst immer sehr distanziert und würde demnach nie einer Mitarbeiterin seine Hand auf den Rücken legen. Das war einfach nicht seine Art.
Auch, als die Hand bereits weg war, starrte sie noch immer mit gerunzelter Stirn in die Richtung. Sofort fühlte ich mich unwohl in Dereks Nähe. Während er mir sonst nie zu nahekommen konnte, wollte ich einfach nur so weit weg wie es ging. Vielleicht war das nur ein blöder Zufall und sie dachte sich nichts dabei, aber vielleicht ahnte sie auch bereits, dass zwischen Derek und mir diese Spannung war. Schließlich hatte sie uns schon öfters nebeneinander laufen oder miteinander sprechen sehen, sowohl während der Arbeit als auch danach. Natürlich sprachen wir in der Öffentlichkeit nie über Privates, sondern nur Geschäftliches, aber vielleicht hatte Stella unsere Masche längst durchschaut. Vielleicht war ich aber auch einfach nur paranoid.
Ich setzte mich schnell auf meinen Platz, der mir plötzlich viel zu nahe war. Normalerweise genoss ich jede Sekunde in seiner Nähe und auch jede einzelne Berührung, aber unter Stellas Beobachtungen waren sie mir einfach nur unangenehm.
Derek stand währenddessen gelassen vor der Gruppe. Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee, stellte diesen auf dem Tisch ab und begann dann mit dem Meeting. Die meisten von den anwesenden Personen waren Abteilungschefs, darunter aber auch ein paar ihnen untergeordneten Mitarbeiter.
Während des gesamten Meetings schaute ich kein einziges Mal in Dereks Richtung, denn jedes Mal, wenn jemand mich ansah, glaubte ich, dass sie uns durchschaut hatten – was natürlich völlig absurd war. Stattdessen vertiefte ich mich in die Unterlagen und schrieb die wichtigsten besprochenen Informationen auf einem Stück Papier mit. Ich fühlte mich in meiner eigenen Haut und in der ganzen Umgebung nicht wohl, sodass mir endlich klar wurde, dass es nicht Derek sein würde, der für die Bekanntmachung unserer Beziehung nicht bereit sein würde, sondern ich. Es würde nicht wie damals werden, dass er mich verletzen würde, sondern dass es anders herum sein wird. Ich werde ihm das Herz brechen, wenn ich ihm irgendwann sagen muss, dass ich diesen Druck und diese verurteilenden Blicke und Worte nicht durchstehen würde. Er wird der Verletzte und ich die, die verletzt, werden. Und das war kein schönes Gefühl.
Nach der Besprechung packte ich meine Sachen zusammen und wollte so schnell wie möglich von hier verschwinden, weg von dieser unangenehmen Umgebung, in der ich mich von jedem beobachtet und durchschaut fühlte. Doch Derek hatte andere Pläne mit mir.
»Miss Collins« rief er durch den sich langsam leerenden Raum, als ich schon fast die Türe erreicht hatte.
»Bleiben Sie bitte noch einen Moment da. Ich müsste noch etwas mit Ihnen besprechen« sagte er professionell und widmete sich dann wieder seinem Laptop. Wir warteten, bis auch der Letzte den Raum verlassen und die Türe hinter sich geschlossen hatte. Dann löste er sich von seiner Arbeit und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Tisch.
»Hast du für heute Abend schon Pläne?« fragte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich überlegte kurz, dann schüttelte ich mit dem Kopf.
»Wie wär's, wenn wir uns wieder einen gemütlichen Abend machen?« fragte er weiter nach. Seine Hände legten sich um meine Taille und zogen mich somit näher an ihn heran. Im Gegensatz zu vorhin fühlte sich seine Nähe wieder angenehm an, doch der Gedanke, dass ich mich gerade in Adams damalige Situation befand und Derek deshalb irgendwann wehtun könnte, ließ mich nicht mehr los. Ich konnte Adam plötzlich verstehen, dass es gar nicht so einfach war, über seinen Schatten zu springen, wenn so vieles auf dem Spiel stand, was man verlieren könnte.
»Wieso nicht?« antwortete ich auf Dereks Frage. »Woran hast du gedacht?« fragte ich nach und lächelte. Ich versuchte mich weiter davon abzulenken und für den Moment klappte das sogar.
»Kannst du dir das nicht schon denken?« Er grinste breit. In seiner Stimme war etwas verführerisch Klingendes, sodass ich mir ganz genau denken konnte, was er damit meinte. Zum Ausdruck verteilte er ein paar Küsse auf meinem Hals. Ich kicherte.
»Okay« hauchte ich und hatte plötzlich eine Idee.
»Wie wär's, wenn du dieses Mal zu mir kommst?« platzte ich mit dieser Idee heraus und schlang meine Arme um seinen Hals.
»Gute Idee« murmelte er und verteilte weitere Küsse auf meiner Haut – diesmal in meinem Gesicht. Erst auf der linken, dann auf der rechten Wange und zum Schluss auf meinem Kinn. Es war, als hätte ich Schmetterlinge in meinem Bauch, die wild umherflatterten. Meine Haut kribbelte bei jeder einzelnen Berührung. Diese Wirkung, die er auf meinen Körper hatte, war immer noch so stark, wie sie am ersten Tag war.
»Dann sehen wir uns später« Ich wollte ein weiteres Mal seine Lippen mit meinen berühren, doch im selben Moment öffnete sich die Türe und wir schreckten auseinander.
»Oh, Entschuldigung« säuselte Stella. Sie blieb im Türrahmen stehen und sah überrascht in unsere Richtung. Wir beide standen ein wenig neben der Spur, sodass wir keinen Ton herausbekamen. Derek fuhr sich mit der Hand nervös durch die Haare.
»Störe ich?« hakte sie nach. Ihre Hand umklammerte noch immer der Türgriff. Sie blickte zwischen uns mit einem merkwürdig analysierenden Blick.
»Nein, wir waren gerade fertig mit unserer Besprechung« erklärte Derek. Ich nickte zustimmend.
»Ja, ich geh dann mal ... und tätige die Anrufe« ließ ich mir spontan einfallen, als wäre es genau das, worüber wir eben gesprochen hatten – die Anrufe.
»Ist gut« erwiderte Derek ohne jegliche Emotionen, so als wären wir wirklich nur Chef und Sekretärin. Die Kühle in seiner Stimme erschreckte mich einen Moment, doch ich wusste, dass er mir niemals so kühl begegnen würde, wenn wir nicht gezwungen dazu wären.
Ich quetschte mich an Stella vorbei, die mich mit einem falschen Lächeln ansah. Als sie die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ, atmete ich erleichtert aus. Das ging gerade noch einmal gut.
• • •
Die Treffen wurden immer lockerer und unsere Gespräche immer tiefgründiger. Er philosophierte übers Leben und über die Liebe. Er erzählte von seiner Vergangenheit, die mir mit jeder weiteren Erzählung zeigte, dass er in Wirklichkeit ganz anders war. Dieser Mann neben mir war nicht immer der, den er in der Firma vorgab zu sein. Nein, er war viel zerbrechlicher und vom Leben gezeichnet, mit genauso vielen Schwächen und Fehlern wie alle anderen Menschen. Er hatte auch ein zerbrechliches Herz, mit dem man gut umgehen musste, um ihm nicht wehzutun. Er brauchte genauso sehr Liebe und Geborgenheit, um sich gut zu fühlen. Er war nicht immer der starke, selbstbewusste Mann, sondern in manchen Situationen genauso unsicher wie ich. Er war alles andere als perfekt, hatte auch schon falsche Entscheidungen in seinem Leben getroffen und Schwächen, aber seitdem ich diese kannte, glaubte ich, ihn noch mehr lieben zu können.
»Bleibst du?« flüsterte ich mitten in der Nacht, als wir eng umschlungen in meinem Bett lagen. Ich meinte damit nicht diese einzige Nacht, sondern das restliche Leben, denn plötzlich, als ich neben ihm lag und nachdachte, konnte ich mir ein Leben ohne ihn an meiner Seite nicht mehr vorstellen – so kitschig es für manche auch klingen mag.
»Mein ganzes restliches Leben« murmelte er mit rauer Stimme und zog mich noch näher an sich heran. Er vergrub sein Gesicht in meiner Halsbeuge und verteilte dort eine Menge Küsse. Das Kribbeln kehrte zurück und breitete sich auf meiner ganzen Haut aus.
»Wenn du das überhaupt willst. Nach allem, was ich dir über mich erzählt habe« fügte er hinzu. In seiner Stimme lag eine große Portion Unsicherheit. Das war also einer dieser Momente, in denen sein Selbstbewusstsein dahinschwand.
»Das hat dich nur attraktiver gemacht« flüsterte ich ehrlich und strich mit meiner Hand seinen Oberarm entlang, den er um meinen Körper geschlungen hat.
»Wow. Du bist die erste Frau, die das sagt« murmelte er nachdenklich. Sein Gesicht beugte sich über mich. Durch das schwache Licht der Straßenlaternen, das durch das große Fenster schien, erkannte ich das Strahlen in seinen Augen und das breite Lächeln auf den Lippen. Er wirkte glücklicher denn je.
»Und genau deswegen will ich auch nur dich« sagte er dann mit einer Sanftheit in seiner Stimme, dass ein wohliger Schauer über meinen Rücken lief. Er hauchte einen Kuss auf meine Lippen, in dem so viele Gefühle steckten, dass in meinem Bauch ein Feuerwerk ausbrach.
Gleichzeitig dachte ich wieder daran, wie ich sein Herz brechen werde, wenn er breit ist, unsere Beziehung nicht länger geheim zu halten, ich es aber nicht sein werde.
»Derek?« fragte ich, als wir uns wieder voneinander gelöst und er sich zurück auf die Matratze fallen gelassen hatte. In meiner Stimme schwang Unsicherheit mit sich, die auch Derek aufzufallen schien.
»Mmh?« murmelte er und sah mich abwartend an. Auf seiner Stirn bildete sich eine Sorgenfalte. Ich setzte mich auf und atmete tief durch, bevor ich mit der Wahrheit herausplatzte.
»Ich werde dir wehtun« flüsterte ich. Derek erhob sich ebenfalls und schüttelte den Kopf.
»Ich werde dir wehtun. Ich werde dir das Herz brechen, wenn ich nicht bereit dazu bin, unsere Beziehung öffentlich zu machen. Und das zu wissen, tut so unglaublich weh« erklärte ich ihm mit trauriger Stimme.
Dereks Arme schlangen um meinen Körper. Sein Kopf legte er auf meiner Schulter ab.
»Hör auf, dich so unter Druck zu setzen. Wir haben alle Zeit der Welt und wenn du das nicht kannst, dann warten wir. Du wirst mir nicht gleich deswegen das Herz brechen« erwiderte und strich mit der Hand beruhigend über meinen Rücken.
»Wir schaffen das schon« flüsterte er und hauchte einen sanften Kuss auf meine Wange. ›Wir schaffen das schon‹ wiederholte ich mehrmals in meinem Kopf und irgendwann begann auch ich zu glauben, dass wir das schaffen können.
»Weißt du, ich musste das alles schon einmal durchmachen« begann ich, mich ihm ein Stück mehr zu öffnen.
»Nur war ich damals diejenige, die verletzt wurde« Ich erzählte ihm von Adam und wie es mir jedes Mal das Herz gebrochen hat, wenn er sich in der Öffentlichkeit so anders verhielt – so abweisend und kalt. Ich erzählte ihm auch von den Qualen, den verletzenden Aktionen, bei denen er stumm danebenstand und sich damit auf die Seite seiner Freunde gestellt hatte.
Derek hörte mir die ganze Zeit zu. Er hielt meine Hand und strich mit seinem Daumen sanft über meinen Handrücken. Danach versicherte er mir, dass ich mich nicht noch einmal durch die Tage quälen müsste und wir das alles schaffen werden. Und ich glaubte danach selbst daran. Ich glaubte selbst, dass wir eine Lösung für unser Problem finden würden, auch wenn ich noch nicht wusste, was für eine.
Ich ließ mich zurück auf die Matratze fallen und lächelte. Er beugte sich über mich und wir küssten uns. Es tat so gut, über all das zu sprechen.
Ich ließ mich fallen, gab mich seinen Berührungen hin. Meine Hände strichen über seine Arme, während seine meine Hüfte umklammerten.
Ich befreite mich von allen Gedanken und ließ meinem Herz freie Hand. Und dieses wollte nichts anderes, als Derek nahe zu sein und ihn zu küssen. Also taten wir genau das: uns küssen und dem anderen nahe sein.
Doch diese Nacht befreite mich nicht nur von meinen Gedanken über Derek und unsere Zukunft, sondern auch von denen meiner Vergangenheit. Es war, als würde ich ein Stückchen mehr Adam loslassen können. Es zerbrach mir auf der einen Seite das Herz, weil Adam meine erste große Liebe war und er auch meine letzte sein sollte, aber wieso sollte ich mich dadurch ständig davon hindern lassen, mit einem anderen Mann glücklich zu werden?
Adam war nicht mehr hier, um um mich und um uns zu kämpfen. Er hat losgelassen und ich war nun an dem Punkt, dasselbe zu tun. Ich musste aufhören, mich an die Vergangenheit zu klammern, sondern nach vorne zu blicken und neu anzufangen, mit einem Mann an meiner Seite, der mich wirklich zu lieben schien. Er hatte es nie ausgesprochen, aber er zeigte es mit jedem Blick, jeder Berührung und jedem Kuss.
Mit jeder Sekunde, in der Derek und ich uns diese Nacht so nahe waren, ließ ich Adam hinter mir. Und irgendwann, als Derek bereits eingeschlafen war, war er in meinen Gedanken ganz verschwunden, wie als hätte er sich in Luft aufgelöst. Und anstatt ihm nachzutrauern, lächelte ich. Ich war frei, frei von dem Schmerz und der quälenden Frage: „Würde er endlich zu mir zurückkehren und mich wieder glücklich machen?"
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