6. Kapitel
A D A M
Da saß sie. In einem Bleistiftrock und einer weißen Bluse, die meiner Meinung nach zu weit aufgeknöpft war. Auf ihren Lippen war eine extra Schicht von ihrem roten Lippenstift aufgetragen und all ihre kleinen Makeln im Gesicht waren hinter einer großen Menge Make-up versteckt. Die Haare hatte sie locker zusammengesteckt.
Ich wusste nicht, was sie mit ihrem Aussehen bewirken wollte – ob sie mich damit beeindrucken wollte oder ob sie damit andere Männer verführen wollte. Auf mich hatte ihr Äußeres jedenfalls keine Wirkung. Ich spürte keine Liebe, keine Wärme und nicht einmal Begierde nach ihrem Körper. Sie weckte in mir keine Gefühle, nicht einmal Hass oder sonst etwas.
Tessas Blick lag auf ihrem Essen. Sie sah mich nicht an und sprach auch nicht mit mir. Vielleicht war sie auf mich immer noch sauer wegen unseres gestrigen Streites oder weil ich sie abgewiesen hatte, oder aber sie wusste einfach nicht was sie mit mir sprechen sollte, weil wir uns einfach nichts zu sagen hatten.
»Willst du noch was?« fragte ich, um ihre Aufmerksamkeit eine Sekunde lang auf mich zu lenken. Sie sah mich fragend an, als hätte sie mir gar nicht richtig zugehört. Also deutete ich mit der Flasche in meiner Hand auf ihr leeres Glas und hob fragend eine Augenbraue in die Höhe. Sie nickte stumm. Dann war das Gespräch und die gegenseitige Blicke schon wieder beendet.
»Wie war dein Tag?« fragte ich weiter, um ein Gespräch zwischen uns beiden aufzubauen. Ich versuchte mir wirklich Mühe zu geben, Interesse an ihr zu zeigen, aber Tessa schien überhaupt nicht darauf einzugehen.
»Ereignislos« meinte sie gelangweilt und schnappte sich ihr Weinglas. Ihr Blick wanderte durch das Restaurant voller Kerzenschein und klassischer Musik. Leise Stimmen raunten durch den großen Saal. Kellner eilten von einem Tisch zum nächsten. Dieser Moment könnte so schön sein, wenn man ihn mit der richtigen Person erleben würden.
Ich nickte stumm und nahm ebenfalls mein Glas in die Hand, um davon einen Schluck zu trinken. Ich wusste nicht mehr weiter, worüber ich mit Tessa reden sollte, wenn sie mit dieser monotonen, gelangweilten Stimme sprach und dabei den Blick durch das Restaurant wandern ließ, als suche sie nach einer Fluchtmöglichkeit.
Ich seufzte, dann hob ich die Hand und bestellte den Kellner hierher.
»Wir hätten dann gerne die Rechnung«
• • •
Im Auto herrschte ebenfalls Totenstille. Tessa drehte ihren Kopf zur Seite, um aus dem Fenster zu schauen. Sie sagte nichts, und ich sagte auch nichts mehr. Wir hatten uns nichts mehr zu sagen. Wahrscheinlich funktionierte deshalb unsere Beziehung nicht mehr. Wir kommunizierten nicht mehr und lebten uns auseinander, während wir dennoch zusammenblieben, einfach weil wir uns in den Jahren aneinander gewöhnt hatten. Dazu kam noch das Problem meines Vaters, der mich unbedingt verheiratet sehen wollte, damit ich besseres Ansehen bei unseren Geschäftspartnern erlangen würde.
Ich schaltete das Radio ein, um dieser unangenehmen Stille zu entkommen. Daraus ertönte ein alter Hit, der ausgerechnet Hopes Lieblingslied gewesen war. Ich erinnerte mich, als sie genau dort, wo Tessa jetzt saß, war und bis zum Refrain leise die Melodie mitgesummt hatte. Danach konnte sie sich nicht mehr halten und sang erst leise und dann immer lauter mit. Ich war so glücklich darüber, sie so zu sehen, und ich musste die ganze Zeit Grinsen. Hope hatte gedacht, ich würde sie auslachen, dabei war ich einfach nur fasziniert von ihr gewesen.
Natürlich kamen damit auch alle anderen Erinnerungen an sie zurück. Ich würde alles dafür geben, wenn sie die Frau wäre, die jetzt hier im Auto neben mir sitzen würde. Ich vermisste sie so unglaublich sehr, dass ich es gar nicht in Worte fassen konnte. Diese Liebe zwischen uns würde ich mit keiner anderen Frau so erleben können. Weder mit Tessa noch mit jemand anderes.
Das Auto kam vor unserer Wohnung stehen. Ich schaltete den Motor aus und löste den Gurt von meinem Körper. Tessa stieg, ohne etwas zu sagen aus und lief nach oben zu unserer Wohnung. Ich folgte ihr stumm.
Oben angekommen schlüpften wir aus unseren Schuhen und Mäntel. Ich lief in die Küche, holte ein Glas aus dem Hängeschrank und schenkte mir einen großen Schluck Wasser ein. Tessa folgte mir überraschend.
»Adam?« sagte sie mit leiser Stimme. Sie blieb schüchtern im Türrahmen stehen.
»Hast du noch was für den Abend geplant?« fragte sie. Ich zuckte mit den Schultern.
»Wieso fragst du? Willst du dich etwa wieder mit deinen Freunden in irgendeiner Bar vergnügen?« meinte ich, lehnte mich gegen die Küchentheke und verschränkte die Arme vor der Brust. Tessa verdrehte die Augen.
»Ach fick dich Adam« sagte sie gereizt, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand schlussendlich im Badezimmer.
Ich seufzte. Tessa war desinteressiert, aber auch ich verhielt mich ihr gegenüber abweisend. Vielleicht könnte ich sie mehr lieben, wenn sie mir nicht ständig das Gefühl geben würde, langweilig zu sein und immer erst an zweiter Stelle zu stehen. Aber in dieser Situation wollte ich mich nicht mehr bemühen, ein guter Freund für sie zu sein. Ich ertrug ihre Nähe nicht und sie war mir in den Jahren so gleichgültig geworden, dass ich mich nicht einmal mehr dazu zwingen konnte, etwas für sie zu fühlen.
Ich drehte mich um, stellte das leere Glas in die Spülmaschine und lief hinüber ins Schlafzimmer. Beim Vorbeilaufen am Bad hörte ich das Wasser unserer Dusche laufen. Tessa summte eine mir unbekannte Melodie.
In unserem Schlafzimmer tauschte ich erst einmal meine Anzugshose gegen eine bequemere Jogginghose. Mein Handy, das ich zuvor auf den kleinen Nachttisch abgelegt hatte, summte kurz. Eine Nachricht war eingegangen.
Ich setzte mich auf den Bettrand und griff nach diesem. Es war Damian.
Hab mich mit Hope getroffen lautete seine Antwort auf unser Gespräch, wie unser heutiger Tag bislang verlief.
Mein Herz klopfte augenblicklich schneller, als ich ihr Name las. Meine Finger schwebten über das Display und tippten eine Nachricht ein, bevor sich mein Verstand einschalten konnte und es hätte verhindern können.
Wie geht es ihr?
Ich hatte mir die Frage schon so lange gestellt und heute schien ich endlich eine Antwort darauf zu erhalten. Aber war ich auch bereit dafür?
Ganz gut glaube ich. Sie datet jetzt einen Typen und auch, wenn sie mir nicht sagt, wer es ist, scheint er ihr gut zu tun.
Mein Herz setzte einen Herzschlag aus und ich spürte ein immer stärker werdendes Stechen in meiner linken Brust. Anscheinend war ich es nicht.
Auch wenn ich mit solch einer Antwort gerechnet hatte, schockierte es mich dennoch, dass sie einen anderen Mann kennengelernt hat, der sie auch noch glücklich machen konnte, denn insgeheim hatte ich immer noch darauf gehofft, sie würde in unserer Heimatstadt auf mich warten. Doch diese Hoffnung war nun geplatzt. Ich saß niedergeschlagen auf meinem Bett und wusste, dass ich Hope nun endgültig verloren hatte.
Du hängst doch nicht immer noch an Hope, oder? Kam als Nachricht gleich hinterher. Panisch tippte ich auf meinem Handy herum, um Damian vom Gegenteil zu überzeugen. Niemand sollte wissen, dass ich heimlich immer noch in sie verliebt war. Bei Jonas ist es mir schon herausgerutscht, aber das sollte mir nicht noch einmal passieren.
Quatsch, nein. Ich wollte nur wissen, wie es ihr geht. Schickte ich ab und fügte in einer zweiten Nachricht gleich hinzu:
Habe sie ja schon lange nicht mehr gesehen
Einen Moment lang erwiderte Damian darauf nichts mehr, doch als ich gerade mein Handy wieder zurücklegen wollte, erschien doch noch eine Nachricht von ihm.
Okay gut, ich hatte schon für einen Moment befürchtet, deine Verlobung wäre in Gefahr. Apropos Verlobung, warum musste ich von jemand anderes erfahren, dass du verlobt bist?
Ich legte mein Handy zur Seite, ohne ihm eine Antwort zu geben, weil ich schlichtweg nicht über diese Verlobung sprechen und weiter darüber lügen wollte. Außerdem musste ich erstmal die neuen Informationen über Hope verarbeiten, die mich zugegebenermaßen sehr belasteten.
Ich starrte die weiße Wand mir gegenüber an. Vor meinem inneren Auge traten Bild von einer glücklichen Hope auf, die an der Seite eines anderen Mannes war. Ein Mann, der sie zum Lachen brachte und der sie auf eine ganz andere Art und Weise lieben konnte.
Ich fuhr mir mit beiden Händen übers Gesicht, um die Bilder aus meinem Kopf zu löschen. Ich wollte nicht länger daran denken, wie Hope mit einem anderen Mann glücklich sein konnte, wie sie in seinen Armen liegen würde oder wie sie sich küssen würden. Ich wollte alles vergessen, mich auf mein eigenes Leben konzentrieren, aber mein Herz sehnte sich noch immer nach Hope, nach ihrer Nähe, ihren zarten Lippen, ihren wunderschönen Augen und nach ihrer ganz besonderen Art.
Ich öffnete mein Hemd Knopf für Knopf und hörte gleichzeitig, wie die Schlafzimmertür geöffnet wurde. Tessa trat mit einem Handtuch um ihren nackten Körper geschlungen in den Raum. Unsere Blicke trafen sich einen Moment, dann wanderte ihrer über meinen nackten Oberkörper und ich richtete meinen wieder zurück auf meine Armbanduhr, die lose um mein Handgelenk lag. Ich legte diese auf meinen kleinen Nachttisch neben dem Bett und bemerkte im Augenwinkel, wie Tessa sich dem Kleiderschrank zugewendet hatte. Sie öffnete die Schiebetüren und das Licht schaltete sich darin an. Sie löste das Handtuch von ihrem Körper und ließ es zu Boden fallen, bevor sie sich splitterfasernackt streckte, um nach frischen Klamotten im obersten Fach zu greifen.
Meinen Blick wandte ich komplett von ihr ab. Ich wollte sie so nicht sehen und sie weckte auch keinerlei Begierde in meinem Inneren. Ich wollte ihren nackten Körper nicht sehen oder berühren, denn ich wollte einzig und allein Hope zurück. Doch dafür war es nun endgültig zu spät. Ihr Herz gewann nun ein anderer Mann, während sie noch immer mein eigenes besaß – was sie wahrscheinlich nicht einmal wusste. Schließlich konnte ich meine Gefühle gut verstecken. Während der restlichen Zeit auf dem College hatte ich mir nichts davon anmerken lassen, dass ich sie wieder zurückhaben wollte. Vielleicht war das ein großer Fehler – der größte meines Lebens.
»Wieso schaust du mich nicht mehr an?« ertönte Tessas Stimme leise. Es war bloß ein Hauchen und ihre Stimme klang brüchig. In ihr schwang unendliche Traurigkeit, als würde ich ihr wirklich wichtig sein und als würde sie mir gefallen wollen. Ich hatte so etwas schon lange nicht mehr gehört.
»Ich bin müde« murmelte ich, ohne ihr eine konkrete Antwort zu geben oder sie dabei anzusehen. Ich schaltete die kleine Lampe, die den Raum bislang spärlich beleuchtet hatte, aus und legte mich auf die Seite, um Tessas Bettseite den Rücken zuzuwenden.
Ja, vielleicht war es ihr gegenüber nicht fair, so abweisend und verletzend zu sein, aber erstens wollte ich keinen Streit hervorrufen, wenn ich ihr die Wahrheit sagen würde, und zweitens wollte ich auch nicht lügen. Außerdem behandelte sie mich genauso, nur dass ich für Sex gut genug schien, so wie sie sich manchmal versuchte, mir näher zu kommen. Auf alles andere, was wir gemeinsam taten, hatte sie keinerlei Interesse und versuchte sich nicht einmal zu bemühen, interessiert an unseren Gesprächen oder an mir zu wirken. Sie drückte mir immer ihr gelangweiltes und genervtes Gesicht hin und beschwerte sich dann, wenn ich mich ihr gegenüber genauso verhielt. Ich verstand diese Frau nicht.
Ich liebte diese Frau nicht. Ich hatte mir immer eingeredet, ich würde es tun, aber ich tat es nicht. Kein bisschen. Nicht mal ein kleines Stück.
• • •
Am nächsten Tag machte ich absichtlich Überstunden und blieb länger als sonst in der Firma, nur um nicht nach Hause zu müssen. Ich arbeitete an meinen Präsentationen und Konzepten der derzeitigen Projekte weiter, beantwortete ein paar geschäftliche E-Mails, darunter auch Bewerbungen zu verschiedenen Stellen, und führte noch zwei wichtige Telefonate. Dabei ignorierte ich die Tessas Anrufe und Nachrichten, die auf meinem Handy eingingen. Ich las mir nicht einmal durch, was sie mir geschrieben hatte, sondern drehte das Handy um, damit ich nicht ständig vom Aufblinken des Displays gestört wurde.
Ich wollte Tessa aus dem Weg gehen. Heute Morgen hatte ich mich so leise aus dem Haus geschlichen, damit sie nicht aufwachte und jetzt zögerte ich es so lange wie möglich heraus, wieder auf sie zu treffen. Ich befürchtete nämlich, dass Tessa mich darauf ansprechen würde, warum ich sie gestern schon wieder abgewiesen hatte, und das in einem großen Streit enden würde. Ich hasste es, zu streiten, auch wenn mir die Beziehung mit Tessa nicht wirklich etwas bedeutete. Also blieb ich hier und hoffte, dass, wenn ich zuhause ankommen würde, Tessa entweder schon schlafen würde oder gar nicht zuhause war.
Als ich auch die letzte Präsentation fertiggestellt und die letzte E-Mail beantwortet hatte, blieb mir jedoch nichts anderes übrig, als nach Hause zu fahren. Langsam zog ich mir meinen Wintermantel über, packte mein Handy in die Jackentasche, ohne einen Blick darauf zu werfen, und schloss mein die Tür meines Büros ab. Ich ließ mir extra viel Zeit, weswegen ich noch ein Gespräch mit der netten älteren Dame Mrs. _________, die Reinigungskraft unserer Firma, einschob. Dann unternahm ich noch einen Einkauf in einem etwas weiter gelegenen Supermarkt und war dankbar für die vollen Kassen, weil ich so noch mehr Zeit schinden konnte.
Spät abends, als es draußen schon stockdunkel war, parkte ich mein Auto in einer der Parklücken vor unserer Wohnung. Mit den Einkaufstüten bepackt lief ich die Treppen hinauf. Ich bereitete mich bereits auf einen Streit vor, warum ich nicht auf ihre Anrufe und Nachrichten reagiert hatte und warum ich sie ständig ignorierte und abwies. Vielleicht würde die Wohnung aber auch leer sein, weil sie bereits mit irgendwelchen Freunden wieder um die Häuser zog.
Kaum war ich in den Flur eingetreten, kam Tessa aus dem Wohnzimmer. Sie stellte sich mit verschränkten Armen vor mich und sah mich forschend und wütend an. Ich ließ in der Zwischenzeit die Wohnungstür ins Schloss fallen und, legte meine Schlüssel auf der Kommode ab und schlüpfte aus Mantel und Schuhen.
»Betrügst du mich?« fragte Tessa plötzlich wie aus der Pistole geschossen. Damit brachte sie mich völlig aus dem Konzept. Ich hatte mit allen möglichen Konfrontationen gerechnet, aber nicht mit dieser.
»Ja klar, wahrscheinlich mit Mrs. « erwiderte ich ironisch und verdrehte die Augen. Sie kannte Mrs. _______ und müsste demnach wissen, dass diese Frau keine Gefahr darlegte.
»Ja, vielleicht« zischte Tessa bestimmt und schien das völlig ernst zu meinen. Sie hob fragend die Augenbrauen in die Höhe, während ich auflachen musste.
»Also langsam mache ich mir echt Sorgen um deinen Verstand« murmelte ich amüsiert und lief mit den Einkäufen in die Küche, wo ich diese abstellte. Tessa ließ das Thema nicht beruhen, sondern folgte mir.
»Weich nicht vom Thema ab« zischte sie gereizt und ich hörte aus ihrer Stimme, dass sie ziemlich genervt von mir war.
»Also betrügst du mich jetzt?« fragte sie ein zweites Mal. Ich drehte mich um und sah sie direkt an.
»Nein, wie kommst du auf den Scheiß?« sagte ich mit lauter Stimme und fragte mich noch immer, wie sie darauf so plötzlich kam.
»Weiß nicht, vielleicht, weil du mich ständig abweist, wenn ich dir näherkomme, und du länger in der Firma bleibst und dich nicht einmal auf meine Nachrichten gemeldet hast« schrie sie mir entgegen und wurde mit jedem Wort ein bisschen lauter. Und dann sah sie mich an, als wäre es so offensichtlich, dass ich sie betrügen würde. Als würde sie mir gar nicht glauben, wenn ich sagen würde, dass ich es nicht tat.
»Ach, ich betrüge dich also, weil ich einmal später nach Hause komme, aber ich darf das gleiche nicht von dir denken, wenn du jeden verfickten Abend mit deinen Freunden unterwegs bist und dich in einer Bar nach der anderen volllaufen lässt?« sagte ich und wurde ebenfalls ganz schön laut, weil es mich wütend machte, dass sie mich beschuldigte, obwohl sie sich noch viel schlimmer verhielt. Schließlich war sie diejenige, die jeden zweiten Abend in Bars oder Clubs verbrachte und nicht einmal ihren Verlobungsring dabei trug, als würde sie verbergen wollen, dass sie bereits an einen anderen Mann vergeben war.
»Wer weiß, mit wie vielen Typen du dort schon etwas hattest« fügte ich in einem wieder ruhigeren und normaleren Tonfall hinzu.
»Das ist nicht fair« murmelte sie und schüttelte dabei sachte den Kopf.
»Ach, aber dass du mich ohne jegliche Beweise als Fremdgeher beschuldigst?« stellte ich ihr die Gegenfrage und verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust. Wir sahen einander in die Augen und ich bemerkte, wie ihre Fassade langsam bröckelte und verschwand. Die taffe Tessa gab es in diesem Moment nicht. Sie war genauso zerbrechlich und verletzlich wie alle anderen Menschen.
»Ich bin nicht diejenige, die dich jedes Mal abweist« erwiderte sie nach einem Moment Stille. Ihr trauriger Gesichtsausdruck wandelte sich in Wut und auch aus ihrer Stimme war der Zorn auf mich herauszuhören.
»Ich hab' einfach kein Bock mehr« rief ich ihr entgegen, während ich meine Arme von der Brust löste und mit ihnen in der Luft herumfuchtelte.
Da war sie, die lang ersehnte Wahrheit, die in meinem Inneren schon lange darauf wartete, herauszubrechen. In einem Moment der blanken Wut konnte ich sie nicht mehr für mich behalten.
Tessa ließ ihre Arme sinken. Wieder ein Moment, in dem sie ihre Maske nicht aufrechterhalten konnte. Sie sah mich entsetzt und traurig an, als würde sie gerade an diesen Worten zerbrechen. Sie blinzelte die Tränen weg, die versuchten, aus ihren Augen herauszutreten. Dann wurde sie wieder zur taffen, unberührten Tessa, die man nicht treffen konnte.
»Wieso willst du mich dann überhaupt noch heiraten?« fragte sie weiter nach und schien wieder komplett gefasst zu sein.
Das wusste ich selbst nicht einmal dachte ich. Also blieb ich stumm.
Tessa schien das, Antwort genug zu sein, denn sie beharrte nicht länger auf eine, sondern machte auf dem Absatz kehrt und verschwand im Flur, wo sie in ihre High Heels schlüpfte. Ich seufzte.
»Wo willst du hin?« fragte ich mit sanfterer Stimme und lehnte mich gegen die Wand, während ich ihr dabei zu sah, wie sie von mir zu fliehen versuchte.
»Kann dir doch egal sein. Schließlich hast du ja kein Bock mehr auf mich« gab sie eingeschnappt von sich und schaute mich dabei nicht einmal an.
»Tut mir leid, Tessa. Das war nicht so gemeint« log ich, um sie nicht noch mehr von mir zu stoßen. Im Hinterkopf hatte ich immer noch meinen Dad, der mir den Kopf abreißen würde, wenn ich ihm erzählen würde, dass Tessa und ich getrennte Leute seien.
Sie erwiderte nichts darauf, sondern schnappte sich einfach ihre Jacke. Sie lief an mir vorbei und wollte aus der Wohnung verschwinden, doch ich wollte mit ihr nach so einem großen Streit nicht auseinander gehen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen darüber, dass ich die Wahrheit gesagt hatte. Es klang verrückt, denn eigentlich müsste ich froh darüber sein, die Wahrheit ausgesprochen zu haben, damit sich mein Leben verändern konnte, doch ich war es komischerweise nicht.
Ich stellte mich ihr in den Weg, bevor sie sich aus dem Staub machen konnte. Ihr Blick war vollkommen kalt und emotionslos, doch je länger ich ihr in die Augen sah, umso mehr sah ich die Traurigkeit und Verletzlichkeit in ihnen.
»Du hast es gesagt. Das kannst du nicht mehr rückgängig machen« hauchte sie, bevor sie sich dann an mir vorbeidrängelte und die Wohnungstür aufriss. Sie wollte diese lautstark zuhauen, doch ich drehte mich schnell genug um und stellte meinen Fuß rechtzeitig dazwischen.
»Pass auf dich auf« murmelte ich, während sie die Treppen hinuntereilte. Bei meinen Worten blieb sie eine Sekunde lang stehen, dann rannte sie weiter nach unten und ließ mich allein.
Ich schloss leise die Türe und lehnte mich dagegen. Tief einatmend schloss ich die Augen und dachte über die letzten Minuten nach, in denen so einiges falsch gelaufen war. Ich fühlte mich mies und froh zugleich. Es war nie schön, von jemandem zu hören, dass er einen nicht mochte wie man anfangs gedacht hatte, aber irgendwie hatte man doch auch die Wahrheit verdient. Wer wollte schon ein Leben lang mit jemandem zusammen sein, ohne zu wissen, dass er einen nicht genügend liebte?
Ich dachte weiter nach. War es das jetzt mit uns? War das der Anfang vom Ende? Oder würde es weiterhin seinen Lauf nehmen, als wäre nichts geschehen?
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